OLG Frankfurt: Fristlose Kündigung eines Geschäftsführers wegen unzulässiger Begünstigung von Betriebsräten

27. November 2025 -

In einem städtischen Verkehrsunternehmen (öffentlicher Nahverkehr Wiesbaden) wurden mehrere Betriebsratsmitglieder grundlos in höhere Vergütungsgruppen eingestuft („Höhergruppierungen“) und mit Zulagen bedacht. Diese nicht sachlich gerechtfertigten Gehaltserhöhungen stellten unzulässige Begünstigungen dar. Als die Stadt – als Trägerin des Unternehmens – hiervon erfuhr, reagierte sie konsequent: Einem der Geschäftsführer wurde fristlos gekündigt, weil er diese ungerechtfertigten Höhergruppierungen abgenickt und mitunterzeichnet hatte, obwohl Personalfragen eigentlich nicht in seinen direkten Zuständigkeitsbereich fielen.

Sachverhalt: Geschäftsführer billigt fragwürdige Gehaltssprünge

Der gekündigte Kläger war seit 2014 als Mitgeschäftsführer in dem städtischen Betrieb tätig und war zuletzt unter anderem für den Bereich Personal verantwortlich. Im Unternehmen gab es jedoch mehrere Geschäftsführer mit aufgeteilten Ressorts – der Kläger war ursprünglich „ressortfremd“ für Personal, das heißt Personalangelegenheiten fielen formal in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Mitgeschäftsführers. Im Herbst 2021 erhielt die Stadt Wiesbaden anonyme Hinweise auf Unregelmäßigkeiten in der Geschäftsführung. Diese zielten auf mögliche Verstöße im Personalbereich ab, konkret auf Gehaltsanhebungen für Betriebsratsmitglieder, die nicht durch objektive Gründe wie veränderte Tätigkeit oder höhere Verantwortung gedeckt waren.

Um den Verdachtsmomenten nachzugehen, veranlasste die Arbeitgeberseite – hier vertreten durch den Aufsichtsrat des städtischen Unternehmens – eine umfassende Untersuchung des Sachverhalts. Eine externe Anwaltskanzlei wurde eingeschaltet, die den Vorgängen im Personalwesen auf den Grund ging. Ende Februar 2022 lag ein Zwischenbericht der Kanzlei vor, der offenbar die Hinweise bestätigte. Anfang März 2022 entschied der Aufsichtsrat daraufhin, den Geschäftsführer ohne Einhaltung einer Frist zu entlassen und seinen Anstellungsvertrag fristlos zu kündigen. Hintergrund waren die Vorwürfe, er habe unzulässige Höhergruppierungen und Zulagen für Betriebsratsmitglieder abgesegnet, obwohl es dafür keine sachliche Rechtfertigung gab. Der Geschäftsführer bestritt ein Fehlverhalten und klagte gegen die Kündigung – zugleich verlangte er vertraglich zustehende Vergütung (insbesondere eine Tantieme/Bonus für 2021 sowie Gehalt bis zum Ablauf der regulären Kündigungsfrist).

Die Entscheidung des OLG Frankfurt: Pflichtverletzung rechtfertigt Kündigung

Sowohl in erster Instanz vor dem Landgericht Wiesbaden als auch in der Berufung vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a.M. unterlag der Geschäftsführer mit seinem Begehren, die Kündigung rückgängig zu machen. Das OLG Frankfurt bestätigte die fristlose Kündigung als wirksam und wies auch die Berufung der Arbeitgeberseite, die noch eine Kürzung der dem Kläger zugesprochenen Tantieme erreichen wollte, zurück. Die Richter des 5. Zivilsenats stellten klar, dass das Dienstverhältnis des Klägers durch die außerordentliche Kündigung wirksam beendet wurde.

Dabei prüfte das Gericht zunächst die formellen Anforderungen an die Kündigung eines Geschäftsführers: Der zuständige Aufsichtsrat hatte einen Beschluss gefasst, den Geschäftsführer aus wichtigem Grund abzuberufen und den Dienstvertrag fristlos zu kündigen. Laut OLG genügte es, dass alle Aufsichtsratsmitglieder ordnungsgemäß eingeladen wurden – die Einladung enthielt den Tagesordnungspunkt „Abberufung des Klägers aus wichtigem Grund“ nebst einer schriftlichen Beschlussvorlage. Alle Mitglieder nahmen an der Abstimmung teil, ohne Widerspruch, sodass die Beschlussfassung ordnungsgemäß zustande kam. Auch die Zwei-Wochen-Frist des § 626 BGB (binnen der ein wichtiger Kündigungsgrund nach Kenntnis ausgesprochen werden muss) wurde nach Ansicht des Gerichts gewahrt. Erst mit Vorliegen des Untersuchungsberichts Ende Februar 2022 hatte der Aufsichtsrat sichere Kenntnis der maßgeblichen Umstände; die Kündigung Anfang März lag damit innerhalb von zwei Wochen.

