Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 07.11.2025 (Az. 1 Ca 1975/25) die Rechte von Arbeitnehmern bei betriebsbedingten Kündigungen gestärkt. In dem Verfahren wurde der klagende Arbeitnehmer durch Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Usebach von der Kanzlei JURA.CC vertreten. Das Arbeitsgericht Köln entschied, dass die ordentliche Kündigung eines Angestellten zum 30.06.2025 unwirksam war, weil der Arbeitgeber den behaupteten Wegfall des Arbeitsplatzes nicht ausreichend begründen konnte. Der Arbeitnehmer behält damit vorerst seinen Job. Dieses Urteil verdeutlicht, welche strengen Anforderungen das Kündigungsschutzgesetz an betriebsbedingte Kündigungen stellt und welche typischen Fehler Arbeitgeber dabei machen können. Im Folgenden geben wir einen Praxistipp für Arbeitnehmer und liefern eine rechtliche Einordnung des Falls.
Praxistipp
Wenn Sie als Arbeitnehmer eine Kündigung aus betrieblichen Gründen erhalten, sollten Sie Folgendes beachten:
- Kündigungsgrund überprüfen: Ihr Arbeitgeber muss dringende betriebliche Gründe haben, die den Wegfall Ihres Arbeitsplatzes rechtfertigen. Achten Sie darauf, ob die Kündigung nachvollziehbar und konkret begründet ist oder nur pauschal auf eine „Umstrukturierung“ verweist. Der Arbeitgeber muss darlegen können, dass Ihre Aufgaben dauerhaft entfallen – bloßer Abbauwille genügt nicht. Insbesondere muss er konkret erläutern, welche unternehmerische Entscheidung zu Ihrer Stelleneinsparung führt und wie Ihre bisherigen Aufgaben von den verbleibenden Kollegen ohne dauerhafte Überlastung oder ständige Überstunden erledigt werden können. Fehlt es an einer solchen greifbaren Begründung, ist die Kündigung anfechtbar.
- Sozialauswahl hinterfragen: Gibt es in Ihrem Betrieb mehrere vergleichbare Mitarbeiter auf ähnlichen Positionen, darf der Arbeitgeber nicht willkürlich entscheiden, wen er entlässt. Er muss eine Sozialauswahl durchführen, das heißt die sozialen Gesichtspunkte der potenziell kündbaren Mitarbeiter vergleichen. Zu diesen Kriterien zählen insbesondere Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung. Der am wenigsten „schutzwürdige“ Arbeitnehmer (also der voraussichtlich sozial am besten verkraftende) muss zuerst gehen. Fehler passieren hier häufig – zum Beispiel werden nicht alle vergleichbaren Kollegen in die Auswahl einbezogen oder die Kriterien falsch angewandt. Tipp: Fragen Sie nach den Gründen, warum gerade Sie ausgewählt wurden. Eine fehlerhafte Sozialauswahl macht die Kündigung unwirksam.
- Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten prüfen: Eine Kündigung ist nur zulässig, wenn keine mildere Maßnahme möglich ist. Der Arbeitgeber muss vor einer betriebsbedingten Kündigung prüfen, ob er Ihnen einen anderen freien Arbeitsplatz im Unternehmen anbieten kann – notfalls auch zu geänderten Bedingungen oder nach kurzer Umschulung. Dieses Ultima-Ratio-Prinzip bedeutet: Die Kündigung darf das letzte Mittel sein. Wenn Ihr Arbeitgeber ohne Angebot einer Weiterbeschäftigung kündigt, obwohl es eventuell einen passenden freien Posten gegeben hätte, kann die Kündigung als unwirksam angesehen werden. Lassen Sie im Zweifel prüfen, ob es Alternativen zur Kündigung gegeben hat (z. B. Versetzung auf eine andere Stelle).
- Formvorschriften & Massenentlassung: Auch formelle Fehler können eine Kündigung zu Fall bringen. Besteht ein Betriebsrat, muss dieser vor jeder Kündigung ordnungsgemäß angehört werden – unterbleibt die Anhörung oder wird dem Betriebsrat ein falscher Sachverhalt mitgeteilt, ist die Kündigung unwirksam. Außerdem muss der Arbeitgeber bei größeren Entlassungswellen (sog. Massenentlassungen) rechtzeitig die Agentur für Arbeit informieren (Massenentlassungsanzeige). Ob eine solche Anzeige nötig ist, hängt von der Anzahl der Kündigungen und der Betriebsgröße ab. Wird die vorgeschriebene Anzeige unterlassen oder fehlerhaft erstattet, sind die ausgesprochenen Kündigungen gesetzlich unwirksam. Prüfen Sie daher gerade bei Kündigungen in größerer Anzahl, ob das Verfahren korrekt eingehalten wurde.
