Elektronisches Empfangsbekenntnis im beA: Annahmewille, sekundäre Darlegungslast und Fristwahrung beim Versäumnisurteil

23. Dezember 2025 -

Hintergrund des Falls

In dem vom OLG Karlsruhe entschiedenen Fall ging es um die verspätete Abgabe eines elektronischen Empfangsbekenntnisses (eEB) im besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) zu einem Versäumnisurteil. Der beklagte Anwalt reichte das eEB erst über vier Wochen nach Übersendung des Urteils zurück – datiert auf den 14.03.2024 – und legte am 27.03.2024 Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein. Das Landgericht hatte Zweifel, ob die Zustellung wirklich erst am 14.03. erfolgt war, und verwarf den Einspruch als verfristet. Das OLG Karlsruhe hob dieses Urteil jedoch auf. Es stellte klar, dass zwar erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des eEB bestehen konnten, der Gegenbeweis für eine frühere Zustellung aber nicht vollständig geführt war. Daher galt das im eEB angegebene Zustellungsdatum als maßgeblich, und der Einspruch war fristgerecht.

Empfangsbekenntnis im beA als Zustellungsnachweis

Nach § 173 ZPO wird die Zustellung elektronischer Dokumente an Anwälte durch ein elektronisches Empfangsbekenntnis nachgewiesen. Das eEB ist ein vom Anwalt aktiv zurückzusendender Datensatz, der das Datum der Annahme der Zustellung enthält. Rechtswirkung: Das elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis erbringt – ebenso wie das klassische Empfangsbekenntnis auf Papier – den vollen Beweis für die Zustellung und den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme. Dabei setzt die Abgabe eines eEB auf Seiten des Anwalts dessen Willensentscheidung voraus, das Dokument an dem eingetragenen Datum als zugestellt entgegenzunehmen. Ohne diese aktive Mitwirkung des Anwalts wird kein eEB erzeugt.

Allerdings ist der Gegenbeweis zulässig: Die betroffene Gegenseite kann den Nachweis führen, dass das Dokument tatsächlich zu einem anderen Zeitpunkt zugegangen ist. Die Hürden dafür sind hoch – es genügt nicht, nur Zweifel an der Richtigkeit des eEB zu säen. Vielmehr muss die Beweiswirkung des Empfangsbekenntnisses vollständig entkräftet werden, „also jede Möglichkeit der Richtigkeit der Empfangsbestätigung ausgeschlossen“ werden. Diese strenge Vorgabe entspricht der Rechtsprechung des BGH und macht klar: Solange Restmöglichkeiten bestehen, dass das eEB korrekt datiert ist, bleibt es beim dokumentierten Zustellzeitpunkt.

Zweifel am Zustellzeitpunkt und sekundäre Darlegungslast

Im Karlsruher Fall ergaben sich einige Umstände, die das im eEB angegebene Zustelldatum zweifelhaft erscheinen ließen. Zwischen der gerichtlichen Übersendung des Urteils (13.02.2024) und dem vom Anwalt angegebenen Empfangsdatum (14.03.2024) lag über ein Monat – ein ungewöhnlich langer Zeitraum. Zudem wurde der Anwalt mehrfach vom Gericht angemahnt (schriftlich am 04.03. und telefonisch am 11.03.), das eEB zurückzusenden. Trotz dieser Aufforderungen verstrichen nach dem behaupteten Zustelldatum nochmals fast zwei Wochen, bis eEB und Einspruch am 27.03. beim Gericht eingingen. Solche Verzögerungen widersprechen der Anwaltspflicht aus § 14 BORA, Zustellungen unverzüglich zu bearbeiten, und wecken berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der im eEB gemachten Angaben.

In solchen Konstellationen trifft die empfangende Partei eine sekundäre Darlegungslast. Das bedeutet: Der Anwalt, der ein verspätetes eEB abgibt, muss substantiiert erklären, wann er die Nachricht tatsächlich erstmals gelesen hat und wie es zu der langen Verzögerung bis zur Bestätigung kam. Im vorliegenden Fall versuchte der Beklagtenvertreter dies mit Urlaub (10 Tage Skiurlaub) und großem Arbeitsrückstand sowie Personalmangel zu begründen. Das OLG Karlsruhe befand jedoch, dass dieser Vortrag die außergewöhnliche Verzögerung nicht schlüssig erklärt. Ein Anwalt ist verpflichtet, bei längerer Abwesenheit (> 1 Woche) einen Vertreter zu bestellen (§ 53 Abs. 1 BRAO) und generell durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass fristgebundene Posteingänge bearbeitet werden. Die angeführten Gründe ließen also eher auf Pflichtverletzungen schließen, waren aber keine belastbaren Hinweise darauf, dass der Anwalt das Urteil tatsächlich früher entgegengenommen hatte.

