Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein vom 27.03.2025 (Az. 4 MB 8/25)
Leitsätze des Gerichts
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Die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Dienstbetriebs im Sinne von § 14 Abs. 1 Landesjustizgesetz Schleswig-Holstein (LJG SH) umfasst auch den Schutz der Rechte der Verfahrensbeteiligten.
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Hausrechtliche Anordnungen mit präventivem Charakter setzen konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für vergangene Störungen voraus, die Rückschlüsse auf künftige Beeinträchtigungen zulassen.
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Zwei Fälle unzulässiger identifizierender Bildberichterstattung binnen drei Jahren reichen für sich genommen nicht aus, um ein systematisches Verhalten und damit eine generelle Gefahr für den Hausfrieden im Gerichtsgebäude anzunehmen.
Hintergrund des Verfahrens
Im Zentrum des Rechtsstreits stand die Rechtmäßigkeit einer hausrechtlichen Anordnung, mit der einem Presseunternehmen sowie dessen Mitarbeitenden untersagt wurde, im Zeitraum bis zum 28. März 2025 im Gebäude des Landgerichts Kiel fotografische Aufnahmen zu fertigen. Die Anordnung stützte sich auf § 14 Abs. 1 LJG SH und sollte einer möglichen unzulässigen Bildberichterstattung im Zusammenhang mit strafrechtlichen Hauptverhandlungen vorbeugen. Die Antragstellerin – ein Presseunternehmen – legte hiergegen Widerspruch ein und begehrte Eilrechtsschutz beim Verwaltungsgericht. Dieses ordnete die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs an, wogegen sich die Antragsgegnerin mit einer Beschwerde wandte – ohne Erfolg.
Rechtlicher Maßstab: Hausrecht nach § 14 Abs. 1 LJG SH
§ 14 Abs. 1 LJG SH ermächtigt die Leitungen von Gerichten und Staatsanwaltschaften, erforderliche Maßnahmen zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung im Gerichtsgebäude zu treffen. Diese Vorschrift bildet die gesetzliche Grundlage für Maßnahmen wie Zutrittskontrollen, Hausverbote oder das Verbot von Foto- und Filmaufnahmen – auch gegenüber Pressevertretern.
Dabei ist anerkannt, dass das Hausrecht nicht nur dem Schutz des Dienstbetriebs, sondern auch dem Schutz der Verfahrensbeteiligten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie sonstiger Besucher dient. Es ergänzt die Maßnahmen der Sitzungspolizei und kann präventiv ausgeübt werden.
Entscheidung des OVG Schleswig-Holstein
1. Kein systematisches Fehlverhalten der Presse
Das Gericht stellte klar, dass es für präventive Maßnahmen konkreter Anhaltspunkte für wiederholte oder systematische Störungen bedarf. Die Antragsgegnerin hatte zwei Vorfälle unzulässiger, identifizierender Bildberichterstattung durch Mitarbeiter der Antragstellerin innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren angeführt. Das Gericht bewertete dies jedoch nicht als hinreichend für die Annahme eines systematischen Vorgehens, das eine präventive Anordnung rechtfertigen würde.
2. Fehlende zeitliche und sachliche Konkretisierung der Gefahr
Zudem fehlte es an der erforderlichen Darlegung, dass im fraglichen Zeitraum konkrete medienwirksame Strafverfahren stattfanden oder weitere Anmeldungen von Bildjournalisten vorlagen. Auch das Datum des Verbots (bis zum 28. März 2025) erschien willkürlich, da die Urteilsverkündung im betroffenen Strafverfahren bereits am 18. Februar 2025 erfolgt war.
3. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Das OVG bekräftigte die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass ein zeitlich und sachlich begrenztes Verbot – etwa auf konkrete Verhandlungen bezogen – ein milderes, gleich geeignetes Mittel dargestellt hätte. Das pauschale Verbot war daher ermessensfehlerhaft und unverhältnismäßig.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung unterstreicht, dass gerichtliche Maßnahmen auf Grundlage des Hausrechts sorgfältig begründet und auf den konkreten Einzelfall bezogen sein müssen. Insbesondere im Spannungsfeld zwischen dem öffentlichen Informationsinteresse der Presse und dem Persönlichkeitsrecht der Verfahrensbeteiligten dürfen Gerichte keine pauschalen Verbote aussprechen, ohne eine konkrete Wiederholungsgefahr zu belegen.
Für die gerichtliche Praxis bedeutet dies:
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Eine präventive Untersagung von Foto- oder Filmaufnahmen bedarf konkreter Anknüpfungspunkte aus der Vergangenheit.
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Der bloße Verweis auf frühere Verstöße ohne Bezug zum konkreten Zeitraum und Ort genügt nicht.
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Die Maßnahme muss verhältnismäßig sein und darf nicht den Charakter einer Sanktion annehmen – dafür fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage.
Fazit
Mit dem Beschluss vom 27. März 2025 setzt das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein wichtige Maßstäbe für den Umgang mit medienrechtlichen Fragestellungen in Gerichtsgebäuden. Die Entscheidung stärkt die grundrechtlich geschützte Pressefreiheit, ohne den Schutz der Persönlichkeitsrechte von Verfahrensbeteiligten zu relativieren – verlangt aber eine sorgfältige, am Einzelfall orientierte Abwägung. Pauschale Verbote ohne fundierte Tatsachengrundlage genügen dem verfassungsrechtlich gebotenen Maßstab der Verhältnismäßigkeit nicht und sind rechtswidrig.
Tipp vom Rechtsanwalt:
Gerichte sollten bei der Ausübung ihres Hausrechts stets einzelfallbezogen vorgehen und dokumentieren, welche konkreten Umstände die Maßnahme rechtfertigen. Pressevertreter wiederum sind gut beraten, ihre Rechte im Zweifel gerichtlich prüfen zu lassen – insbesondere wenn umfassende Verbote ohne erkennbare Einzelfallbezüge ausgesprochen werden.