Altersdiskriminierung bei Weiterbildungskosten: Aktuelles Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen 2025

07. November 2025 -

Hintergrund: Prüfungspflicht im öffentlichen Dienst und Altersgrenzen

Im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes (TVöD/VKA) gilt für bestimmte Eingruppierungen eine besondere Prüfungspflicht. Um beispielsweise in die Entgeltgruppe 9a (TVöD/VKA) zu kommen, müssen Beschäftigte grundsätzlich eine sogenannte „Erste Prüfung“ ablegen. Nach heutiger Tariflage entfällt diese Prüfungspflicht nur bei sehr erfahrenden Beschäftigten – konkret bei mindestens 20 Jahren einschlägiger Berufserfahrung.

Früher gab es jedoch eine Altersregelung: Bis Ende 2016 waren Beschäftigte ab 40 Jahren von der Prüfungspflicht befreit. Diese altersbezogene Privilegierung wurde zum 1. Januar 2017 abgeschafft, weil sie gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstieß. Lediglich für damals bereits über 40-jährige Beschäftigte wurde ein Bestandsschutz geschaffen (§ 29a Abs. 7 TVÜ-VKA) – wer am 31.12.2016 aufgrund der Altersgrenze prüfungsfrei gestellt war, behielt diesen Vorteil für sein bestehendes Arbeitsverhältnis. Für alle anderen gilt seither ausschließlich die 20-jährige Berufserfahrung als Befreiungsgrund von der Prüfung.

Der Fall: Lehrgang, Rückzahlungsklausel und Altersdiskriminierung

In einem aktuellen Fall (Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen, Urteil vom 21.05.2025 – Az. 8 Ca 39/25) hielt ein kommunaler Arbeitgeber dennoch an der veralteten Altersregelung fest. Mitarbeiter über 40 wurden ohne Prüfung höhergruppiert, während jüngere Beschäftigte die Erste Prüfung ablegen sollten. Konkret hatte der Arbeitgeber einen 1990 geborenen Angestellten (also deutlich unter 40) zu einem Vorbereitungslehrgang für die Prüfung angemeldet und dafür freigestellt. Ältere Kollegen derselben Entgeltgruppe mussten keinen solchen Lehrgang besuchen.

Vor Antritt der Fortbildung ließ der Arbeitgeber den unter 40-jährigen Mitarbeiter zudem eine Rückzahlungsvereinbarung unterzeichnen. Darin wurde geregelt, dass der Mitarbeiter die während des Lehrgangs fortgezahlten Bezüge (über 8.000 €) zurückzahlen muss, falls er die Prüfung nicht besteht oder nicht wiederholt. Tatsächlich bestand der Mitarbeiter die Prüfung im ersten Anlauf nicht und holte sie auch nicht nach. Der Arbeitgeber verlangte daraufhin Rückzahlung der Lehrgangskosten (hier in Form der Gehaltsfortzahlung während der Freistellung). Der Arbeitnehmer weigerte sich zu zahlen – mit dem Hinweis auf Altersdiskriminierung, da er nur wegen seines Alters zur Prüfung und zur Unterzeichnung der Rückzahlungsklausel verpflichtet worden war, während ältere Kollegen verschont blieben.

Entscheidung des Gerichts: Rückzahlungsklausel unwirksam wegen AGG-Verstoß

Das Arbeitsgericht gab dem Arbeitnehmer Recht und wies die Klage des Arbeitgebers auf Rückzahlung ab. Die Begründung: Die Praxis des Arbeitgebers verletzte das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, da hier ausschließlich jüngere Arbeitnehmer eine Prüfung ablegen und bei Nichtbestehen die Fortbildungskosten erstatten mussten, ältere Arbeitnehmer hingegen nicht. Es lag eine unmittelbare Altersdiskriminierung im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG vor, weil der jüngere Mitarbeiter eine weniger günstige Behandlung erfuhr als ältere Kollegen in vergleichbarer Lage – allein aufgrund seines Alters.

