Viele werdende Väter im Beamtenverhältnis stehen vor der Frage, wie sie direkt nach der Geburt ihres Kindes Zeit mit der Familie verbringen können. Während Mütter durch den Mutterschutz mehrere Wochen rund um die Geburt bezahlt freigestellt sind, gab es für Väter im öffentlichen Dienst bislang keinen gesetzlichen Anspruch auf bezahlten Vaterschaftsurlaub. Oft blieb nur die Möglichkeit, Erholungsurlaub (also reguläre Urlaubstage) zu nehmen oder Elternzeit ohne Gehaltszahlung zu beantragen, um in den ersten Tagen nach der Geburt zu Hause sein zu können. Dieses Ungleichgewicht führt in der Praxis häufig dazu, dass frischgebackene Väter Urlaubstage opfern oder unbezahlte Auszeiten in Kauf nehmen müssen, um ihre Partnerin und das Neugeborene zu unterstützen. Ein aktuelles Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. September 2025 bringt nun Bewegung in diese Situation: Bundesbeamte haben unmittelbar aus EU-Recht Anspruch auf zehn Arbeitstage bezahlten Vaterschaftsurlaub anlässlich der Geburt ihres Kindes. Damit hat erstmals ein deutsches Gericht klargestellt, dass werdende Väter im Beamtenverhältnis sich direkt auf europäisches Recht berufen können, um eine bezahlte Freistellung nach der Geburt zu erhalten. Dieser Rechtstipp erläutert verständlich und juristisch fundiert die Hintergründe dieser Entscheidung und was betroffene Väter jetzt wissen müssen.
Kern des Urteils: VG Köln anerkennt direkten EU-Anspruch
Das Verwaltungsgericht Köln (VG Köln) hat mit Urteil vom 11.09.2025 (Az. 15 K 1556/24) entschieden, dass einem Bundesbeamten zehn Arbeitstage bezahlter Vaterschaftsurlaub zustehen – und zwar unmittelbar auf Grundlage einer EU-Richtlinie, ohne dass es einer innerstaatlichen Umsetzung bedarf. Geklagt hatte ein Beamter des Bundes, der Ende 2022 anlässlich der bevorstehenden Geburt seiner Tochter Vaterschaftsurlaub beantragt hatte. Sein Dienstherr, die Bundesrepublik Deutschland, lehnte den Antrag jedoch ab und argumentierte, es gebe im nationalen Recht keinen solchen Anspruch. Zudem meinte die Behörde, Deutschland habe die europäischen Vorgaben bereits durch bestehende Regelungen zu Elternzeit und Elterngeld erfüllt. Der Beamte nahm daraufhin zunächst eigenen Erholungsurlaub nach der Geburt und reichte im März 2024 Klage ein.
Das VG Köln gab dem Kläger vollumfänglich Recht. Es verurteilte den Dienstherrn, dem Beamten den beantragten Vaterschaftsurlaub rückwirkend zu gewähren und die entsprechenden Urlaubstage seinem Konto wieder gutzuschreiben. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass der Kläger sich unmittelbar auf die einschlägigen Bestimmungen der EU-Vereinbarkeitsrichtlinie von 2019 berufen könne. Diese Richtlinie hätte von Deutschland bis zum 2. August 2022 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Da dies nicht fristgerecht geschehen ist – ein entsprechender Gesetzentwurf der Bundesregierung aus der Zeit der Ampel-Koalition wurde zwar vorbereitet, aber nie verabschiedet – gelten die klaren Vorgaben der Richtlinie nun direkt zugunsten des Beamten. Mit anderen Worten: Weil der deutsche Gesetzgeber seine Umsetzungspflicht verletzt hat, kann der einzelne Beamte die europäische Regelung selbst ohne deutsches Ausführungsgesetz anwenden.