Entscheidend war jedoch die materielle Rechtfertigung der außerordentlichen Kündigung. Hier stellte das OLG fest, dass tatsächlich ein wichtiger Grund im Sinne des Gesetzes vorlag. Der Kläger habe durch sein Verhalten gegen seine Pflichten als Geschäftsführer in gravierender Weise verstoßen. Die Arbeitgeberseite hatte im Prozess rechtskräftige arbeitsgerichtliche Urteile zu drei betroffenen Betriebsratsmitgliedern und einem Schwerbehindertenvertreter vorgelegt, welche detailliert darlegten, dass die betreffenden Höhergruppierungen und Zulagen rechtlich unzulässig waren. Diese Ergebnisse – die letztlich auf dem Begünstigungsverbot des § 78 BetrVG beruhen, wonach Betriebsräte wegen ihres Amtes weder benachteiligt noch bevorzugt werden dürfen – hat der Kläger nicht entkräften können. Es blieb also unwiderlegt im Raum stehen, dass die begünstigten Gehaltssprünge sachlich nicht gerechtfertigt und damit rechtswidrig waren.

Verantwortung trotz Ressortaufteilung: “Nicht mein Bereich” zählt nicht

Das OLG Frankfurt betonte, dass auch ein Geschäftsführer, der formal nicht für den Personalbereich zuständig ist, Verpflichtungen zur Kontrolle und Überwachung hat, sobald Anlass zu der Annahme besteht, dass im Unternehmen – selbst außerhalb seines eigenen Ressorts – Unregelmäßigkeiten vorgehen. Im vorliegenden Fall war der Kläger zwar nominell nicht der Personalchef, dennoch war er in die Vorgänge um die Gehaltserhöhungen einbezogen. Er hatte die Höhergruppierungen und Zulagen selbst mitunterzeichnet und war in die Kommunikation zwischen Personalabteilung und dem eigentlich zuständigen Mitgeschäftsführer eingebunden. Damit hatte er Kenntnis von den ungewöhnlichen Gehaltsentwicklungen zugunsten der Betriebsräte und zugleich die Machtposition, diese Vorgänge zu hinterfragen oder zu stoppen.

Nach der Frankfurter Entscheidung reichte diese Nähe zum Geschehen aus, um dem Kläger eine klare Überwachungs- und Eingriffspflicht aufzuerlegen. Er hätte also anlassbezogen kontrollieren müssen, ob die Gehaltserhöhungen rechtmäßig und nach objektiven Kriterien erfolgten. Insbesondere hätte er prüfen müssen, ob die Beförderungen der Betriebsratsmitglieder wirklich aufgrund ihrer Arbeitsleistung oder einer geänderten Stellenbewertung gerechtfertigt waren, oder ob es sich um reine Gefälligkeiten handelte. Hätte er Zweifel gehabt – wofür es angesichts mehrerer gleichartiger Fälle guten Grund gab – wäre er verpflichtet gewesen, einschreitende Maßnahmen zu ergreifen. Das hätte etwa bedeuten können, den Vorgang im Geschäftsführer-Gremium oder mit dem zuständigen Kollegen zu besprechen, den Aufsichtsrat zu informieren oder interne Prüfungen einzuleiten. Nichts dergleichen tat der Kläger. Durch dieses bewusste oder zumindest grob fahrlässige Wegschauen hat er nach Auffassung des Gerichts seine Pflichten verletzt und gegen das Legalitätsprinzip verstoßen, demzufolge die Geschäftsführung dafür Sorge tragen muss, dass im Unternehmen alle Entscheidungen im Rahmen von Gesetz und Recht bleiben.

Angesichts dieser Pflichtverletzungen sah das OLG das Vertrauensverhältnis unwiederbringlich zerstört. Ein Unternehmen – zumal ein kommunales – kann es nicht hinnehmen, wenn ein hochrangiger Geschäftsführer illegale Begünstigungen duldet oder gar mitträgt. Die außerordentliche Kündigung ohne Abmahnung war daher gerechtfertigt, weil dem Arbeitgeber (hier dem städtischen Aufsichtsrat) ein Zuwarten bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar war. Mit anderen Worten: Die Pflichtverletzung wog so schwer, dass eine sofortige Trennung gerechtfertigt war.

