Anwaltliche Nebentätigkeit gegen eigenen Arbeitgeber – Kündigung unwirksam

08. Dezember 2025 -

Ein Universitätsklinikum in öffentlicher Trägerschaft kündigte einem angestellten Volljuristen außerordentlich (hilfsweise ordentlich), weil dieser nebenbei als Rechtsanwalt in einer Kanzlei tätig war, die Arbeitsrechtsmandate gegen das Klinikum führte. Der Jurist war seit 2007 als Personaldezernent beim Klinikum angestellt. Aufgrund interner Konflikte (u.a. Vorwürfe im Zusammenhang mit einer betrieblichen Altersversorgung für einen ehemaligen Vorstand) wurde er jedoch seit 2018 unbefristet von der Arbeitsleistung freigestellt und mit Hausverbot belegt.

Trotz der Freistellung blieb das Arbeitsverhältnis zunächst bestehen, und der Jurist erhielt weiterhin sein Gehalt (zuletzt rund 11.000 € monatlich). Im Oktober 2021 informierte er den Arbeitgeber über seine geplante Wiederzulassung als Rechtsanwalt. Zum 01.01.2022 gründete er mit einem Kollegen eine überörtliche Anwaltskanzlei, wobei er selbst ein Büro in der Stadt des Klinikums übernahm. Vertraglich war vereinbart, dass Nebentätigkeiten nur mit Zustimmung des Arbeitgebers und ohne Konflikt mit den Interessen des Klinikums oder seinen Aufgaben (z.B. als Datenschutzbeauftragter) ausgeübt werden dürfen.

Der Jurist versprach der Klinikleitung schriftlich, in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten von Klinikmitarbeitern nicht als Bearbeiter aufzutreten. Dennoch bearbeitete seine Kanzlei in den Folgejahren vier Mandate von Beschäftigten des Klinikums gegen den Arbeitgeber. Formal trat stets der Kanzleipartner als unterzeichnender Anwalt auf. Allerdings tauchten in zwei der Fälle Indizien für eine Mitwirkung des Juristen im Hintergrund auf – etwa dessen Kürzel im Aktenzeichen und die Adresse seines Standorts auf dem Briefkopf. Die Fälle betrafen interne arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen (u.a. Fragen der Personalratsarbeit und Rückkehr an den Arbeitsplatz nach Ende einer Freistellung).

Das Klinikum wertete dies als schwere Verletzung der arbeitsvertraglichen Loyalitätspflicht. Es holte die Zustimmung des Personalrats ein und sprach im September 2023 eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus. Dagegen erhob der Jurist Kündigungsschutzklage – mit Erfolg in erster Instanz vor dem Arbeitsgericht Stralsund. Die Arbeitgeberin legte Berufung ein, die nun vom Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern mit Urteil vom 12.08.2025 (Az. 5 SLa 128/24) zurückgewiesen wurde.

Entscheidung des Gerichts

Das LAG erklärte sowohl die fristlose als auch die ordentliche Kündigung für unwirksam. Nach Auffassung der Richter stellte die anwaltliche Nebentätigkeit des Klägers in dieser besonderen Konstellation keinen kündigungsrelevanten Pflichtverstoß dar. Die Begründung lässt sich in folgende Hauptpunkte gliedern:

  • Keine zeitliche oder leistungstechnische Kollision: Durch die vollständige Freistellung war der Kläger von seiner Arbeitspflicht entbunden. Er erbrachte seit Jahren keine Arbeitsleistung mehr, sodass die Nebentätigkeit außerhalb jeder Arbeitszeit stattfand. Eine zeitliche Beeinträchtigung oder Leistungsbeeinflussung des Hauptarbeitsverhältnisses lag somit nicht vor.
  • Kein Wettbewerbsverstoß: Die Kanzlei des Klägers trat nicht in Konkurrenz zum Klinikum; als Anwaltskanzlei erbringt sie Rechtsdienstleistungen, wohingegen das Klinikum im Gesundheitssektor tätig ist. Damit war das vertragliche Wettbewerbsverbot (§ 60 HGB) nicht verletzt. Auch der Umstand, dass der Kläger als Sozius der Kanzlei finanziell von deren Einnahmen profitiert, sah das Gericht nicht als Interessenschaden für die Arbeitgeberin an – im Gegenteil: Sollte der Kläger später Lohnnachzahlungen erstreiten, könnten seine Nebeneinkünfte auf den Gehaltsanspruch angerechnet werden (§ 615 Satz 2 BGB), was die Klinikumskosten eher senkt.
  • Grundsatz: Nebentätigkeit ist zulässig, soweit keine erheblichen Interessenkonflikte entstehen: Arbeitnehmer dürfen grundsätzlich außerhalb der Arbeitszeit einer Nebentätigkeit nachgehen, solange keine berechtigten Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt werden. Insbesondere sind Tätigkeiten unzulässig, die einen Interessenwiderstreit auslösen, der das Vertrauen des Arbeitgebers in die Loyalität des Arbeitnehmers zerstören könnte. Genau an diesem Maßstab misst das LAG den Fall.
  • Keine schwerwiegende Loyalitätspflichtverletzung im konkreten Fall: Zwar berührte die anwaltliche Tätigkeit hier das Klinikum unmittelbar (weil Mandate gegen den eigenen Arbeitgeber geführt wurden). Jedoch verneinte das Gericht eine erhebliche Beeinträchtigung der Arbeitgeberinteressen: Weder entstand dem Klinikum ein nennenswerter Schaden, noch nutzte der Kläger Insiderwissen oder Betriebsgeheimnisse aus. Durch die jahrelange Freistellung und das Hausverbot hatte der Kläger keinen Zugang zu aktuellen internen Informationen und auch keine Möglichkeit, auf interne Entscheidungsträger Einfluss zu nehmen. Es lag also kein Missbrauch vertraulicher Informationen oder sonstiges unlauteres Verhalten vor. Die typischen Konstellationen, in denen eine Nebentätigkeit untragbar wäre – etwa wenn betriebsinterne Kontakte oder Wissen zum Nachteil des Arbeitgebers eingesetzt werden, erhebliche materielle Schäden verursacht oder unlautere Mittel angewandt werden – waren hier nicht gegeben. Auch Rufschädigungen des Klinikums oder ähnlich gravierende Folgen waren nicht ersichtlich. Das LAG bewertete die Mitarbeit des Klägers an den vier Mitarbeiter-Mandaten damit allenfalls als geringfügigen Loyalitätskonflikt, der die Grenze zur Vertragsverletzung noch nicht überschritt.
  • Fehlende Abmahnung: Selbst für den Fall, dass man in der Mitwirkung des Juristen an den gegen die Arbeitgeberin gerichteten Verfahren einen Pflichtverstoß sehen wollte, hätte die Klinik zunächst eine Abmahnung aussprechen müssen. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist regelmäßig erst nach vorheriger Abmahnung gerechtfertigt, wenn nicht ausnahmsweise eine schwere Pflichtverletzung vorliegt, deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber offensichtlich unzumutbar ist. Hier hätte der Arbeitgeber dem Kläger unmissverständlich untersagen können, weiterhin an derartigen Mandaten mitzuwirken. Das Gericht ist überzeugt, dass der Kläger bei einer klaren Abmahnung sein Verhalten geändert hätte, zumal er ja ursprünglich selbst angeboten hatte, nicht als Sachbearbeiter in solchen Fällen aufzutreten. Da eine Abmahnung ausblieb und die Pflichtverletzung – wie dargelegt – nicht „ins Gewicht fallend“ war, fehlte es an der Verhältnismäßigkeit der Kündigung.

Zusammenfassend sah das LAG keinen wichtigen Grund (§ 626 BGB) für eine fristlose Kündigung. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist wäre der Arbeitgeberin zumutbar gewesen. Ebenso fehlte es an einer sozial gerechtfertigten (verhaltensbedingten) Grundlage für die ordentliche Kündigung (§ 1 KSchG). Die Kündigungsschutzklage blieb daher vollumfänglich erfolgreich. Eine Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen, da die Entscheidung nach Ansicht des LAG auf einer Einzelfallabwägung beruht und keine grundsätzliche Rechtsfrage aufwirft.

