Betriebliches Gesundheitsmanagement

Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) ist die Gestaltung, Lenkung und Entwicklung betrieblicher Strukturen und Prozesse, um Arbeit, Organisation und Verhalten am Arbeitsplatz gesundheitsförderlich zu gestalten. Sie sollen den Beschäftigten und dem Unternehmen gleichermaßen zugutekommen.

Ziele

Ziel des BGM ist, die Belastungen der Beschäftigten zu optimieren und die persönlichen Ressourcen zu stärken. Durch gute Arbeitsbedingungen und Lebensqualität am Arbeitsplatz wird auf der einen Seite die Gesundheit und Motivation nachhaltig gefördert und auf der anderen Seite die Produktivität, Produkt- und Dienstleistungsqualität und Innovationsfähigkeit eines Unternehmens erhöht. Hier entsteht für Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Win-Win-Situation, außerdem wird das Unternehmensimage als guter Arbeitgeber im Sinne von Corporate Social Responsibility verbessert. Letzteres ist angesichts der demografischen Entwicklung und dem damit verbundenen Konkurrenzkampf um qualifizierte Nachwuchskräfte nicht zu unterschätzen. Zu den Handlungsfeldern des BGM gehören präventive Bereiche wie der Arbeitsschutz, die Suchtprävention, die Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF), die Personal- und die Organisationsentwicklung[4]. Korrektive Handlungsfelder sind beispielsweise das Notfall- und Krisenmanagement und das Fehlzeitenmanagement. Weitere Bausteine des BGM stellen das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) und die medizinischen Leistungen zur Prävention nach § 14 SGB VI dar.

Die Idee des Betrieblichen Gesundheitsmanagements geht zum einen auf die Ottawa-Charta von 1986 zurück, die als Ziel die Befähigung der Bevölkerung zu einem selbstbestimmten Umgang mit Gesundheit sowie die gesundheitsförderliche Gestaltung der Lebenswelt und der Gesundheitsdienste formuliert. Zum anderen wurzelt sie im betrieblichen Arbeitsschutz, der auf eine lange Tradition zurückblicken kann, im Rahmen europäischer Gesetzesinitiativen in den letzten Jahren gestärkt wurde und über eine weit fortgeschrittene Professionalisierung und Institutionalisierung verfügt. Ein ganzheitlicher BGM-Ansatz sollte über den seit 1996 vorgeschriebenen ganzheitlichen Arbeitsschutz hinaus auch betriebliche Gesundheitsförderung, Verbesserung der Führungskultur, Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf sowie Aufgaben der altersgerechten Arbeitsgestaltung berücksichtigen.

Analyse

Die wichtigsten Analyse-Instrumente sind die Gefährdungsbeurteilung (Arbeitsschutz, psychische und physische Belastungen), explorative Analysen, Fehlzeiten-Analysen, Krankenkassenberichte, biometrische Daten, Gesundheitszirkel, Workshops zur strategischen sowie operativen Zielfindung und Mitarbeiter-Befragungen. Durch die Kombination verschiedener Analysemethoden und sukzessiver Befundverdichtung können Handlungsbedarfe und Problemfelder im Betrieb ermittelt und Maßnahmen festgelegt werden.

Bestandsaufnahme

Wichtig für ein Betriebliches Gesundheitsmanagement ist auch eine Bestandsaufnahme. Diese dient dazu eine Übersicht aller bereits im Unternehmen bestehenden Maßnahmen und Prozesse zu erstellen. Dies können z. B. sein:

  • flexible Arbeitszeitmodelle (Gleitzeit, Arbeitszeitkonten, Sabbaticals),
  • Human Resources (HR) Maßnahmen zur Förderung der Selbstverantwortung zur Gesundheitsförderung,
  • Gesundheit als Thema im Unternehmensleitbild,
  • ein Führungskräfte-Entwicklungsprogramm,
  • ein gutes Betriebsklima,
  • Kurse für Rückenschule, Laufgruppen, ergonomische Schulungen,
  • Arbeits- & Gesundheitsschutz,
  • Bereitstellung von Getränken,
  • eine gesunde Kantinenverpflegung,
  • ein Betriebliches Eingliederungsmanagement.

