Arbeitnehmerhaftung und Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers – LAG Köln begrenzt Haftung bei Millionenschaden

16. Dezember 2025 -

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hat mit Urteil vom 19.12.2024 (Az. 8 Sa 830/22) einen vielbeachteten Fall zur Arbeitnehmerhaftung entschieden. Ein langjähriger Vertriebsleiter eines Energieversorgers hatte durch fehlerhafte Beschaffungsentscheidungen einen Millionenschaden verursacht. Das LAG stellte klar, dass Arbeitnehmer zwar für grob fahrlässiges Verhalten grundsätzlich haften, jedoch in Ausnahmefällen eine Haftungsbegrenzung geboten sein kann, wenn eine volle Haftung die wirtschaftliche Existenz des Mitarbeiters vernichten würde. Im Folgenden werden die Voraussetzungen und Grenzen des Schadenersatzanspruchs des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer – mit juristischer Tiefe und praktischem Fokus – erläutert.

Haftungsvoraussetzungen: Pflichtverletzung, Verschulden, Schaden, Kausalität

Grundlage jeder Arbeitnehmerhaftung ist eine schuldhafte Pflichtverletzung des Mitarbeiters. Der Arbeitgeber muss nach § 619a BGB darlegen und beweisen, dass der Arbeitnehmer eine arbeitsvertragliche Pflicht verletzt hat, hierdurch ein Schaden entstanden ist und dass den Arbeitnehmer daran zumindest Fahrlässigkeit (oder Vorsatz) trifft. Eine bloße Schlechtleistung ohne eingetretenen Schaden verpflichtet also nicht zum Ersatz – es muss ein messbarer Vermögensnachteil beim Arbeitgeber vorliegen. Ebenso ist der Kausalzusammenhang erforderlich: Die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers muss ursächlich für den Schaden sein. Klassische Haftungsfälle sind etwa das Beschädigen von Betriebseigentum, Fehler bei der Vertragserfüllung oder – wie im LAG-Köln-Fall – das Unterlassen erforderlicher Handlungen (hier: das Versäumen einer Absicherungsbeschaffung), wodurch dem Arbeitgeber finanzielle Verluste entstehen.

Zu beachten ist, dass Vorsatz und Fahrlässigkeit die Verschuldensformen darstellen. Vorsatz liegt vor, wenn der Arbeitnehmer den Schaden wissentlich und willentlich herbeiführt. Fahrlässigkeit bedeutet demgegenüber, dass die erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen wurde (§ 276 II BGB). Nach § 619a BGB trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass den Arbeitnehmer ein Verschulden trifft. Insbesondere muss der Arbeitgeber zumindest mittlere oder grobe Fahrlässigkeit beweisen, denn bei bloß leichter Fahrlässigkeit greift die Haftungsfreistellung des Arbeitnehmers (siehe unten).

Haftungsmaßstab und Verschuldensgrade: Der innerbetriebliche Schadensausgleich

Im Arbeitsrecht gilt der Grundsatz des innerbetrieblichen Schadensausgleichs, der die Haftung des Arbeitnehmers je nach Grad seines Verschuldens abstuft. Die Rechtsprechung hat aus Gründen der Billigkeit und unter analoger Anwendung des § 254 BGB spezielle Haftungsmilderungen entwickelt. Man unterscheidet im Wesentlichen drei Stufen:

