Urlaub im EU-Ausland trotz Krankschreibung – Was Arbeitnehmer wissen sollten

Mit Gipsbein am Strand – auch arbeitsunfähige Arbeitnehmer dürfen unter bestimmten Voraussetzungen in den Urlaub fahren.

Darf man trotz Krankschreibung verreisen?

Viele Arbeitnehmer fragen sich, ob sie während einer Krankschreibung Urlaub machen oder ins Ausland reisen dürfen. Grundsätzlich gilt: Eine Krankschreibung bedeutet nicht automatisch Hausarrest – entscheidend ist, dass die Reise den Heilungsprozess nicht gefährdet. Ein erholsamer Urlaub, der der Genesung dient (z.B. ein Kuraufenthalt oder Schonurlaub bei Burnout), kann sogar förderlich sein. Arbeitgeber dürfen kranken Mitarbeitern nicht pauschal verbieten, den Wohnort zu verlassen. Allerdings muss der Arbeitnehmer alles unterlassen, was seine Gesundung verzögern könnte. Wer etwa mit einem Bandscheibenvorfall krankgeschrieben ist, sollte keine anstrengenden Bergwanderungen unternehmen oder gar heimlich arbeiten – das wäre genesungswidrig und kann arbeitsrechtliche Konsequenzen haben. In einem drastischen Fall bestätigte das Bundesarbeitsgericht sogar die fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers, der trotz Krankschreibung (schwere Erkrankung) in einen anspruchsvollen Skiurlaub fuhr und dadurch seine Arbeitsunfähigkeit verlängerte. Aktivitäten, die der Gesundheit nicht schaden, sind erlaubt – was aber die Genesung objektiv gefährdet, muss unterbleiben.

Krankengeld und Auslandsaufenthalt: Die Rechtslage

Besondere Vorsicht ist geboten, sobald Sie länger als sechs Wochen krank sind und Krankengeld von der gesetzlichen Krankenkasse beziehen. Denn nach deutschem Recht ruht Ihr Anspruch auf Krankengeld automatisch, solange Sie sich im Ausland aufhalten (§ 16 Abs. 1 S.1 Nr.1 SGB V). Ausnahme: Reisen nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit mit ausdrücklicher Zustimmung der Krankenkasse. Das Gesetz verlangt also, dass Sie bei geplantem Auslandsaufenthalt während einer Krankschreibung vorher die Genehmigung Ihrer Krankenkasse einholen. Ohne diese Zustimmung darf die Kasse die Krankengeldzahlung für die Dauer der Reise einstellen. Diese Regelung dient vor allem dazu, Missbrauch zu verhindern und sicherzustellen, dass die Arbeitsunfähigkeit auch im Ausland zuverlässig festgestellt und überwacht werden kann.

Gut zu wissen: Diese Pflicht zur Zustimmung gilt grundsätzlich bei allen Auslandsreisen während des Krankengeldbezugs. Allerdings unterscheidet das Recht zwischen Aufenthalten innerhalb der EU und in Drittstaaten. Im EU-/EWR-Ausland sowie der Schweiz greift das europäische Sozialrecht (Stichwort Geldleistungsexport gemäß Art. 21 VO 883/2004), das verhindert, dass Ihnen wegen einer Auslandsreise der Anspruch auf Krankengeld verloren geht. Außerhalb der EU hingegen besteht kein solcher Schutz – bei Fernreisen in Länder ohne Sozialversicherungsabkommen kann die Kasse die Zahlung für die Urlaubszeit verweigern. Planen Sie also z.B. einen Urlaub in Übersee während Ihrer Krankschreibung, müssen Sie damit rechnen, in dieser Zeit kein Krankengeld zu erhalten.

