Eine aktuelle Gerichtsentscheidung sorgt für Klarheit: Arbeitgeber müssen die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten umfassend erfassen – und zwar auch bei hochqualifizierten Angestellten wie Anwältinnen und Anwälten. Das Verwaltungsgericht Hamburg (Urteil vom 18.11.2025, Az. 21 K 1202/25) hat eine internationale Großkanzlei verpflichtet, die Arbeitszeit ihrer angestellten Juristinnen und Juristen systematisch aufzuzeichnen. Dieses Urteil konkretisiert die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) und betont den Gesundheitsschutz der Beschäftigten. Im Folgenden erläutern wir verständlich die Rechtslage, die Kernaussagen des Urteils und die Folgen für die Praxis. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer erfahren, welche Pflichten sie bei der Arbeitszeiterfassung haben, welche Rechte und Schutzmechanismen bestehen und wie typische Fehler vermieden werden können.
Gesetzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung – Hintergrund
Das deutsche Arbeitszeitgesetz (ArbZG) schreibt Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten vor, um die Gesundheit der Beschäftigten zu schützen. § 3 ArbZG begrenzt die werktägliche Arbeitszeit auf acht Stunden. Eine Verlängerung auf bis zu zehn Stunden ist nur zulässig, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden pro Werktag nicht überschritten werden. Zudem sind nach ArbZG zwingende Ruhepausen einzuhalten (mindestens 30 Minuten bei mehr als 6 Stunden Arbeit, 45 Minuten bei mehr als 9 Stunden) und eine ununterbrochene Ruhezeit von 11 Stunden nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit zu gewähren. Überstunden und Sonntagsarbeit sind nur in engen Grenzen oder per Ausnahmeregelung erlaubt.
Um diese Schutzvorgaben effektiv zu überwachen, verlangt der Gesetzgeber eine Dokumentation der Arbeitszeit. Bislang mussten Arbeitgeber gemäß ArbZG z.B. Überstunden (Arbeit über 8 Stunden hinaus) aufzeichnen. Allerdings haben ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs und ein Beschluss des Bundesarbeitsgerichts klargestellt, dass alle geleisteten Arbeitsstunden systematisch erfasst werden müssen. Das Bundesarbeitsgericht stellte 2022 fest, dass Arbeitgeber bereits jetzt verpflichtet sind, ein verlässliches System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen. Diese Pflicht gilt für alle Branchen und Hierarchiestufen, sofern nicht ausdrücklich gesetzliche Ausnahmen greifen. Der Zweck ist klar: Ohne verlässliche Erfassung lassen sich Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten nicht kontrollieren – und damit wäre der Arbeitnehmerschutz ausgehöhlt. In § 1 ArbZG formuliert der Gesetzgeber das Schutzziel ausdrücklich: Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer stehen an oberster Stelle.
Wichtig: Arbeitgeber können die Erfassung der Arbeitszeit an die Beschäftigten delegieren (z.B. mittels elektronischer Zeiterfassung, Stundenzetteln oder Apps) – verantwortlich für die Einhaltung der Vorgaben bleiben aber stets die Arbeitgeber. Auch sogenannte Vertrauensarbeitszeit (flexible Arbeitszeit ohne feste Vorgaben) ist weiterhin möglich – jedoch nur unter der Bedingung, dass die tatsächlich geleisteten Stunden dokumentiert werden. Mit anderen Worten: Vertrauensarbeitszeit bedeutet Vertrauen in die Selbstorganisation der Mitarbeitenden, entbindet den Arbeitgeber aber nicht von der gesetzlichen Aufzeichnungspflicht.
Aktuelles Urteil: VG Hamburg verpflichtet Kanzlei zur Zeiterfassung
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 18.11.2025 verdeutlicht die Rechtslage nun praxisnah. Worum ging es? Zwei anonyme Beschwerden aus dem Jahr 2020 hatten der Hamburger Arbeitsschutzbehörde gemeldet, dass in einer großen internationalen Wirtschaftskanzlei systematisch gegen das Arbeitszeitrecht verstoßen werde. Berichtet wurde von Arbeitszeiten von 9 oder 10 Uhr morgens bis 22 oder 23 Uhr abends und später, die keine Seltenheit seien. Diese extrem langen Tage – teils 12 bis 14 Stunden – standen offenbar an der Tagesordnung, insbesondere bei angestellten Anwältinnen und Anwälten (sogenannte Associates und Senior Associates), und wurden auch als solche an Mandanten weiterberechnet. Kurz gesagt: Die Hinweise ließen darauf schließen, dass die zulässigen Höchstarbeitszeiten regelmäßig überschritten wurden, ohne dass das Unternehmen einschritt.
Die Behörde reagierte und erließ drei Anordnungen gegenüber der Kanzlei:
- Einführung einer Zeiterfassung: Die Kanzlei sollte sicherstellen, dass sämtliche Arbeitszeiten der angestellten Rechtsanwälte nachvollziehbar aufgezeichnet werden (mindestens Beginn, Ende und Dauer jeder Arbeitsphase).
- Unterweisung der Beschäftigten: Die Kanzlei musste ihre Anwältinnen und Anwälte in der konkreten Umsetzung der Arbeitszeiterfassung unterweisen und der Behörde Nachweise über diese Schulungen vorlegen.
- Kontrollmechanismus der Partner: Die Kanzlei sollte mitteilen, wie die disziplinarisch verantwortlichen Partner die Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften umsetzen und regelmäßig überprüfen wollen.