Praxishinweise für Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Diese Entscheidung ist besonders für öffentlich-rechtliche Arbeitgeber und ihre leitenden Angestellten interessant, lässt sich aber allgemein auf Arbeitsverhältnisse übertragen. Sie verdeutlicht folgende Punkte:

  • Nebentätigkeit und Loyalität: Arbeitnehmer haben ein grundrechtlich geschütztes Recht, außerhalb der Arbeitszeit einer Nebentätigkeit nachzugehen (Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG). Arbeitgeber können Nebentätigkeiten nicht willkürlich verbieten, sondern nur untersagen oder sanktionieren, wenn berechtigte betriebliche Interessen konkret beeinträchtigt werden. Ein pauschaler Loyalitätsverstoß liegt nicht schon darin, dass ein Mitarbeiter in derselben Branche oder gar in rechtlicher Opposition tätig wird – es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an.
  • Wann liegt ein unzulässiger Interessenkonflikt vor? Kritisch wird es, wenn die Nebentätigkeit direkt in Konkurrenz zum Arbeitgeber steht oder wenn Insiderwissen und betriebliche Einflussmöglichkeiten zum Schaden des Arbeitgebers genutzt werden. Beispielsweise wäre es problematisch, wenn ein Arbeitnehmer firmeninterne Informationen in der Nebenbeschäftigung verwendet, Kunden oder Kollegen abwirbt oder Entscheidungen im Hauptjob zugunsten seines Nebenjobs beeinflusst. In weniger gravierenden Konstellationen – wie hier, wo der Arbeitnehmer lange aus dem Betrieb ausgeschieden war (de facto) – ist ein Interessenkonflikt weit weniger gefährlich. Reine Rechtsvertretung gegen den Arbeitgeber ist jedenfalls nicht automatisch ein Kündigungsgrund, solange sie fair abläuft und ohne unlautere Vorteile.
  • Abmahnung als milderes Mittel: Arbeitgeber sollten bei vermuteten Pflichtverstößen durch Nebentätigkeiten in der Regel zunächst den Weg der Abmahnung wählen. Eine Abmahnung gibt dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, sein Verhalten anzupassen. Nur bei besonders schweren Vertrauensbrüchen (etwa Straftaten zum Nachteil des Arbeitgebers oder bewusster Verrat von Betriebsgeheimnissen) kann ausnahmsweise direkt gekündigt werden. Im vorliegenden Fall hätte eine Abmahnung dem Kläger klar signalisiert, dass die Arbeitgeberin seine anwaltliche Tätigkeit in Mitarbeiterangelegenheiten nicht duldet – rechtlich wäre das der gebotene erste Schritt gewesen.
  • Bedeutung von Freistellung und Zeitablauf: Interessant ist, dass das LAG der langen Freistellungsdauer großes Gewicht beigemessen hat. Je länger ein Arbeitnehmer faktisch aus dem Betrieb herausgehalten wird, desto weniger kann er interne Prozesse beeinflussen oder brisante Informationen erlangen. Dieser Zeitablauf mindert die Gefahr von Loyalitätskonflikten. Arbeitgeber sollten also berücksichtigen, dass ein Mitarbeiter, der jahrelang nicht im Betrieb tätig war, in mancher Hinsicht einem Außenstehenden gleicht – was er nebenbei tut, berührt die Firma oft nicht mehr so unmittelbar.

Eine Kündigung wegen einer Nebentätigkeit setzt eine sorgfältige Prüfung voraus, ob tatsächlich ein ernsthafter Interessenkonflikt entstanden ist. Im Zweifel müssen erst mildere Mittel wie Versetzung oder Abmahnung ausgeschöpft werden. Für Arbeitnehmer bedeutet der Fall aber nicht, dass man gefahrlos gegen den eigenen Chef prozessieren oder arbeiten kann – in einem normal laufenden Arbeitsverhältnis wäre eine solche Konstellation sicherlich heikel. Hier war ausschlaggebend, dass der Kläger faktisch gar nicht mehr ins Betriebsgeschehen eingebunden war und sich loyal verhielt, soweit es ihm erkennbar möglich war (er ließ ja bewusst den Partner offiziell die Klinik-Mandate führen). Arbeitgeber sollten Nebentätigkeitsklauseln maßvoll handhaben und im Konfliktfall zunächst das Gespräch und ggf. eine Abmahnung suchen, bevor zum äußersten Mittel der Kündigung gegriffen wird. So lassen sich eskalierende Rechtsstreitigkeiten – wie sie diesem Fall zugrunde lagen – möglicherweise vermeiden.