Rechtsanalyse zum Arbeitskampf bei Ford Köln: Streikrecht, Sozialtarifvertrag und internationale Konzernverantwortung

12. Mai 2025 -

Der erstmalige Streik bei den traditionsreichen Ford-Werken in Köln markiert eine Zäsur in der Geschichte des Automobilstandorts. Angesichts der geplanten Streichung von 2.900 Arbeitsplätzen bis 2027 bei insgesamt 11.500 Beschäftigten eskaliert der Konflikt zwischen Arbeitnehmervertretung und Management. Die IG Metall reagiert mit einem regulären Streik, nachdem vorangegangene Warnstreiks und Verhandlungen keine Einigung brachten. Im Zentrum stehen rechtliche Fragen des Arbeitskampfes, tarifvertraglicher Sicherungsinstrumente und der Verantwortung multinationaler Konzerne in nationalen Arbeitsverhältnissen.


Zulässigkeit des Streiks – Voraussetzungen und rechtlicher Rahmen

Streikrecht in Deutschland

Das Streikrecht ist in Deutschland nicht ausdrücklich gesetzlich normiert, wird aber aus Art. 9 Abs. 3 GG (Koalitionsfreiheit) abgeleitet. Danach haben Arbeitnehmer und ihre Vereinigungen (Gewerkschaften) das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Arbeitskämpfe zu führen.

Voraussetzungen eines rechtmäßigen Streiks

Ein Streik ist nur dann rechtmäßig, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

  • Ziel ist der Abschluss eines Tarifvertrags: Im vorliegenden Fall fordert die IG Metall einen Sozialtarifvertrag, u.a. mit Abfindungsregelungen und Sicherheiten für die Beschäftigten. Ein solcher Tarifvertrag ist tariflich regelbar und daher ein zulässiges Streikziel.
  • Verhältnis der Kampfmittel zur Zielsetzung („Verhältnismäßigkeit“): Angesichts des tiefgreifenden Stellenabbaus erscheint ein Streik als verhältnismäßiges Mittel.
  • Urabstimmung: Die IG Metall hat eine Urabstimmung durchgeführt, bei der 93,5 % der Mitglieder für Streik votierten – ein weiterer rechtlicher Standard wurde erfüllt.
  • Keine Friedenspflicht: Eine Friedenspflicht besteht nur während der Laufzeit eines bestehenden Tarifvertrags zu dem betreffenden Regelungsgegenstand. Da der Streik dem Abschluss eines neuen Sozialtarifvertrags dient, greift keine Friedenspflicht.

Ergebnis: Der aktuelle Streik bei Ford in Köln erfüllt die Voraussetzungen eines rechtmäßigen Arbeitskampfes.


Sozialtarifvertrag als Mittel zur sozialen Abfederung von Arbeitsplatzabbau

Begriff und Funktion

Ein Sozialtarifvertrag regelt – anders als klassische Lohn– oder Manteltarifverträge – die Modalitäten bei Restrukturierungen, insbesondere bei Massenentlassungen. Typische Inhalte sind:

  • Höhe von Abfindungen
  • Qualifizierungsmaßnahmen
  • Transfergesellschaften
  • Kündigungsschutzregelungen

Rechtswirkung und Bindung

Ein Sozialtarifvertrag entfaltet wie jeder Tarifvertrag normative Wirkung (§ 4 Abs. 1 TVG) für tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Wird ein solcher Vertrag vereinbart, besteht eine Pflicht zur Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen, z. B. Zahlung von Abfindungen oder Einrichtung einer Transfergesellschaft.

Verhältnis zum Interessenausgleich und Sozialplan

Sozialtarifverträge stehen neben den betriebsverfassungsrechtlichen Instrumenten Interessenausgleich und Sozialplan (§§ 111 ff. BetrVG). Während letztere zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat verhandelt werden und keinen Arbeitskampf rechtfertigen, ist ein Sozialtarifvertrag Gegenstand tariflicher Verhandlungen – und daher legitimes Streikziel.


