Ein Rechtsanwalt wurde von seinem Mandanten auf Schadensersatz wegen angeblicher anwaltlicher Pflichtverletzung in Anspruch genommen. Konkret hatte der Anwalt es versäumt, in einem zweiten Prozess seines Mandanten eine erneute Deckungsanfrage bei der Rechtsschutzversicherung (Vorversicherer) zu stellen. Der Mandant verlor diesen zweiten Prozess in zwei Instanzen (zuletzt vor dem Oberlandesgericht im August 2016). Erst Ende 2018 zeigte der Mandant dem Anwalt gegenüber an, dass er wegen des versäumten Deckungsschutzes Schadensersatz in sechsstelliger Höhe geltend machen wolle, und forderte ihn auf, den Fall seiner Haftpflichtversicherung zu melden. Der Anwalt lehnte einen Verjährungsverzicht ab. Daraufhin bemühte sich der Mandant um eine Schlichtung (Antrag Ende 2018) und beantragte am 31. Dezember 2019 einen Mahnbescheid über ca. 120.000 € gegen den Anwalt, um die Verjährung weiter zu hemmen. Da der Anwalt Widerspruch einlegte, reichte der Mandant im September 2021 schließlich Klage ein.
In den Vorinstanzen (LG und OLG Frankfurt/Main) wurde die Klage als verjährt abgewiesen. Diese Gerichte meinten, die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) habe schon Ende 2016 zu laufen begonnen, weil der Mandant durch Kenntnis des für ihn negativen Berufungsurteils (August 2016) bereits alle anspruchsbegründenden Umstände kannte (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Zudem sei der Mahnbescheid nicht hinreichend individualisiert gewesen und habe daher die Verjährung nicht erneut gehemmt. Der Bundesgerichtshof (IX ZR 18/24 vom 9. Oktober 2025) hat dieses Urteil aufgehoben und wichtige Klarstellungen zum Verjährungsbeginn in der Anwaltshaftung getroffen.
Kenntnis des Mandanten: Vertrauen vs. negativer Prozessausgang
Ein zentrales Problem bei Schadensersatzklagen gegen Rechtsberater ist, ab wann der Mandant die erforderliche Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände hat (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Laut BGH reicht es nicht aus, dass dem Mandanten bloß die tatsächlichen Umstände bekannt sind, die zum Schaden geführt haben. Hinzu kommen muss vielmehr, dass der Mandant aus diesen Umständen den Schluss ziehen kann, dass sein Anwalt einen Fehler gemacht hat – etwa weil der Anwalt vom üblichen Vorgehen abgewichen ist oder wichtige Schritte unterlassen hat. Gerade ein juristischer Laie darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass sein Anwalt die Sache fachgerecht führt. Solange der Anwalt ihm gegenüber beteuert, alles richtig gemacht zu haben, oder sogar zur Fortsetzung des Rechtsstreits rät, hat der Mandant regelmäßig keine Veranlassung, an der Korrektheit der Beratung zu zweifeln. Mit anderen Worten: Der Mandant muss den Fehler erkennen können – und das kann von seiner Perspektive aus erheblich später sein als der Zeitpunkt, an dem objektiv der Schaden eingetreten ist.
Im vorliegenden Fall bedeutet das: Allein der Umstand, dass der Mandant im August 2016 ein für ihn nachteiliges Berufungsurteil erhalten hat, ließ noch nicht auf eine Anwaltspflichtverletzung schließen. Der Anwalt hatte bis dahin offenbar keine Fehler eingeräumt, und der Mandant vertraute seinem Anwalt noch so weit, dass er sogar eine Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH versuchte (die erst April 2018 scheiterte). Aus Mandantensicht konnte der Prozessverlust auch andere Gründe haben als Anwaltsfehler – etwa eine umstrittene Rechtsfrage. Der BGH stellte klar, dass ein Mandant ein negatives Urteil (selbst in zweiter Instanz) nicht automatisch als Beleg für anwaltliches Versagen werten muss. Solange er auf die Rechtskenntnis seines Anwalts vertraut und dieser keine eindeutigen Versäumnisse eingesteht, fehlt es an der erforderlichen Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis des Mandanten hinsichtlich eines Beratungsfehlers.
