Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM): Neue Zusammensetzung der Gesprächsrunde stärkt Beschäftigte

12. Juni 2025 -

Seit der Gesetzesnovelle zum 10. Juni 2021 (§ 167 Abs. 2 SGB IX n.F.) dürfen betroffene Beschäftigte im Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) nun eine Vertrauensperson ihrer Wahl hinzuziehen. Unterbleibt der Hinweis hierauf im Einladungsschreiben, ist eine später ausgesprochene krankheitsbedingte Kündigung häufig nicht durchsetzbar.


Ausgangslage und gesetzlicher Auftrag

Gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX ist jeder Arbeitgeber verpflichtet, ein BEM-Verfahren einzuleiten, sobald ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt ist. Ziel des BEM ist es, die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuten Ausfällen vorzubeugen und die Beschäftigungsfähigkeit zu sichern – primär, um eine personenbedingte Kündigung zu vermeiden.

Die Initiative zur Durchführung liegt allein beim Arbeitgeber. In der Praxis erfolgt das regelkonforme Ersuchen häufig durch ein formalisiertes Einladungsschreiben. Dieses muss – neben der Freiwilligkeit – umfassend über Art, Umfang und Zweck der erhobenen Daten informieren und den Hinweis enthalten, dass der Betroffene „Personen und Stellen“ hinzuziehen oder davon absehen kann.

Die Novelle: Vertrauensperson nach Wahl

Bis Juni 2021 durften Arbeitnehmer im BEM lediglich betrieblich vorgesehene Ansprechpartner wie Betriebsarzt oder Personalvertretung hinzuziehen. Mit Inkrafttreten des Teilhabestärkungsgesetzes (§ 167 Abs. 2 SGB IX n.F.) wurde diese Schranke aufgehoben. Beschäftigte können seither jede Vertrauensperson mitbringen – vom Ehepartner über den Hausarzt bis zum Rechtsanwalt.

Praxis-Tipp für Arbeitgeber: Das Einladungsschreiben muss nun ausdrücklich auf dieses Hinzugsrecht hinweisen. Fehlt der Hinweis, ist das gesamte Verfahren fehlerhaft und spätere krankheitsbedingte Kündigungen werden regelmäßig unwirksam.

Formale und materielle Anforderungen

  • Formale Klarheit: Einladungsschreiben müssen enthalten
    • Datum und Name des Beschäftigten
    • Angabe des Zwecks („Betriebliches Eingliederungsmanagement“)
    • Hinweis auf Freiwilligkeit
    • Auflistung der möglichen Unterstützungsangebote
    • Neu: Deutliche Erwähnung des Rechts auf Hinzugsrecht einer Vertrauensperson ihrer Wahl
  • Materielle Sorgfalt:
    • Dokumentation der Gespräche
    • Prüfung alternativer Einsatzmöglichkeiten
    • Erwägung milderer Mittel vor Ausspruch einer Kündigung

Folgen fehlerhafter Verfahren

Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass das BEM-Verfahren den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei krankheitsbedingter Kündigung konkretisiert – auch wenn es keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung darstellt. Wird im Verfahren eine zumutbare Alternative entdeckt, muss der Arbeitgeber dies berücksichtigen; andernfalls ist die Kündigung unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam.

Liegt ein fehlerhaftes BEM-Verfahren vor – insbesondere durch Unterlassung des Hinweises auf das Hinzugsrecht – kann dies zur Unbeachtlichkeit des gesamten Verfahrens führen. In Kündigungsschutzklagen trifft den Arbeitgeber dann die Beweislast, dass es keine geeigneten alternativen Einsatzmöglichkeiten gab. Eine „Nichtkenntnis“ genügt nicht; vielmehr ist eine konkrete Darlegung und in der Regel ein Beweis der Alternativlosigkeit erforderlich.

Handlungsempfehlungen

  • Überprüfung bestehender Vorlagen: Prüfen Sie Ihre BEM-Einladungsschreiben und passen Sie sie bei Bedarf an, um das Hinzugsrecht unmissverständlich auszuweisen.
  • Schulung von Führungskräften: Sensibilisieren Sie Personaler und Führungskräfte für die erweiterte Beteiligungsmöglichkeit; Fehler in der Aufklärung sind teuer.
  • Dokumentation: Halten Sie jeden Schritt des BEM schriftlich fest – von der Einladung bis zum Abschlussgespräch.
  • Frühzeitige Beratung: Konsultieren Sie bei Unsicherheiten einen Fachanwalt für Arbeitsrecht, um Kündigungsrisiken zu minimieren.

Das erweiterte Hinzugsrecht stärkt die Position von erkrankten Beschäftigten spürbar. Für Arbeitgeber erhöht sich der Formal- und Dokumentationsaufwand, doch nur so bleibt das BEM-Verfahren wirksam und schützt vor kostspieligen Rechtsstreitigkeiten. Mit sorgfältig gestalteten Einladungsschreiben und einem strukturierten Verfahren können Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen profitieren: Das BEM erfüllt seinen Zweck, die Arbeitsfähigkeit zu erhalten und Kündigungen als Ultima Ratio zu vermeiden.


Ihr Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. jur. Jens Usebach LL.M. berät Sie gern bei allen Fragen rund um das Betriebliche Eingliederungsmanagement und die rechtssichere Gestaltung Ihrer Personalprozesse.