- Fristen einhalten: Wichtig: Wenn Sie eine Kündigung erhalten und dagegen vorgehen möchten, läuft die Zeit. Sie müssen innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen[8]. Versäumen Sie diese dreiwöchige Klagefrist, gilt die Kündigung selbst dann als wirksam, wenn sie inhaltliche oder formale Mängel hatte. Zögern Sie also nicht: Suchen Sie sofort rechtlichen Rat, damit Ihre Rechte gewahrt bleiben.
Rechtliche Einordnung
Strenge Voraussetzungen für betriebsbedingte Kündigungen: Betriebsbedingte Kündigungen unterliegen dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Nach § 1 KSchG ist eine ordentliche Kündigung sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam, wenn kein ausreichender Kündigungsgrund vorliegt. Dringende betriebliche Erfordernisse als Kündigungsgrund liegen nur vor, wenn eine unternehmerische Maßnahme des Arbeitgebers spätestens bis zum Ende der Kündigungsfrist zu einem dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedarfs des betreffenden Arbeitnehmers führt. Diese Prognose muss bereits im Zeitpunkt der Kündigung objektiv berechtigt sein. Mit anderen Worten: Zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs muss schon feststehen (bzw. greifbar absehbar) sein, welche Maßnahme des Arbeitgebers dazu führen wird, dass der Arbeitsplatz des Mitarbeiters bis Kündigungsende entfällt. Eine Kündigung, die rein vorsorglich oder auf bloßen Verdacht einer künftigen Stellenstreichung erklärt wird, reicht nicht aus – der bloße Kündigungswille des Arbeitgebers ist kein sozial ausreichender Grund.
Unternehmerische Entscheidung und Darlegungspflicht: Zwar darf der Arbeitgeber frei entscheiden, wie er seinen Betrieb organisiert (die Gerichte überprüfen nicht die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit der Unternehmensentscheidung). Aber: Er muss im Prozess klar und plausibel darlegen, welche konkrete unternehmerische Entscheidung zum Wegfall des Arbeitsplatzes geführt hat und welche Aufgaben dadurch entfallen. Insbesondere wenn ein einzelner Arbeitsplatz gestrichen wird, muss der Arbeitgeber detailliert aufzeigen, wie die bisher von diesem Mitarbeiter erledigten Tätigkeiten künftig verteilt oder eingespart werden. Das Arbeitsgericht Köln folgte hier der Linie höherer Rechtsprechung: Der Arbeitgeber muss die Auswirkungen seiner Entscheidung auf das Arbeitsvolumen genau prognostizieren und angeben, wie die verbleibenden Mitarbeiter die zusätzlichen Arbeiten ohne überobligatorische Leistungen (Überstunden) im Rahmen der normalen Arbeitszeit erledigen können. Im besprochenen Fall fehlte es an einer solchen überzeugenden Darlegung. Die Firma hatte entschieden, die Sales-Abteilung von vier auf drei Personen zu verkleinern, konnte aber nicht nachvollziehbar erklären, wie die Arbeit des gekündigten Sales Managers von den drei verbleibenden Angestellten bewältigt werden sollte, ohne dass diese überlastet würden. Damit war die Prognose des Arbeitgebers nicht schlüssig untermauert. Das Gericht stellte sinngemäß fest, dass die Kündigung letztlich allein auf dem Wunsch basierte, Personal abzubauen, ohne echten Grund – und ein solcher reiner Kündigungswille rechtfertigt keine Kündigung. Folge: Die Kündigung war sozial ungerechtfertigt (§ 1 KSchG) und damit unwirksam.
Sozialauswahl und Auswahlrichtlinien: Weiterhin schreibt das KSchG vor, dass bei betriebsbedingten Kündigungen eine Sozialauswahl stattfinden muss (§ 1 Abs. 3 KSchG), sofern vergleichbare Arbeitnehmer vorhanden sind. Der Arbeitgeber muss also – vereinfacht gesagt – den „falschen“ kündigen, nämlich den sozial am wenigsten schutzwürdigen. Er darf nicht einfach denjenigen auswählen, der ihm fachlich oder persönlich am wenigsten passt. In die Sozialauswahl sind alle Mitarbeiter einzubeziehen, die auf ähnlichen Positionen austauschbar beschäftigt sind. Anhand der Kriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung ermittelt der Arbeitgeber, welche Mitarbeiter stärker auf den Arbeitsplatz angewiesen sind als andere. Grundregel: Derjenige mit den geringsten sozialen Schutzbedürfnissen kann am ehesten gekündigt werden. Eine Ausnahme besteht, wenn gewisse Arbeitnehmer über besondere Kenntnisse oder Leistungen verfügen, die für das Unternehmen unverzichtbar sind – solche Leistungsträger darf der Arbeitgeber aus der Sozialauswahl herausnehmen, muss dies aber substantiiert begründen können. Im vorliegenden Fall behauptete der Arbeitgeber, ein bestimmter Kollege sei ein unentbehrlicher “Leistungsträger“ und behielt ihn deshalb trotz kürzerer Betriebszugehörigkeit. Das Gericht hat die Sozialauswahl letztlich nicht mehr geprüft, weil die Kündigung schon aus anderen Gründen unwirksam war. Allgemein gilt jedoch: Fehler in der Sozialauswahl (z. B. falsche Vergleichsgruppen, unvollständige Berücksichtigung aller relevanten Mitarbeiter oder Fehleinschätzungen bei den Kriterien) führen zur Rechtswidrigkeit der Kündigung und geben gekündigten Arbeitnehmern starke Argumente vor Gericht.