Das Aufgreifen dieser bereits bestehenden Einzelmaßnahmen, das Strukturieren, das miteinander Vernetzen und das Kommunizieren der Vorgehensweise ist ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit innerbetrieblicher Gesundheitsmanager.

Zielsetzung in der BGM-Praxis

Für die Umsetzung konkreter gesundheitsfördernder Maßnahmen ist es wichtig sich an den Ergebnissen der BGM-Analyse zu orientieren und von diesen folgende Zielsetzungen abzuleiten:

  1. Betrieblicher Handlungsbereich: Wo wollen/ müssen die Verantwortlichen aktiv werden?
  2. Gesundheitliche Handlungsbereiche: Auf welchen Gesundheitsebenen (körperliche, psychische, kognitive und/oder organisationale Ebene) wollen/müssen wir aktiv werden?
  3. Konkrete Kennzahlen: Welche konkreten Kennzahlen aus unserer Eingangsanalyse wollen wir verbessern/stärken? Wie sollen die Kennzahlen aussehen? Ein kennzahlenbasiertes Zielbildungs- und Analysetool ist beispielsweise das MIAS-Konzept
  4. Messzeitpunkte: Bis wann sollen die Kennzahlen erreicht werden? Wann ist eine Evaluation der BGM-Maßnahmen durchzuführen?

Strategie

In der Strategieentwicklungsphase sind Ziele, Handlungsfelder, zielführende Aktionen und Prozesse festzulegen. Mit der Spezifikation DIN SPEC 91020, das sich an der High Level Structure (HLS) orientiert, kann das betriebliche Gesundheitsmanagementsystem mit anderen Managementsystemen (Qualität, Umwelt, Energie und auch Arbeitsschutz wie die ISO 45001) in Einklang gebracht oder zusammengeführt werden.

Für die Gesundheitsförderung wird ein Drei-Säulen-Modell vorgeschlagen:

  1. Person: Verhaltensprävention zielt auf eine gesunde Selbst-Steuerung von Einzelpersonen. Wirbelsäulenkurse, Stressbewältigungstraining, Grippeschutzimpfungen, Sucht-Beratung sind Instrumente zur Verhaltensprävention. Bewegungsbezogene Interventionen gehören dabei zu den am häufigsten in Unternehmen vorgehaltenen Maßnahmen.
  2. Arbeit: Verhältnisprävention hat den Vorrang im Arbeitsschutz. Die Verhältnisprävention zielt auf gesunde Arbeitsbedingungen. Verbesserungen der Ergonomie am Arbeitsplatz oder der Arbeitsorganisation sind hier zu nennen.
  3. System: Systemprävention zielt auf ein gesundes Miteinander in der Zusammenarbeit, in der Hierarchie und im Gesamtunternehmen. Zum Beispiel können altersgemischte Gruppen, eine Betriebsvereinbarung zum respektvollen Umgang miteinander oder Führungstrainings geeignete Maßnahmen zur systematischen Prävention im Bereich der sozialen Konflikte sein. Aus Sicht des Arbeitsschutzes ist die Systemprävention eine Verhältnisprävention.

Verhaltens- und Verhältnisprävention können sich überschneiden. Beispielsweise kann die Verhältnisprävention Strukturen schaffen, die bei der Verhaltensprävention benötigt werden.

Umsetzung

Nach der Analyse- und der Strategie-Phase wird ein betriebliches Gesundheitsmanagement mit Hilfe eines Projektmanagements, in Schritten, in die betriebliche Organisation und die Managementsysteme integriert. Ausgewählte praktische Aktionen begleiten die Einführung. Wesentliche Elemente des betrieblichen Gesundheitsmanagements sind die Veränderung der Firmenkultur (Betriebliches Gesundheitsmanagement muss ein Firmenziel sein) und die Partizipation der Mitarbeiter und der Interessenvertretungen. Existierende betriebliche Strukturen sind in das Betriebliche Gesundheitsmanagement eingebunden (Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin). Begleitend mit der Umsetzung und den Interventionen wird im Rahmen der Evaluation erneut analysiert, was sich durch die durchgeführten Maßnahmen verbessert hat: Wurden die Ziele erreicht? Ist der Krankenstand gesunken? Sind die Mitarbeiter motivierter und mit den Arbeitsbedingungen sowie dem Betriebsklima zufrieden? Ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) ist daher ebenfalls ein unverzichtbares Element des Betrieblichen Gesundheitsmanagements.