Erst wenn der Mandant selbst aktiv den Schluss zieht, der Anwalt habe einen Fehler begangen, beginnt die Uhr für die Verjährung zu laufen. Typischerweise wird dies deutlich, wenn der Mandant sein Vertrauen verliert und zum Beispiel den Anwalt auffordert, den Fall der Berufshaftpflicht zu melden oder Schadensersatzforderungen ankündigt. So auch hier: Die E-Mail des Mandanten vom Dezember 2018, in der er Schadensersatz (wegen der unterbliebenen Deckungsanfrage) fordert und den Anwalt zur Meldung an die Versicherung auffordert, zeigte klar, dass der Mandant nun von einem Anwaltsfehler ausging. Spätestens 2018 erlangte er damit Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände. Folglich dürfte die dreijährige Verjährungsfrist frühestens Ende 2018 begonnen haben (mit Ablauf des Jahres 2018). Die Klageeinreichung im September 2021 wäre in diesem Fall rechtzeitig innerhalb der Frist erfolgt. Das OLG wird nun nach Zurückverweisung zu klären haben, ob und wann genau der Mandant die Fehlerkenntnis erlangte – die Beweislast für einen früheren Fristbeginn (also Kenntnis bereits 2016) liegt beim beklagten Anwalt.
Praxis-Tipp: Für Anwälte bedeutet dies, dass nicht jeder verlorene Prozess sofort das Risiko einer Haftung verjähren lässt. Mandanten wird von der Rechtsprechung zugestanden, zunächst auf ihren Anwalt zu vertrauen. Erst ein deutlicher Vertrauensbruch oder eigene Erkenntnisse des Mandanten über das Fehlverhalten markieren den Verjährungsbeginn. Auf der anderen Seite sollten Mandanten, sobald sie einen Fehler konkret vermuten oder erkennen, nicht zögern, Schritte einzuleiten – ab diesem Zeitpunkt läuft die Frist.
Verjährungshemmung durch Mahnbescheid – Anspruch genau bezeichnen!
Der BGH hat in diesem Urteil auch betont, wie wichtig die präzise Bezeichnung der Ansprüche im Mahnverfahren ist. Ein Mahnbescheid hemmt die Verjährung nur, wenn der geltend gemachte Anspruch hinreichend individualisiert ist (§ 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Aus Sicht des Antragsgegners muss klar erkennbar sein, aus welchem Sachverhalt und Rechtsgrund der Anspruch hergeleitet wird. Werden mehrere Einzelforderungen in einem Mahnbescheid zusammengefasst, muss für den Schuldner nachvollziehbar sein, wie sich der Gesamtbetrag aus den einzelnen Ansprüchen zusammensetzt.
Im entschiedenen Fall genügten die Angaben im Mahnbescheid den Anforderungen nicht. Der Mandant hatte zur Forderungsbegründung nur pauschal auf „diverse Mandate“ (unter Nennung mehrerer Aktenzeichen und eines Gesamtzeitraums 2009–2019) verwiesen, ergänzt um ein „u.a.“ – was weitere, nicht aufgeführte Ansprüche suggerierte. Außerdem stimmte der geforderte Gesamtbetrag (ca. 120.573 €) nicht mit den später im Prozess konkret bezifferten Schäden (gut 22.000 € im Berufungsverfahren) überein. Für den Anwalt als Antragsgegner war nicht ersichtlich, welche einzelnen Schadensersatzposten in welcher Höhe hier zusammengeworfen wurden. Folglich konnte der Mahnbescheid die Verjährung nicht wirksam hemmen, da es an der notwendigen Individualisierung fehlte. Nach ständiger BGH-Rechtsprechung kann eine unzureichende Beschreibung des Anspruchs im Mahnverfahren auch nicht nachträglich (nach Fristablauf) mit Rückwirkung geheilt werden. Zwar lässt der BGH grundsätzlich zu, dass eine Konkretisierung auch außerhalb des gerichtlichen Mahnverfahrens erfolgen kann – etwa durch ein begleitendes Schreiben an den Schuldner –, solange dies innerhalb unverjährter Zeit geschieht. Im vorliegenden Fall reichte jedoch selbst das vorangegangene Schreiben vom Dezember 2018 nicht aus, um die Ansprüche klar zu umreißen. Der Anwalt konnte mangels konkreter Bezifferung nicht erkennen, auf welche Mandate sich die Forderungen im Einzelnen beziehen und wie sie berechnet sind.
