Ein Oberfeldwebel als Twitch-DJane: Eine Soldatin auf Zeit nutzte ihre krankheitsbedingte Abwesenheit vom Dienst, um als DJ regelmäßig auf der Streamingplattform Twitch aufzutreten. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschied am 13.08.2025 (Az. 2 WD 27.24), dass dieses Verhalten – insbesondere das wiederholte Missachten dienstlicher Befehle – die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme rechtfertigt. Im Ergebnis verlor die Soldatin ihren Dienstgrad und ihr Ruhegehalt. Dieser Rechtstipp beleuchtet die wesentlichen Pflichten von Soldat*innen, die Bewertung von Krankmeldung und Nebentätigkeit im Disziplinarrecht, die Bedeutung von Befehlsverstößen und die Gründe, warum in diesem Fall die härteste Sanktion verhängt wurde. Abschließend erfolgt eine praxisnahe Einschätzung der Folgen für ähnliche Fälle.
Dienstpflichten von Soldat*innen: Treue, Gehorsam, Wohlverhalten und Dienstfähigkeit
Soldatinnen der Bundeswehr unterliegen besonderen gesetzlichen Pflichten, die über allgemeine Arbeitsvertragspflichten hinausgehen. Zentrale Dienstpflichten* sind unter anderem:
- Treuepflicht (§ 7 Soldatengesetz, SG): Die Verpflichtung, dem Dienstherrn treu zu dienen und die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu wahren. Im vorliegenden Fall hat die Soldatin diese Pflicht verletzt, indem sie ihre dienstlichen Interessen zugunsten privater Aktivitäten vernachlässigte.
- Gehorsamspflicht (§ 11 SG): Soldat*innen müssen die Befehle ihrer Vorgesetzten befolgen, sofern diese nicht offensichtlich rechtswidrig sind. Hier ignorierte die Oberfeldwebel mehrere ausdrückliche Befehle, ihre DJ-Tätigkeit einzustellen – ein gravierender Verstoß gegen die Gehorsamspflicht.
- Wohlverhaltenspflicht (§ 17 SG): Auch außerhalb des Dienstes müssen Soldatinnen sich so verhalten, dass das Ansehen der Bundeswehr nicht leidet. Öffentliche Live-Streams als DJane unter eigenem Künstlernamen – während Kameradinnen ihren Dienst übernehmen mussten – verletzten diese Pflicht zum inner- und außerdienstlichen Wohlverhalten. Durch die mediale Aufmerksamkeit und den Unmut der Kollegen wurde das Ansehen der Bundeswehr hier erheblich beeinträchtigt.
- Pflicht zur Dienstfähigkeit (§ 17a SG): Jeder Soldatin hat für die Erhaltung der eigenen Gesundheit zu sorgen, um dienstfähig zu bleiben. Wer krankgeschrieben ist, sollte alles unterlassen, was die Genesung verzögert oder Zweifel an der Dienstunfähigkeit weckt. Im vorliegenden Fall trat die Soldatin trotz Krankschreibung munter als DJ auf, anstatt sich auf ihre Genesung zu konzentrieren – ein klarer Verstoß gegen die Pflicht zur Gesunderhaltung.
Zusätzlich besteht die Pflicht zur Anzeige oder Genehmigung von Nebentätigkeiten (§ 20 SG). Eine Tätigkeit neben dem Wehrdienst – sei es selbständig, angestellt oder künstlerisch – muss grundsätzlich der Dienststelle gemeldet und genehmigt werden. Die Soldatin missachtete auch dies, indem sie ohne Erlaubnis einer umfangreichen Nebentätigkeit als DJane nachging.
Krankmeldung und Nebentätigkeit im Disziplinarrecht
Krankgeschrieben zu sein entbindet nicht von allen Pflichten. Zwar darf sich ein erkrankter Soldat vom Dienst fernhalten, doch gelten weiterhin Einschränkungen: Insbesondere darf während der attestierten Dienstunfähigkeit keine anderweitige Tätigkeit ausgeübt werden, die die Genesung gefährden oder die Dienstpflichten unterlaufen könnte. Wer krank genug für den Dienst ist, sollte auch keine anstrengenden Nebenjobs ausüben. Andernfalls stellt sich die Frage, ob die Krankmeldung missbräuchlich genutzt wird.
Im vorliegenden Fall war die Soldatin ab April 2021 wegen psychischer Erkrankungen krankgeschrieben. Dennoch trat sie unter Künstlernamen in Livestreams und sogar auf Veranstaltungen als DJ auf. Ihre Nebentätigkeit war nicht nur nicht genehmigt, sondern fand in erheblichem Umfang statt – mit professionellem Equipment, Merchandising und einer großen Online-Zuschauerschaft. Kollegen bekamen über soziale Medien mit, dass sie während ihres Fernbleibens „frisch-fröhliche“ DJ-Auftritte absolvierte, während sie selbst den Dienst verweigerte.
