Exmatrikulation wegen Stalking: OVG Schleswig bestätigt Rauswurf eines Medizinstudenten

06. August 2025 -

Sachverhalt und Beschluss des OVG Schleswig

Ein Medizinstudent der Universität Kiel sah sich schweren Vorwürfen ausgesetzt: Er soll wiederholt zwei Studentinnen nachgestellt (Stalking) und sie dadurch unter anderem am Besuch von Vorlesungen gehindert haben. Die Hochschule reagierte mit einer Zwangsexmatrikulation (Entlassung des Studenten) wegen Verstoßes gegen das Hochschulgesetz und ordnete jeweils den sofortigen Vollzug dieser Maßnahme an. Nachdem eine erste Exmatrikulationsverfügung wegen formeller Mängel vorläufig aufgehoben worden war, erließ die Universität einen formal korrekten zweiten Bescheid. Der Student bestritt jegliches Fehlverhalten und wehrte sich gerichtlich gegen die Exmatrikulation – blieb damit jedoch ohne Erfolg. Sowohl das Verwaltungsgericht (VG) als auch in zweiter Instanz das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig glaubten nicht an die behauptete Unschuld des Studenten und hielten seine Exmatrikulation vorerst aufrecht. Im Eilverfahren bestätigte das OVG Schleswig mit Beschluss vom 31.07.2025 (Az. 3 MB 12/25) die Rechtmäßigkeit des Rauswurfs des Studenten zumindest bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren.

Rechtliche Grundlage: Zwangsexmatrikulation bei schwerem Fehlverhalten

Die rechtliche Basis für eine Exmatrikulation als Ordnungsmaßnahme findet sich in den jeweiligen Landeshochschulgesetzen. Da eine Exmatrikulation den Studierendenstatus beendet und in das Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 GG) eingreift, ist sie nur zulässig, wenn das Gesetz es ausdrücklich vorsieht. Oft erlauben Hochschulgesetze eine Exmatrikulation ansonsten nur in Fällen wie endgültig nicht bestandenen Prüfungen oder ausstehender Gebühren. Im vorliegenden Fall stützte sich die Universität Kiel auf § 42 des schleswig-holsteinischen Hochschulgesetzes (HSG). Diese Norm gestattet die Entlassung von Studierenden unter anderem dann, „wenn sie im Bereich der Hochschule anderen im Sinne des StGB nachstellen oder sie daran hindern, ihre Rechte und Pflichten auszuüben.“. Genau ein solches Verhalten – nämlich das beharrliche Stalking von Kommilitoninnen und die Behinderung ihres Studiums – wurde dem Medizinstudenten zur Last gelegt.

Andere Bundesländer haben teils ähnliche Regelungen: In Nordrhein-Westfalen etwa ist die Exmatrikulation als Disziplinarmaßnahme bei schweren Verstößen (z.B. erheblichen Ehrverletzungen oder Schaffung eines feindseligen Umfelds) ausdrücklich erlaubt. Hingegen schränkt z.B. Niedersachsen die Zwangsexmatrikulation auf Fälle ein, in denen der Studierende wegen gravierender Straftaten rechtskräftig verurteilt wurde. Der Fall in Schleswig-Holstein zeigt jedoch, dass auch ohne strafrechtliche Verurteilung eine Exmatrikulation zulässig sein kann – vorausgesetzt, das Landesrecht enthält eine entsprechende Befugnis und die Hochschule beachtet das Verfahren.

Interessenabwägung: Studienrecht vs. Schutz der Mitstudierenden

Die Exmatrikulation ist die schärfste Sanktion, die eine Hochschule gegen Studierende verhängen kann, und hat für den Betroffenen gravierende Folgen. Entsprechend streng sind die Anforderungen an ihre Rechtmäßigkeit, insbesondere was die Verhältnismäßigkeit betrifft. Im Kieler Fall mussten die Gerichte das Interesse des Studenten, sein Studium fortsetzen zu dürfen, gegen das Interesse der Hochschule und der Kommilitoninnen an einem sicheren, ungestörten Studienumfeld abwägen. Das OVG betonte, dass niemand dem Studenten seine allgemeinen Rechte (etwa sich frei auf dem Campus zu bewegen oder die Cafeteria zu nutzen) absprechen wolle – jedoch sprächen die Tatsachen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dafür, dass sein Verhalten die Lebensgestaltung der betroffenen Studentinnen erheblich beeinträchtigte. Letztere sahen sich gezwungen, Umwege zu gehen und sogar ein Semester lang keine Vorlesungen mehr zu besuchen. Hier überwog klar das Schutzinteresse der Mitstudierenden vor weiterer Belästigung.

