Viele Arbeitnehmer und Arbeitgeber fragen sich, was während einer Krankmeldung erlaubt ist. Darf man trotz „Krankschreibung“ einkaufen gehen, Freunde treffen oder sogar in den Urlaub fahren? Im deutschen Arbeitsrecht gelten zwei zentrale Grundsätze: Erstens spricht man rechtlich von Arbeitsunfähigkeit – nicht von einer Freizeit, sondern von der medizinisch attestierten Unfähigkeit, die vertragliche Arbeit auszuführen. Zweitens besteht die Pflicht, alles zu unterlassen, was die Genesung verzögert oder verschlechtert. Im Umkehrschluss sind nur Tätigkeiten erlaubt, die den Heilungsprozess nicht beeinträchtigen. Im Folgenden beleuchten wir die Rechte und Pflichten bei Krankheit – für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber – und geben anhand von Gerichtsurteilen eine Orientierung, was erlaubt ist und was Konsequenzen haben kann.
„Arbeitsunfähig“ statt „krankgeschrieben“ – Was bedeutet das?
Eine ärztliche Krankmeldung (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) bescheinigt, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist. Das bedeutet, dass er seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung aus gesundheitlichen Gründen nicht erbringen kann. Wichtig: Arbeitsunfähigkeit heißt nicht automatisch, dass der Arbeitnehmer das Haus hüten muss. Es handelt sich nicht um „Hausarrest“. Entscheidend ist vielmehr, ob bestimmte Aktivitäten die Genesung behindern würden. So kann jemand arbeitsunfähig sein (etwa ein Handwerker mit Beinbruch), aber dennoch zu Hause leichte Tätigkeiten verrichten oder kurz das Haus verlassen, ohne seine Gesundheit zu gefährden. Arbeitgeber haben während attestierter Arbeitsunfähigkeit kein Weisungsrecht bezüglich der Freizeitgestaltung des Arbeitnehmers – jedoch darf der Arbeitnehmer seine genesungsfördernden Sorgfaltspflichten nicht verletzen.
Pflicht zum gesundheitsgerechten Verhalten
Arbeitsrechtlich sind Arbeitnehmer während einer Krankschreibung verpflichtet, sich genesungsfördernd zu verhalten. Bereits das Bundesarbeitsgericht hat 2006 klargestellt, dass ein krankgeschriebener Mitarbeiter alles unterlassen muss, was die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit verzögern könnte. Diese Verhaltenspflicht ergibt sich aus dem Arbeitsverhältnis: Wer krank ist, soll so schnell wie möglich wieder gesund werden. Verstößt ein Arbeitnehmer leichtfertig gegen diese Pflicht, kann das arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen – von einer Abmahnung bis hin zur (gegebenenfalls sogar fristlosen) Kündigung.
Gerichte entscheiden dabei stets einzelfallbezogen nach Art der Erkrankung und dem Verhalten des Arbeitnehmers. Ein klassisches Beispiel ist ein Urteil des BAG: Ein Mitarbeiter, der wegen einer schweren Erkrankung (Hirnhautentzündung) krankgeschrieben war, unternahm dennoch einen anstrengenden Skiurlaub in den Bergen. Dabei verletzte er sich und verlängerte seine Arbeitsunfähigkeit erheblich. Das BAG bestätigte in diesem Fall die Kündigung – sogar außerordentlich und fristlos – wegen Verstoßes gegen die Pflicht zu gesundheitsförderndem Verhalten.
Alltag und Freizeit während der Krankschreibung: Was ist erlaubt?