  • Leichte Fahrlässigkeit: Bei geringfügigen, leicht entschuldbaren Fehlleistungen haftet der Arbeitnehmer überhaupt nicht. Alltägliche Versehen, die „jedem einmal passieren können“ (z. B. Vertippen, geringfügiges Versehen), lösen keinen Ersatzanspruch aus. Der Schaden bleibt dann beim Arbeitgeber als Betriebsrisiko.
  • Normale (mittlere) Fahrlässigkeit: Hierunter fallen Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht, die nicht gänzlich entschuldbar, aber auch nicht ungewöhnlich grob sind. In diesen Fällen kommt es zu einer Haftungsteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Quote richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Es findet eine Abwägung zwischen dem Verschulden des Arbeitnehmers und dem betrieblichen Verantwortungs- und Gefahrenbereich des Arbeitgebers stat. Faktoren wie die Gefahrgeneigtheit der Arbeit, die Höhe des Schadens, eine eventuelle Risikozulage im Gehalt, die Dauer der Betriebszugehörigkeit und sonstige Umstände werden herangezogen, um eine gerechte Verteilung zu finden. Oft wird der Schaden anteilig – etwa hälftig oder in einem angemessenen Verhältnis – zwischen beiden Seiten aufgeteilt.
  • Grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz: Trifft den Arbeitnehmer ein grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verschulden, so sieht die Rechtsprechung grundsätzlich eine vollumfängliche Haftung des Arbeitnehmers vor. Grobe Fahrlässigkeit ist definiert als eine schlechthin unentschuldbare Verletzung der Sorgfaltspflichten, bei der der Arbeitnehmer dasjenige unbeachtet lässt, was in der konkreten Situation jedem hätte einleuchten müssen. Typische Beispiele sind das Überfahren einer roten Ampel oder das Arbeiten unter alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit. Vorsatz – der bewusste Wille, einen Schaden herbeizuführen – führt ebenso zur vollen Haftung. Allerdings, wie unten dargestellt, können auch bei grober Fahrlässigkeit in Extremfällen Erleichterungen greifen. Entscheidend ist stets der konkrete Einzelfall.

Bedeutung interner Richtlinien und Pflichtverletzungen

Interne Richtlinien und Anweisungen des Arbeitgebers konkretisieren die Pflichten des Arbeitnehmers. Verstößt ein Mitarbeiter gegen klare betriebliche Vorgaben, so indiziert dies regelmäßig eine Pflichtverletzung und kann je nach Schwere als Fahrlässigkeit oder sogar grobe Fahrlässigkeit bewertet werden. In dem vom LAG Köln entschiedenen Fall war dem Vertriebsleiter ausdrücklich vorgegeben, jedes Stromliefergeschäft umgehend durch einen entsprechenden Einkauf abzudecken (sogenannte Back-to-Back-Beschaffung). Diese interne Vorgabe diente der Risikobegrenzung – sie sollte verhindern, dass Preisänderungen am Energiemarkt ungesicherte Positionen des Unternehmens entstehen lassen. Der Mitarbeiter hat jedoch gegen die Richtlinie verstoßen, indem er Ende 2021 große Stromlieferverträge mit Festpreis verkaufte, ohne die benötigten Strommengen zeitnah einzukaufen. Dieses Unterlassen der gebotenen Absicherung stellte eine gravierende Pflichtverletzung dar und wurde vom Gericht mindestens als grob fahrlässig eingeordnet.

Interne Regeln haben also erhebliche Bedeutung: Sie legen den erforderlichen Sorgfaltsmaßstab fest. Missachtet der Arbeitnehmer eine elementare interne Vorschrift oder allgemein anerkannte Regel (z. B. Sicherheitsvorschriften, „Vier-Augen-Prinzip“ bei bestimmten Geschäften, Back-to-Back-Pflicht), so liegt darin regelmäßig ein Sorgfaltsverstoß, der im Schadensfall seine Haftung begründen kann. Umgekehrt obliegt es dem Arbeitgeber, solche wichtigen Regeln klar zu kommunizieren und durchzusetzen. Gibt es keine klaren Richtlinien für riskante Vorgänge, kann dies die Mitverantwortung des Arbeitgebers begründen (siehe unten). Mitarbeiter sollten daher verbindlich geschult werden, welche Abläufe zwingend einzuhalten sind. Ein Verstoß gegen eindeutige Anweisungen wird im Haftungsfall nur in seltenen Ausnahmefällen entschuldbar sein.