Auch die zeitlichen Umstände flossen in die Abwägung ein. Der Student stand nicht kurz vor dem Studienabschluss, sondern hatte nachweislich noch rund zwei Jahre Studium vor sich. Die Gerichte hielten es daher nicht für unverhältnismäßig hart, ihm vorläufig die weitere Teilnahme am Studium zu verwehren. Wäre er unmittelbar vor dem Examen gestanden, hätte man die Maßnahme eventuell kritischer auf ihre Verhältnismäßigkeit prüfen müssen – hier jedoch erschien der sofortige Ausschluss angemessen, um weiteren Schaden von der Hochschule und ihren Angehörigen abzuwenden. Im Ergebnis stellte das OVG fest, dass die Hochschule die Exmatrikulation zurecht auf das Nachstellen bzw. die unzulässige Beeinträchtigung anderer Studierender gestützt hat und dieser Schritt offensichtlich rechtmäßig war.

Gerichtliche Überprüfung hochschulischer Disziplinarmaßnahmen

Bei der gerichtlichen Überprüfung von Disziplinarmaßnahmen einer Hochschule – insbesondere im Eilverfahren – gelten bestimmte Maßstäbe. Das Verwaltungsgericht hatte die zweite Exmatrikulation im Eilverfahren als „offensichtlich rechtmäßig“ bewertet. In solchen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes prüfen Gerichte typischerweise summarisch, ob die angegriffene Maßnahme offensichtlich rechtswidrig ist oder ob überwiegende Gründe dafür sprechen, sie (vorerst) bestehen zu lassen. Der Student bemühte sich, im Beschwerdeverfahren vor dem OVG seine Unschuld zu beteuern und die Vorwürfe zu entkräften. Allerdings machte das OVG deutlich, dass bloßes Bestreiten der Tatsachen nicht ausreicht, um im Eilverfahren erfolgreich zu sein. Wer gegen eine hochschulische Maßnahme vorgeht, muss substantiiert darlegen, warum die Entscheidung der Hochschule fehlerhaft sein könnte. Insbesondere hätte der Student konkret aufzeigen müssen, wo Fehler in der Beweiswürdigung der Hochschule oder des erstinstanzlichen Gerichts liegen.

Im entschiedenen Fall gelang ihm dies nicht. Er stellte nur punktuell seine eigene Sicht der Dinge dar und erklärte die belastenden Tatsachen aus einem vorangegangenen zivilrechtlichen Gewaltschutzverfahren pauschal für falsch. Selbst eine eidesstattliche Versicherung des Studenten, er habe sich stets sozialadäquat verhalten, genügte dem Gericht nicht als Gegenbeweis. Anhand der vorliegenden Unterlagen konnten die Richter vielmehr von wiederholtem Fehlverhalten ausgehen – mindestens zwei Fällen von Nachstellung – und sahen auch den zweiten Vorwurf (die Behinderung der Teilnahme der Frauen am Studium) als hinreichend gestützt an. Dabei betonte das OVG, dass das Gesetz keine tatsächliche Erfolgseintritt des Schadens verlangt – es genügt, dass die Handlungen objektiv geeignet sind, andere in der Ausübung ihrer Rechte einzuschränken. Kurz gesagt: Solange die Hochschule ihre Entscheidung auf nachvollziehbare Tatsachen gründet und diese ein schweres Fehlverhalten nahelegen, wird ein Gericht im Eilverfahren die Maßnahme in der Regel aufrechterhalten.

Subjektive Unschuld vs. Gefahrenabwehr

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf den Unterschied zwischen strafrechtlicher Schuld und gefahrenabwehrrechtlichem Handeln der Verwaltung. Der Student betonte seine subjektive Unschuld und es liegt offenbar (noch) keine strafrechtliche Verurteilung vor. Dennoch durfte die Hochschule einschreiten, um drohenden Schaden von anderen abzuwenden. Der Zweck der Exmatrikulation in solchen Fällen ist nämlich primär, die Hochschulgemeinschaft zu schützen – nicht den Studenten für begangenes Unrecht zu bestrafen. Entsprechend handelt es sich bei einem sofortigen Ausschluss vom Studium weniger um eine Strafe als um eine präventive Maßnahme der Gefahrenabwehr. Das heißt, bereits der begründete Verdacht schwerwiegenden Fehlverhaltens kann genügen, um einen Studenten vorläufig von der Hochschule zu entfernen, ohne dass es eines abgeschlossenen Strafverfahrens bedarf. Entscheidend ist eine Gefahrenprognose: Wenn Tatsachen vorliegen, die darauf hindeuten, dass von dem Studierenden eine erhebliche Gefahr für andere Hochschulmitglieder oder den störungsfreien Betrieb ausgeht, kann die Hochschule zum Schutz aller Beteiligten sofort einschreiten.

