Ein Arbeitgeber investiert fast 90.000 € in die Ausbildung eines Feuerwehrmannes. Nach erfolgreichem Abschluss kündigt der Arbeitnehmer jedoch vorzeitig – und soll laut Vertrag die Fortbildungskosten und sogar sein während der Ausbildung gezahltes Gehalt anteilig zurückzahlen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hat in seinem Urteil vom 19.08.2025 (Az. 7 SLa 647/24) entschieden, dass solche Rückzahlungsklauseln unwirksam sind. Dieses Urteil ist ein wichtiges Signal für Arbeitgeber und Arbeitnehmer: Zu strikte Rückzahlungsvereinbarungen können schnell zum Bumerang werden.
Der Fall: Fortbildung zum Feuerwehrmann und vorzeitige Kündigung
Ein angehender Feuerwehrmann (Brandmeisteranwärter) erhielt von seinem Arbeitgeber eine 18-monatige Ausbildung zum Brandmeister finanziert. Für die Dauer der Fortbildung wurde er freigestellt und erhielt weiterhin sein volles Gehalt. In einer Fortbildungsvereinbarung war geregelt, dass der Mitarbeiter bei vorzeitigem Ausscheiden innerhalb von 36 Monaten die Fortbildungskosten und die während der Freistellung gezahlte Vergütung anteilig zurückzahlen muss – allerdings nur, wenn das Arbeitsverhältnis „aus vom Arbeitnehmer zu vertretenden Gründen“ beendet wird. Insgesamt wurden rund 88.500 € investiert (etwa 16.000 € Kursgebühren und 72.500 € Gehalt während der Fortbildung).
Nach Abschluss der Ausbildung kündigte der Arbeitnehmer innerhalb der vereinbarten Bindungsfrist (ohne Angabe von Gründen) zum Februar 2024. Der Arbeitgeber forderte daraufhin etwa 70.000 € zurück. Der Arbeitnehmer verweigerte die Zahlung mit der Begründung, die Vertragsklauseln seien unwirksam – sie würden ihn wirtschaftlich ruinieren und außerdem habe der Arbeitgeber selbst vertragswidrig gehandelt (z.B. Gehalt verspätet gezahlt).
Die Entscheidung des LAG Köln
Das LAG Köln wies die Klage des Arbeitgebers ab: Der ehemalige Mitarbeiter muss weder die Fortbildungskosten noch das Gehalt zurückzahlen. Die streitigen Klauseln wurden als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) eingeordnet und hielten einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB nicht stand. Aus Sicht des Gerichts benachteiligen diese Klauseln den Arbeitnehmer unangemessen. Im Kern stützte das LAG seine Entscheidung auf drei Punkte:
- Weite Auslegung des „Vertretenmüssens“: Der Vertrag knüpfte die Rückzahlungspflicht an die Beendigung „aus vom Arbeitnehmer zu vertretenden Gründen“. Dieser Begriff lässt sich unterschiedlich auslegen. Eine mögliche Interpretation ist Verschulden im Sinne von Vorsatz oder Fahrlässigkeit (§ 276 BGB). Genauso möglich ist jedoch eine weite Auslegung, wonach jede Ursache aus der Sphäre des Arbeitnehmers als „zu vertreten“ gilt. Nach der Unklarheitenregel (§ 305c Abs. 2 BGB) geht eine solche Mehrdeutigkeit zu Lasten des Arbeitgebers als Verwender der Klausel. Das LAG Köln nahm die ungünstigere (weite) Auslegung an, bei der auch unverschuldete oder geringfügig fahrlässig verursachte Gründe erfasst wären. Eine solche Klausel würde z.B. selbst dann zur Rückzahlung verpflichten, wenn der Arbeitnehmer wegen eines leicht fahrlässig verursachten Unfalls dauerhaft dienstunfähig wird. Das Gericht hielt das für unzulässig, da in so einem Fall keine zumutbare Bindung an den Arbeitgeber mehr besteht – das Risiko, dass sich eine Ausbildung wegen einer unverschuldeten (oder nur leicht fahrlässig verursachten) Leistungsunfähigkeit nicht „rentiert“, trägt der Arbeitgeber. Kurz gesagt: Eine Rückzahlungsklausel darf nicht alle denkbaren Beendigungsgründe erfassen, sondern muss fair unterscheiden, ob der Arbeitnehmer ohne triftigen Grund freiwillig kündigt oder aus anderem wichtigen Grund gehen muss.