Organisationsverschulden des Arbeitgebers und Mitverschulden (§ 254 BGB)

Arbeitgeber sind verpflichtet, ihre Betriebe so zu organisieren, dass vermeidbare Schäden gar nicht erst eintreten. Verletzen sie ihre Organisationspflichten, kann dies als Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB zu einer Reduzierung oder sogar zum Ausschluss des Ersatzanspruchs führen. Das Gesetz verlangt, dass eigenes Fehlverhalten des Geschädigten (hier: des Arbeitgebers) bei der Schadenverteilung berücksichtigt wird. Im Arbeitsverhältnis bedeutet das: Versäumt der Arbeitgeber zumutbare Vorkehrungen, den Arbeitnehmer vor übermäßigen Risiken zu schützen oder Fehler abzufangen, so darf er den Schaden nicht einseitig auf den Arbeitnehmer abwälzen.

Ein Organisationsverschulden kann z. B. vorliegen, wenn der Arbeitgeber offensichtlich zu wenig Personal oder unzureichende Sachmittel bereitstellt und es deshalb zu Fehlern kommt. Auch mangelhafte Kontrollmechanismen in besonders schadensanfälligen Bereichen können ein Mitverschulden begründen. Im entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber dem Vertriebsleiter eine Sondervollmacht erteilt, um eigenständig Beschaffungen vornehmen zu können. Eine solche Maßnahme war zwar angesichts der Marktlage nachvollziehbar, birgt aber Risiken: Überträgt der Arbeitgeber einem Einzelnen sehr weitreichende Befugnisse, muss er sicherstellen, dass zumindest im Nachhinein Kontrollen stattfinden und der Mitarbeiter nicht vollkommen ohne Aufsicht agiert. Werden Warnzeichen – etwa das Ausbleiben der vereinbarten Back-to-Back-Deckung – nicht rechtzeitig bemerkt, stellt sich die Frage, ob der Schaden durch bessere Überwachung oder interne Reportings hätte vermieden werden können. Im Rahmen des § 254 BGB wäre zu prüfen, inwieweit die Unternehmensleitung selbst zur Schadensentstehung beigetragen hat, z. B. durch unklare Kompetenzverteilung, fehlende Überprüfung wesentlicher Geschäfte oder das Vertrauensvorschuss ohne Absicherung.

In der Praxis wird Mitverschulden des Arbeitgebers oft eine Rolle spielen. Trägt beispielsweise eine ungewöhnlich hohe Arbeitsbelastung oder unzureichende Einarbeitung des Mitarbeiters zum Fehler bei, mindert dies den Haftungsanteil des Beschäftigten. Insgesamt gilt: Die Betriebsorganisation sollte so ausgestaltet sein, dass typische Fehlerquellen minimiert werden. Tut der Arbeitgeber das ihm Zumutbare nicht, kann er den Ersatz seines Schadens unter Umständen nur anteilig oder gar nicht verlangen.

Sondervollmachten als Risikoquelle

Sondervollmachten – also vom Arbeitgeber erteilte, über das gewöhnliche Maß hinausgehende Befugnisse – verdienen besondere Beachtung. Sie ermöglichen es dem Arbeitnehmer, in erheblichem Umfang rechtsgeschäftlich für den Arbeitgeber zu handeln, was im Schadensfall die Dimension des möglichen Schadens stark erhöhen kann. Im Fall des LAG Köln wurde dem Vertriebsleiter im September 2021 eine Sondervollmacht erteilt, um eigenverantwortlich Beschaffungsentscheidungen zur Absicherung von Stromlieferverträgen treffen zu können. Diese weitreichende Vollmacht sollte das zögerliche Beschaffungsprocedere beschleunigen, erhöhte aber zugleich das Risiko: Der Mitarbeiter konnte nun ohne die üblichen Kontrollen millionenschwere Verpflichtungen eingehen.