Disziplinarrechtlich wird eine solche wiederholte unerlaubte Nebenbeschäftigung als Dienstvergehen gewertet. Die Krankschreibung schützte sie hier nicht: Zum einen hätte sie bei zwischenzeitlicher Besserung ihrer Gesundheit zumindest anbieten müssen, leichte Dienste zu übernehmen – das völlige Fernbleiben trotz offensichtlicher Aktivität wertete das Gericht als „gravierend erschwerend“. Zum anderen liegt in der unbeirrten Fortsetzung der Nebentätigkeit „im Umfang eines Zweitberufs“ ein erheblicher Pflichtenverstoß. Das BVerwG stellte klar, dass eine solche Konstellation – krankgeschrieben, aber trotzdem dauerhaft anderweitig beruflich aktiv entgegen ausdrücklichen Befehlen – regelmäßig die Höchststrafe nach sich zieht.
Bedeutung von Befehlsverstößen im Wehrdisziplinarrecht
Die Befolgung von Befehlen ist im Militär von zentraler Bedeutung. Befehlsverweigerung oder -missachtung untergräbt die militärische Ordnung und Einsatzbereitschaft. Im deutschen Wehrrecht ist die ungehorsame Nichtbefolgung eines Befehls nicht nur ein Disziplinarverstoß, sondern kann auch eine Straftat sein (z.B. Gehorsamsverweigerung nach § 20 Abs. 1 Wehrstrafgesetz). Entsprechend konsequent reagieren die Gerichte auf solche Verstöße.
Im Fall der Twitch-DJane hatte die Vorgesetzte der Soldatin wiederholt klare Anweisungen erteilt, ihre Nebentätigkeit einzustellen. Insgesamt neunmal zwischen August 2021 und Februar 2022 erhielt sie in verschiedener Form (mündlich, telefonisch, per E-Mail) den eindeutigen Befehl, die DJ-Auftritte zu unterlassen. Trotzdem setzte sie ihre Auftritte fort. Sie trat sowohl live vor Publikum als auch in regelmäßigen Streams online auf – in voller Kenntnis der Befehlslage und somit vorsätzlich.
Die Konsequenzen blieben nicht aus: Bereits im Dezember 2022 verurteilte ein Amtsgericht die Soldatin wegen Gehorsamsverweigerung zu elf Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung (verbunden mit einer Geldauflage). Disziplinarisch wurde sie vom Truppendienstgericht zunächst im Dienstgrad herabgesetzt (vom Oberfeldwebel zur Soldatin a.D.). Doch angesichts der Schwere der Befehlsverstöße hielt die Wehrdisziplinaranwaltschaft diese Sanktion für zu milde und drängte auf die Höchstmaßnahme.
Das BVerwG betonte, ein unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst wiege schwer, da Soldatinnen damit im Kernbereich ihrer Pflichten versagen. Die Bundeswehr müsse „jederzeit präsent und einsatzbereit“ sein; ein Soldat, der ohne Erlaubnis fehlt – selbst unter dem Deckmantel der Krankschreibung – gefährde diese Einsatzbereitschaft. In Kombination mit der Vielzahl an Befehlsmissachtungen (der einschlägige Befehl wurde achtmal wiederholt und dennoch ignoriert) ergibt sich ein dramatisches Maß an Ungehorsam, das im Wehrdisziplinarrecht als Extremfall* einzustufen ist.
Rechtliche Begründung für die Verhängung der Höchstmaßnahme
Die Höchstmaßnahme im Wehrdisziplinarrecht ist die Entfernung aus dem Dienst (§ 58 Wehrdisziplinarordnung, WDO) bzw. – bei bereits entlassener Soldatin – die Aberkennung des Ruhegehalts* (§ 60 Abs. 2 Nr. 4 WDO). Sie kommt nur bei besonders schweren Dienstvergehen in Betracht. Im vorliegenden Fall war die Soldatin zum Zeitpunkt des Urteils bereits entlassen, sodass es um den Verlust ihrer Versorgungsbezüge ging. Das BVerwG gab der Forderung nach dieser höchsten Disziplinarmaßnahme statt.
Bei der Entscheidung legte der 2. Wehrdienstsenat einen zweistufigen Prüfungsmaßstab an: Erstens wurde betrachtet, wie vergleichbare Fälle in der Vergangenheit geahndet wurden. Zweitens wurden die besonderen Umstände des Einzelfalls gewürdigt. Einzelne Fälle von Ungehorsam waren in früheren Entscheidungen etwa mit Gehaltskürzungen, Beförderungsverbot oder Degradierung sanktioniert worden. Doch bei Kombination mehrerer Pflichtverletzungen steigt das Gewicht des Dienstvergehens beträchtlich, vor allem wenn wichtige Rechtsgüter oder die Sicherheit von Kameraden gefährdet sind. Im Fall der Twitch-DJane bestand zwar keine unmittelbare Lebensgefahr für Dritte, dafür aber eine außergewöhnliche Vielzahl an Missachtungen: Der wiederholte Befehl wurde achtmal ignoriert, und selbst nach Einleitung des Disziplinarverfahrens setzte sie ihre DJ-Auftritte (insgesamt gut zwanzig Veranstaltungen) unbeirrt fort. Das BVerwG wertete dies als „Extremfall wiederholter Befehlsverweigerung“, der nur mit der Höchstmaßnahme geahndet werden könne.