Das Gericht stellte ferner klar, dass die beklagte Bundesrepublik sich nicht auf Ausnahmeregelungen der Richtlinie berufen kann, um die Nichterfüllung zu rechtfertigen. Insbesondere genügten die bestehenden deutschen Bestimmungen zu Elterngeld und Elternzeit den Anforderungen der Richtlinie nicht. Zwar hätten Deutschland und andere Mitgliedstaaten grundsätzlich die Möglichkeit, bei bereits vorhandenen gleichwertigen Regelungen von einer 1:1-Umsetzung einzelner Punkte abzusehen. Doch die deutschen Elternzeit/Elterngeld-Regelungen weichen in entscheidenden Punkten von den Richtlinienvorgaben ab. So können Väter zwar auch nur einzelne Tage Elternzeit direkt nach der Geburt nehmen; sie erhalten in diesem Fall aber nicht die von der Richtlinie vorgesehene Lohnfortzahlung. Tatsächlich besteht ein Anspruch auf Elterngeld in Deutschland erst, wenn ein Elternteil mindestens zwei Lebensmonate des Kindes Elternzeit nimmt. Ein kurzer, zweiwöchiger Urlaub unmittelbar zur Geburt wird vom Elterngeld also nicht erfasst, während genau dies – ein kurzer bezahlter Vaterschaftsurlaub umgehend nach der Geburt – der Kern der EU-Vorgabe ist. Folglich, so das VG Köln, reichen Elterngeld und Elternzeit nicht aus, um die Richtlinie ordnungsgemäß umzusetzen.
Mit seinem Urteil hat das VG Köln dem Kläger den begehrten Anspruch zugesprochen und einen wichtigen juristischen Präzedenzfall geschaffen. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig – die Bundesrepublik kann Berufung zum Oberverwaltungsgericht Münster einlegen. Dennoch entfaltet das Urteil bereits jetzt Signalwirkung: Es zeigt, dass deutschen Beamten ein individueller Rechtsanspruch aus EU-Recht zustehen kann, selbst wenn das deutsche Gesetz diesen (noch) nicht ausdrücklich vorsieht. Im nächsten Schritt wird zu beobachten sein, ob die öffentliche Hand Rechtsmittel einlegt oder die Entscheidung akzeptiert – und wie andere Gerichte mit ähnlichen Fällen umgehen.
Hintergrund: Die EU-Vereinbarkeitsrichtlinie 2019/1158 und Vaterschaftsurlaub
Der rechtliche Ausgangspunkt dieses Falls ist die Richtlinie (EU) 2019/1158 über die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige (häufig „EU-Vereinbarkeitsrichtlinie“ genannt). Diese Richtlinie wurde am 20. Juni 2019 erlassen und verfolgt das Ziel, europaweit eine bessere Chancengleichheit am Arbeitsmarkt und eine gerechtere Aufteilung von Familien- und Pflegeaufgaben zu fördern. Sie gewährt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der EU eine Reihe individueller Rechte, darunter: einen Vaterschaftsurlaub, einen Elternurlaub (Parental Leave), einen Urlaub für pflegende Angehörige sowie das Recht auf flexible Arbeitszeiten für Eltern und Pflegende. Die Mitgliedstaaten waren verpflichtet, diese Vorgaben bis spätestens 2. August 2022 in nationales Recht umzusetzen.
Für werdende Väter (bzw. das zweite Elternteil) ist vor allem der Vaterschaftsurlaub nach Artikel 4 der Richtlinie relevant. Dort ist eindeutig festgelegt: „Die Mitgliedstaaten ergreifen die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Väter oder – soweit national anerkannt – gleichgestellte zweite Elternteile Anspruch auf zehn Arbeitstage Vaterschaftsurlaub haben, der anlässlich der Geburt des Kindes des Arbeitnehmers genommen werden muss.“. Diese zweiwöchige Freistellung soll also unmittelbar rund um die Geburt des eigenen Kindes erfolgen. Wichtig ist: Der Anspruch besteht zusätzlich zu anderen Elternzeitregelungen. Die EU-Richtlinie unterscheidet ausdrücklich zwischen „Vaterschaftsurlaub“ unmittelbar zur Geburt und dem längerfristigen „Elternurlaub“ (Parental Leave), der bis zu einem bestimmten Alter des Kindes genommen werden kann. Konkret steht jedem Elternteil nach Art. 5 RL 2019/1158 ein individueller Anspruch auf vier Monate Elternurlaub zu, der bis zum spätestens vom Mitgliedstaat festgelegten Alter (maximal acht Jahre) des Kindes genommen werden kann. Mindestens zwei Monate dieses Elternurlaubs dürfen nicht auf den anderen Elternteil übertragen werden. Deutschland hatte solche Elternzeit/Elterngeld-Regelungen bereits vor der Richtlinie – jedoch keine separate Kurzfreistellung für Väter zur Geburt. Gerade diese Lücke sollte durch den neuen Vaterschaftsurlaub geschlossen werden, um Vätern direkt nach der Geburt ihres Kindes eine aktive Rolle in der Familie zu ermöglichen.