BSG-Urteil 2019: Krankengeldanspruch bei EU-Urlaub

Das Bundessozialgericht (BSG) hat im Juni 2019 eine wichtige Entscheidung zu diesem Thema getroffen und die Rechte von Arbeitnehmern gestärkt. Im konkreten Fall wollte ein krankgeschriebener Gerüstbauer für fünf Tage ins EU-Ausland (Urlaub in Dänemark) reisen. Er hatte den Kurzurlaub ordnungsgemäß bei der Krankenkasse beantragt, und seine Ärztin hatte bescheinigt, dass die Reise aus medizinischer Sicht unbedenklich sei. Die Krankenkasse verweigerte dennoch die Zustimmung – mit der Begründung, die lange Autofahrt könne seine Rückenschmerzen verschlimmern und die Genesung verzögern. Der Fall landete vor Gericht.

Das Urteil: Die Krankenkasse durfte die Reise nicht einfach verbieten und das Krankengeld nicht einstellen. Das BSG stellte zwei zentrale Leitlinien auf: Erstens muss die Kasse einem Auslandsaufenthalt in einem EU-Mitgliedstaat zustimmen und Krankengeld weiterzahlen, solange kein Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit besteht und kein Leistungsmissbrauch vorliegt. Mit anderen Worten: Ist durch lückenlose AU-Bescheinigungen eindeutig belegt, dass Sie durchgehend arbeitsunfähig sind, darf die Kasse den Urlaub nicht aus bloßer Vorsicht untersagen. Allein die Vermutung, die Reise könnte der Gesundheit schaden, reicht nicht aus. Zweitens dürfen etwaige Sanktionen der Krankenkasse wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten (z. B. weil man nicht zu einem Untersuchungs- oder Behandlungstermin erscheint) nur nach vorherigem schriftlichen Hinweis an den Versicherten erfolgen. Im entschiedenen Fall hatte die Kasse den Kläger weder zu einer ärztlichen Untersuchung beim Medizinischen Dienst (MDK) noch zu einer Therapie aufgefordert – geschweige denn ihn schriftlich vorgewarnt. Eine Kürzung oder Einstellung des Krankengeldes ohne solchen Hinweis war daher unzulässig.

Das BSG bestätigte außerdem den europarechtlichen Hintergrund: Innerhalb der EU hat ein Versicherter Anspruch darauf, Geldleistungen wie das Krankengeld mitzunehmen (zu „exportieren“), sofern er die nationalen Voraussetzungen erfüllt. Entscheidend ist also, dass während des gesamten Auslandsaufenthalts ununterbrochen Arbeitsunfähigkeit besteht. Die Krankenkasse hat hier keinen Ermessensspielraum – ihr Ermessen ist sozusagen „auf Null reduziert“. Nur wenn es konkrete Anhaltspunkte gibt, dass die Arbeitsunfähigkeit in der Reisezeit enden könnte oder gar nicht (mehr) besteht, darf die Kasse die Zustimmung verweigern. Solche Zweifel könnten z.B. bestehen, wenn absehbar ist, dass Sie während des Urlaubs eigentlich wieder gesund würden oder wenn berechtigte Betrugsverdacht besteht (etwa bei widersprüchlichen Attesten). Bloße Bedenken, die Reise könnte evtl. zu einer Verschlechterung führen, reichen hingegen nicht aus. Im Ergebnis bekam der Gerüstbauer Recht: Für die fünf Tage Dänemark musste ihm Krankengeld weitergezahlt werden.

Praxistipps: Was Arbeitnehmer beachten sollten

Für Arbeitnehmer, die trotz Krankschreibung eine Reise planen (sei es zur Erholung oder aus familiären Gründen), lassen sich aus Gesetz und Rechtsprechung folgende Tipps ableiten:

  • Vorher Genehmigung einholen: Beantragen Sie eine Auslandsreise während der Arbeitsunfähigkeit immer vorab bei Ihrer Krankenkasse. Stellen Sie einen formlosen Antrag und informieren Sie über Reiseziel und -dauer. Wichtig: Lassen Sie sich von Ihrer Arztpraxis bescheinigen, dass Sie weiterhin arbeitsunfähig sind und aus medizinischer Sicht nichts gegen die Reise spricht. Dieses Attest legen Sie dem Antrag bei. So hat die Kasse schriftlich, dass der Urlaub voraussichtlich genesungsneutral oder sogar förderlich ist.
  • EU-Ausland bevorzugt: Wenn möglich, planen Sie Ihren Urlaub innerhalb der EU oder eines Landes mit Sozialversicherungsabkommen. In der EU ist die Krankenkasse verpflichtet, Ihr Krankengeld weiterzuzahlen, solange die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Außerhalb der EU besteht dagegen kein Anspruch auf Krankengeld während der Reise. Reisen in ferne Länder sollten Sie daher am besten auf die Zeit nach Ihrer Genesung verschieben – ansonsten riskieren Sie, dass die Kasse für die Auslandsdauer nicht zahlt.
  • Genesung nicht gefährden: Auch im Urlaub gilt die Pflicht, sich genesungsfördernd zu verhalten. Planen Sie nur solche Aktivitäten, die mit Ihrer Erkrankung vereinbar sind. Schon im eigenen Interesse sollten Sie Anstrengungen, riskante Sportarten oder lange Strapazen vermeiden, wenn diese Ihre Krankheit verschlimmern könnten. Denken Sie daran: Sollte die Krankenkasse Hinweise erhalten, dass Sie sich genesungswidrig verhalten (z.B. Partyurlaub trotz Grippe, Extrem-Sport trotz Rückenleiden), kann dies zu Problemen führen – ganz abgesehen von möglichen arbeitsrechtlichen Schritten Ihres Arbeitgebers (Abmahnung oder Kündigung bei Verstoß gegen Ihre Gesundungspflicht).
  • Mitwirkungspflichten ernst nehmen: Kommt die Krankenkasse auf Sie zu und fordert Sie z.B. auf, beim Medizinischen Dienst zur Untersuchung zu erscheinen oder an bestimmten Behandlungen teilzunehmen, sollten Sie dieser Aufforderung unbedingt nachkommen. Nehmen Sie solche Schreiben ernst – die Kasse will damit prüfen, ob Ihre Arbeitsunfähigkeit fortbesteht. Ignorieren Sie einen Untersuchungs- oder Therapie-Termin nicht! Andernfalls riskierten Sie eine Leistungskürzung. Zwar darf die Kasse das Krankengeld nur streichen, wenn sie Sie zuvor schriftlich darauf hingewiesen hat. Aber auf eine solche Mahnung folgt im Zweifel schnell die Sanktion. Melden Sie sich im Verhinderungsfall also rechtzeitig bei der Kasse und legen Sie dar, warum Sie nicht teilnehmen können.
  • Bei Problemen rechtlich beraten lassen: Sollte Ihre Krankenkasse die Zustimmung zum Urlaub unberechtigt verweigern oder sogar das Krankengeld einstellen, obwohl Sie alle Auflagen erfüllt haben, stehen Ihnen rechtliche Schritte offen. Legen Sie Widerspruch gegen den Bescheid ein und holen Sie im Bedarfsfall anwaltlichen Rat ein. Das BSG-Urteil zeigt, dass Gerichte die Rechte von Versicherten schützen, wenn Krankenkassen ohne ausreichende Grundlage Sanktionen verhängen.

Als arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer dürfen Sie grundsätzlich auch während einer Krankmeldung verreisen – insbesondere im EU-Ausland. Halten Sie sich an die Spielregeln: Holen Sie die Zustimmung Ihrer Krankenkasse ein, gefährden Sie nicht Ihre Genesung und erfüllen Sie Ihre Mitwirkungspflichten. Dann darf Ihnen weder der Arbeitgeber noch die Krankenkasse einen erholsamen Urlaub verwehren. Im Zweifel ist es sinnvoll, sich frühzeitig beraten zu lassen, um auf der sicheren Seite zu sein. Viel wichtiger aber ist: Nutzen Sie den Urlaub dazu, schnell wieder gesund zu werden!