Das Gericht betonte, dass es keine zulässige sachliche Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung gab. Insbesondere ist das Lebensalter kein objektiver Maßstab für fachliche Qualität oder Erfahrung, der eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnte. Die Tarifparteien selbst hatten die Altersbefreiung aus genau diesem Grund abgeschafft. Der Arbeitgeber konnte sich also nicht darauf berufen, er habe nur eine früher übliche Regelung „zum Vorteil älterer Mitarbeiter“ fortgeführt – denn gleichzeitig wurden dadurch jüngere Mitarbeiter benachteiligt, was vom AGG verboten wird.

Entsprechend erklärte das Gericht die Rückzahlungsvereinbarung über die Lehrgangskosten für unwirksam. Nach § 7 Abs. 2 AGG sind Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, nichtig. Weil die Pflicht zur Lehrgangsteilnahme hier altersdiskriminierend auferlegt wurde, entfällt die Wirksamkeit der darauf basierenden Rückzahlungsklausel. Der Arbeitgeber hatte also keinen Anspruch, die gezahlten Fortbildungsvergütungen zurückzufordern. Stattdessen greift der arbeitsrechtliche Grundsatz der „Angleichung nach oben“: Der benachteiligte jüngere Arbeitnehmer muss so gestellt werden, als hätte auch für ihn die günstigere Regelung gegolten. Konkret bedeutete dies, dass er ohne Prüfungsauflage in die höhere Entgeltgruppe einzugruppieren war – genau wie die älteren Kollegen – und folglich keine Rückzahlung leisten musste.

Rechtliche Bewertung: Was bedeutet das für Arbeitgeber und Arbeitnehmer?

Dieses Urteil verdeutlicht die Reichweite des AGG im Arbeitsverhältnis. Altersdiskriminierung ist verboten, und zwar in jede Richtung (nicht nur Benachteiligung Älterer, sondern auch Jüngerer). Wenn Arbeitgeber interne Regeln oder Praktiken anwenden, die Beschäftigte allein wegen ihres Alters unterschiedlich behandeln, bewegen sie sich rechtlich auf dünnem Eis. Hier war es die vermeintlich „großzügige“ Schonung der Älteren von einer Prüfungsverpflichtung – die Kehrseite war eine Benachteiligung der Jüngeren. Das AGG greift auch bei solch umgekehrter Altersdiskriminierung und macht entsprechende Abmachungen unwirksam.

Nachfolgend die wichtigsten Konsequenzen aus dieser Entscheidung für die Praxis:

Konsequenzen für Arbeitgeber

  • Keine altersbezogene Ungleichbehandlung: Arbeitgeber sollten unbedingt darauf verzichten, Pflichten oder Nachteile einseitig nur bestimmten Altersgruppen aufzuerlegen. Wird z.B. eine Weiterbildungsprüfung nur von Unter-40-Jährigen verlangt und Ältere werden verschont, liegt eine verbotene unmittelbare Altersdiskriminierung vor. Solche Differenzierungen sind nur zulässig, wenn es eine gesetzlich anerkannte Rechtfertigung gibt (etwa nach § 10 AGG) – im Regelfall ist das bloße Alter aber kein ausreichender Sachgrund.
  • Aktuelle Tarifregelungen beachten: Öffentliche Arbeitgeber und andere tarifgebundene Unternehmen müssen Tarifänderungen konsequent umsetzen. Eine überholte Tarifklausel, die Altersgrenzen vorsah, darf nicht eigenmächtig fortgeführt werden. Im Beispielsfall hatten die Tarifparteien die Altersgrenze von 40 Jahren gerade wegen des AGG aufgegeben. Arbeitgeber sollten daher stets die aktuelle Rechtslage anwenden (hier: Befreiung nur bei 20 Jahren Erfahrung) und keine informellen „Schonregeln“ für ältere Mitarbeiter einführen, die zu Lasten Jüngerer gehen.
  • Unwirksame Rückzahlungsklauseln vermeiden: Jede Rückzahlungsvereinbarung für Fortbildungskosten muss einer Inhaltskontrolle standhalten. Ist die Fortbildungspflicht selbst rechtswidrig (etwa wegen Diskriminierung), fällt auch die Rückzahlungsvereinbarung in sich zusammen. Arbeitgeber können dann keine Erstattung der Kosten verlangen. Im Klartext: Vereinbarungen, die auf diskriminierenden Vorgaben beruhen, sind rechtlich null und nichtig. Dieses Risiko sollten Arbeitgeber durch AGG-konforme Weiterbildungsbedingungen vermeiden.
  • Haftungsrisiko und Image: Neben der Unwirksamkeit drohen auch Schadenersatzansprüche nach dem AGG. Benachteiligte Arbeitnehmer können unter Umständen Entschädigung verlangen (§ 15 AGG). Zudem schaden derartige Diskriminierungsfälle dem Betriebsklima und dem Arbeitgeberimage. Es liegt im Interesse des Arbeitgebers, faire und gleiche Chancen für alle Altersgruppen zu gewährleisten, statt auf alte Gewohnheiten zu setzen.