Ein zentrales Element des EU-Vaterschaftsurlaubs ist seine Bezahlung. Nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie müssen Väter für die Zeit des Vaterschaftsurlaubs eine Lohn- oder Gehaltsfortzahlung erhalten, die mindestens in der Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall liegt. Praktisch bedeutet dies: Der zweiwöchige Vaterschaftsurlaub ist vergütet – Väter dürfen finanziell nicht schlechter gestellt sein als wenn sie aufgrund einer Krankheit für vergleichbare Zeit der Arbeit fernbleiben würden. Diese Vorgabe stellt klar, dass es sich nicht um unbezahlte Freizeit oder bloße Elternzeit (mit Elterngeld als Lohnersatzleistung) handelt, sondern um bezahlten Urlaub, der vom Arbeitgeber (bzw. Dienstherrn) zu tragen ist.
Zum Hintergrund gehört auch, dass einige Mitgliedstaaten bereits vor 2019 entsprechende Regelungen hatten oder haben. In Deutschland jedoch existierte – trotz der bekannten Vorteile einer väterlichen Auszeit unmittelbar nach der Geburt – bislang keine gesetzlich verankerte kurze Vaterzeit mit Lohnfortzahlung. Die Ampel-Koalition hatte zwar im Koalitionsvertrag 2021 vereinbart, eine zweiwöchige vergütete Freistellung für Partner nach der Geburt einzuführen. Ein erster Gesetzesentwurf hierzu (oft als „Familienstartzeit“ bezeichnet) wurde erarbeitet, kam aber bis zum Ablauf der EU-Frist 2022 nicht ins Gesetzblatt. Faktisch blieb somit eine europarechtliche Verpflichtung unerfüllt. Die EU-Kommission achtet allerdings darauf, dass die Richtlinie in allen Mitgliedstaaten umgesetzt wird – ein verspätetes oder unvollständiges Tätigwerden kann zu Vertragsverletzungsverfahren oder, wie hier, dazu führen, dass Gerichte die Richtlinienrechte unmittelbar anwenden.
Relevanz für die Praxis: Wer profitiert und wie macht man den Anspruch geltend?
Die Entscheidung aus Köln hat weitreichende praktische Bedeutung. Profiteure sind in erster Linie alle Beamten, insbesondere Bundesbeamte, die Vater werden (oder als zweiter Elternteil anerkannt sind) und zeitnah zur Geburt ihres Kindes frei nehmen möchten. Ihnen steht nach dem Urteil ein zehntägiger bezahlter Vaterschaftsurlaub zu – unabhängig davon, ob das deutsche Beamtengesetz bislang einen solchen Urlaub vorsieht oder nicht. Praktisch kann der betroffene Beamte also verlangen, ab der Geburt seines Kindes für zwei Wochen vom Dienst freigestellt zu werden, ohne finanzielle Einbußen befürchten zu müssen. Dabei spielt es keine Rolle, ob er später noch länger Elternzeit nimmt – der Anspruch auf die zwei Wochen besteht zusätzlich. Auch muss der Beamte keine zwei vollen Kalendermonate Elternzeit opfern, nur um einen kurzen Urlaub zu überbrücken. Gerade Bundesbeamte, zu denen z.B. viele Soldaten, Bundespolizisten oder Bundesbehörden-Mitarbeiter zählen, können nun direkt auf das EU-Recht verweisen.