Dieser präventive Ansatz erklärt, warum die Gerichte hier der behaupteten Unschuld nicht gefolgt sind. Im Eilverfahren gilt es nicht, die Vorwürfe mit letzter Gewissheit zu beweisen, sondern zu beurteilen, ob nach Aktenlage eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Fehlverhalten besteht und ob die Sicherheitsinteressen der Hochschule das Weiterstudium des Betroffenen bis zur Hauptverhandlung ausschließen. Im vorliegenden Beschluss überwiegt aus Sicht des OVG klar das Interesse an der Gefahrenabwehr. Die Richter stellten zudem fest, dass der Student durch sein bloßes Bestreiten der Vorwürfe nicht die Zweifel an seiner Unbedenklichkeit ausräumen konnte. Subjektiv mag er sich als unschuldig betrachten; objektiv aber waren seine Handlungen geeignet, erhebliche Störungen und Ängste bei anderen auszulösen – was das Hochschulgesetz ausdrücklich sanktioniert.

Mögliche Rechtsmittel und Verfahrensschritte für betroffene Studierende

Ein Studierender, dem eine derart einschneidende Maßnahme wie die Zwangsexmatrikulation droht oder bereits zugestellt wurde, sollte seine Rechtsmittel kennen. Grundsätzlich stehen folgende Schritte zur Verfügung, um sich zu wehren:

  • Stellungnahme und Widerspruch: Zunächst kann – sofern es das Landesrecht vorsieht – ein Widerspruch gegen den Exmatrikulationsbescheid eingelegt werden. Bereits im Verwaltungsverfahren sollte der Betroffene alle entlastenden Argumente und Beweise vorbringen. Manche Hochschulen ermöglichen vorab eine Anhörung oder Stellungnahme, die unbedingt genutzt werden sollte, um den eigenen Standpunkt darzulegen.
  • Eilantrag beim Verwaltungsgericht: Da Exmatrikulationsbescheide in gravierenden Fällen oft für sofort vollziehbar erklärt werden (wie hier geschehen), hilft ein Widerspruch allein nicht – der Student wäre dennoch zunächst exmatrikuliert. In solchen Fällen kann beim zuständigen Verwaltungsgericht ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt werden. Das Gericht prüft dann im Eilverfahren, ob der Sofortvollzug ausgesetzt werden kann, damit der Studierende bis zur endgültigen Entscheidung weiterstudieren darf. Hier ist wichtig darzulegen, warum die Maßnahme rechtswidrig oder unverhältnismäßig sein könnte, und gegebenenfalls besondere Härten (etwa bevorstehende Prüfungen) geltend zu machen.
  • Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht: Lehnt das Verwaltungsgericht den Eilantrag ab (so wie im vorliegenden Fall), besteht die Möglichkeit, Beschwerde beim nächsthöheren Verwaltungsgericht (OVG bzw. VGH) einzulegen. Das OVG prüft die Sache nochmals summarisch. Im Kieler Fall etwa hat das OVG Schleswig die Beschwerde des Studenten verworfen und den erstinstanzlichen Beschluss bestätigt. Die Erfolgschancen stehen nur dann gut, wenn in erster Instanz Rechtsfehler passiert sind oder neue erhebliche Tatsachen vorgebracht werden können.
  • Hauptsacheverfahren (Klage): Unabhängig vom Eilverfahren muss der Betroffene seine Klage gegen den Exmatrikulationsbescheid führen (sofern nicht bereits ein Widerspruchsbescheid abgewartet wird). In diesem Hauptsacheverfahren wird die Rechtmäßigkeit der Exmatrikulation umfassend geprüft, allerdings kann dies Monate oder Jahre dauern. In der Zwischenzeit bleibt der Student ohne erfolgreichen Eilantrag exmatrikuliert. Im besprochenen Fall steht die endgültige gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache noch aus – insbesondere ist noch offen, ob sich der Vorwurf einer sexuellen Belästigung, der ebenfalls im Raum steht, erhärten wird.
  • Weitere Instanzen und Rechtsbehelfe: Je nach Verfahrensausgang kommen bei einer Klage über die Exmatrikulation weitere Instanzen in Betracht (Berufung zum OVG, Revision zum Bundesverwaltungsgericht), allerdings nur unter engen Voraussetzungen. In extrem gelagerten Fällen könnte ein letztinstanzlich unterlegener Student auch eine Verfassungsbeschwerde in Erwägung ziehen, wenn er eine Verletzung seines Grundrechts auf freie Berufswahl bzw. Ausbildung geltend macht. Allerdings wird das Bundesverfassungsgericht regelmäßig auf den effektiven Rechtsschutz im Verwaltungsweg verweisen, solange die Gerichte die Maßstäbe wie Verhältnismäßigkeit beachtet haben.

