Späte Zielvereinbarung gilt nicht, dann bekommt der Arbeitnehmer Schadensersatz

17. Juni 2025 -

Hintergrund: Bonus nur bei Zielerreichung

Viele Arbeitsverträge sehen neben dem Fixgehalt eine variable Prämie (Bonus) vor, die an messbare Ziele geknüpft ist. Im entschiedenen Fall war vereinbart, dass dem Führungskraft-Arbeitnehmer die Jahresziele früh im Jahr mitgeteilt werden (laut Betriebsvereinbarung spätestens bis 1. März, 70 % Unternehmens- und 30 % individuelle Ziele). Praktisch aber wurden die Unternehmensziele erst im September/Oktober 2019 kommuniziert, und individuelle Ziele blieben ganz aus. Nachdem der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis zum 30.11.2019 gekündigt hatte, forderte er den vollen Bonus nach, weil er mangels rechtzeitiger Zielvorgabe von einer 100%igen Zielerreichung ausging. Er klagte auf Schadensersatz in Höhe des ausstehenden Bonus (ca. 16.036 €).

Entscheidung des LAG Köln

Das Landesarbeitsgericht Köln gab dem Kläger Recht und verurteilte den Arbeitgeber, den fehlenden Bonus zu zahlen. Entscheidend war der Zeitpunkt der Zielmitteilung: Wurden die Ziele so spät im Jahr genannt, dass sie ihre Motivations- und Anreizfunktion praktisch nicht mehr erfüllen konnten, muss der verspätete Vorgabe wie eine gänzlich unterbliebene Zielsetzung behandelt werden. Im Streitfall waren bereits rund drei Viertel des Jahres verstrichen, als konkrete Zahlen zu Umsatz- und „E“-Zielen genannt wurden – und auch die individuellen Ziele fehlten ganz. Das Gericht sah daher die Motivationswirkung als zerstört an. Eine nachträgliche Zielvereinbarung war damit nach § 275 BGB unmöglich. Folglich konnte sich der Arbeitnehmer auf einen Schadensersatzanspruch nach § 280, 283 BGB berufen (siehe auch Pressemitteilung des BAG). Er erhielt neben dem bereits ausgezahlten Teilbonus den Rest seines Variablen Gehalts ersetzt.

Rechtsgrundsätze des Urteils

Das Urteil stellt folgende Grundsätze auf, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer kennen sollten:

  • Rechtzeitig vs. verspätet: Wird die Zielvorgabe erst so spät im Jahr gemacht, dass das Geschäftsjahr schon weit fortgeschritten ist, gilt sie rechtlich wie nicht erfolgt. Das Gericht nennt als Faustformel, dass bei mehr als drei Vierteln des Jahres die Anreizfunktion praktisch entfällt. Nach Ablauf der Zielperiode liegt deshalb regelmäßig eine Unmöglichkeit der Zielsetzung vor und der AN kann Schadensersatz statt der Leistung verlangen.
  • Anreizfunktion: Eine Bonusvereinbarung soll den Mitarbeiter motivieren. Das bedeutet: Der Arbeitnehmer muss beim Arbeiten wissen, welche Ziele erreicht sein müssen, um den Bonus zu bekommen. Ziele für einen bereits abgelaufenen Zeitraum können diese Funktion nicht erfüllen. Daher kommt eine nachträgliche richterliche Festlegung (§ 315 Abs.3 S.2 BGB) nicht mehr in Betracht, wenn das Jahr faktisch vorbei ist.
  • Unternehmensziele ≠ individuelle Ziele: Das Urteil macht klar, dass es keinen Unterschied macht, ob die verspäteten Ziele Unternehmens- oder persönliche Ziele betrafen. Auch „unternehmensbezogene“ Ziele (etwa Umsatzziele) sind motivierend, insbesondere für Führungskräfte, und werden rechtlich wie individuelle Ziele bewertet. Dem Arbeitnehmer kann also nicht vorgeworfen werden, weniger motiviert gewesen zu sein, weil die Kriterien globaler Natur waren.
  • Kein Mitverschulden des Arbeitnehmers: Da allein der Arbeitgeber für die Zielvorgabe verantwortlich ist, spricht das Gericht von einer Initiativlast des Arbeitgebers. Ein Verschulden oder eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers (etwa, rechtzeitig nach den Zielen zu fragen) wird regelmäßig ausgeschlossen. Arbeitnehmer haften also nicht für das Versäumnis, wenn der Arbeitgeber die Ziele zu spät nennt.

