Krankgeschrieben und trotzdem arbeiten – erlaubt und versichert?

05. November 2025 -

Viele Arbeitnehmer schleppen sich trotz Krankheit ins Büro. Ob aus Pflichtgefühl oder aus Angst vor Konsequenzen – das Phänomen des „Präsentismus“ ist weit verbreitet. Laut Umfragen geht über die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland zumindest gelegentlich krank zur Arbeit. Häufig spielen Sorgen um den Arbeitsplatz (z. B. Angst vor Kündigung) eine Rolle. Doch was sagt das Arbeitsrecht dazu? Darf man trotz Krankschreibung arbeiten – und wie sieht es mit dem Versicherungsschutz aus? Dieser Rechtstipp klärt, was Arbeitnehmer und Arbeitgeber wissen sollten.

Arbeiten trotz Krankschreibung: Ist das überhaupt erlaubt?

Grundsätzlich gilt: Eine Krankschreibung ist kein Beschäftigungsverbot. Die vom Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) stellt lediglich eine Prognose über den voraussichtlichen Krankheitsverlauf dar. Fühlt Ihr Euch vor Ablauf der Krankschreibung wieder *arbeitsfähig, dürft Ihr freiwillig zur Arbeit zurückkehren. Eine formale „Gesundschreibung“ gibt es im deutschen Gesundheitswesen nicht – ist ein Arbeitnehmer offensichtlich wieder fit, kann er trotz laufender Krankschreibung die Arbeit wieder aufnehmen.

Vorsicht: Diese Freiheit bedeutet nicht, dass man unbedacht handeln sollte. Wer gegen ausdrücklichen ärztlichen Rat zu früh arbeitet und dadurch seine Genesung gefährdet, riskiert arbeitsrechtliche Konsequenzen. Zum einen kann eine vorzeitige Arbeitsaufnahme den Krankheitszustand verschlimmern, was im schlimmsten Fall längere Ausfallzeiten nach sich zieht. Verlängert oder verschlimmert ein Arbeitnehmer seine Erkrankung eigenverschuldet, kann der Anspruch auf Lohnfortzahlung entfallen – die Rechtsprechung sieht hierin ein schuldhaftes Verhalten. Arbeitgeber müssen also unter Umständen keine Entgeltfortzahlung leisten, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit durch unvernünftiges Verhalten unnötig verlängert oder verschärft[5].

Arbeitsunfähig vs. Beschäftigungsverbot – wo liegt der Unterschied?

Der Begriff „arbeitsunfähig“ (Arbeitsunfähigkeit) bedeutet, dass ein Arzt festgestellt hat, dass der Arbeitnehmer krankheitsbedingt vorübergehend seine vertragliche Arbeit nicht ausüben kann. Typische Ursachen sind Erkrankungen wie Grippe, ein Bandscheibenvorfall oder eine Operation. Die ärztliche Krankschreibung bestätigt diesen Zustand und prognostiziert die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Wichtig: Die Krankschreibung gibt dem Arbeitnehmer das Recht, der Arbeit fernzubleiben – sie verpflichtet ihn aber nicht, die volle Dauer abzuwarten, sofern er sich vorher wieder gesund fühlt (siehe oben).

Ein Beschäftigungsverbot hingegen liegt vor, wenn per Gesetz oder behördlicher/ärztlicher Anordnung jemand nicht beschäftigt werden darf, obwohl er nicht krank im eigentlichen Sinne ist. Das prominenteste Beispiel ist das individuelle Beschäftigungsverbot in der Schwangerschaft: Ist die werdende Mutter oder das ungeborene Kind durch bestimmte Tätigkeiten gefährdet, darf die Schwangere auf Anordnung nicht arbeiten (vgl. Mutterschutzgesetz). Anders als bei einer normalen Krankmeldung darf der Arbeitnehmer in Fällen eines offiziellen Beschäftigungsverbots tatsächlich nicht arbeiten – hier greift der Schutz der Rechtsordnung vorrangig. Eine Krankschreibung ist also zu unterscheiden von einem Beschäftigungsverbot: Ersteres bescheinigt eine Krankheit und eine voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit, Letzteres ist ein rechtliches Arbeitsverbot (meist zum Schutz des Arbeitnehmers selbst oder Dritter).