Konzernrechtliche Besonderheiten und Grenzen der Mitbestimmung

Multinationale Konzernstruktur von Ford

Die Ford-Werke GmbH ist eine Tochtergesellschaft des amerikanischen Mutterkonzerns Ford Motor Company. Damit stellt sich die Frage, inwieweit das deutsche Management autonom agieren kann oder ob zentrale Entscheidungen – wie Stellenabbau oder Standortschließungen – in den USA getroffen werden.

Einfluss deutscher Mitbestimmung

Das Mitbestimmungsgesetz und das Betriebsverfassungsgesetz ermöglichen Mitwirkung in nationalen Unternehmen. Doch bei transnationalen Konzernen stoßen diese Mechanismen oft an Grenzen, wenn z. B. das US-Mutterhaus strategische Entscheidungen trifft, ohne dass der deutsche Betriebsrat oder Aufsichtsrat Einfluss nehmen kann.

Verpflichtung zur Konzernverantwortung?

Eine rechtliche Pflicht der Konzernmutter zur Sicherung von Arbeitsplätzen in der Tochtergesellschaft gibt es grundsätzlich nicht. Allerdings könnte die faktische Einflussnahme des US-Konzerns über sogenannte „Konzernleitungsrechte“ haftungsrechtlich oder arbeitsrechtlich relevant sein – insbesondere dann, wenn beispielsweise durch die Kündigung von Garantien (wie hier geschehen) gezielt Druck auf die deutsche Gesellschaft ausgeübt wird.


Betriebsänderung und Informationspflichten

Der geplante Stellenabbau stellt eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG dar. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan zu verhandeln. Kommt es zu keiner Einigung, kann die Einigungsstelle angerufen werden.

Der Betriebsrat hat dabei folgende Rechte:

  • Informationsrechte (§ 80 Abs. 1 Nr. 1, § 111 BetrVG)
  • Mitbestimmung bei sozialen Auswirkungen (§ 112 BetrVG)
  • Möglichkeit zur Anrufung der Einigungsstelle (§ 112 Abs. 2 BetrVG)

Ausblick und Handlungsempfehlungen

Der Arbeitskampf bei Ford Köln zeigt exemplarisch, wie tiefgreifend die Transformation der Automobilindustrie die Beschäftigungsverhältnisse belastet. Rechtlich gesehen stehen der IG Metall starke Mittel zur Verfügung – insbesondere der Streik und die Forderung nach einem Sozialtarifvertrag. Allerdings ist auch klar, dass bei internationalen Konzernentscheidungen nationalstaatliche Mitbestimmungsrechte an ihre Grenzen stoßen.

Empfehlungen:

  • Für Arbeitnehmervertretungen: Nutzung aller kollektivrechtlichen Mittel (Sozialtarifvertrag, Sozialplan, politische Einflussnahme), Aufbau von internationalem gewerkschaftlichem Druck.
  • Für das Unternehmen: Vermeidung von Konfrontation durch transparente Kommunikation, Verhandlungen über einen tragfähigen Sozialtarifvertrag zur Sicherung des sozialen Friedens.
  • Für den Gesetzgeber: Prüfung, ob die Mitbestimmung in multinationalen Konzernen gestärkt werden kann, z. B. durch Pflicht zur Einbeziehung nationaler Arbeitnehmerinteressen bei strategischen Entscheidungen.

Fazit

Der Streik bei Ford Köln ist juristisch legitim und politisch brisant. Er berührt zentrale Themen des deutschen Arbeitsrechts: Streikrecht, Sozialtarifverträge, Mitbestimmung in Konzernstrukturen – und stellt letztlich auch die Frage, wie gut der deutsche Sozialstaat auf globale Restrukturierungsprozesse vorbereitet ist. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob es der IG Metall gelingt, durch den Streik Druck aufzubauen, um die Belegschaft vor einem „Kahlschlag“ zu bewahren – oder ob Ford seine Restrukturierungspläne ohne nennenswerte Kompromisse durchsetzen kann