- Rückzahlung von Gehalt für die Ausbildungszeit: Besonders kritisch sah das LAG, dass der Brandmeisteranwärter auch sein Gehalt der 18 Monate zurückzahlen sollte. Während der Fortbildung hat der Arbeitnehmer Arbeitsleistung erbracht – seine Ausbildung war die vertraglich geschuldete Tätigkeit. Der Vertrag selbst bestimmte die Fortbildungszeit als Arbeitszeit. Das gezahlte Gehalt war also Lohn für Arbeit, nicht eine „Freistellungsvergütung“, die man zurückfordern dürfte. Eine erbrachte Arbeitsleistung im Nachhinein als „Freistellung“ zu deklarieren, um den Lohn zurückzuverlangen, ist laut Gericht unfair und verstößt gegen geltende Gesetze (insbesondere § 611a Abs. 2 BGB, der den Anspruch auf Vergütung für geleistete Arbeit festschreibt). Diese Klausel würde bedeuten, dass der Arbeitnehmer für die gesamte Ausbildungszeit letztlich ohne Bezahlung gearbeitet hätte, was mit grundlegenden arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften unvereinbar ist.
- Unverhältnismäßige Höhe („ruinöse Klausel“): Die finanzielle Belastung durch die Rückzahlungsklauseln war enorm. Im Streitfall sollte der Arbeitnehmer rund 70.000 € erstatten – das entspricht mehr als zwei Jahresnettogehältern eines Berufsanfängers. Das LAG bewertete dies als unzumutbar und „ruinös“ für den Arbeitnehmer. Nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) darf eine Vereinbarung den Arbeitnehmer nicht vor eine solche existenzielle finanzielle Bedrohung stellen. Fazit des Gerichts: In ihrem umfang war die Erstattungspflicht ebenfalls unangemessen, sodass die Klausel insgesamt unwirksam ist.
Ergebnis: Beide Rückzahlungsklauseln – sowohl für die Fortbildungskosten (§ 4 der Vereinbarung) als auch für das Gehalt (§ 5) – sind gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam und damit rechtlich nicht durchsetzbar. Der Arbeitnehmer musste nichts zurückzahlen. Der Arbeitgeber blieb auf den Kosten sitzen.
Bedeutung für Arbeitgeber: Rückzahlungsklauseln rechtssicher gestalten
Für Arbeitgeber ist dieses Urteil ein Warnsignal. Fortbildungs- und Rückzahlungsvereinbarungen bleiben zwar grundsätzlich zulässig – doch schlecht formulierte Klauseln können komplett unwirksam sein, selbst wenn der Mitarbeiter kurz nach einer teuren Fortbildung kündigt. Tipps für Arbeitgeber:
- Klauseln klar und eng fassen: Begrenzen Sie die Rückzahlungspflicht ausdrücklich auf Fälle, in denen der Arbeitnehmer ohne triftigen Grund selbst kündigt oder aus vergleichbaren, von ihm verschuldeten Gründen ausscheidet. Schließen Sie Gründe aus, die außerhalb seiner Kontrolle liegen, etwa gesundheitliche dauerhafte Arbeitsunfähigkeit oder erhebliche Vertragsverstöße des Arbeitgebers. Eine zu allgemeine Formulierung („aus vom Arbeitnehmer zu vertretenden Gründen“) ist riskant, weil sie mehrdeutig sein kann. Im Zweifel wird eine solche Unklarheit zugunsten des Arbeitnehmers ausgelegt – die Folge ist die komplette Unwirksamkeit der Klausel.
- Keine Rückforderung von Arbeitsentgelt: Überlegen Sie gut, welche Kosten Sie wirklich zurückfordern wollen. Die Rückzahlung von regulärem Gehalt ist tabu, wenn der Arbeitnehmer während der Fortbildung Arbeitsleistungen erbracht oder sich in betrieblicher Ausbildung befunden hat. In solchen Fällen gilt das Gehalt als Gegenleistung für Arbeit (§ 611a BGB) und darf nicht zur Disposition gestellt werden. Rückforderbar können in der Regel nur tatsächliche Fortbildungskosten sein (Kursgebühren, Prüfungsgebühren, Reisekosten etc.), die dem Mitarbeiter einen zusätzlichen Qualifikationsvorteil verschaffen.
- Angemessene Bindungsdauer und Staffelung: Stellen Sie sicher, dass die vereinbarte Bindungszeit und die Höhe der Rückzahlung angemessen sind. Üblich sind Bindungsfristen von ein bis drei Jahren, abhängig von der Dauer und den Kosten der Weiterbildung. Die Rückzahlungssumme sollte monatsweise oder quartalsweise fallen („zeitratierliche Minderung“), sodass die finanzielle Belastung mit fortschreitender Betriebszugehörigkeit kleiner wird. Eine Überforderung (hier z.B. 70.000 € Rückzahlung) wirkt schnell unverhältnismäßig. Faustregel: Die Klausel muss so gestaltet sein, dass sie einen angemessenen Ausgleich zwischen dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers und der beruflichen Bewegungsfreiheit des Arbeitnehmers wahrt.
- Transparenz und schriftliche Form: Achten Sie darauf, dass die Klausel verständlich und transparent formuliert ist. Jeder denkbare Leser (auch ohne Jurastudium) sollte erkennen können, wann er etwas zurückzahlen muss und wie viel. Ungewöhnliche oder überraschende Regelungen (z.B. Gehaltsrückzahlung) könnten sonst schon nach § 305c BGB unwirksam sein, weil der Arbeitnehmer bei Vertragsschluss nicht damit rechnen musste. Lassen Sie Fortbildungsvereinbarungen im Zweifel juristisch prüfen, um typische Fallstricke zu vermeiden.