Die Kanzlei focht diese Anordnungen vor Gericht an. Das Verwaltungsgericht bestätigte jedoch im Wesentlichen die behördliche Verfügung: Die ersten beiden Anordnungen blieben bestehen, nur die dritte (betreffend das detaillierte Kontrollkonzept durch die Partner) hob das Gericht als überflüssig bzw. unverhältnismäßig auf. Mit anderen Worten: Das Unternehmen muss nun ein System zur Arbeitszeiterfassung einführen und seine Anwälte darüber informieren und schulen, damit die Einhaltung der Arbeitszeitregeln gewährleistet ist. Ein spezielles zusätzliches Berichtssystem der Partner an die Behörde hielt das Gericht hingegen nicht für erforderlich, da die grundlegenden Pflichten schon durch die ersten beiden Anordnungen sichergestellt werden können.
Rechtsgrundlage: Das VG Hamburg stützte die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung explizit auf § 17 Abs. 2 ArbZG. Diese Vorschrift erlaubt den Aufsichtsbehörden, alle notwendigen Maßnahmen anzuordnen, die der Arbeitgeber zur Erfüllung seiner Pflichten aus dem Arbeitszeitgesetz treffen muss. § 17 Abs. 2 ArbZG ist hier ein spezielles Werkzeug des Arbeitsschutzes, das im konkreten Fall sogar dem allgemeinen Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) vorginge. Die Behörde durfte also – angesichts der Umstände – per Verwaltungsakt die Einführung eines Zeiterfassungssystems verlangen, um die Einhaltung der ArbZG-Vorschriften sicherzustellen. Das Gericht sah hierfür eine ausreichende Grundlage und – wichtig – auch einen sachlichen Grund: eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch die Verstöße gegen das Arbeitszeitrecht.
Feststellungen des Gerichts: Das VG Hamburg war überzeugt, dass in der Kanzlei die gesetzlichen Grenzen regelmäßig überschritten wurden. Nach Würdigung der Hinweise hielt das Gericht es für hinreichend wahrscheinlich, dass die maximal 8 Stunden pro Tag (gemäß § 3 ArbZG) regelmäßig überschritten wurden. Die anonymen Beschwerden stuften die Richter als glaubhaft ein, zumal bei Nachfragen weitere Details nachgereicht wurden. Die Kanzlei habe diese Vorwürfe auch nicht ausräumen können. Tatsächlich musste das Unternehmen einräumen, dass keine vollständige Zeiterfassung der Anwälte erfolgte – man zeichnete lediglich die “Nettoarbeitszeiten” in Form der abrechenbaren Billable Hours auf. Die darüberhinausgehenden tatsächlichen Anwesenheitszeiten wurden nicht erfasst und blieben der Eigenverantwortung der Associates überlassen. Die Geschäftsführung argumentierte, ihre angestellten Anwälte kennten schon selbst ihre Pflichten und das ArbZG; es gebe keine Anweisung oder Zwang, über die Höchstgrenze hinaus zu arbeiten. Außerdem zweifelte die Kanzlei grundsätzlich an, dass angestellte Anwälte überhaupt ihre Arbeitszeit erfassen müssten – offenbar in der Annahme, das Arbeitszeitgesetz gelte für diese Berufsgruppe nicht in gleicher Weise.
Vor Gericht drang die Kanzlei mit diesen Argumenten nicht durch. Wesentliche Kernaussagen des Urteils lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Arbeitszeitrecht gilt für alle Arbeitnehmer: Auch hochqualifizierte Beschäftigte wie angestellte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte unterfallen dem ArbZG, sofern keine ausdrückende Ausnahmevorschrift greift. Insbesondere sind Associates/Senior Associates keine „leitenden Angestellten“ im Sinne des ArbZG – die Ausnahme des § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG (für leitende Angestellte) greift bei ihnen nicht. Diese Anwälte haben zwar verantwortungsvolle Aufgaben, aber nicht die unternehmerische Leitungsfunktion, die das Gesetz für eine Ausnahme voraussetzt. Auch ein Vergleich mit anderen Berufsgruppen half der Kanzlei nicht: Wirtschaftsprüfer etwa sind durch eine spezielle Regel (§ 45 Abs. 2 WPO) von der Dokumentationspflicht ausgenommen, doch eine analoge Behandlung von angestellten Anwälten lehnte das Gericht ab. Ebenso wenig befreit die Stellung als „unabhängiges Organ der Rechtspflege“ (nach der BRAO) von den arbeitszeitrechtlichen Pflichten. Kurz: Hochqualifizierung schützt nicht vor Zeiterfassung – Arbeitsschutzrecht gilt umfassend.
- Eigenverantwortung der Arbeitnehmer reicht nicht aus: Die Kanzlei kann sich nicht darauf berufen, ihre Mitarbeitenden würden schon selbst auf die Einhaltung der Regeln achten. Das Gesetz unterscheidet nicht, ob Höchstarbeitszeiten freiwillig oder unfreiwillig überschritten werden. Auch wenn Mitarbeiter aus eigenem Antrieb lange arbeiten, bleibt es die Pflicht des Arbeitgebers, solche Überschreitungen zu verhindern bzw. zu sanktionieren. Vertrauensarbeitszeit ohne Kontrolle ist damit gefährlich – der Arbeitgeber muss überblicken können, wer wie lange arbeitet. Das Urteil stellt klar: Selbstverantwortung ersetzt keine Aufzeichnung.