Aus Haftungssicht ändert eine Sondervollmacht zwar nichts an den Pflichtbindungen des Arbeitnehmers – auch mit Vollmacht muss er sorgfaltsgerecht handeln und interne Richtlinien befolgen. Allerdings verschiebt eine solche Konstellation den Risikohorizont des Arbeitgebers: Er vertraut auf die Kompetenz und Redlichkeit des Bevollmächtigten in einem Ausmaß, das bei Fehlentscheidungen fatale Folgen haben kann. Daher sollte der Arbeitgeber bei Erteilung von Sondervollmachten immer begleitende Sicherungsmechanismen etablieren. Denkbar sind etwa Betragsgrenzen, ab deren Überschreitung doch eine zweite Unterschrift eingeholt werden muss (Vier-Augen-Prinzip), regelmäßige Berichtspflichten des Vollmachtträgers oder eine eng umrissene Zweckbindung der Vollmacht. So ließe sich das Risiko streuen und es bliebe nicht alles an einer Person hängen.

Tritt trotz Sondervollmacht ein Schaden ein, wird man im Rahmen der Haftungsverteilung auch fragen: War es notwendig und angemessen, dem Mitarbeiter so viel Spielraum einzuräumen? Wenn ja, hat der Arbeitgeber zugleich alles getan, um Missbrauch oder Fehlentscheidungen abzufedern? Diese Fragen fließen im Streitfall in die Bewertung von Verschulden und Mitverschulden ein. Sondervollmachten sind insofern ein zweischneidiges Schwert: sie erleichtern den Betriebsablauf, können aber zur Haftungsfalle werden, wenn die damit verbundenen Risiken nicht durch geeignete organisatorische Maßnahmen eingehegt werden.

Tatsächlicher Schaden versus hypothetisches Risiko

Im Schadensrecht gilt der Grundsatz der konkreten Schadensberechnung: Ersatz verlangt werden kann stets nur der tatsächlich entstandene Schaden. Hypothetische Risiken, die sich nicht realisiert haben, begründen demgegenüber keinen Anspruch. Für die Arbeitnehmerhaftung bedeutet das: Hat der Arbeitnehmer zwar eine gefährliche Situation herbeigeführt, die aber – glücklicherweise – zu keinem oder geringerem Schaden führte, so bleibt es bei diesem tatsächlichen (geringeren) Schaden. Der Arbeitgeber kann nicht etwa den „Worst-Case“-Verlust einfordern, der hätte eintreten können, sondern nur den realen Schaden.

Andererseits ist die Höhe des konkret eingetretenen Schadens maßgeblich für den Umfang der Haftung. Im vorliegenden Fall waren Verträge über 6,5 Mio. € abgeschlossen worden; der letztlich durch die Preisexplosion entstandene Verlust betrug rund 3 Mio. €. Diese ~3 Mio. € bildeten die Basis des Schadenersatzanspruchs. Eine noch dramatischere Preisentwicklung, die den Schaden z.B. auf 6 Mio. € hätte steigern können, war irrelevant, da sie nicht eingetreten ist. Ebenso wenig kann der Arbeitnehmer einwenden, ein glücklicherer Verlauf (etwa fallende Preise) hätte gar keinen Schaden verursacht – dieser hypothetische Verlauf zählt nicht, denn tatsächlich ist der Schaden nun einmal entstanden.

Die Abgrenzung zwischen tatsächlichem Schaden und bloßem Gefährdungsschaden zeigt sich auch darin, dass Gerichte bei der Haftungsverteilung nicht ins Spekulative gehen: Steht fest, dass ein Schaden weit über dem liegt, was der Arbeitnehmer zu erstatten hat, müssen weitergehende Schadenspositionen nicht rechnerisch durchdekliniert werden. Mit anderen Worten: ist klar, dass jenseits eines bestimmten Betrags (etwa der Haftungsobergrenze, siehe nächster Abschnitt) sowieso kein Ersatz verlangt werden kann, spielt ein darüber hinausgehendes Risiko für den Rechtsstreit keine Rolle mehr. Entscheidend ist allein der realisierte Schaden bis zur Höhe der möglichen Haftung.