Doch nicht nur Bundesbeamte, sondern grundsätzlich alle Beamten des öffentlichen Dienstes (etwa Landes- oder Kommunalbeamte) dürften von dieser Rechtslage profitieren. Zwar basiert das konkrete Urteil auf dem Fall eines Bundesbeamten, doch die EU-Richtlinie gilt gleichermaßen für alle Arbeitgeber, ob Bund, Länder oder kommunale Körperschaften. Ein Landesbeamter – zum Beispiel ein Lehrer, Polizist oder Verwaltungsbeamter eines Bundeslandes – könnte also in vergleichbarer Weise argumentieren, dass sein Dienstherr eine öffentliche Stelle ist und er daher direkt den EU-Anspruch auf Vaterschaftsurlaub geltend machen kann. Sollte ein Dienstherr die Freistellung verweigern, stünden auch diesen Beamten der Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten offen, analog zum Fall in Köln. In der Praxis ist zu erwarten, dass betroffene Beamte sich nun verstärkt auf das VG-Köln-Urteil berufen werden. Es könnte sich also lohnen, das schriftliche Urteil (sobald verfügbar) zu studieren und im eigenen Antrag zu zitieren, um die Rechtmäßigkeit des Begehrens zu untermauern.
Wie geht man konkret vor? Ein werdender Beamten-Vater sollte möglichst frühzeitig – idealerweise einige Wochen vor dem errechneten Geburtstermin – schriftlich bei seinem Dienstvorgesetzten den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub beantragen. In dem Antrag kann ausdrücklich auf die EU-Richtlinie 2019/1158 und das VG-Köln-Urteil vom 11.09.2025 Bezug genommen werden. Wichtig ist, klarzustellen, ab welchem Tag die Freistellung beginnen soll (in der Regel ab Geburt, ggf. flexibel danach) und dass eine Fortzahlung der Bezüge gemäß EU-Recht erwartet wird. Sollte die Behörde unsicher reagieren oder den Antrag zunächst ablehnen, ist zu empfehlen, Widerspruch einzulegen (sofern im Beamtenrecht vorgesehen) oder direkt rechtliche Schritte vorzubereiten. Das Kölner Urteil zeigt, dass die Gerichte bereit sind, dem EU-Recht Geltung zu verschaffen – Beamte sollten sich also nicht durch eine erstinstanzliche Absage entmutigen lassen.
Neben den Beamten im engeren Sinne profitieren auch viele Angestellte im öffentlichen Dienst von dieser Lage. Zwar unterscheiden sich Beamte und Arbeitnehmer in ihrem Rechtsstatus, doch für die EU-Richtlinie macht das keinen Unterschied: Sie spricht allgemein von „Arbeitnehmern“, was alle Personen in einem Beschäftigungsverhältnis umfasst – also auch tariflich angestellte Mitarbeiter von Bund, Ländern, Gemeinden oder anderen öffentlichen Einrichtungen. Auch diese Beschäftigten könnten den Anspruch auf zwei Wochen Vergütung rund um die Geburt direkt gegenüber ihrem öffentlichen Arbeitgeber erheben. Allerdings würden entsprechende Streitigkeiten wohl vor den Arbeitsgerichten ausgetragen (da für Arbeitnehmer – anders als für Beamte – die Arbeitsgerichtsbarkeit zuständig ist). Das Prinzip bliebe jedoch gleich: Der Arbeitgeber als öffentliche Stelle muss sich die Versäumnisse des Gesetzgebers zurechnen lassen und die Richtlinie im Zweifel selbst beachten. Angestellte im öffentlichen Dienst sollten daher ebenfalls erwägen, bei anstehender Geburt eine solche Freistellung zu beantragen. Die Erfolgsaussichten stehen jedenfalls deutlich besser als bei Angestellten in der Privatwirtschaft (dazu gleich mehr).