Praxis-Tipp: Wer kurz vor Fristablauf einen Mahnbescheid zur Verjährungshemmung nutzt, muss äußerst sorgfältig die Forderung beschreiben. Bei mehreren Ansprüchen sollten diese einzeln aufgeführt oder zumindest aufgeschlüsselt werden (z.B. Beträge pro Mandat oder Schadensfall). Andernfalls riskiert man, dass der Mahnbescheid wirkungslos bleibt und der Anspruch doch verjährt. Umgekehrt kann ein Anwalt, der einen unklaren Mahnbescheid erhält, ggf. erfolgreich einwenden, dass die Verjährung mangels Anspruchsindividualisierung nicht gehemmt wurde.
Hinweis für die Anwalts-Praxis
- Vertrauensschutz des Mandanten: Der BGH stärkt erneut die Position des Mandanten in der Anwaltshaftung. Die Verjährungsfrist beginnt erst, wenn der Mandant den Anwaltspflichtverstoß tatsächlich erkennt oder grob fahrlässig nicht erkennt, nicht bereits mit einem bloß ungünstigen Urteil. Anwälte sollten sich bewusst sein, dass Mandanten negative Gerichtsentscheidungen zunächst dem Prozessausgang zurechnen dürfen – ein weiterer Instanzenzug oder fortgesetztes Vertrauen schiebt den Fristbeginn hinaus. Erst ein deutliches Misstrauenssignal des Mandanten (z.B. Schadensersatzforderung, Versicherungsinfo) markiert den Start der Verjährung.
- Sorgfalt bei Mahnverfahren: Soll die Verjährung mittels Mahnbescheid gehemmt werden, ist auf klare Anspruchsbezeichnung zu achten. Bei komplexen oder mehreren Ansprüchen empfiehlt es sich, die Forderung im Mahnantrag aufzuschlüsseln oder parallel ein erläuterndes Schreiben an den Schuldner zu schicken – und zwar vor Fristablauf. Nur so ist gewährleistet, dass der Gegner den Anspruch einordnen kann und die Hemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB greift. Unklare Sammelangaben sind gefährlich, da sie die Hemmwirkung kosten können.
- Verteidigungsstrategien: Für verklagte Anwälte (bzw. deren Versicherer) bleibt die Einrede der Verjährung ein wichtiges Abwehrmittel. Allerdings sollte man prüfen, wann der Mandant wirklich Kenntnis vom angeblichen Fehler hatte. Pauschal auf den Zeitpunkt eines verlorenen Prozesses abzustellen, greift zu kurz. Stattdessen kann z.B. argumentiert werden, der Mandant habe den Fehler schon früher erkannt (etwa durch Hinweise des Gerichts oder Dritter) oder – falls zutreffend – dass er trotz offensichtlicher Umstände grob fahrlässig nicht erkannt hat. Letzteres setzt jedoch eine klare Erkenntnislage voraus, die ein Laie nicht übersehen dürfte. Die Darlegungs- und Beweislast für den frühen Fristbeginn liegt beim Anwalt.
- Frühzeitige Schadenprävention: Schließlich zeigt der Fall auch, wie wichtig Kommunikation und Fehlerkultur im Mandatsverhältnis sind. Hätte der Anwalt den Mandanten frühzeitig über versäumte Schritte (hier die fehlende Deckungsanfrage) aufgeklärt, wäre das Vertrauensverhältnis zwar belastet, aber der Mandant hätte Klarheit gehabt. So etwas kann eventuell eine einvernehmliche Lösung (z.B. über die Haftpflichtversicherung) erleichtern und einen langwierigen Rechtsstreit vermeiden. Zudem kann ein offener Umgang mit möglichen Fehlern den Vorwurf der Arglist entkräften, falls es doch zu Verjährungsfragen kommt. Der BGH hebt zwar hervor, dass bloßes Zuwarten des Anwalts keinen Neubeginn der Verjährung bewirkt, warnt jedoch, dass die Verjährungseinrede rechtsmissbräuchlich sein kann, wenn der Anwalt den Mandanten aktiv von rechtzeitigen Schritten abhält. Fairness und Transparenz sind daher auch aus anwaltlicher Sicht geboten.
Das Urteil IX ZR 18/24 des BGH ist ein wichtiges Signal an die Anwaltschaft, dass Verjährung in der Rechtsberaterhaftung sehr einzelfallabhängig ist. Mandantenvertrauen verzögert den Fristbeginn – negative Urteile allein genügen nicht. Zugleich mahnt es zur Sorgfalt im Mahnverfahren. Für Rechtsanwälte ergeben sich daraus klare Handlungsempfehlungen, um sowohl eigene Haftungsrisiken besser einzuschätzen als auch Mandanten in Regressfällen richtig zu beraten. So bleibt kein „Rechtsschutz im Rechtsschutz“ auf der Strecke.