- Gesundheitsschutz hat Vorrang vor betrieblicher Freiheit: Die Hamburger Richter betonten den hohen Stellenwert des Gesundheitsschutzes. Das Arbeitszeitgesetz dient nicht nur dem individuellen Schutz des einzelnen Beschäftigten, sondern auch dem Interesse der Allgemeinheit, nicht durch krankheitsbedingte Ausfälle und Folgekosten illegal langer Arbeitszeiten belastet zu werden. In der Urteilsbegründung heißt es sinngemäß: Die Solidargemeinschaft soll keine Krankheitskosten infolge rechtswidriger Arbeitsumstände tragen müssen. Dieses Schutzinteresse wiegt schwer – entsprechend formuliert § 1 ArbZG das Ziel von Sicherheit und Gesundheitsschutz. Demgegenüber, so das Gericht, werde die Berufsfreiheit und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers durch eine bloße Dokumentationspflicht nur geringfügig eingeschränkt. Ein Unternehmen kann also nicht geltend machen, Zeiterfassung gefährde sein Geschäftsmodell. Im entschiedenen Fall wies das Gericht sogar darauf hin, dass die Kanzlei ohnehin bereits ein Zeiterfassungssystem (für Mandatsabrechnungen) nutze – die Ausweitung auf alle Arbeitszeiten sei daher kein übermäßiger Aufwand.
- Argument “bei uns wird niemand krank” überzeugt nicht: Die Kanzlei hatte vorgebracht, es drohe keine Gesundheitsgefahr, weil der Krankenstand deutlich unter dem Durchschnitt liege. Das VG Hamburg ließ dieses Argument nicht gelten. Ein geringer Krankenstand beweise nicht automatisch die Einhaltung der Arbeitszeitregeln. Theoretisch könne ein niedriger Krankenstand auch daran liegen, dass die Arbeitsbedingungen besonders gesundheitsfördernd sind – oder aber, dass der Druck so hoch ist, dass Beschäftigte selbst krank noch arbeiten gehen. Letzteres Szenario hielt das Gericht offenbar für durchaus möglich. Fazit: Fehlende Krankmeldungen sind kein Freibrief für exzessive Überstunden.
- Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen: Das Urteil bestätigt, dass eine „bloße Dokumentationspflicht“ ein angemessenes und mildes Mittel ist, um die Arbeitszeitvorschriften durchzusetzen. Sie greift nicht übermäßig in betriebliche Abläufe ein – im Gegenteil: viele Unternehmen (wie hier die Kanzlei für ihre billable hours) nutzen ohnehin Zeiterfassungssysteme. Die von der Behörde geforderten Schritte (Erfassung und Unterweisung) waren daher verhältnismäßig. Die dritte Anordnung (Kontrolle durch Partner) wurde als unverhältnismäßig bewertet, weil sie über das erforderliche Maß hinausging. Hier hat das Gericht klargestellt, dass man Arbeitgeber nicht mit übermäßig bürokratischen Kontrollauflagen überziehen darf, solange sie ihrer grundsätzlichen Pflicht nachkommen. Mit der Einführung eines Systems und Schulung der Mitarbeiter ist der Zweck bereits zu erreichen – ein zusätzlicher Bericht durch Führungskräfte wäre Doppelarbeit und aus Sicht des Gerichts redundant.
- Keine unlösbaren Widersprüche – Organisation ist gefragt: Schließlich erteilte das Gericht dem oft gehörten Argument eine Absage, in bestimmten Berufen seien lange Arbeitszeiten unvermeidbar. Auch in einer Großkanzlei mit anspruchsvollen Mandaten sah das VG Hamburg kein “unauflösbares Spannungsverhältnis” zwischen beruflichen Pflichten und Arbeitszeitschutz. Selbst wenn Mandanten bevorzugt immer vom selben Anwalt betreut werden wollen, ist es laut Gericht Sache der Arbeitsorganisation der Kanzlei, dies innerhalb der gesetzlichen Höchstgrenzen zu ermöglichen. Mehrarbeit muss durch mehr Personal oder bessere Verteilung aufgefangen werden, so der Tenor. Konkret schlug die Kammer vor, in großen Mandaten eben mehr Anwältinnen und Anwälte parallel einzusetzen, die jeweils ein Vertrauensverhältnis zum Mandanten aufbauen und sich gegenseitig vertreten können. Die Botschaft: Arbeitgeber dürfen nicht einfach dauerhaft überlange Arbeitszeiten fahren, sondern müssen im Zweifel ihr Geschäftsmodell oder die Ressourcen so anpassen, dass die Arbeit innerhalb der zulässigen Zeiten erledigt werden kann. Erforderlichenfalls bieten das ArbZG für echte Notfälle (z.B. unvorhersehbare dringende Arbeiten) zwar Ausnahmemöglichkeiten – aber diese rechtfertigen keinen generellen Verstoß im Alltag.
Zusammengefasst hat das Urteil des VG Hamburg unmissverständlich klargestellt, dass Arbeitszeitaufzeichnung und -kontrolle integraler Bestandteil der Arbeitgeberpflichten sind – und zwar unabhängig von Gehaltsstufe oder Qualifikation der Beschäftigten. Für die Praxis – weit über Kanzleien hinaus – bedeutet das: Unternehmen müssen jetzt handeln, um ihre internen Prozesse mit dem geltenden Recht in Einklang zu bringen. Andernfalls drohen behördliche Maßnahmen bis hin zu Bußgeldern. Im nächsten Schritt betrachten wir konkret, welche Pflichten Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils haben.
Pflichten der Arbeitgeber: Arbeitszeit erfassen und Grenzen einhalten
Arbeitgeber sind die Hauptverantwortlichen für die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes. Nachfolgend die wichtigsten Pflichten im Überblick:
- Arbeitszeiterfassung implementieren: Jedes Unternehmen muss ein System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit einführen. Dieses System muss objektiv, verlässlich und zugänglich sein, sodass Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit für jeden Arbeitnehmer festgehalten werden. Ob elektronisch per Software/App, via Stechuhr oder handschriftlich – zulässig ist, was den gesetzlichen Anforderungen genügt. Wichtig ist, dass das System lückenlos erfasst, wann gearbeitet wurde, um Überstunden und Ruhezeiten nachvollziehen zu können. Arbeitgeber sollten zudem Aufbewahrungsfristen beachten: Bereits bisher mussten Arbeitszeitnachweise (z.B. über 8-Stunden-Tage) zwei Jahre aufbewahrt werden, und es ist zu erwarten, dass für die neue umfassende Zeiterfassung ähnliche Pflichten gelten.