Für Beamte, die zwischen August 2022 und heute Vater geworden sind und damals mangels Rechtsgrundlage Urlaub nehmen mussten, könnte das Urteil ebenfalls interessant sein. Im vorliegenden Fall hat das VG Köln den Vaterschaftsurlaub rückwirkend gewährt und angeordnet, dass die zuvor genommenen Urlaubstage dem Konto wieder gutgeschrieben werden[4]. Das heißt, der Kläger erhält seine damals geopferten Urlaubstage zurück. Ähnliche Konstellationen könnten sich bei anderen Beamten ergeben, die in den letzten Monaten Vater geworden sind. Wer also seit August 2022 Urlaubstage für die Geburt des Kindes eingesetzt hat, könnte nun prüfen (ggf. mit anwaltlicher Hilfe), nachträglich eine Gutschrift dieser Tage zu verlangen. Hierbei sind aber etwaige Ausschlussfristen oder Verjährungsfristen im Auge zu behalten. In jedem Fall lohnt sich ein Blick auf die individuelle Situation: Es geht immerhin um zehn Tage bezahlte Freizeit, die neu gewonnen oder zurückerstattet werden können.
Konflikt mit deutschem Recht: Warum die Richtlinie direkt wirkt
Das Kölner Urteil macht deutlich, dass hier ein Konflikt zwischen EU-Recht und deutschem Beamtenrecht besteht – und wie er gelöst wird. Nach deutschem Beamtenrecht gab es bisher schlicht keine Regelung, die einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub mit Bezügefortzahlung vorsieht. Die nationalen Vorschriften zur Elternzeit (§§ 74 ff. Bundesbeamtengesetz, i.V.m. BEEG) ermöglichten es Vätern zwar, Elternzeit zu nehmen, aber diese war – wie gezeigt – für kurze Zeiträume um die Geburt herum unattraktiv, da keine Bezahlung erfolgt (außer man nimmt mindestens zwei Monate und erhält Elterngeld). Ein direkter gesetzlicher Anspruch auf „Vaterschaftsurlaub“ im Beamtenrecht fehlt(e) bis dato völlig. Hier prallten somit die Vorgaben der EU und das Schweigen des nationalen Gesetzes aufeinander.
Grundsätzlich gilt im Mehrebenensystem: EU-Richtlinien richten sich an die Mitgliedstaaten und müssen von diesen in nationales Recht umgesetzt werden. Solange der nationale Gesetzgeber dies fristgerecht und korrekt tut, entsteht für den Bürger kein Umsetzungsdefizit. Doch was passiert, wenn – wie im Fall des Vaterschaftsurlaubs – die Umsetzung ausbleibt oder unvollständig ist? Hier greift das Prinzip der unmittelbaren Wirkung (Direktwirkung) von Richtlinien ein. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) entfalten Richtlinienbestimmungen, die hinreichend klar und unbedingt gefasst sind, nach Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbare Wirkung zugunsten der Bürger, sofern es um Ansprüche gegenüber dem Staat geht. Genau das liegt hier vor: Die Pflicht, zehn Tage Vaterschaftsurlaub mit Vergütung zu gewähren, ist in Art. 4 i.V.m. Art. 8 der Richtlinie klar definiert und seit August 2022 fällig. Weil Deutschland dem nicht nachgekommen ist, können Betroffene diese Norm nun direkt anwenden – gewissermaßen als Sanktion gegenüber dem Staat dafür, dass er seinen europarechtlichen Pflichten nicht nachgekommen ist.
Diese Direktwirkung hat jedoch Grenzen: Sie gilt nur im Verhältnis Bürger gegen Staat (sogenannte vertikale Direktwirkung). Gegenüber privaten Arbeitgebern können Arbeitnehmer keine Rechte unmittelbar aus einer nicht umgesetzten Richtlinie herleiten. Der EuGH argumentiert, dass die Sanktion der Direktwirkung den säumigen Staat treffen soll, nicht aber Dritte, die nichts für die Umsetzung können. Im Kontext des Vaterschaftsurlaubs bedeutet das: Ein Vater, der bei einem privaten Unternehmen angestellt ist, kann von seinem Arbeitgeber derzeit nicht direkt die zwei Wochen bezahlten Vaterschaftsurlaub einklagen. Der Anspruch greift nur dort, wo der Arbeitgeber als „Staat“ oder staatliche Einrichtung anzusehen ist – eben z.B. bei Beamten oder öffentlichen Arbeitgebern.