Haftungsbegrenzung und wirtschaftliche Zumutbarkeit extremer Schäden

Ein zentrales Ergebnis des LAG-Urteils ist die Begrenzung der Haftung des Arbeitnehmers bei einem existenzbedrohenden Schaden. Zwar gibt es keine feste gesetzliche Obergrenze (eine summenmäßige Haftungsgrenze festzulegen, wäre Aufgabe des Gesetzgebers, die Rechtsprechung entscheidet im Einzelfall). Aber bereits in früheren Entscheidungen haben Gerichte angedeutet, dass bei außergewöhnlich hohen Schäden eine weitergehende Begrenzung zugunsten des Arbeitnehmers greifen kann. Stehen Schadenshöhe und Verdienst des Arbeitnehmers in einem krassen Missverhältnis, wird geprüft, ob dem Mitarbeiter das Risiko durch eine entsprechende Vergütung abgegolten wurde. Fehlt es an einer solchen Risikoprämie und würde die volle Haftung die wirtschaftliche Existenz des Arbeitnehmers gefährden, führt dies nach ständiger Rechtsprechung zu einer Einschränkung der Haftung.

Im konkreten Fall verdiente der Arbeitnehmer ca. 8.400 € monatlich, also rund 100.000 € brutto jährlich. Demgegenüber standen 2,8 Mio. € Schadensersatzforderung – das 28-fache seines Jahresgehalts. Das LAG Köln hielt eine derart ruinöse Forderung selbst bei grober Fahrlässigkeit für untragbar und deckelte die Haftung auf zwei Bruttojahreseinkommen des Mitarbeiters. Damit musste der Arbeitnehmer statt 2,8 Mio. € nur ca. 200.000 € zahlen. Das Gericht betonte, dass auch bei grob fahrlässigem Fehlverhalten Haftungserleichterungen geboten sind, wenn das Schadensrisiko die wirtschaftliche Existenz des Arbeitnehmers übersteigt. Diese Maßstäbe folgen dem Grundgedanken der Verhältnismäßigkeit und der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers: Ein Arbeitnehmer soll nicht durch einen einzelnen Fehltritt – der im Rahmen seiner Arbeit passiert ist – lebenslang finanziell ruiniert werden, während der Arbeitgeber als „Herr des Betriebsrisikos“ solche extremen Schäden eher verkraften oder versichern kann.

Wichtig ist: Es existiert keine starre Formel, nach der z.B. immer auf drei Monatsgehälter begrenzt würde. Die Rechtsprechung wägt im Einzelfall ab. Zwei Jahresgehälter im LAG-Köln-Fall stellen keine fixe Regel dar, sind aber ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, wo die Grenze der Zumutbarkeit gesehen wurde. Andere Gerichte haben in ähnlich gelagerten Fällen teils ebenfalls eine Kappung vorgenommen (etwa wenn kein Vorsatz vorliegt und der Schaden ein Vielfaches des Jahresverdienstes beträgt). Vorsatz schließt derartige Milderungen allerdings aus – wer absichtlich seinem Arbeitgeber schadet, kann sich nicht auf Existenzschutz berufen.

Versicherungsdeckung: Vorrang der Versicherung vor Arbeitnehmerregress

Ein oft übersehener Aspekt der Arbeitnehmerhaftung ist die Rolle von Versicherungen. Verursacht ein Arbeitnehmer einen Schaden, für den der Arbeitgeber eine Versicherung (etwa eine Betriebs- oder Berufshaftpflicht, Transportversicherung, Vollkasko etc.) abgeschlossen hat, so gebietet die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, zunächst die Versicherung in Anspruch zu nehmen. Der Arbeitgeber soll also vorrangig seine Versicherungsleistungen nutzen, anstatt den Arbeitnehmer direkt in Regress zu nehmen. Viele Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen verankern diesen Vorrang der Versicherung ausdrücklich.