Grundsätzlich gilt: Alle Aktivitäten, die den Heilungsprozess nicht beeinträchtigen, sind während der Krankschreibung erlaubt. Der Arbeitnehmer muss also abwägen (im Zweifel in Rücksprache mit dem Arzt), ob eine bestimmte Tätigkeit seiner Genesung schadet oder nützt. Einige typische Fälle:
- Einkaufen und Erledigungen: Notwendige Gänge wie das Einkaufen von Lebensmitteln oder der Gang zur Apotheke sind in der Regel unbedenklich. Es gibt kein gesetzliches Verbot, während der Krankschreibung das Haus zu verlassen. Solange der Gesundheitszustand es zulässt und der Arzt keine strikte Bettruhe verordnet hat, darf man für kurze Zeit vor die Tür – etwa um Besorgungen zu machen oder frische Luft zu schnappen (Spaziergang). Diese Aktivitäten können sogar wohltuend sein, solange sie im Rahmen der ärztlichen Empfehlungen bleiben.
- Freunde treffen und moderate Freizeitaktivitäten: Soziale Kontakte können im Krankheitsfall manchmal sogar hilfreich sein – insbesondere bei psychischen Erkrankungen. Ein Abend im kleinen Kreis oder ein kurzer Café-Besuch ist erlaubt, wenn er die Genesung eher fördert als hemmt. Beispiel: Ein Gericht in Österreich (Oberster Gerichtshof) entschied 2023, dass ein Arbeitnehmer mit Depression trotz Krankschreibung auf eine private Feier gehen durfte. In diesem Fall hatte der Arzt dem Arbeitnehmer explizit soziale Aktivitäten und Spaziergänge als Teil der Therapie empfohlen. Der Besuch der Veranstaltung war bei dieser Erkrankung nicht genesungswidrig und daher kein Kündigungsgrund. Anders wäre es etwa bei einer ansteckenden Grippe oder Erschöpfung: Hier sollte man Feiern und größere Ausgehabende meiden, weil Alkohol, laute Partys oder körperliche Anstrengung die Genesung verzögern könnten. Arbeitgeber denken oft: „Wer feiern kann, kann auch arbeiten.“ – Entsprechend riskiert man zumindest eine Abmahnung, wenn man mit offensichtlichen Krankheitssymptomen auf Partys gesehen wird.
- Sport und körperliche Betätigung: Körperliche Aktivitäten sind mit Vorsicht zu genießen. Leichte Bewegung (z.B. vom Arzt empfohlene Gymnastik oder Spaziergänge) kann förderlich sein, aber anstrengender Sport ist tabu, wenn er der Krankheit zuwiderläuft. Wer etwa mit einem Bandscheibenvorfall oder Rückenleiden krankgeschrieben ist, darf keinesfalls heimlich auf dem Bau arbeiten oder schwere Möbel schleppen – das wäre klar genesungswidrig und ein Kündigungsgrund. Auch der Gang ins Fitnessstudio ist nur erlaubt, wenn die Art der Erkrankung und die ärztliche Einschätzung dem nicht entgegenstehen. Im Zweifel sollte man solche Aktivitäten mit dem Arzt abstimmen.
Faustregel: Ist eine Freizeitaktivität objektiv geeignet, den Heilungsprozess zu verzögern oder die Krankheitssymptome zu verschlimmern, muss der Arbeitnehmer darauf verzichten. Was hingegen der Erholung dient oder neutrale Alltagsroutine ist, darf durchgeführt werden. Im Zweifel gibt der ärztliche Rat die Richtung vor.
Urlaub und Reisen während der Krankschreibung
Besonders sensibel ist das Thema Urlaub: Darf man verreisen, obwohl man krankgeschrieben ist? Hier lautet die Antwort: Ja, grundsätzlich schon – allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen. Entscheidend ist, dass die Reise den Heilungszweck nicht gefährdet, sondern idealerweise unterstützt.
- Urlaubsreise im Inland oder EU-Ausland: Ein erholsamer Aufenthalt, der der Genesung dient (z.B. Schonurlaub in einem Wellnesshotel bei Burnout oder milder Klimawandel bei Asthma), ist in der Regel zulässig. Arbeitgeber können nicht pauschal verbieten, dass ein Mitarbeiter während der Krankschreibung den Wohnort verlässt. Sie dürfen aber verlangen, dass während des Urlaubs keine Aktivitäten stattfinden, die die Genesung verzögern. Beispiel: Bei einer Grippe wäre ein ruhiger Wellnessurlaub eher unproblematisch, wohingegen eine anstrengende Bergwanderung oder ein Party-Urlaub in diesem Zustand die Gesundheit beeinträchtigen würde. In letzterem Fall läge ein Pflichtverstoß vor, der arbeitsrechtliche Schritte (Abmahnung oder Kündigung) rechtfertigen kann.