- Höchstarbeitszeiten und Pausen sicherstellen: Es reicht nicht, nur zu dokumentieren – Arbeitgeber müssen organisatorisch dafür sorgen, dass die gesetzlichen Grenzen eingehalten werden. Konkret heißt das: Keine Mitarbeiter regelmäßig länger als 10 Stunden täglich einsetzen, und wenn mal 10 Stunden erreicht werden, für genügend Ausgleich sorgen, damit im Schnitt die 8 Stunden nicht überschritten werden. Außerdem müssen Pausenzeiten gewährt und überwacht werden (z.B. durch entsprechende Richtlinien oder automatische Erinnerungen im Zeiterfassungssystem). Auch die tägliche Ruhezeit von 11 Stunden zwischen Feierabend und dem nächsten Arbeitsbeginn muss respektiert werden. Die Führungskräfte sollten hier mit gutem Beispiel vorangehen und darauf achten, dass ihre Teams nicht dauerhaft am Limit arbeiten.
- Unterweisung und Sensibilisierung: Arbeitgeber haben die Pflicht, ihre Mitarbeiter über die Arbeitszeiterfassung und die Arbeitsschutzvorschriften zu informieren. Im beschriebenen Fall der Kanzlei wurde ausdrücklich verlangt, dass die Associates und Senior Associates über ihre Pflicht zur Aufzeichnung und deren Umsetzung ordnungsgemäß aufgeklärt werden. In der Praxis sollten Arbeitgeber Schulungen oder zumindest klare schriftliche Anweisungen durchführen, damit jeder Beschäftigte weiß, wie und warum die Zeiterfassung erfolgt. Ebenso sollten die zulässigen Höchstarbeitszeiten und Pausenregeln allen bekannt sein. Diese Unterweisung ist nicht nur Anfangs erforderlich, sondern sollte auch bei Änderungen des Systems oder in regelmäßigen Abständen wiederholt bzw. vertieft werden.
- Überwachung und Eingreifen: Zwar wurde im VG-Urteil die Verpflichtung zu einem formalen Kontrollkonzept durch Führungskräfte als unverhältnismäßig abgelehnt, dennoch müssen Arbeitgeber natürlich die erfassten Daten auswerten und bei Verstößen reagieren. Es empfiehlt sich, intern Verantwortliche zu benennen (z.B. Teamleiter, HR-Verantwortliche), die die Arbeitszeitaufzeichnungen regelmäßig prüfen. Werden dabei Überschreitungen sichtbar – etwa ein Mitarbeiter, der wiederholt 60-Stunden-Wochen anhäuft – muss gegengesteuert werden. Mögliche Maßnahmen sind z.B. Gespräche mit den Betroffenen, Anpassung der Arbeitslast, Genehmigung von Freizeitausgleich oder Überstundenabbau, zusätzliches Personal einstellen oder organisatorische Änderungen. Wichtig: Der Arbeitgeber darf Überstunden nicht einfach stillschweigend hinnehmen, sonst verletzt er seine Schutzpflicht. Das VG Hamburg betonte, dass es Aufgabe des Arbeitgebers ist, durch geeignete Organisation exzessive Arbeitszeiten zu vermeiden.
- Kein Ausnahmemissbrauch: Manche Branchen oder Positionen haben Sonderregeln (z.B. leitende Angestellte, bestimmte Notdienste etc.). Arbeitgeber sollten prüfen, ob solche gesetzlichen Ausnahmen überhaupt anwendbar sind – und nicht vorschnell annehmen, eine bestimmte Gruppe falle nicht unter das Gesetz. Das Urteil zeigte, dass z.B. angestellte Anwälte nicht als leitende Angestellte im Sinne des ArbZG gelten. Auch sonst sind Ausnahmegenehmigungen (z.B. längere Arbeitszeiten in Schichtbetrieben, Rufbereitschaften, etc.) eng begrenzt. Wo keine ausdrückliche Ausnahme vorliegt, gilt strikt das ArbZG. Im Zweifel sollte man sich eher an die Norm halten – der Versuch, kreative Schlupflöcher zu nutzen („bei uns gelten die Regeln nicht, weil…“), kann schnell scheitern.
- Straf- und Bußgeldrisiken kennen: Arbeitgeber sollten sich bewusst sein, dass Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz sanktioniert werden können. Ordnungswidrigkeiten – etwa das Nichtgewähren vorgeschriebener Pausen oder systematisches Überschreiten der Höchstarbeitszeit – können mit Geldbußen bis zu 30.000 € geahndet werden. In besonders schweren Fällen (etwa wenn vorsätzlich und wiederholt gegen Vorschriften verstoßen wird und dadurch Gesundheit oder Arbeitskraft der Arbeitnehmer gefährdet wird) macht sich der Arbeitgeber sogar strafbar und es droht Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. Diese rechtlichen Folgen unterstreichen den Ernst der Materie. Zwar ist es in der Praxis selten zu drastischen Strafen gekommen, jedoch können schon behördliche Auflagen, wie im Hamburger Fall, sowie eventuelle Bußgelder dem Ruf und der Bilanz eines Unternehmens schaden. Es ist also im ureigenen Interesse des Arbeitgebers, für rechtskonforme Arbeitszeiten zu sorgen – nicht nur aus Fürsorge, sondern auch aus Risikogründen.