Praxis-Tipps für Arbeitgeber

  • Frühzeitige Zielvereinbarung: Legen Sie Zielvereinbarungen am besten direkt im ersten Quartal fest. Achten Sie vertraglich oder per Betriebsvereinbarung auf klare Fristen (z.B. „Zielvorgabe bis 1. März“). Denn erreicht das Jahr zu weit seinen Schluss, kann eine späte Festlegung schnell als „zu spät“ gewertet werden.
  • Dokumentation: Halten Sie Ziele schriftlich fest (z.B. in einer MBO-Karte oder Anlage zum Vertrag) und sorgen Sie dafür, dass alle Beteiligten wissen, welche Gewichtungen und Schwellen (Korridore) gelten. Eine nur mündliche oder unvollständige Mitteilung (ohne konkrete Werte) genügt oft nicht.
  • Formvorgaben beachten: Überprüfen Sie, ob Ihr Arbeitsvertrag oder eine Betriebsvereinbarung Formvorschriften enthält. In manchen Fällen entfällt etwa mit Inkrafttreten einer BV die bisherige Schriftformerfordernis. Dennoch empfiehlt es sich, wichtige Zielvorgaben immer schriftlich zu geben.
  • Rechtsfolgen im Blick behalten: Kommt es doch zu einer verspäteten Zielvorgabe, riskieren Sie einen vollen Bonus nachzahlen zu müssen. Eine Zielvorgabe nach Ablauf von drei Vierteln des Jahres sei „rechtlich wie gar nicht erfolgt“. Arbeitgeber sollten deshalb sicherstellen, dass bis spätestens Ende Q1 die Ziele stehen.

Rechte der Arbeitnehmer

  • Bonus als Schadensersatz: Liegen keine oder verspätete Zielvorgaben vor, kann der Arbeitnehmer den Bonus als Schadensersatz geltend machen. Der Bonus gilt als „entgangener Gewinn“ (§ 252 BGB), weil er aus dem Arbeitsverhältnis resultiert. Das Gericht nimmt dann in der Regel an, dass der Mitarbeiter die (billigen, angemessenen) Ziele erreicht hätte – zumeist 100 %. Arbeitgeber müssen also bei fehlender Zielvorgabe den vollen vereinbarten Bonus zahlen, abzüglich bereits geleisteter Beträge.
  • Rechenbeispiel: Im entschiedenen Fall ging das LAG davon aus, der Mitarbeiter hätte bei rechtzeitiger Zielvorgabe die Unternehmensziele zu 100 % (und die pauschalen individuellen Ziele zu 142 %) erreicht. Daraus ergab sich die Differenz zum bereits gezahlten Bonus (insgesamt rund 16.036 €), die der Arbeitgeber nachzahlen musste.
  • Kein Mitverschulden: Arbeitnehmer müssen sich ihr Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis (z.B. Eigenkündigung) hier nicht negativ anrechnen lassen. Auch wenn der Mitarbeiter noch vor Jahresende geht, entbindet das den Arbeitgeber nicht von der Pflicht, frühzeitig Ziele zu setzen. Hat der Arbeitnehmer keine Zielvorgaben erhalten, darf er seinen Bonusanspruch durchsetzen, ohne selbst zu schulden.
  • Praktisches Vorgehen: Arbeitnehmer sollten dem Arbeitgeber ggf. schriftlich an die Zielsetzung erinnern und im Zweifelsfall zeitnah nachhaken. Wenn die Zielvereinbarung ausbleibt oder erst sehr spät kommt, kann man sich bereits darauf berufen, dass ein Anspruch auf Bonuszahlung besteht – notfalls gerichtlich. Das Urteil stärkt die Position der Mitarbeiter: Stehen Ziele nicht rechtzeitig fest, fällt der Bonus nicht einfach weg, sondern wird geschätzt ausgezahlt.

Das LAG Köln-Urteil verdeutlicht: Entscheidend ist der Motivationszweck der Zielvorgabe. Wird dieser Zweck – etwa durch eine Veröffentlichung der Ziele erst nach drei Vierteln des Jahres – nicht erfüllt, kann der Arbeitgeber den Bonusanspruch nicht mehr dadurch verhindern, dass er nachträglich Ziele festlegt. Arbeitgeber sollten daher so früh wie möglich klare, schriftliche Zielvereinbarungen treffen. Für Arbeitnehmer gilt: Ist die Zielvorgabe ausgeblieben oder zu spät erfolgt, haben sie gute Chancen, den Bonus (als Schadensersatz) gerichtlich durchzusetzen.