Für Väter in der Privatwirtschaft bleibt leider vorerst eine Lücke. Ihnen steht, mangels nationaler Umsetzung, aktuell weder ein gesetzlicher Anspruch zu, noch können sie die EU-Richtlinie unmittelbar gegenüber ihrem privaten Chef durchsetzen. Allenfalls kommt ein Staatshaftungsanspruch in Betracht: Das heißt, der Vater könnte den deutschen Staat auf Schadensersatz verklagen, weil durch die Nicht-Umsetzung ein finanzieller Schaden entstanden ist (z.B. entgangenes Gehalt oder aufgezwungener Urlaub). Allerdings sind solche Klagen komplex und von ungewissem Ausgang. In einem bekannt gewordenen Fall vor dem Landgericht Berlin (Urteil vom 01.04.2025) scheiterte ein Vater mit dem Versuch, vom Staat Entschädigung für entgangenen Vaterschaftsurlaub zu erhalten – das Gericht war der Auffassung, die deutschen Regeln würden die EU-Vorgaben bereits ausreichend berücksichtigen. Ob diese Rechtsansicht haltbar ist, darf bezweifelt werden, zumal nun das VG Köln gerade gegenteilig entschieden hat. Dennoch zeigt das Berliner Urteil, dass der direkte europäische Anspruch für Angestellte in privaten Firmen vorerst außer Reichweite bleibt. Hier muss der deutsche Gesetzgeber tätig werden, um auch in der Privatwirtschaft die Lücke zu schließen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Im deutschen Beamtenrecht klaffte bis dato eine Regelungslücke, die durch die EU-Richtlinie eigentlich längst hätte geschlossen sein müssen. Die Kölner Entscheidung zwingt nun dazu, diese Lücke de facto zu schließen – notfalls ohne den Gesetzgeber. Sie bestätigt, dass europäisches Recht im Kollisionsfall nationales Recht überlagern kann, zum Vorteil des Individuums. Für die Behörden als Dienstherren bedeutet dies aber auch, dass sie ihre Verwaltungspraxis anpassen müssen, um EU-rechtskonform zu handeln. Andernfalls laufen sie Gefahr, reihenweise vor Gericht zu unterliegen.
Ausblick: Auswirkungen auf künftige Fälle und den öffentlichen Dienst insgesamt
Das Urteil des VG Köln dürfte über den Einzelfall hinaus Einfluss auf zukünftige Fälle haben. Zunächst einmal ist denkbar, dass die unterlegene Bundesrepublik Deutschland Berufung einlegt. In dem Fall würde das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen in Münster die Sache prüfen. Möglicherweise käme es dort zu einer Grundsatzentscheidung für alle Beamten in NRW oder sogar einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof, falls noch Fragen zur Auslegung der Richtlinie geklärt werden müssten. Bis zu einer höchstrichterlichen Klärung bleibt das Kölner Urteil formal nur für die Parteien verbindlich. Allerdings besitzen die ausführliche Begründung und die klare Haltung pro EU-Anspruch eine Signalwirkung: Andere Verwaltungsgerichte könnten sich dieser Sichtweise anschließen, wenn ähnliche Klagen von Beamten in ihrem Zuständigkeitsbereich auftauchen. Es ist gut vorstellbar, dass nun auch Landesbeamte (z.B. in Bayern, Hessen oder anderen Bundesländern) den Klageweg beschreiten, sollte ihr Dienstherr ihnen den Vaterschaftsurlaub verweigern. Die Erfolgsaussichten stehen dabei nicht schlecht, denn die Rechtslage ist überall in Deutschland vergleichbar – und die Argumentation des VG Köln dürfte präzedenzlos, aber überzeugend sein.