- Arbeitszeiterfassung als Chance nutzen: Abschließend sei erwähnt, dass eine saubere Zeiterfassung auch Vorteile bringen kann. Unternehmen erhalten einen besseren Überblick über Arbeitsabläufe und Überlastungen. Gerade in Zeiten von Burnout-Diskussionen und Fachkräftemangel ist ein gesundes Arbeitszeitmanagement ein Pluspunkt, um Mitarbeitende langfristig zu binden. Es lohnt sich, die gesetzliche Pflicht positiv anzugehen: als Instrument, um Überarbeitung zu verhindern, Produktivität in gesunden Bahnen zu halten und notfalls früh gegensteuern zu können.
Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer: Eigene Arbeitszeit im Blick behalten
Auch Arbeitnehmer tragen Verantwortung im Rahmen der Arbeitszeiterfassung – und sie haben Rechte, die sie kennen sollten:
- Ehrliche Zeiterfassung: Zunächst sind Beschäftigte verpflichtet, im Rahmen der betrieblichen Vorgaben ihre Arbeitszeiten korrekt zu erfassen. Wenn der Arbeitgeber ein bestimmtes System oder Verfahren etabliert hat (sei es Stechuhr, digitale App oder Formular), müssen Arbeitnehmer dieses auch nutzen und wahrheitsgemäß angeben, wann sie gearbeitet haben. Das bedeutet z.B., Pausenzeiten nicht als Arbeitszeit zu verbuchen und keine falschen Zeiten zu melden. Arbeitszeitbetrug – etwa das Buchen nicht geleisteter Stunden oder bewusste Falschaufzeichnungen – kann ein Grund für eine fristlose Kündigung sein und sogar den Tatbestand des Betrugs (§ 263 StGB) erfüllen. Umgekehrt sollten Arbeitnehmer aber auch nicht aus Angst oder falschem Ehrgeiz weniger Stunden aufschreiben, als sie tatsächlich geleistet haben. Gerade in Umgebungen mit Leistungsdruck kommt es vor, dass Mitarbeiter Überstunden „verstecken“, um engagiert zu wirken – damit ist jedoch niemandem gedient, und es verstößt gegen die Dokumentationspflicht.
- Beachtung der Grenzen und Pausen: Arbeitnehmer sollten die gesetzlich vorgeschriebenen Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten als eigene Schutzrechte verstehen. Niemand ist verpflichtet, regelmäßig über die zulässigen Höchstgrenzen hinaus zu arbeiten. Beschäftigte haben ein Recht darauf, dass tägliche und wöchentliche Grenzen eingehalten werden und ausreichende Pausen und Ruhezeiten gewährt werden. Praktisch heißt das: Wenn der Arbeitgeber versucht, routinemäßig deutlich über 10 Stunden am Tag Arbeit abzurufen oder die Ruhezeiten zu verkürzen, können Arbeitnehmer – höflich aber bestimmt – auf die gesetzlichen Vorgaben verweisen. Die Gesetze dienen ihrer Gesundheit; eine vertragliche Vereinbarung, freiwillig länger zu arbeiten, wäre unwirksam. Selbst wenn Mitarbeiter gerne Überstunden leisten (z.B. um Projekte abzuschließen oder aus Loyalität), sollten sie darauf achten, nicht dauerhaft über ihre Grenzen zu gehen. Der Körper braucht Erholung, und das Arbeitszeitrecht gibt hier klare Leitplanken vor.
- Recht auf Vergütung oder Ausgleich von Überstunden: Das ArbZG selbst regelt zwar primär den Gesundheitsschutz und nicht die Bezahlung von Überstunden, aber im Arbeits- oder Tarifvertrag ist häufig festgelegt, wie Mehrarbeit vergütet wird. Arbeitnehmer sollten ihre erfassten Stunden im Blick behalten, um Ansprüche auf Überstundenvergütung oder Freizeitausgleich geltend machen zu können. Eine lückenlose Zeiterfassung kommt hier auch ihnen zugute: Sie dient als Nachweis, falls es Streit über geleistete Arbeitsstunden gibt. In Prozessen um Überstunden ist eine dokumentierte Zeiterfassung ein entscheidender Vorteil. Es lohnt sich also, sorgfältig Buch zu führen – das ist nicht nur Pflicht, sondern auch Selbstschutz vor unentgeltlicher Mehrarbeit.
- Melde- und Beschwerderecht nutzen: Beschäftigte, die feststellen, dass in ihrem Betrieb die Arbeitszeiten systematisch überschritten oder nicht erfasst werden, sollten das Problem ansprechen. Erste Anlaufstelle kann der Vorgesetzte oder die Personalabteilung sein. Gibt es einen Betriebsrat, können Arbeitnehmer sich an diesen wenden – der Betriebsrat hat ein wachsames Auge auf Arbeitsschutz und kann beim Arbeitgeber auf Abhilfe dringen. Zudem haben Mitarbeiter das Recht, sich bei den zuständigen Aufsichtsbehörden (meist die Gewerbeaufsichtsämter bzw. Ämter für Arbeitsschutz der Länder) zu beschweren. Dies kann auch anonym geschehen, wie der Hamburger Fall zeigt. Die Behörden gehen solchen Hinweisen nach und können den Arbeitgeber zur Einhaltung der Vorschriften anhalten. Arbeitnehmer müssen keine Sanktionen fürchten, wenn sie solche Missstände melden – das Gesetz stellt klar, dass Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz nur vom Arbeitgeber begangen werden können, nicht vom Arbeitnehmer. Die Vorschriften richten sich an den Arbeitgeber als Normadressaten, während Arbeitnehmer als Schutzobjekt gelten. Entsprechend dürfen Beschäftigte, die auf die Einhaltung des Gesetzes pochen, nicht benachteiligt werden (ein etwaiger Versuch des Arbeitgebers, einen Beschwerdeführer zu sanktionieren, wäre rechtswidrig und könnte seinerseits Konsequenzen haben).