- Reisen bei psychischer Erkrankung: Bei Depression, Burnout & Co. kann ein Ortswechsel oder Tapetenwechsel sogar therapeutisch sinnvoll sein. Wichtig ist hier, die Reise vorab mit dem behandelnden Arzt abzustimmen. Bescheinigt die Arztpraxis, dass der Urlaub die Heilung nicht beeinträchtigt oder sogar fördert, steht einer Reise in der Regel nichts im Wege. Arbeitgeber können in Zweifelsfällen eine solche ärztliche Bestätigung verlangen, um sicherzugehen, dass der Krankenurlaub wirklich der Gesundheit dient.
- Krankengeld und Auslandsreisen: Wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als sechs Wochen andauert, erhalten Arbeitnehmer in Deutschland meist Krankengeld von der Krankenkasse. Auch während des Krankengeldbezugs darf man verreisen – selbst ins EU-Ausland – und behält den Anspruch auf Zahlungen. Allerdings muss man sich dafür vorher die Genehmigung der Krankenkasse einholen. Das Bundessozialgericht bestätigte 2019, dass eine Krankenkasse einen Auslandsaufenthalt in der EU nicht einfach verweigern oder das Krankengeld streichen darf, solange keine konkrete Gefährdung der Gesundheit vorliegt (Urteil vom 4. Juni 2019, BSG Az. B 3 KR 23/18 R). Bei Reisen außerhalb der EU gelten strengere Regeln: Hier kann die Kasse die Zahlung aussetzen, da der sogenannte Export von Geldleistungen dort nicht ohne Weiteres greift. In jedem Fall empfiehlt sich eine schriftliche Unbedenklichkeitsbescheinigung des Arztes vor Reiseantritt.
- Kein „Urlaub nehmen“ während Krankheit: Wichtig zu wissen – während einer Krankschreibung kann kein regulärer Erholungsurlaub im arbeitsrechtlichen Sinne genommen werden. Urlaubstage und Krankheit schließen sich aus. Wird jemand krank, während er im genehmigten Urlaub ist, so werden die Krankheitstage nicht auf den Jahresurlaub angerechnet. Umgekehrt kann man nicht einfach seine Krankentage in Urlaub umwandeln. Die Krankschreibung dient der Genesung, während Urlaub der Erholung gesunder Arbeitnehmer dient. Praktisch heißt das: Wer „krankgeschrieben“ ist, kann zwar reisen (unter den genannten Bedingungen), aber er verbraucht dabei keine Urlaubstage und muss nach Gesundung seinen regulären Urlaub erneut beantragen. Arbeitgeber sollten aber informiert werden, wo sich der Arbeitnehmer aufhält – spätestens wenn eine Ortsabwesenheit länger dauert oder ins Ausland führt, um Erreichbarkeit und eventuelle Nachweispflichten (z.B. Zusendung einer Auslandskrankschreibung) zu klären.
Folgen bei genesungswidrigem Verhalten
Hält sich ein Arbeitnehmer nicht an die Pflichten während der Arbeitsunfähigkeit, drohen arbeitsrechtliche Konsequenzen. Ein erstmaliger leichter Verstoß wird oft mit einer Abmahnung geahndet. Schwere oder wiederholte Verstöße können zur Kündigung führen. Dabei muss der Arbeitgeber jedoch den konkreten Pflichtverstoß nachweisen. Typische Konstellationen, die Gerichte als kündigungsrelevant ansehen, sind zum Beispiel:
- Aktivitäten, die die Genesung nachweislich verhindert oder verzögert haben. Zum Beispiel ein Mitarbeiter mit Grippe, der trotz Krankschreibung täglich auf Partytour geht, oder jemand mit Bandscheibenvorfall, der auf Kreuzfahrt schwere körperliche Aktivitäten unternimmt. Hier kann der Arbeitgeber argumentieren, dass der Arbeitnehmer seine Krankheit verschleppt hat.
- Vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit. Wird der Arbeitnehmer bei einer eigentlich unvereinbaren Tätigkeit erwischt, kann das den Verdacht der Vortäuschung begründen. So ein Fall ereignete sich etwa in Siegburg: Eine Arbeitnehmerin meldete sich für zwei Tage arbeitsunfähig, wurde jedoch am Wochenende feiern gesehen und sogar fotografiert. Das Arbeitsgericht Siegburg hielt die fristlose Kündigung für gerechtfertigt – die Indizien sprachen dafür, dass die Krankheit nur vorgeschoben war, wodurch das Vertrauen zerstört wurde. Merke: Wer „krank“ genug ist, um nicht arbeiten zu können, aber gleichzeitig fit genug für nächtliche Partys, riskiert den Beweiswert seines Attests und damit den Job.
- Verstöße gegen Melde- und Mitteilungspflichten. Insbesondere bei Auslandsreisen während langer Krankheit muss der Arbeitnehmer vorab die Krankenkasse informieren und ggf. den Arbeitgeber über die Abwesenheit in Kenntnis setzen. Unterlässt er gesetzlich vorgeschriebene Mitteilungen (z.B. einfach ins Ausland verreisen ohne Genehmigung trotz Krankengeldbezug), kann darin ein Pflichtverstoß liegen. In Kombination mit genesungswidrigem Verhalten oder Betrugsverdacht kann dies ebenfalls zur Kündigung beitragen.
Achtung: In gravierenden Fällen kann ein vorgespiegelter Krankheitsfall nicht nur arbeitsrechtlich, sondern auch strafrechtliche Folgen haben. Das Vortäuschen einer Erkrankung, um Lohnfortzahlung oder Krankengeld zu erhalten, kann den Tatbestand des Betrugs (§ 263 StGB) erfüllen. Allerdings muss der Vorsatz und die Täuschung zweifelsfrei nachgewiesen werden, was in der Praxis hohe Hürden hat.
Wer krankgeschrieben ist (arbeitsunfähig erkrankt), darf sein Leben außerhalb der Arbeit vorsichtig weiterführen – aber immer mit Blick auf die Genesung. Erlaubt ist alles, was nicht im Widerspruch zur Heilung steht. Normale Alltagstätigkeiten und schonende Freizeitbeschäftigungen sind unproblematisch, sofern der Arzt sie nicht verbietet. Tabu sind dagegen Anstrengungen oder Unternehmungen, die nach vernünftiger Betrachtung den Gesundungsprozess stören. Im Zweifelsfall sollte man Rücksprache mit dem Arzt halten und im Zweifel auf riskante Aktivitäten verzichten.
Arbeitnehmer tun gut daran, ehrlich zu sich selbst zu sein: Dient mir diese Aktivität wirklich der Erholung? Wenn nein, lässt man es während der Krankschreibung lieber bleiben. Arbeitgeber wiederum sollten jeden Einzelfall genau prüfen, statt vorschnell Sanktionen zu verhängen – etwa ob eine beanstandete Aktivität tatsächlich genesungswidrig war. Letztlich haben beide Seiten ein Interesse daran, dass der Mitarbeiter bald wieder gesund und einsatzfähig wird. Mit offenen Absprachen, ärztlichen Empfehlungen und Beachtung der Rechtsprechung fährt man am besten: Dann steht auch einem kleinen Spaziergang oder einer Erholungsreise während der Krankmeldung nichts im Wege, solange die Gesundheit an erster Stelle steht. Denn: Wer seine Pflichten bei Arbeitsunfähigkeit einhält, riskiert weder Genesung noch Job.