Bestehen berechtigte Zweifel an der Richtigkeit eines eEB, kann das Gericht auch prozessuale Aufklärungsmaßnahmen ergreifen. In Betracht kommt etwa eine Anordnung nach § 142 ZPO, das beA-Nachrichtenjournal vorzulegen. Aus dem Nachrichtenjournal ließe sich ablesen, wann die elektronische Nachricht im Postfach einging und erstmals geöffnet wurde. Mehrere Oberlandesgerichte haben betont, dass ein solcher Schritt zulässig ist, wenn objektive Unstimmigkeiten vorliegen. Im Karlsruher Verfahren wurde das beA-Nachrichtenjournal vom Landgericht angefordert, der Anwalt behauptete jedoch, es nicht (mehr) beschaffen zu können – die Nachrichten würden nach vier Monaten automatisch gelöscht. Ob Anwälte verpflichtet sind, beA-Eingänge zu archivieren (§ 50 BRAO) oder ob die Nichtvorlage als Beweisvereitelung (§ 427 ZPO analog) gewertet werden kann, hat das OLG hier offen gelassen. Entscheidend war für den Senat vielmehr ein anderer Aspekt.

Annahmewille: Öffnen der Nachricht vs. Zustellung

Das OLG Karlsruhe hat herausgestellt, dass neben dem objektiven Zugang auch der Annahmewille des Empfängers konstitutiv für eine Zustellung gegen Empfangsbekenntnis ist. Wichtig: Das erste Öffnen und Lesen der beA-Nachricht sind zwar notwendige Schritte, aber noch kein Beleg dafür, dass der Anwalt das Dokument schon mit Empfangsbereitschaft zur Kenntnis genommen hat. Mit anderen Worten: Selbst wenn das beA-Journal zeigen würde, dass der Anwalt die Nachricht bereits vor dem 14.03. geöffnet hat, folgt daraus nicht automatisch, dass zu diesem früheren Zeitpunkt die Zustellung als bewirkt angesehen werden kann. Der Anwalt könnte die Datei etwa versehentlich geöffnet haben oder sie zwar technisch geöffnet, aber zunächst nur ausgedruckt bzw. abgespeichert haben, ohne den Inhalt unmittelbar zur Kenntnis zu nehmen. Denkbar ist auch, dass ein Anwalt zwar eine E‑Mail anklickt, diese aber bewusst zurückstellt, weil er sie erst später mit der gebotenen Aufmerksamkeit lesen will. All das begründet noch keinen Zustellwillen.

Der amtliche Leitsatz des Urteils bringt es auf den Punkt: „Allein auf Grundlage der Daten des beA-Nachrichtenjournals zu rein objektiven Umständen […] lässt sich ohne weitere Anhaltspunkte […] regelmäßig noch nicht auf den erforderlichen Annahmewillen des Prozessbevollmächtigten schließen.“. Zusätzliche Indizien – etwa Äußerungen oder Handlungen, die auf eine frühere Empfangsbereitschaft hindeuten – wären nötig, um aus einem frühen Öffnen tatsächlich eine Zustellung vor dem offiziell bestätigten Datum abzuleiten. Solche konkreten Anhaltspunkte fehlten hier. Auch „unzuverlässigen Empfängern“, so das OLG, ist eine Nachricht erst zugestellt, wenn sie diese wissentlich und willentlich in Empfang nehmen.

In der Summe reichten die festgestellten Merkwürdigkeiten zwar für erhebliche Zweifel, aber nicht für die volle Erschütterung des eEB-Beweiswerts aus. Deshalb blieb es beim zugunsten des Anwalts angegebenen Datum 14.03.2024 als Zustellzeitpunkt, womit der Einspruch am 27.03. rechtzeitig binnen der zweiwöchigen Frist des § 339 ZPO eingereicht war.