- Nein sagen dürfen: Gerade hochqualifizierte Angestellte fühlen sich oft verpflichtet, jederzeit verfügbar zu sein. Doch Arbeitnehmer sollten wissen: Sie haben das Recht, überlange Arbeitszeiten abzulehnen, wenn diese gegen ArbZG-Vorgaben verstoßen. Kein Arbeitnehmer muss z.B. eine Anweisung befolgen, die vorsieht, regelmäßig 12-Stunden-Tage zu leisten – eine solche Anordnung wäre unzulässig. Natürlich erfordert es Mut und Fingerspitzengefühl, gegenüber dem Chef Grenzen zu ziehen. Ein möglicher Ansatz ist, konstruktiv zu argumentieren: Etwa darauf hinweisen, dass man nach 10 Stunden Arbeit keine konzentrierten Leistungen mehr erbringen kann und die Produktivität leidet, oder dass man aus Gründen des Gesundheitsschutzes jetzt eine Pause/den Feierabend benötigt. Gute Arbeitgeber werden diese Hinweise ernst nehmen. Falls nicht, steht es Arbeitnehmern immer frei, externe Hilfe einzuschalten (siehe Beschwerderecht oben).
- Eigenverantwortung für die Gesundheit: Abschließend sollten Arbeitnehmer auch im eigenen Interesse ehrlich zu sich selbst sein. Überlange Arbeit ohne ausreichende Erholung führt langfristig zu Erschöpfung, Leistungsabfall und gesundheitlichen Problemen. Die Arbeitszeitregeln geben einen Rahmen, aber jeder sollte auch auf die persönlichen Warnsignale achten. Wer merkt, dass die Arbeit ständig in den persönlichen Lebensbereich hineinwuchert, sollte das Gespräch suchen – sei es mit Vorgesetzten, Kolleginnen oder dem Betriebsrat. Der Gesetzgeber hat bewusst Grenzen gesetzt, weil es menschlich ist, diese sonst zu überschreiten, gerade in Jobs mit hoher Verantwortung. Work-Life-Balance und gesetzliche Höchstarbeitszeiten sind kein Widerspruch, sondern bedingen einander: Nur wer ausreichend Ruhe hat, bleibt auf Dauer leistungsfähig.
To-dos für Arbeitgeber – praktische Umsetzung der Zeiterfassung
Angesichts der Rechtslage und des VG-Urteils sollten Arbeitgeber jetzt proaktiv folgende Schritte angehen:
- 1. Zeiterfassungssystem auswählen und einführen: Prüfen Sie, welches Arbeitszeiterfassungssystem für Ihren Betrieb passt. Möglichkeiten reichen von einfachen Stundenzetteln oder Excel-Tabellen bis zu digitalen Zeiterfassungs-Tools oder Stempelkarten. Wichtig ist, dass Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit zuverlässig erfasst werden. Achten Sie auf Benutzerfreundlichkeit – das System sollte im Arbeitsalltag praktikabel sein. Erwägen Sie auch, ob eine elektronische Lösung Vorteile bringt (viele moderne Systeme erlauben z.B. mobile Zeiterfassung via App, was für Homeoffice oder Außendienst hilfreich ist).
- 2. Betriebsrat einbinden (falls vorhanden): Die Einführung eines technischen Zeiterfassungssystems unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, da es eine technische Kontrolleinrichtung darstellt. Beziehen Sie den Betriebsrat frühzeitig ein, um eine einvernehmliche Regelung (z.B. Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung) zu treffen. Dies stellt sicher, dass die Interessen der Belegschaft berücksichtigt werden (z.B. Datenschutzfragen, Handhabung von Mehrarbeitsausgleich etc.) und dass das System reibungslos akzeptiert wird.
- 3. Arbeitszeit-Regelungen intern überprüfen: Passen Sie Ihre internen Arbeitszeitrichtlinien an. Falls Ihr Unternehmen bisher mit Vertrauensarbeitszeit gearbeitet hat, muss nun klargestellt werden, dass trotz eigenverantwortlicher Zeiteinteilung eine Dokumentation erfolgen muss. Legen Sie fest, wer für das Erfassen verantwortlich ist (in der Regel der Mitarbeiter selbst, ggf. mit Kontrolle durch Vorgesetzte) und wie Überstunden gehandhabt werden. Auch Regelungen zu Pausen (z.B. automatische Pausenabzüge bei bestimmten Arbeitszeiten) sollten transparent gemacht werden.
- 4. Schulung und Kommunikation: Informieren Sie alle Mitarbeiter über die neue bzw. geänderte Praxis der Arbeitszeiterfassung. Erklären Sie verständlich, warum diese Maßnahme nötig ist – nämlich zur Einhaltung des Gesetzes und zum Schutz der Gesundheit. Stellen Sie in Schulungen oder Rundschreiben das gewählte System vor, zeigen Sie Schritt für Schritt, wie die Zeiterfassung funktioniert, und geben Sie Anlaufstellen für Fragen oder Probleme an. Machen Sie deutlich, dass dies keine Misstrauensmaßnahme, sondern gesetzliche Pflicht ist, die letztlich auch Überlastung vorbeugt. Dokumentieren Sie die Unterweisungen (Teilnehmerlisten, Schulungsinhalte), um im Zweifel nachweisen zu können, dass Sie Ihrer Unterweisungspflicht nachgekommen sind.
- 5. Verantwortlichkeiten festlegen: Bestimmen Sie intern, wer die erfassten Zeiten auswertet und auf die Einhaltung achtet. Das könnte die Personalabteilung übernehmen oder die jeweiligen Führungskräfte. Wichtig ist, dass es klare Verantwortlichkeiten gibt. Diese Personen sollten wissen, wann Handlungsbedarf besteht – z.B. wenn ein Mitarbeiter wiederholt über der zulässigen Höchstarbeitszeit liegt oder häufig Pausen auslässt. Legen Sie idealerweise fest, wie in solchen Fällen vorzugehen ist (etwa Gespräch suchen, Ursachen analysieren, Maßnahmen vereinbaren).