Nebenbei bemerkt hatte der Kläger dennoch Anspruch auf Auszahlung seiner verdienten Tantieme für 2021, wie das OLG klarstellte. Trotz seiner Verfehlungen sei es nicht „treuwidrig“ (widersprüchlich oder arglistig), dass er seinen Bonus für das bereits geleistete Jahr einforderte. Nur in extremen Ausnahmefällen grob unanständiger Pflichtverletzungen könne einem Dienstverpflichteten der Vergütungsanspruch versagt werden (Stichwort Arglisteinwand), so das Gericht – im konkreten Fall lägen diese Voraussetzungen nicht vor. Die fristlose Kündigung stand daher fest, aber der Bonus musste bezahlt werden.

Schlussfolgerungen und Praxistipps für Arbeitgeber und Geschäftsführer

Für Arbeitgeber und Aufsichtsgremien zeigt dieses Urteil deutlich, dass Compliance-Verstöße auf Leitungsebene konsequent sanktioniert werden sollten. Wenn ein Geschäftsführer gegen interne Kontrollpflichten verstößt und illegale Praktiken hinnimmt oder unterstützt, kann dies einen wichtigen Grund für die sofortige Kündigung darstellen. Allerdings muss eine solche Kündigung sorgfältig vorbereitet werden: Die Vorwürfe sollten durch eine gründliche Untersuchung belegt sein (hier durch einen externen Kanzlei-Bericht und arbeitsgerichtliche Urteile) und das zuständige Organ (z.B. der Aufsichtsrat) muss zügig handeln, sobald die notwendigen Beweise vorliegen. Wichtig ist, die Formvorschriften einzuhalten – insbesondere bei der Einladung und Beschlussfassung im Aufsichtsrat – damit die Kündigung nicht an formellen Fehlern scheitert. Arbeitgeber sollten zudem Dokumentation darüber führen, wann welches Gremium von den Pflichtverletzungen sicher Kenntnis erlangt hat, um die Einhaltung der Zweiwochenfrist nachweisen zu können.

Geschäftsführer auf der anderen Seite sollten aus diesem Fall lernen, dass eine Aufteilung von Ressorts niemals als Freibrief zum Wegsehen dienen darf. Jeder Geschäftsführer ist Teil der Gesamtgeschäftsführung und hat zumindest eine Überwachungsfunktion gegenüber Kollegen in bereichsfremden Ressorts, wenn konkrete Anhaltspunkte für Fehlentwicklungen bestehen. Das Prinzip „dafür bin ich nicht zuständig“ stößt spätestens dort an Grenzen, wo Rechtsverstöße oder Compliance-Probleme erkennbar sind. Wer Dokumente mitzeichnet oder E-Mails im CC erhält, der trägt Mitverantwortung – insbesondere, wenn es um so heikle Dinge geht wie mögliche Begünstigungen von Betriebsratsmitgliedern. Hier fordert das Gesetz Neutralität: Betriebsräte dürfen weder benachteiligt noch übervorteilt werden. Ein Geschäftsführer muss daher sehr vorsichtig sein, bei Gehaltsentscheidungen gegenüber Betriebsräten alle gesetzlichen Vorgaben strikt einzuhalten. Im Zweifel sollte er eine zweite Meinung (z.B. die der Personalabteilung oder eines Rechtsberaters) einholen, bevor er außergewöhnlichen Vergütungsschritten zustimmt.

Das Urteil des OLG Frankfurt vom 20.11.2025 (Az. 5 U 15/24) mahnt zu größter Sorgfalt im Top-Management. Arbeitgeber sollten ihre Führungskräfte für das Thema Compliance sensibilisieren und interne Kontrollmechanismen stärken, damit Unregelmäßigkeiten frühzeitig erkannt werden. Geschäftsführer wiederum sind gut beraten, bei Verdacht auf rechtswidrige Praktiken im Unternehmen nicht wegzuschauen, sondern aktiv für Aufklärung zu sorgen – selbst wenn der betreffende Bereich auf den ersten Blick außerhalb des eigenen Ressorts liegt. Andernfalls riskiert man nicht nur Imageschäden fürs Unternehmen, sondern auch den eigenen Job – zu Recht, wie das OLG eindrücklich klargestellt hat.