Nach der Rechtsprechung kommt eine Inanspruchnahme des Arbeitnehmers grundsätzlich nur für solche Schäden in Betracht, die von der vorhandenen Versicherung nicht abgedeckt sind oder für die die Versicherung ihrerseits Rückgriff beim Arbeitnehmer nehmen könnte. Letzteres kann z.B. bei grob fahrlässigem Verhalten relevant sein, da einige Versicherungsverträge bei grober Fahrlässigkeit leistungsfrei sind oder Regress verlangen dürfen. In der Praxis bedeutet dies: Hat etwa ein Arbeitnehmer mit dem Dienstwagen einen Unfall verursacht, muss der Arbeitgeber die Vollkaskoversicherung einschalten – lediglich die Selbstbeteiligung oder Schäden, die über der Deckungssumme liegen, könnte er vom Mitarbeiter fordern. Fehlt es an einer zumutbaren Versicherung, darf dieses Versäumnis nicht zulasten des Arbeitnehmers gehen. Der Arbeitgeber kann also nicht argumentieren, er habe keine Versicherung und deswegen solle der Arbeitnehmer voll zahlen – vielmehr wird sein Unterlassen, eine übliche Versicherung abzuschließen, als mitverschuldet gewertet.

Für Arbeitnehmer ist dies beruhigend: In vielen Fällen springt die Versicherung des Arbeitgebers (z.B. Betriebshaftpflicht) ein, und der Mitarbeiter muss allenfalls begrenzt (z.B. bis zur Höhe des Selbstbehalts) haften. Arbeitgeber sollten daher einen ausreichenden Versicherungsschutz für betriebliche Risiken vorhalten – nicht zuletzt, weil sie sonst selbst auf einem Großteil des Schadens sitzen bleiben könnten, wenn die Arbeitnehmerhaftung der Höhe nach begrenzt wird.

Tarifliche Ausschlussfristen: Schnelles Handeln erforderlich

Schließlich ist auf tarifliche oder vertragliche Ausschlussfristen zu achten. Zahlreiche Arbeitsverträge und Tarifverträge enthalten Klauseln, wonach Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis (sei es des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers) innerhalb kurzer Fristen schriftlich geltend gemacht werden müssen. Solche Ausschlussfristen – oft 3 Monate ab Kenntnis des Anspruchs, teils 6 Monate, je nach Tarifvertrag – dienen der Rechtssicherheit. Für den Arbeitgeber bedeutet dies: Schadensersatzforderungen gegen einen Mitarbeiter verfallen unwiederbringlich, wenn er sie nicht innerhalb der Frist gegenüber dem Arbeitnehmer zumindest dem Grunde nach anmeldet.

Im Falle erheblicher Schadensfälle ist daher Eile geboten. Die Frist beginnt regelmäßig, sobald der Arbeitgeber den Schaden und den vermeintlichen Verursacher kennt (bzw. bei grob fahrlässiger Unkenntnis kennen müsste). Zu beachten ist, dass auch bei laufenden Verhandlungen die Frist weiterläuft – eine gütliche Einigung sollte daher vorsorglich innerhalb der Frist schriftlich fixiert oder zumindest die Ansprüche unter Vorbehalt fristwahrend geltend gemacht werden. Arbeitgeber sollten unmittelbar nach Schadenseintritt ihre Arbeitsverträge bzw. den anwendbaren Tarifvertrag prüfen, um keine Ausschlussfrist zu versäumen. Ansonsten droht trotz guter Rechtsposition ein vollständiger Rechtsverlust des Ersatzanspruchs.