- 6. Überstundenmanagement und Prävention: Entwickeln Sie ein Konzept, wie Mehrarbeit gehandhabt wird. Dazu gehört, Überstunden möglichst zu vermeiden bzw. nur in Ausnahmefällen anfallen zu lassen. Wenn Überstunden unvermeidbar sind, sorgen Sie für zeitnahen Ausgleich (Freizeitausgleich oder Vergütung, je nach Vertrag). Planen Sie personelle Engpässe rechtzeitig anzugehen – etwa durch Neueinstellungen, Umverteilung von Aufgaben oder temporäre Unterstützung – anstatt Mitarbeiter dauerhaft über die Belastungsgrenze zu schicken. Das VG Hamburg machte deutlich, dass Organisationslösungen gefragt sind, um die Arbeit in die gesetzlichen Schranken zu passen. Dieser präventive Ansatz erspart Ihnen langfristig Probleme.
- 7. Regelmäßige Überprüfung und Verbesserung: Einmal eingeführt, sollte das Zeiterfassungssystem regelmäßig evaluiert werden. Funktioniert es technisch und organisatorisch? Werden die Daten korrekt und vollständig erfasst? Ziehen Sie z.B. jährlich Bilanz: Gibt es Abteilungen mit systematischer Überlastung? Stimmen die Arbeitszeiten mit dem vertraglich Vereinbarten überein? Nutzen Sie diese Daten, um Arbeitsprozesse zu optimieren. Außerdem: Bleiben Sie über die Rechtsentwicklung informiert. Der Gesetzgeber plant eventuell weitere Konkretisierungen im ArbZG zur Zeiterfassung – stellen Sie sicher, dass Ihre Maßnahmen stets den aktuellen Vorgaben entsprechen.
Durch diese To-do-Liste erfüllen Arbeitgeber nicht nur ihre Rechtspflichten, sondern fördern auch eine nachhaltige Arbeitskultur. Arbeitgeber, die auf transparente Arbeitszeiten und realistische Workloads achten, werden langfristig von motivierten, gesünderen Beschäftigten profitieren.
Häufige Fehler in der Praxis und wie man sie vermeidet
Trotz klarer Rechtslage passieren in Unternehmen immer wieder typische Fehler im Umgang mit Arbeitszeiten. Hier einige Beispiele – und Tipps, wie sie sich vermeiden lassen:
- Fehler 1: „Vertrauensarbeitszeit heißt keine Zeiterfassung“. Einige Arbeitgeber meinen, bei Vertrauensarbeitszeit könne man komplett auf Aufzeichnung verzichten. Das ist falsch. Auch bei flexibler Vertrauensarbeitszeit muss die tatsächliche Arbeitszeit dokumentiert werden. Tipp: Verankern Sie in Vertrauensarbeitszeit-Modellen ausdrücklich die Dokumentationspflicht. Vertrauen bezieht sich darauf, wann gearbeitet wird, nicht darauf, ob aufgezeichnet wird.
- Fehler 2: Gesetzliche Vorgaben ignorieren, weil „unsere Branche anders tickt“. Oft wird argumentiert, in bestimmten Branchen (Anwaltskanzleien, Start-ups, Kreativbranchen etc.) seien lange Arbeitszeiten normal und nötig. Doch das ArbZG gilt branchenübergreifend. So meinte die Kanzlei im Hamburger Fall, anwaltliche Berufspflichten erforderten flexible Handhabung – das Gericht sah das anders. Tipp: Nehmen Sie das Arbeitszeitrecht ernst, egal wie die Branchenkultur ist. Bei objektiv erforderlicher Mehrarbeit suchen Sie nach Lösungen innerhalb des gesetzlichen Rahmens (z.B. Schichtpläne, Bereitschaftsdienste, mehr Personal) statt das Recht zu ignorieren.
- Fehler 3: Mitarbeiter überlassen sich selbst („Selbstverantwortung“). Manche Führungskräfte denken, gut bezahlte Fachkräfte könnten ihre Arbeitszeit selbst managen. Doch die Verantwortung trägt der Arbeitgeber. Im Urteil wurde betont, dass es nicht zulässig ist, Überstunden einfach der Eigenverantwortung der Mitarbeiter zuzuschieben. Tipp: Etablieren Sie eine aktive Kontrolle – ohne Mikromanagement, aber mit klarer Erwartung, dass Überarbeit vermieden wird. Signalisieren Sie Mitarbeitern, dass Sie den Überblick behalten und ansprechbar sind, wenn die Last zu groß wird.
- Fehler 4: Nur Billable Hours oder Kernarbeitszeit erfassen. Viele Unternehmen dokumentieren lediglich die abrechenbaren oder Kern-Arbeitszeiten und blenden aus, dass Mitarbeiter oft davor oder danach noch arbeiten. So hat die Kanzlei nur „Nettoarbeitszeiten“ gemeldet und die restliche Zeit ignoriert. Das verstößt gegen die Pflicht zur vollständigen Erfassung. Tipp: Erfassen Sie jede Arbeitsstunde, nicht nur produktive Projektzeiten. Auch Vor- und Nachbereitung, Meetings, Reisezeiten (soweit arbeitsrechtlich als Arbeitszeit zu werten) usw. gehören ins Arbeitszeitkonto, sofern sie zur Arbeit gehören.