Ultima Ratio – Kündigung nur als letztes Mittel: Eine betriebsbedingte Kündigung muss verhältnismäßig sein. Das bedeutet, der Arbeitgeber muss vor Ausspruch der Kündigung alle milderen Mittel ausgeschöpft haben, um das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Insbesondere muss er prüfen, ob der Mitarbeiter an einem anderen Arbeitsplatz im Unternehmen weiterbeschäftigt werden kann – notfalls nach Umschulung oder zu geänderten Konditionen. Gibt es freie Stellen, müssen diese angeboten werden, bevor zur Kündigung gegriffen wird. Im entschiedenen Fall war der Arbeitnehmer als Sales Manager in einem Unternehmensteil beschäftigt, der kurz nach der Kündigung auf eine andere Gesellschaft übertragen wurde. Hätte es dort oder anderswo im Unternehmen eine Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung gegeben, hätte der Arbeitgeber diese nutzen müssen. Da die Kündigungsschutzklage erfolgreich war, musste die aufnehmende Gesellschaft den Kläger sogar weiterbeschäftigen. Merke: Eine Kündigung ist unwirksam, wenn der Arbeitgeber eine zumutbare Weiterbeschäftigung (ggf. auch auf einem niedrigeren Posten) übersehen oder absichtlich nicht angeboten hat – dann fehlte es am letzten Mittel, und die Kündigung war nicht erforderlich.
Massenentlassungsanzeige und Formalien: Zuletzt sei auf ein oft übersehenes Erfordernis hingewiesen: Bei einer größeren Entlassungsrunde (Massenentlassung nach § 17 KSchG) muss der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigungen eine Anzeige bei der Agentur für Arbeit erstatten. Diese Massenentlassungsanzeige soll sicherstellen, dass die Arbeitsagentur informiert ist und unterstützen kann. Unterlässt der Arbeitgeber die Anzeige oder macht formale Fehler dabei, sind die Kündigungen unwirksam. Im vorliegenden Fall stritten die Parteien darüber, ob eine solche Anzeige ordnungsgemäß erstattet wurde – der Arbeitnehmer bestritt dies. Das Arbeitsgericht brauchte hierüber nicht zu entscheiden, da die Kündigung aus den vorgenannten Gründen bereits unwirksam war. Gleichwohl ist klar: Formalitäten sind entscheidend. Ebenso zwingend ist die Betriebsratsanhörung vor jeder Kündigung in mitbestimmungspflichtigen Betrieben – auch hier führt ein Verstoß zur Nichtigkeit der Kündigung. Arbeitnehmer sollten im Zweifel nachfragen, ob der Betriebsrat ordnungsgemäß eingebunden wurde und ob bei Massenentlassungen die Anzeige erfolgt ist.
Für Arbeitnehmer lohnt es sich, eine betriebsbedingte Kündigung gründlich prüfen zu lassen. Das Urteil des Arbeitsgerichts Köln zeigt, dass Arbeitgeber bei Kündigungen aus betrieblichen Gründen viele Fehler machen können – sei es bei der Begründung der Unternehmerentscheidung, der Sozialauswahl oder den Formalitäten. Wenn eine Kündigung unwirksam ist, besteht das Arbeitsverhältnis fort und der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Weiterbeschäftigung (wie im vorliegenden Fall). Wichtig ist aber, schnell zu handeln: Innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung muss eine Klage eingereicht werden, sonst ist das Recht auf Überprüfung verloren. Zögern Sie also nicht, bei Erhalt einer betriebsbedingten Kündigung zeitnah fachkundigen Rat einzuholen. Die Chancen stehen oft gut, dass sich Fehler finden lassen, die Ihre Kündigung anfechtbar machen – sei es, um Ihren Arbeitsplatz zu retten oder zumindest eine hohe Abfindung auszuhandeln.
Gerade bei betriebsbedingten Kündigungen gilt: Nicht jede vom Arbeitgeber behauptete „betriebliche Notwendigkeit“ ist wirklich unabwendbar – und selbst wenn der Betrieb sich verkleinern muss, müssen die Spielregeln des Kündigungsschutzes eingehalten werden. Als Arbeitnehmer haben Sie Rechte, und die Arbeitsgerichte achten streng darauf, dass diese gewahrt bleiben. Bleiben Sie also nicht passiv, sondern wehren Sie sich, wenn eine Kündigung unfair oder fehlerhaft erscheint. Sie könnten – wie im Kölner Fall – am Ende als Gewinner dastehen.