Versicherungsschutz: Bin ich trotz Krankschreibung versichert?

Eine oft gehörte Befürchtung ist, man sei nicht unfallversichert, wenn man krankgeschrieben zur Arbeit geht. Grundsätzlich unbegründet: Wer trotz Krankschreibung arbeitet, genießt den üblichen Versicherungsschutz der gesetzlichen Kranken- und Unfallversicherung. Weder die Krankenversicherung noch die gesetzliche Unfallversicherung stellen den Schutz ein, nur weil man mit „gelbem Schein“ am Arbeitsplatz erscheint. Auch Wege zur Arbeit sind versichert – erleidet Ihr auf direktem Weg einen Unfall, gilt dies in der Regel als versicherter Wegeunfall. Das gilt sogar, wenn Ihr nur kurzzeitig oder stundenweise wieder tätig seid.

Allerdings gibt es wichtige Einschränkungen im Unfallversicherungsschutz, die man kennen sollte. Die Berufsgenossenschaft (Unfallkasse) prüft genau, wie es zu einem Unfall kam:

  • Arbeitsunfall: Besteht ein Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, greift die gesetzliche Unfallversicherung in aller Regel auch bei vorzeitiger Arbeitsaufnahme. Beispiel: Ihr seid trotz Krankschreibung wieder im Betrieb und verletzt Euch bei einer üblichen Arbeitsaufgabe oder stolpert auf der Bürotreppe – hier liegt ein versicherter Arbeitsunfall vor.
  • Wegeunfall: Auch Unfälle auf dem Weg zur Arbeit sind versichert, solange sie sich auf dem direkten Arbeitsweg ereignen. Achtung: Umwege aus privaten Gründen (z. B. erst Einkaufen fahren) können den Versicherungsschutz kosten.

Nicht abgedeckt sind hingegen Unfälle, die ausschließlich auf eurer Erkrankung beruhen bzw. auf eigenmächtiges risikoreiches Verhalten zurückzuführen sind. Mythos vs. Realität: Entgegen mancher Mythen entfällt der Versicherungsschutz nicht pauschal bei Krankschreibung – aber wenn die Erkrankung die Unfallursache war, kann die Unfallkasse eine Leistung verweigern. Beispiel: Ein Mitarbeiter ist nach einer Kopfoperation noch krankgeschrieben, fühlt sich aber schon besser und geht arbeiten. Am Arbeitsplatz wird ihm schwindelig (Folge der OP) und er stürzt an einer Maschine – hier muss die Unfallversicherung nicht zahlen, da der Unfall unmittelbar auf die gesundheitliche Beeinträchtigung zurückzuführen ist. In solchen Fällen übernimmt nur die Krankenversicherung die Behandlungskosten, aber eine Anerkennung als Arbeitsunfall wird verneint.

Ebenfalls kein Unfallversicherungsschutz besteht, wenn der Arbeitnehmer während der Krankschreibung ohne zu arbeiten aus privaten Motiven im Betrieb ist. Wer beispielsweise bloß die Kollegen besuchen kommt und dabei verunglückt, kann keine Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung erwarten. (Die Krankenversicherung würde aber auch hier die medizinische Versorgung sicherstellen.)

Kurz gesagt: Der Versicherungsschutz bleibt erhalten, solange Ihr wirklich arbeitet (oder auf dem Weg dorthin seid) und Eure Tätigkeit nicht fahrlässig im Widerspruch zum Gesundheitszustand steht. Verletzt Ihr Euch jedoch wegen Eurer noch nicht auskurierten Krankheit oder bei rein privaten Unternehmungen, seid Ihr unter Umständen nicht als Arbeitsunfall versichert.

Darf der Arbeitgeber kranke Mitarbeiter einsetzen – oder heimschicken?