- Fehler 5: Pausen und Ruhezeiten nicht im Blick. Ein häufiger Fehler ist, Pausen „durchziehen“ zu lassen oder die 11-Stunden-Regel zu missachten, z.B. wenn ein Mitarbeiter nach langem Vortag am nächsten Morgen gleich wieder ran muss. Tipp: Richten Sie z.B. im Zeiterfassungssystem Warnungen ein, wenn Pausen nicht genommen wurden oder die Ruhezeit unterschritten würde. Schulen Sie Führungskräfte, darauf zu achten, dass Mitarbeiter ihre Pausen nehmen und nicht am Abend noch Mails senden, die andere dann vor Ende der Ruhezeit beantworten.
- Fehler 6: Keine Konsequenzen aus den Aufzeichnungen ziehen. Manche Firmen führen zwar ein Zeiterfassungstool ein, analysieren die Daten aber nicht. Wenn niemand auswertet, ob regelmäßig gegen das ArbZG verstoßen wird, bleibt das System wirkungslos. Tipp: Etablieren Sie Auswertungsroutinen. Ein monatlicher Bericht an HR oder die Geschäftsführung über auffällige Überstundenkonten kann helfen, Trends zu erkennen. So können Sie früh eingreifen, bevor eine Behörde oder ein Gericht darauf aufmerksam wird.
- Fehler 7: Überlastungskultur dulden. In vielen Unternehmen herrscht unausgesprochen die Erwartung, dass regelmäßig Mehrarbeit geleistet wird – manchmal belohnt durch Beförderungen oder Boni. Dies begünstigt, dass Mitarbeiter selbst bei Erschöpfung weiterarbeiten und Zeiten nicht vollständig erfassen. Tipp: Kulturwandel anstoßen – honorieren Sie Effizienz und gute Ergebnisse innerhalb normaler Arbeitszeiten, statt allein Präsenzzeit. Machen Sie klar, dass qualitative Leistung zählt, nicht das „Abends-als-letzter-im-Büro“-Image.
- Fehler 8: Falsche Annahmen über Ausnahmen. Ein Beispiel: Ein IT-Startup hielt seine Entwickler für „leitende Angestellte“, weil sie eigenverantwortlich Projekte leiten – und verzichtete daher auf Zeiterfassung. Das ist riskant, da der Leitenden-Status im ArbZG sehr eng definiert ist (meist nur echte Unternehmensleiter oder Prokuristen). Tipp: Prüfen Sie genau, ob eine Ausnahme wirklich greift. Im Zweifel gilt: lieber erfassen und Regeln einhalten, als später eine böse Überraschung vor Gericht zu erleben.
Durch das Erkennen dieser Fehler und konsequentes Gegensteuern können Arbeitgeber sowohl rechtliche Konflikte vermeiden als auch ein besseres Arbeitsklima schaffen. Arbeitnehmer wiederum sollten auf solche Punkte achten und können ihren Arbeitgeber freundlich auf Lücken hinweisen – letztlich profitieren beide Seiten von einer fairen und gesetzestreuen Praxis.
Die Entscheidung des VG Hamburg setzt ein deutliches Signal: Arbeitszeiterfassung ist unverzichtbar – auch in Bereichen, in denen man es früher vielleicht nicht so eng gesehen hat. Das Arbeitszeitrecht gilt für alle Arbeitnehmer, sofern keine ausdrückliche Ausnahme im Gesetz benannt ist. Arbeitgeber können sich nicht darauf verlassen, dass hochqualifizierte Mitarbeiter schon „freiwillig“ vernünftige Arbeitszeiten einhalten – sie müssen aktiv Verantwortung übernehmen, die gesetzlichen Grenzen durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen. Die Pflicht zur Zeiterfassung ist dabei kein bürokratischer Selbstzweck, sondern ein zentrales Instrument des Gesundheitsschutzes. Überlange Arbeitszeiten mögen kurzfristig Produktivität suggerieren, führen aber langfristig zu Risiken – für die Beschäftigten persönlich (Gesundheit, Work-Life-Balance) und für den Arbeitgeber (Fehlerhäufigkeit, Ausfallzeiten, Haftungsrisiken).
Für Arbeitgeber bedeutet das Urteil und die geltende Rechtslage konkret, jetzt zu handeln: Ein effizientes Zeiterfassungssystem einführen, Mitarbeiter schulen, Arbeitsabläufe gegebenenfalls neu strukturieren und eine Unternehmenskultur fördern, die Compliance und Wohlbefinden gleichermaßen ernst nimmt. Arbeitnehmer wiederum sollten ihre Rechte kennen und darauf achten, dass ihre Arbeitszeit erfasst wird und im Rahmen bleibt. Wer Überlastung spürt, sollte das offen ansprechen – das Gesetz stärkt Beschäftigten hier den Rücken.
Abschließend lässt sich festhalten: Arbeitszeitdokumentation und Gesundheitsschutz gehen Hand in Hand. Ein Arbeitgeber, der die Arbeitszeiten seiner Belegschaft im Griff hat, stellt nicht nur die Einhaltung des Gesetzes sicher, sondern zeigt auch Fürsorge. Und Arbeitnehmer, die ihre Arbeitszeitregeln beachten, schützen aktiv ihre Gesundheit und Arbeitskraft. Das jüngste Urteil unterstreicht, dass es hierbei keine Ausnahmen nach Status geben darf – Regeln sind Regeln, für Associate wie Azubi, für Konzern wie Kanzlei. Im Zweifel sollten alle Beteiligten lieber einmal mehr die Uhr im Blick haben, als später vor Gericht zu stehen. Denn letztlich profitieren beide Seiten von fairen, humanen Arbeitszeiten: Gesündere Mitarbeiter leisten mehr und bleiben motiviert – und rechtskonforme Unternehmen vermeiden Sanktionen und haben zufriedenere Teams.