Beschäftigung im Straßentransport – Höchstarbeitszeiten – Verhältnis von § 21a Abs. 4 ArbZG zu § 3 Satz 2 ArbZG

14. Oktober 2021 -

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 19.05.2021 zum Aktenzeichen 5 AS 2/21 ausgeführt, dass die Begrenzung der werktäglichen Arbeitszeit auf höchstens zehn Stunden gemäß § 3 Satz 2 ArbZG für Fahrer iSd. § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG auch gilt.

In einem Revisionsverfahren vor dem Achten Senat des Bundesverwaltungsgerichts begehrt das beklagte Land Nordrhein-Westfalen im Wege der Widerklage die Feststellung, dass hinsichtlich des Fahrpersonals der Klägerin § 3 ArbZG nicht durch § 21a Abs. 4 ArbZG – soweit der Anwendungsbereich der letztgenannten Vorschrift eröffnet ist – verdrängt wird. Das Verwaltungsgericht hat der Widerklage stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision rügt die Klägerin insoweit eine Verletzung der §§ 3, 21a ArbZG.

Der Achte Senat des Bundesverwaltungsgerichts ist der Auffassung, das Oberverwaltungsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, für Fahrer iSd. § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG gelte neben der wöchentlichen Höchstarbeitszeit des § 21a Abs. 4 ArbZG auch die Begrenzung der werktäglichen Arbeitszeit nach § 3 ArbZG, insbesondere die werktägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden nach Satz 2 der Vorschrift. Deshalb möchte der Achte Senat des Bundesverwaltungsgerichts die Revision der Klägerin in Bezug auf die Widerklage zurückweisen. Daran sieht er sich indes durch ein Urteil des Senats vom 18. April 2012 (- 5 AZR 195/11 – Rn. 21) gehindert. Dort hat der Senat – im Rahmen eines Überstundenprozesses und einer Vereinbarung der Parteien, der Arbeitnehmer schulde die Arbeitsleistung, die arbeitszeitrechtlich erlaubt sei – angenommen, Überstunden des als Fernfahrer beschäftigten Arbeitnehmers seien nur die Arbeitszeiten, die über die in § 21a Abs. 4 ArbZG vorgesehenen Zeiten hinausgingen und in diesem Zusammenhang ausgeführt, eine kalendertägliche Betrachtungsweise sehe das Arbeitszeitgesetz für Fahrer und Beifahrer nicht vor, vielmehr seien die Grenzen des § 3 ArbZG von werktäglich acht bzw. zehn Stunden in die wochenbezogenen Grenzwerte eingeflossen.

Daran hält der Senat nicht fest. Die werktägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden gemäß § 3 Satz 2 ArbZG gilt nach nationalem Recht auch für Fahrpersonal iSd. § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG.

Für die Beschäftigung von Arbeitnehmern als Fahrer oder Beifahrer bei Straßenverkehrstätigkeiten gelten nach § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes, soweit nicht die folgenden Absätze abweichende Regelungen enthalten. Gemäß § 21a Abs. 4 ArbZG darf die Arbeitszeit des Fahrpersonals 48 Stunden wöchentlich nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu 60 Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von vier Kalendermonaten oder 16 Wochen im Durchschnitt 48 Stunden wöchentlich nicht überschritten werden.

Fraglich ist jedoch, ob § 21a Abs. 4 ArbZG eine abschließende abweichende Regelung iSd. § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG ist oder die werktägliche Höchstarbeitszeit – insbesondere die Begrenzung der Verlängerungsmöglichkeit auf höchstens zehn Stunden nach § 3 Satz 2 ArbZG – ergänzend gilt. Dies ist – auch im Schrifttum – umstritten.

Maßgebend für die Gesetzesauslegung ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den die Regelung hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte. Unter diesen Methoden hat keine einen unbedingten Vorrang. Welche Regelungskonzeption der Gesetzgeber mit dem von ihm gefundenen Wortlaut tatsächlich verfolgt, ergibt sich unter Umständen erst aus den anderen Auslegungsgesichtspunkten. Wird daraus der Wille des Gesetzgebers klar erkennbar, ist dieser zu achten (BAG 16. Oktober 2019 – 5 AZR 241/18 – Rn. 15 mwN, BAGE 168, 113). Dabei kommt – neben Wortlaut und Systematik – den Gesetzesmaterialien eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. In Betracht zu ziehen sind die Begründung eines Gesetzentwurfs, der unverändert verabschiedet worden ist, die darauf bezogenen Stellungnahmen von Bundesrat und Bundesregierung und die Stellungnahmen, Beschlussempfehlungen und Berichte der Ausschüsse

Davon ausgehend sprechen Wortlaut und Systematik eher für eine abschließende Regelung der Höchstarbeitszeit des Fahrpersonals iSd. § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG durch § 21a Abs. 4 ArbZG.

Sinn und Zweck des § 21a ArbZG sprechen nicht gegen die Annahme einer abschließenden abweichenden Regelung der Höchstarbeitszeit des Fahrpersonals in § 21a Abs. 4 ArbZG.

Der systematische Zusammenhang mit § 21a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 ArbZG ist wenig aussagekräftig.

Entscheidend für die Annahme, die Höchstgrenzen werktäglicher Arbeitszeit gemäß § 3 ArbZG gölten ergänzend zu § 21a Abs. 4 ArbZG, spricht aber der aus den Gesetzesmaterialen erkennbare Wille des Gesetzgebers.

Ob § 21a Abs. 4 ArbZG in der Auslegung als nicht abschließende abweichende Regelung der Höchstarbeitszeit des Fahrpersonals iSd. § 21a Abs. 1 ArbZG unionsrechtskonform ist, braucht der Senat im Rahmen der Anfrage des Bundesverwaltungsgerichts nach § 11 Abs. 3 RsprEinhG nicht zu entscheiden. Insoweit könnten sich allerdings Zweifel ergeben, ob angesichts der mit der Richtlinie 2002/15/EG gemäß deren Art. 1 und dem Erwägungsgrund 10 verfolgten Zwecke eine zusätzliche Höchstgrenze für die werktägliche Arbeitszeit eine iSd. Art. 10 der Richtlinie „besser schützende“ Rechtsvorschrift und damit von dieser Öffnungsklausel gedeckt ist, ohne dass medizinische Untersuchungen einen durch eine solche Maßnahme tatsächlich verbesserten Gesundheitsschutz belegen.

Außerdem erfasst Art. 10 Satz 1 RL 2002/15/EG mit der Formulierung „Personen, die Fahrtätigkeiten ausüben“ nach Art. 3 Buchst. f RL 2002/15/EG nicht nur die als Arbeitnehmer tätigen, sondern auch die selbständigen Kraftfahrer, so dass fraglich sein könnte, ob letztere bei der Sicherheit und Gesundheit des Fahrpersonals „besser schützenden“ Rechtsvorschriften ungleich behandelt werden dürfen. Darüber hinaus ist der Grundsatz der Gleichbehandlung ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der in Art. 20 der Charta niedergelegt und zu dessen Einhaltung der nationale Gesetzgeber verpflichtet ist, wenn er – wie bei der Normierung des § 21a ArbZG – Unionsrecht iSv. Art. 51 Abs. 1 Charta durchführt.