Bei der konkreten Strafzumessung im Disziplinarrecht zog das Gericht alle relevanten Faktoren heran: die Schwere des Vergehens, seine Auswirkungen (etwa die Mehrbelastung der Kollegen und der Imageschaden für die Truppe), das Maß der Schuld, die Persönlichkeit und bisherige Führung der Soldatin sowie ihre Beweggründe. Die Soldatin versuchte, ihr Verhalten zu entschuldigen – unter anderem mit psychischer Belastung in der COVID-Pandemie und Heimweh. Das Gericht erkannte zwar an, dass Soldatinnen in der Pandemie besonderen Belastungen ausgesetzt waren, sah hierin aber keinen Rechtfertigungsgrund für fortgesetzten Ungehorsam. Vielmehr hatte die Dienststelle ihr sogar eine Versetzung in die Heimatnähe angeboten, die sie ausschlug. Insgesamt überwogen die erschwerenden Umstände bei Weitem die mildernden. Die Verhängung der Höchstmaßnahme – hier die Aberkennung des Ruhegehalts – war daher rechtlich geboten und angemessen.
Praxisnahe Einschätzung: Folgen für ähnliche Fälle
Der Fall der Twitch-DJane zeigt exemplarisch, wie strikt die Rechtsprechung bei massiven Dienstpflichtverletzungen reagiert. Soldatinnen sollten daraus einige Lehren für die Praxis* ziehen:
- Krankmeldung ist keine Freifahrtskarte: Wer dienstunfähig geschrieben ist, darf diese Zeit nicht für ausgiebige andere Aktivitäten nutzen, die mit der behaupteten Krankheit unvereinbar sind. Solches Verhalten weckt Zweifel an der Dienstunfähigkeit und kann dienstrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Tipp: Im Zweifel sollte man ärztlichen Rat einholen, ob eine bestimmte Tätigkeit während der Krankschreibung zulässig ist.
- Nebentätigkeiten immer anzeigen und genehmigen lassen: Die Bundeswehr erlaubt Nebenbeschäftigungen nur im Rahmen klarer Vorgaben. Eine nicht genehmigte Nebentätigkeit kann schon für sich genommen ein Dienstvergehen sein – insbesondere, wenn sie umfangreich ist oder die Arbeitskraft vermindert. Tipp: Vor Aufnahme eines Nebenjobs unbedingt die Zustimmung der Vorgesetzten einholen und transparent über Umfang und Art der Tätigkeit informieren.
- Befehle ernst nehmen – besonders bei Wiederholungen: Bereits ein einmaliger Befehlsverstoß kann disziplinarisch geahndet werden. Wiederholter Ungehorsam aber ist eine Karrierefalle ersten Ranges. Im Militär gilt: Befehle sind die Grundlage für Funktion und Sicherheit. Wer hier fortgesetzt opponiert, riskiert die Höchststrafe – bis hin zur Entfernung aus dem Dienst. Tipp: Sollte ein erteilter Befehl unklar, unzumutbar oder rechtswidrig erscheinen, gibt es dienstliche Wege (z.B. Remonstration) – eigenmächtiges Ignorieren ist keine Option.
- Image und Kameradschaft im Blick behalten: Außerdienstliches Fehlverhalten kann schnell die Runde machen und das Ansehen der Truppe schädigen. Gleichzeitig müssen Kameradinnen Mehrarbeit leisten, wenn jemand fehlt. Das BVerwG hat deutlich gemacht, dass solcher Kollegenschädigung und Imageverlust in die Disziplinarmaßnahme einfließen. Tipp:* Bei persönlichen Problemen (z.B. Heimweh, Doppelbelastung) frühzeitig mit Vorgesetzten nach Lösungen suchen, statt in Eigenregie Pflichten zu vernachlässigen.
In Disziplinarverfahren der Bundeswehr ist die Entfernung aus dem Dienst die äußerste Sanktion – sie wird aber verhängt, wenn ein Extremfall vorliegt, wie hier bei der Twitch-DJane. Die Entscheidung vom 13.08.2025 verdeutlicht, dass mehrfache Befehlsmissachtung und Pflichtverstöße trotz Krankschreibung als schwerstes Dienstvergehen gewertet werden. Soldat*innen, die ähnliche Regeln missachten, müssen mit der vollen Härte des Disziplinarrechts rechnen – bis hin zum Verlust von Karriere und Versorgungsansprüchen.