Praxishinweise

Zum Abschluss einige konkrete Empfehlungen für Arbeitgeber und Führungskräfte, um mit haftungsträchtigen Bereichen professionell umzugehen:

  • Risikobereiche identifizieren und absichern: Analysieren Sie, in welchen Aufgabenfeldern (z. B. energiewirtschaftlicher Handel, Beschaffung, Finanzdisposition) Fehlentscheidungen zu besonders hohen Schäden führen können. Richten Sie in diesen Bereichen robuste Risikomanagement-Systeme ein – etwa Limits für Geschäfte, automatische Warnmeldungen bei Abweichungen und regelmäßige Risiko-Reviews im Team.
  • Klare interne Richtlinien erlassen: Stellen Sie für kritische Prozesse verbindliche Arbeitsanweisungen auf (etwa Back-to-Back-Pflichten im Handel, Vier-Augen-Prinzip bei größeren Verträgen, Compliance-Regeln). Schulen Sie Mitarbeiter intensiv und dokumentieren Sie diese Vorgaben. So ist im Ernstfall klar, welche Sorgfaltspflichten bestanden. Die Einhaltung sollte stichprobenartig kontrolliert werden, um Probleme frühzeitig zu erkennen.
  • Sondervollmachten nur mit Kontrolle gewähren: Wenn Sie aus betrieblichen Gründen einzelnen Mitarbeitern weite Vollmachten (z. B. zum Abschluss großer Verträge) erteilen, koppeln Sie diese an Kontrollmechanismen. Beispielsweise können hohe Transaktionen nachträglich vom Aufsichtsrat oder einer zweiten Führungskraft geprüft werden. Vereinbaren Sie Reportingpflichten: der Bevollmächtigte sollte zeitnah über getroffene Entscheidungen berichten müssen. So behalten Sie trotz delegierter Entscheidungsfreiheit die Lage im Blick.
  • Versicherungsschutz nutzen: Überprüfen Sie Ihren Versicherungsschutz für betriebliche Risiken. Für hochriskante Bereiche sollte eine entsprechende Vermögensschaden- oder Betriebshaftpflichtversicherung bestehen. Tritt ein Schaden ein, melden Sie ihn unverzüglich Ihrer Versicherung und nutzen Sie die Deckung vorrangig. Damit reduzieren Sie das finanzielle Konfliktpotenzial im Verhältnis zum Mitarbeiter erheblich. Gegebenenfalls können Sie Mitarbeiter auch über Gruppenversicherungen (z. B. Diensthaftpflicht) absichern.
  • Haftungsansprüche zeitnah prüfen und geltend machen: Kommt es dennoch zu einem Schaden durch Mitarbeiterverschulden, prüfen Sie umgehend die Sachlage. Stellen Sie fest: Welche Pflicht wurde verletzt, wie hoch ist der Schaden, liegt Verschulden vor und gibt es ein Mitverschulden des Unternehmens? Dokumentieren Sie alle relevanten Fakten. Beachten Sie sodann etwaige Ausschlussfristen – melden Sie vorsorglich schriftlich Ansprüche an, um die Frist zu wahren. In vielen Fällen empfiehlt sich das Gespräch mit dem Mitarbeiter, um eine einvernehmliche Lösung (z. B. Ratenzahlung eines begrenzten Betrags) zu finden, statt sofort maximalen Regress durchzusetzen.

Mit diesen Maßnahmen lassen sich Haftungsfälle im Arbeitsverhältnis besser steuern. Das genannte Urteil des LAG Köln führt eindrücklich vor Augen, dass zwar erhebliche Pflichtverstöße von Arbeitnehmern nicht folgenlos bleiben, der Schadenersatzanspruch des Arbeitgebers aber immer die besonderen arbeitsrechtlichen Grundsätze berücksichtigen muss. Arbeitgeber tun gut daran, präventiv für klare Regeln und Absicherungen zu sorgen – und im Ernstfall angemessen und fair vorzugehen, anstatt vorschnell die maximale Haftung des Mitarbeiters zu fordern. So wird einerseits die Verantwortung der Mitarbeiter für grobe Fehler betont, andererseits aber eine unverhältnismäßige Überforderung vermieden.