Bedeutung für Arbeitnehmer: Rechte bei Fortbildungsabbruch oder Kündigung
Auch Arbeitnehmer profitieren von diesem Urteil. Es bestätigt, dass Ihr Grundrecht auf freie Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) nicht durch überzogene Vertragsstrafen ausgehöhlt werden darf. Wenn Sie eine Fortbildungsvereinbarung mit Rückzahlungsklausel unterschreiben (oder bereits unterschrieben haben), sollten Sie Folgendes wissen:
- Unwirksame Klauseln = keine Zahlungspflicht: Ist die Rückzahlungsklausel zu weit gefasst oder unklar, kann sie insgesamt unwirksam sein. Dann müssen Sie gar nichts zurückzahlen. Die Gerichte prüfen solche Vereinbarungen sehr genau. Nicht jede Kündigung löst automatisch eine Zahlungspflicht aus, vor allem nicht, wenn Sie aus gutem Grund gehen. Beispiel: Müssen Sie den Job aufgeben, weil Sie aus gesundheitlichen Gründen die Tätigkeit nicht mehr ausüben können, darf der Arbeitgeber keine Fortbildungskosten von Ihnen verlangen. Gleiches gilt, wenn Ihr Arbeitgeber durch sein Verhalten die Kündigung provoziert hat – dann liegt der Grund in der Sphäre des Arbeitgebers, und die Klausel greift nicht.
- Gehalt für Ausbildungszeit darf nicht zurückgefordert werden: Haben Sie während einer Weiterbildung normal weiter Ihr Gehalt bekommen und im Betrieb (oder in einer Ausbildung) gearbeitet, ist dieses Gehalt geschützt. Selbst wenn Sie vor Ablauf der Bindungsfrist kündigen, behalten Sie Ihren Lohn. Eine Vertragsklausel, die das anders darstellt, wäre nach derzeitiger Rechtsprechung unwirksam. Achtung: Dies bezieht sich auf die reguläre Vergütung. Andere Sonderleistungen (z.B. ein finanziertes Studium oder Stipendium) könnten anders bewertet werden – hier käme es auf die genaue Vertragsgestaltung an.
- Höhe der Rückzahlung prüfen: Falls Ihr Arbeitgeber tatsächlich eine Rückzahlung verlangt, prüfen (oder lassen Sie prüfen) Sie die verlangte Summe und die vertragliche Grundlage. Übersteigt die Rückforderung stark den Wert der Fortbildung oder bringt sie Sie in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten, kann das ein Indiz für Unangemessenheit sein. Pauschal überhöhte Beträge müssen Sie nicht akzeptieren. Oft lohnt es sich, rechtlichen Rat einzuholen – eine unwirksame Klausel verpflichtet Sie zu nichts.
- Verhandlungen sind möglich: Schließlich gilt: Sprechen Sie mit Ihrem Arbeitgeber, wenn Sie aus einer Fortbildungsbindung ausscheiden möchten. Manche Arbeitgeber sind bereit, freiwillig auf die Rückzahlung zu verzichten oder einen Vergleich zu schließen, insbesondere wenn die Rechtslage unsicher ist. Das Urteil des LAG Köln zeigt, dass starre Forderungen vor Gericht riskant sein können. Eine einvernehmliche Lösung (etwa eine reduzierte Zahlung oder Ratenzahlung) kann beiden Seiten Rechtsfrieden bringen, ohne dass es zum Prozess kommt.
Das LAG Köln hat mit diesem Urteil die Grenzen für Rückzahlungsklauseln bei Aus- und Fortbildungskosten deutlich gemacht. Arbeitgeber sollten Rückzahlungsvereinbarungen sehr sorgfältig und fair formulieren, um sicherzustellen, dass sie im Ernstfall Bestand haben – ansonsten tragen sie das volle finanzielle Risiko. Arbeitnehmer wiederum dürfen darauf vertrauen, dass sie bei unfreiwilligem Ausscheiden oder unverhältnismäßigen Vertragskonditionen nicht zur Kasse gebeten werden. Fortbildungsklauseln sind zulässig, aber nur im Rahmen des Zumutbaren – wird diese Grenze überschritten, sind die Klauseln null und nichtig.
Praxis-Tipp: Beide Seiten sollten bereits bei Vertragsschluss offen kommunizieren. Wenn Sie als Arbeitgeber viel in eine Weiterbildung investieren, erklären Sie Ihrem Mitarbeiter frühzeitig die Bedingungen und Ihre Erwartungen. Und als Arbeitnehmer sollten Sie sich vor Unterschrift einer Fortbildungsvereinbarung genau informieren, welche Verpflichtungen Sie eingehen. Im Zweifel kann eine anwaltliche Beratung verhindern, dass eine vermeintliche Karrierechance später zum finanziellen Stolperstein wird.