Für die betroffenen Kommilitoninnen oder andere Studierende, die Opfer von Nachstellungen oder Übergriffen werden, sei angemerkt: Sie können neben Meldungen an die Hochschule (die zu Ordnungsmaßnahmen wie hier führen können) auch den Weg zum Zivilgericht suchen. Das erwähnte Gewaltschutzverfahren deutet darauf hin, dass die Frauen im Kieler Fall zivilrechtliche Schutzanordnungen erwirkt haben, was parallel zu hochschulinternen Sanktionen möglich ist. In akuten Fällen sollte zudem stets die Polizei eingeschaltet werden, um Strafanzeigen zu stellen und kurzfristige Platzverweise oder Schutzverfügungen zu ermöglichen.

Lehren für Studierende und Hochschulen

Der Beschluss des OVG Schleswig bietet wichtige Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen:

  • Lehren für Studierende (potenzielle Täter und Betroffene):
    Studierende sollten sich bewusst sein, dass schwerwiegendes Fehlverhalten gegenüber Kommilitonen ernsthafte Konsequenzen bis hin zur Exmatrikulation haben kann. Wer andere belästigt oder stalkt, riskiert nicht nur strafrechtliche Schritte, sondern auch den Verlust des Studienplatzes. Umgekehrt sollten Studierende, die sich bedrängt oder bedroht fühlen, frühzeitig ihre Hochschule informieren und – wie im vorliegenden Fall – nicht davor zurückschrecken, rechtliche Schritte (z.B. nach dem Gewaltschutzgesetz) einzuleiten. Sollte man selbst mit Vorwürfen konfrontiert sein, gilt: Nehmen Sie diese sehr ernst. Eine einfache Bestreitung reicht im Verfahren nicht aus. Es ist ratsam, frühzeitig rechtlichen Beistand zu suchen, Beweismittel zu sammeln (z.B. Zeugen, Chatverläufe) und kooperativ an der Aufklärung mitzuwirken. Nur so besteht eine Chance, eine drohende Exmatrikulation abzuwenden oder im Eilverfahren die eigenen Rechte zu wahren.
  • Lehren für Hochschulen:
    Hochschulen haben nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, ihre Studierenden vor schweren Übergriffen und Stalking zu schützen. Der Fall zeigt, dass Hochschulleitungen durchgreifen können, wenn sie sich an die gesetzlichen Vorgaben halten. Wichtig ist dabei, formale Anforderungen strikt zu beachten – im Kieler Fall scheiterte der erste Bescheid an einem Formfehler, der durch einen korrekt vom Präsidium erlassenen zweiten Bescheid behoben wurde. Hochschulen sollten ihre Satzungen und Ordnungen auf aktuelle landesrechtliche Befugnisse abstimmen, um im Ernstfall schnell und rechtssicher reagieren zu können. Bei gravierenden Vorwürfen sollte geprüft werden, ob ein Sofortvollzug anzuordnen ist, um Gefahren abzuwenden. Dennoch muss jede Maßnahme verhältnismäßig bleiben: Alternative Mittel (wie Hausverbote, Auflagen oder befristete Suspendierungen) sind in Betracht zu ziehen, sofern sie den Schutz der Betroffenen ausreichend gewährleisten. Schließlich ist Transparenz und Fairness im Verfahren geboten – Beschuldigte sind anzuhören und die Entscheidungsgründe klar zu dokumentieren, damit Gerichte die Maßnahmen auch im Eilverfahren nachvollziehen können. Wenn Hochschulen diese Punkte beherzigen, haben gerechtfertigte Disziplinarmaßnahmen eine gute Chance, einer gerichtlichen Überprüfung standzuhalten.

Der Beschluss des OVG Schleswig vom 31.07.2025 verdeutlicht, dass Stalking im Hochschulbereich kein Kavaliersdelikt ist, sondern schwerwiegende studienrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Studierende sollten daraus lernen, respektvoll mit ihren Kommilitonen umzugehen und Grenzüberschreitungen zu unterlassen – anderenfalls droht das vorzeitige Aus des Studiums. Hochschulen wiederum sind angehalten, entschlossen gegen derartiges Fehlverhalten vorzugehen, dabei aber stets die rechtlichen Spielregeln einzuhalten. So wird sichergestellt, dass das Studienumfeld für alle Beteiligten sicher bleibt und Rechtsfrieden auf dem Campus gewahrt wird.