Praxisfolgen: Fristwahrung und Verhalten bei Zustellungsproblemen

Der Beschluss des OLG Karlsruhe hat wichtige Implikationen für den Umgang mit elektronischen Zustellungen und Fristen im Anwaltsalltag:

  • Pflicht zur unverzüglichen Rücksendung des eEB: Anwältinnen und Anwälte sind berufsrechtlich gehalten (§ 14 BORA), Zustellungen über das beA umgehend zu bestätigen. Längere Verzögerungen können nicht nur den Unmut des Gerichts erregen, sondern auch berufsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Urlaub oder Arbeitsüberlastung entbinden nicht von dieser Pflicht – bei Abwesenheiten ist rechtzeitig ein Vertreter zu bestellen (§ 53 BRAO).
  • Fristenkontrolle: Die Einspruchsfrist (§ 339 ZPO) gegen ein Versäumnisurteil beträgt zwei Wochen ab Zustellung. Solange kein Gegenbeweis gelingt, ist für den Fristbeginn das im eEB angegebene Datum maßgeblich. Die unterlegene Partei (hier der Kläger) sollte bei Verdacht auf verspätete Zustellungsbestätigung zeitnah reagieren – etwa durch Nachfrage beim Gericht (wie im Fall geschehen) – und kann beantragen, die Gegenseite zur Darlegung der Zustellumstände oder Vorlage des beA-Journals aufzufordern.
  • Sekundäre Darlegungslast beachten: Befinden Sie sich als Anwalt in der Situation, ein eEB erst mit Verzögerung abzugeben, sollten Sie aussagekräftig dokumentieren, wann Sie die Nachricht tatsächlich zur Kenntnis genommen haben und weshalb es zu der Verzögerung kam. Eine schlüssige und wahrheitsgemäße Erklärung kann im Zweifel verhindern, dass Ihnen vom Gericht taktisches Verzögern unterstellt wird. Bloße pauschale Ausreden („viel zu tun“, „Urlaub“) genügen nicht, wie der Fall zeigt.
  • beA-Nachrichtenjournal sichern: Auch wenn das OLG offen ließ, ob eine Pflicht zur Archivierung besteht, empfiehlt es sich praktisch, das Nachrichtenjournal bzw. Zustellungsnachweise zu speichern. Kommt es zum Streit über den Zustellungszeitpunkt, kann ein vollständiger Nachweis Ihrer Postfach-Aktivitäten helfen, zumindest die objektiven Abläufe darzulegen. Die Weigerung oder Unfähigkeit, vom Gericht angeforderte Journaldaten vorzulegen, kann sonst als Verdachtsmoment oder gar als Beweisvereitelung gewertet werden – in anderen Entscheidungen wurde dies bereits diskutiert.
  • Hohe Hürden für Gegenbeweis: Für die gegnerische Partei gilt: Selbst wenn das Verhalten des Gegners verdächtig erscheint (lange Funkstille, späte eEB-Datierung), reicht dies allein nicht aus, um eine frühere Zustellung gerichtsfest zu beweisen. Ohne hard facts – etwa ein eindeutig früherer Annahmewille oder andere Belege – bleibt das eEB bindend. Der beA-Log kann zwar Indizien liefern (Zeitpunkt des Eingangs und ersten Öffnens), aber nicht den fehlenden subjektiven Zustellwillen ersetzen. Es bedarf also schon eines greifbaren Gegenbeweises, um die Frist als versäumt nachzuweisen.

Das Urteil des OLG Karlsruhe verdeutlicht einerseits, dass Gerichte verzögertes Verhalten bei elektronischen Zustellungen argwöhnisch beobachten und detaillierte Erklärungen einfordern. Andererseits schützt die Rechtslage den zugestellten Anwalt durch hohe Beweisanforderungen davor, dass ihm vorschnell ein Fristversäumnis angelastet wird. Anwälte sollten solche Situationen dennoch gar nicht erst entstehen lassen: Durch proaktive Fristenkontrolle, Vertreterregelungen bei Abwesenheit und zügige Bearbeitung eingehender beA-Nachrichten lassen sich Streitigkeiten über Zustellungszeitpunkte vermeiden. Parteien wiederum, die einen Verdacht hegen, müssen wissen, dass nur gut belegte Tatsachen (und nicht bloße Vermutungen) geeignet sind, die Beweiskraft eines eEB zu erschüttern. Die Entscheidung mahnt zu Sorgfalt im Umgang mit elektronischen Zustellungen – sie ist aber auch ein Signal dafür, dass rechtliches Gehör und Fristenwahrung nicht durch formale Tricks ausgehöhlt werden dürfen, solange kein eindeutiger Nachweis für Manipulation oder Verzögerung erbracht ist.

(OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.12.2025 – 25 U 114/24)