Kommunikation im Betrieblichen Gesundheitsmanagement

Viele Unternehmen bieten Ihren Mitarbeitern bereits eine Vielzahl an gesundheitsförderlichen Angeboten an. Doch nicht selten haben diese keinen Überblick über das Angebot und nutzen es deshalb nicht oder nur begrenzt.

Deshalb ist eine kontinuierliche Kommunikation im BGM unerlässlich. Getreu dem Motto Tue Gutes und rede darüber müssen die Arbeitnehmer im Rahmen der BGM-Kommunikation über aktuelle Angebote und Maßnahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements informiert werden. Dies kann z. B. über unterschiedliche Kanäle, wie das Unternehmensmagazin, das Intranet, E-Mail-Verteiler, Poster oder Flyer-Aktionen geschehen. Deshalb ist es hilfreich im Rahmen der Planung eines BGM, ebenfalls ein Kommunikationskonzept zu entwickeln und genau zu planen:

  • wann,
  • welche Informationen
  • von wem
  • an wen veröffentlicht werden.

Eine gute Kommunikation unterstützt die Transparenz, steigert die Partizipation und sorgt für eine nachweislich bessere Teilnahme an gesundheitsförderlichen Angeboten. Darüber hinaus fördert sie die Sensibilität der Führungskräfte und baut Hemmnisse gegenüber BGM ab (z. B. fehlendes Wissen, fehlendes persönliches Engagement, fehlende Motivation der Belegschaft).

Unternehmen die bereits ein betriebliches Gesundheitsmanagement besitzen, nutzen dieses bewusst zur Mitarbeiterbindung und Fachkräftegewinnung. Erste Studien belegen die Wirkung von BGM auf die Firmenattraktivität. Somit geht die Kommunikation des Angebots häufig über die interne Werbung hinaus.

Digitales Betriebliches Gesundheitsmanagement (dBGM)

Unter dem Begriff digitales Betriebliches Gesundheitsmanagement (dBGM) versteht man den Einsatz von digitalen Methoden, Instrumenten und Maßnahmen im Betrieblichen Gesundheitsmanagement von privaten und öffentlichen Einrichtungen. Dabei geht die Digitalisierung des Betrieblichen Gesundheitsmanagement mit den aufkommenden Herausforderungen einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt hervor. Neben neuen Aufgabenfeldern unterscheidet sich dBGM durch den Einsatz von OnlineCoaching, Gesundheitsplattformen, Employee Assistance Programs (EAP), BGM-Komplettsysteme, Gesundheits-Apps und Wearables vom klassischen Betrieblichen Gesundheitsmanagement.

Akteure

Unternehmensleitung, Personalabteilung, Betriebsrat, Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit sind wichtige Akteure innerhalb des Betriebes, die sich häufig im Rahmen einer BGM-Steuerungsgruppe organisieren. Vorübergehend kann externe Beratung und Unterstützung erforderlich sein, z. B. für die Implementierung des BGM in Form der DIN SPEC 91020 in das betriebliche Qualitätsmanagementsystem (nach ISO 9001), die Schulung der rechtlichen Rahmenbedingungen, für Führungskräftetrainings, -coaching. Zur Qualifizierung der Akteure siehe nächster Abschnitt Weiterbildung.