Darüber hinaus erhöht das Urteil den Druck auf den Gesetzgeber, endlich eine einheitliche Regelung zu schaffen. Es erscheint kaum vermittelbar, warum ein Beamter seinen Anspruch erst vor Gericht erstreiten muss. Die Bundesregierung hat bereits erkennen lassen, dass sie den zweiwöchigen Partnerurlaub grundsätzlich einführen will – nun gilt es, dies rasch umzusetzen, um Rechtsfrieden zu schaffen. Kommt es zu einer gesetzlichen Neuregelung, würde dies allen Vätern – auch im Privatsektor – zugutekommen und künftige Prozesse erübrigen. Bis dahin zeichnet sich aber ein gewisses Ungleichgewicht ab: Im öffentlichen Dienst (Beamte und ggf. öffentliche Angestellte) greift das EU-Recht de facto sofort, während in der Privatwirtschaft die Beschäftigten weiter warten müssen. Dieses Spannungsverhältnis könnte auch zu weiteren Staatshaftungsklagen führen, falls betroffene Väter aus der Privatwirtschaft den Staat für die verzögerte Umsetzung zur Rechenschaft ziehen wollen. Es bleibt abzuwarten, ob solche Klagen in höheren Instanzen Erfolg haben, falls etwa Gerichte die Frage an den EuGH herantragen, ob Deutschlands Verzicht auf den Vaterschaftsurlaub tatsächlich richtlinienkonform war. Spätestens der EuGH würde hier wohl Klartext sprechen.
Für andere Angehörige des öffentlichen Dienstes ist die Kölner Entscheidung ebenfalls richtungsweisend. Nicht nur klassische Beamte, sondern auch Richter (die in Deutschland einen beamtenähnlichen Status haben), Soldaten und Zivildienstleistende bzw. vergleichbare Amtswalter dürften im Lichte der EU-Richtlinie vergleichbare Ansprüche haben. So haben Bundeswehr-Soldaten bisher keinen eigenständigen „Vaterschaftsurlaub“ – auch hier könnte das Verteidigungsministerium nun zum Umdenken gezwungen sein, um die Richtlinie zu erfüllen. Kommunale Arbeitgeber und öffentliche Unternehmen (z.B. Stadtwerke, öffentlich-rechtliche Anstalten) müssen ebenfalls aufmerksam sein: Soweit sie als „staatliche“ Arbeitgeber gelten, können ihre Mitarbeiter die Richtlinienrechte einfordern. Kurz: Im gesamten öffentlichen Sektor in Deutschland zeichnet sich ab, dass frischgebackene Väter künftig nicht mehr leer ausgehen, sondern zumindest für kurze Zeit nach der Geburt bezahlt zu Hause bleiben können.
Insgesamt bedeutet die VG-Köln-Entscheidung einen Fortschritt für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im öffentlichen Dienst. Sie stärkt die Rolle des zweiten Elternteils und unterstreicht die europäische Botschaft, dass die frühzeitige Vater-Kind-Bindung sowie die Entlastung der Mutter nach der Geburt wichtige gesellschaftliche Anliegen sind. Wenn Väter von Anfang an aktiv in die Fürsorge eingebunden werden, fördert dies eine partnerschaftliche Aufteilung der Familienarbeit und hilft, traditionelle Rollenklischees aufzubrechen – genau das intendiert die EU-Richtlinie mit dem neu geschaffenen Vaterschaftsurlaub.
Fazit und Empfehlungen für betroffene Väter
Fazit: Werdende oder frischgebackene Väter im Beamtenverhältnis sollten ihre neu gewonnenen Rechte kennen und nutzen. Nach aktueller Rechtslage – gestützt durch das Urteil des VG Köln – besteht ein unmittelbarer Anspruch auf zehn Arbeitstage bezahlten Vaterschaftsurlaub anlässlich der Geburt. Dieser Anspruch ergibt sich direkt aus EU-Recht und kann gegenüber dem Dienstherrn geltend gemacht werden, auch wenn deutsches Gesetz (noch) keine entsprechende Norm enthält. Für Beamte bedeutet dies konkret: Sie müssen im Fall der Fälle nicht mehr wertvolle Urlaubstage opfern oder unbezahlt aussetzen, um in den ersten Tagen nach der Geburt für ihre Familie da zu sein – das EU-Recht steht hinter ihnen.