Arbeitgeber dürfen nicht verlangen, dass Arbeitnehmer trotz Krankschreibung arbeiten. Eine ärztliche AU-Bescheinigung begründet die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers: Der Chef muss Rücksicht auf die Gesundheit seiner Mitarbeiter nehmen. Würde der Arbeitgeber wissentlich einen noch arbeitsunfähigen Mitarbeiter zur Arbeit drängen, verstieße er gegen diese Fürsorgepflicht und machte sich im Falle eines Schadens sogar schadensersatzpflichtig. Beispiel: Setzt ein Unternehmen einen krankgeschriebenen Busfahrer mit Gipsbein wieder ein und es kommt zu einem Unfall, kann der Arbeitgeber für den entstandenen Schaden haften. Aus diesem Grund funktioniert es nicht „andersherum“: Ihr könnt dem Arbeitgeber nicht vorgeschrieben werden, krank zur Arbeit zu erscheinen, und umgekehrt darf der Chef Euch nicht zur vorzeitigen Rückkehr zwingen.

Anders sieht es aus, wenn Arbeitnehmer von sich aus trotz Krankschreibung wieder an den Arbeitsplatz kommen. Arbeitgeber sollten dann genau hinsehen: Sie dürfen einen noch nicht voll genesenen Mitarbeiter aus Fürsorgegründen nach Hause schicken, wenn berechtigte Zweifel an der vorzeitigen Genesung bestehen. Diese Pflicht, Schaden von den Beschäftigten abzuwenden, umfasst auch den Schutz der übrigen Belegschaft. Beispiel: Ein Handwerks-Mitarbeiter erscheint nach einer Knie-Operation früher im Betrieb, um „schon mal etwas mitzuhelfen“. Der Arbeitgeber bemerkt jedoch, dass das Knie noch instabil ist und jede Belastung riskant wäre – er schickt den Mitarbeiter nach Hause, um die Genesung nicht zu gefährden. Damit kommt der Arbeitgeber seiner gesetzlichen Pflicht nach, die Gesundheit seiner Mitarbeiter zu schützen. Ähnlich darf verfahren werden, wenn jemand fiebrig und stark erkältet im Büro auftaucht: Besteht Ansteckungsgefahr, kann der Chef den krankgeschriebenen Mitarbeiter zum Schutz der Kollegen heimschicken.

Tipp für Arbeitgeber: Stellt ein krankgeschriebener Mitarbeiter die Arbeit freiwillig früher wieder ein, genügt in der Regel dessen mündige Erklärung, dass er sich wieder arbeitsfähig fühlt. Gibt es allerdings offensichtliche Anzeichen, dass noch Arbeitsunfähigkeit besteht, sollte der Arbeitgeber im Zweifel auf die Genesung bestehen – notfalls durch Einschalten des Betriebsarztes oder das Verlangen einer ärztlichen Bestätigung. So wird das Risiko minimiert, dass ein Mitarbeiter zu früh arbeitet und Schaden nimmt.

Gesundheit geht vor

Arbeiten trotz Krankschreibung ist rechtlich erlaubt, wenn der Arbeitnehmer sich wieder fit fühlt – die ärztliche Krankschreibung ist eben kein totales Arbeitsverbot. Allerdings sollte die eigene Gesundheit immer Vorrang haben. Arbeitnehmer tun gut daran, die Auszeit zur Genesung zu nutzen, statt sich aus schlechtem Gewissen oder Angst vor Ärger krank in die Arbeit zu schleppen. Wer zu früh arbeitet und dadurch länger ausfällt, riskiert nicht nur die Gesundheit, sondern unter Umständen auch seinen Anspruch auf Lohnfortzahlung.

Der Versicherungsschutz bleibt zwar im Normalfall bestehen (gesetzliche Unfallversicherung und Krankenversicherung greifen auch während einer vorzeitigen Arbeitsaufnahme). Jedoch kann es Ausnahmen geben: Verläuft ein Unfall ausschließlich wegen der Krankheit, kann die Unfallkasse Leistungen verweigern. Arbeitgeber dürfen kranke Mitarbeiter nicht zwingen zu kommen – im Gegenteil, sie müssen ihre Angestellten schützen. Im Zweifel schickt der verantwortungsbewusste Chef einen offensichtlich noch kranken Mitarbeiter lieber nach Hause, um Heilung und Arbeitsfähigkeit bald wiederherzustellen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollten also stets im Dialog abwägen, was im Einzelfall das Beste ist. Letztlich gilt: Die vollständige Genesung und Sicherheit aller Beteiligten gehen vor – dann ist man auf der sicheren (Rechts-)Seite.