Weiterbildung

Eine Ausbildung zum Betrieblichen Gesundheitsmanager qualifiziert zur Entwicklung und Einführung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements im Unternehmen. Hier gibt es zertifizierte Studiengänge mit Zertifikatsabschluss, Masterstudiengänge und Weiterbildungen. Weiterbildungen werden zum Beispiel vom Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung an der Universität Bielefeld oder von der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement angeboten. An der Hochschule Magdeburg-Stendal kann man den Studiengang Gesundheitsförderung und -management belegen. Das Institut für Gesundheit und Management (IfG) bietet eine mehrstufige, durch den Bundesverband Betriebliches Gesundheitsmanagement (BBGM) zertifizierte, Weiterbildung zum Betrieblichen Gesundheitsmanager an. Diese richtet sich nach den Kriterien für eine geeignete Weiterbildung zur Fachkraft betriebliches Gesundheitsmanagement (BBGM) und Betriebliche/r Gesundheitsmanager/in (BBGM). Der Volkshochschulverband Baden-Württemberg bietet eine Weiterbildung zur ProSalutO-Prozessbegleitung an, welche dazu befähigt Betriebe bei der Einführung eines betrieblichen Gesundheitsmanagement professionell begleiten zu können. Die IHK Düsseldorf bietet in Kooperation mit der IST-Studieninstitut GmbH die berufsbegleitende Weiterbildung Betriebliches Gesundheitsmanagement (IHK) an. Die Weiterbildung zum Betrieblichen Gesundheitsmanager – TÜV der TÜV SÜD Akademie vermittelt Wissen aus den Bereichen Arbeits- und Gesundheitsschutz, Betriebliche Gesundheitsförderung, Unternehmensführung, Personalmanagement und interne Unternehmenskommunikation. Betriebliche Gesundheitsmanager können jedoch nicht die Fachaufgaben beispielsweise des Betriebsarztes im Rahmen des BGM oder des BEM übernehmen. Für die Interessenvertretungen werden Weiterbildungen von einer Vielzahl von spezialisierten Anbietern angeboten. Kernthema ist hier die Verbindung von rechtlichen Anforderungen an die Umsetzung des BGM (Arbeitsrecht, Datenschutz, Arbeitsschutz) mit den betrieblichen Rahmenbedingungen.

Zertifizierungen und Auszeichnungen

Eine allgemein verbindliche Zertifizierung für das Betriebliche Gesundheitsmanagement gibt es nicht. Es werden Spezifikationen angeboten, die Unternehmen einen standardisierten Aufbau ihres betrieblichen Gesundheitsmanagements ermöglichen. Die Sinnhaftigkeit einer auf solchen Spezifikationen basierenden Zertifizierung von Gesundheitsmanagementsystemen wird kontrovers diskutiert.

Seit 2010 existiert der sogenannte Social Capital and Occupational Health Standard (SCOHS). Es handelt sich um einen Anforderungskatalog, mit dessen Hilfe ein standardisiertes BGM in Unternehmen aufgebaut werden kann. Hinter der Entwicklung dieses Standards stehen Badura und ein Team aus Wissenschaftlern, Beratern, Vertretern der Industrie und Zertifizierungsunternehmen. Der SCOHS ist an die Norm DIN EN ISO 9001:2008 angelehnt und ist integrierbar in bestehende Managementsysteme.

Im Juli 2012 wurde eine von verschiedenen Unternehmen nach dem PAS-Verfahren entwickelte Spezifikation DIN SPEC 91020 „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ publiziert.

Darüber hinaus gibt es noch weitere Anbieter, die Zertifizierungen oder auch Auszeichnungen anbieten, unter anderem den Corporate Health Award, eine gemeinsame Initiative der Verlagsgruppe Handelsblatt, der TÜV SÜD Akademie, der ias-Gruppe und des Marktforschungsinstituts EuPD Research Sustainable Management. Diese Auszeichnung bewertet und würdigt Unternehmensleistungen im Bereich des betrieblichen Gesundheitsmanagements und der betrieblichen Gesundheitsförderung. Auch andere Preise wie der n-tv-Mittelstandspreis beziehen Erfolge im Betrieblichen Gesundheitsmanagement in die Bewertung mit ein.