Betroffene sollten jedoch besonnen und gut informiert vorgehen. Unsere Handlungsempfehlungen lauten daher:
- Informieren und vorbereiten: Machen Sie sich frühzeitig mit den Vorgaben der EU-Richtlinie vertraut – insbesondere Art. 4 (Vaterschaftsurlaub) und Art. 8 (Bezahlung). Dokumentieren Sie am besten die relevanten Passagen und halten Sie Ausschnitte des VG-Köln-Urteils bereit, um diese Ihrer Dienststelle vorlegen zu können.
- Rechtzeitig Antrag stellen: Stellen Sie einen schriftlichen Antrag auf Vaterschaftsurlaub bei Ihrer Personalstelle, sobald der voraussichtliche Geburtstermin feststeht. Verweisen Sie dabei ausdrücklich auf die Richtlinie (EU) 2019/1158 und das Urteil des VG Köln vom 11.09.2025 (Az. 15 K 1556/24). Bitten Sie um Bestätigung, dass Ihnen 10 Arbeitstage bezahlt frei gegeben werden, beginnend ab Geburt (oder dem ersten Arbeitstag danach).
- Bei Ablehnung nicht resignieren: Sollte Ihr Dienstherr den Antrag ablehnen oder zögern, lassen Sie sich davon nicht sofort entmutigen. Weisen Sie schriftlich auf die Rechtslage hin (ggf. mit Zitaten aus der Pressemitteilung des VG Köln: z.B. „Bundesbeamten steht unmittelbar aus dem EU-Recht ein Anspruch auf zehn Tage vergüteten Vaterschaftsurlaub zu“). Fordern Sie eine schriftliche Begründung für die Ablehnung. In vielen Fällen dürfte die Behörde nach Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Einsehen haben – vor allem, wenn droht, dass der Fall vor Gericht geht.
- Rechtliche Unterstützung suchen: Wenn keine Einigung in Sicht ist, zögern Sie nicht, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein im Öffentlichen Dienst- und Europarecht versierter Rechtsanwalt (wie Dr. Usebach) kann Ihnen helfen, Ihre Ansprüche durchzusetzen. Dies umfasst notfalls die Einreichung einer Klage vor dem Verwaltungsgericht. Angesichts der bereits ergangenen Entscheidung in Köln stehen die Chancen gut, dass auch andere Gerichte im Sinne der Richtlinie entscheiden werden. Ein Anwalt kann zudem beraten, wie Sie Ihre Rechte zeitnah sichern – beispielsweise durch Eilrechtsschutz, falls die Geburt kurz bevorsteht und der Urlaub sofort benötigt wird.
- Austausch mit dem Arbeitgeber: In manchen Fällen kann es hilfreich sein, das Gespräch zu suchen. Viele Dienstherren im öffentlichen Dienst sind mittlerweile selbst an familienfreundlichen Lösungen interessiert. Möglicherweise ist Ihre Personalstelle noch nicht über die neue Rechtsentwicklung informiert. Ein kooperativer Hinweis auf die EU-Vorgaben und die drohende Rechtsunsicherheit bei Nichtgewährung kann bewirken, dass man Ihnen freiwillig entgegenkommt.
Abschließend sei betont: Die Entwicklung auf diesem Gebiet ist ein positives Signal für alle Väter im öffentlichen Dienst. Nutzen Sie Ihre Rechte selbstbewusst – sie dienen letztlich nicht nur Ihnen und Ihrer Familie, sondern fördern auch eine moderne Verwaltungskultur, die Familie und Beruf vereinbaren hilft. Sollten Sie Fragen zur Durchsetzung Ihres Anspruchs haben oder auf Widerstand stoßen, stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne beratend zur Seite. Betroffene Väter im Beamten- oder öffentlichen Dienst sollten diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen, die sich aus dem EU-Recht ergibt. Das Urteil aus Köln zeigt: Es lohnt sich, für seine Rechte einzutreten – im Zweifel auch vor Gericht. Schließlich geht es um etwas sehr Wertvolles: Zeit für die Familie, wenn sie sie am dringendsten braucht.