Konsequenzen für Arbeitnehmer

  • Recht auf Gleichbehandlung: Arbeitnehmer haben einen Anspruch darauf, nicht wegen ihres Alters benachteiligt zu werden. Wenn der Arbeitgeber – wie im geschilderten Fall – von jüngeren Mitarbeitern etwas verlangt, was ältere nicht tun müssen, kann dies ein Verstoß gegen das AGG sein. Jüngere Beschäftigte müssen sich also ungleich harte Bedingungen nicht gefallen lassen. Im Zweifel sollte man das Gespräch suchen oder rechtlichen Rat einholen, um die Gleichbehandlung einzufordern.
  • Unwirksame Vereinbarungen erkennen: Haben Arbeitnehmer eine Rückzahlungsvereinbarung oder ähnliches unterschrieben, die ihnen nur aufgrund ihres Alters auferlegt wurde, lohnt es sich, die Rechtswirksamkeit zu prüfen. Wie das Urteil zeigt, sind solche Klauseln unverbindlich, wenn sie auf diskriminierenden Vorgaben beruhen. Im Ernstfall – etwa bei einer Forderung des Arbeitgebers – sollte man wissen, dass man unter Umständen nichts zurückzahlen muss, wenn die Vereinbarung gegen § 7 AGG verstößt.
  • Angleichung nach oben: Betroffene Arbeitnehmer haben das Recht auf „Angleichung nach oben“. Das bedeutet: Sie können verlangen, so behandelt zu werden wie die begünstigte Vergleichsgruppe. Im Fall des Prüfungslehrgangs heißt das, der unter 40-Jährige ist so zu behandeln, als hätte auch für ihn die Prüfungsfreistellung gegolten – er darf also ohne Prüfung in die höhere Entgeltgruppe kommen, genau wie die älteren Kollegen, und muss keine Lehrgangskosten tragen. Dieses Prinzip stellt sicher, dass die Benachteiligung vollständig beseitigt wird, ohne zugleich den älteren Kollegen Vorteile zu nehmen.
  • Ansprüche bei Diskriminierung: Wer aufgrund seines Alters benachteiligt wurde, kann neben der Feststellung der Unwirksamkeit solcher Maßnahmen auch Entschädigung verlangen (§ 15 Abs. 2 AGG). Zwar steht im Vordergrund meist die Gleichstellung (z.B. Einordnung in die höhere Gehaltsgruppe ohne Auflagen), doch bei tatsächlichem Schaden oder Kränkung durch Diskriminierung kann ein finanzieller Ausgleich geltend gemacht werden. Wichtig ist, solche Ansprüche zeitnah und ggf. mit anwaltlicher Hilfe zu verfolgen, da im AGG kurze Fristen gelten.

Altersabhängige Sonderregeln im Arbeitsleben sind rechtlich gefährlich. Was auf den ersten Blick älteren Beschäftigten einen Vorteil verschafft, kann eine verbotene Benachteiligung jüngerer Kollegen darstellen. Arbeitgeber sollten daher diskriminierungsfreie Kriterien (wie Erfahrung oder Leistung) heranziehen statt pauschaler Altersgrenzen. Arbeitnehmer wiederum sollten sich bewusst sein, dass sie nicht einseitig schlechter gestellt werden dürfen. Das vorliegende Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen aus Mai 2025 schafft Klarheit: Verstöße gegen das AGG machen Vereinbarungen unwirksam – im Zweifel steht die Gleichbehandlung aller Altersgruppen über betrieblichen Gewohnheiten. Damit sendet die Entscheidung ein deutliches Signal für faire Weiterbildungsbedingungen und eine korrekte Umsetzung tariflicher Regelungen ohne Diskriminierung.