Die regelmäßige Überprüfung von Betriebsrenten ist gesetzlich vorgeschrieben. Arbeitgeber müssen alle drei Jahre entscheiden, ob und in welcher Höhe Betriebsrenten an die Preisentwicklung angepasst werden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat hierzu am 28.10.2025 ein wichtiges Urteil gefällt, das für alle Seiten – Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Betriebsräte – Klarheit schafft.
In diesem aktuellen Urteil stellte das BAG klar, dass Arbeitgeber nicht verpflichtet sind, Betriebsrenten automatisch an den Kaufkraftverlust anzupassen, wenn ihre wirtschaftliche Lage dies nicht zulässt. § 16 Abs. 1 Betriebsrentengesetz (BetrAVG) schreibt vor, alle drei Jahre die Höhe laufender Betriebsrenten zu überprüfen und “nach billigem Ermessen” über eine Anpassung zu entscheiden. Dabei müssen – so das Gesetz – sowohl die Interessen der Rentner als auch die finanzielle Situation des Unternehmens berücksichtigt werden. Eine automatische Inflationsangleichung ist also gesetzlich nicht garantiert; der Arbeitgeber hat jedoch eine Prüfpflicht und muss eine ausgewogene, ermessensfehlerfreie Entscheidung treffen.
Vor dem Hintergrund zuletzt stark gestiegener Preise (u.a. infolge der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs) standen viele Unternehmen unter Druck, ihre Betriebsrenten entsprechend zu erhöhen. Das BAG-Urteil vom 28.10.2025 (Az. 3 AZR 24/25) sorgt hier für Entlastung: Es bestätigt, dass maßgeblich die Lage zum jeweiligen Anpassungsstichtag ist und schafft damit über den Bankensektor hinaus Klarheit. Viele Firmen sehen sich aufgrund der jüngsten Inflation mit erheblichen Forderungen nach Rentensteigerungen konfrontiert – die Entscheidung trägt vor diesem Hintergrund dazu bei, den Unternehmen rechtlich den Rücken zu stärken. Gleichzeitig betont das Urteil aber auch, dass die gesetzlichen Vorgaben des BetrAVG strikt einzuhalten sind.
Sachverhalt des Falls
Konkret entschied das BAG den Fall eines ehemaligen Commerzbank-Mitarbeiters, der seit Juli 2007 eine Betriebsrente bezieht. In der Vergangenheit hatte die Bank seine Rente an manchen Prüfungsstichtagen nicht erhöht (2010 und 2013 wegen unzureichender wirtschaftlicher Lage) und in anderen Jahren (2016, 2019) angehoben, zuletzt auf 1.728 € brutto. Zum maßgeblichen Anpassungsstichtag 1. Juli 2022 befand sich die Wirtschaftslage der Bank noch im Schatten der vorangegangenen Pandemiejahre. Im Oktober 2022 teilte die Commerzbank dem Kläger mit, dass wegen einer unzureichenden Eigenkapitalverzinsung in den Geschäftsjahren 2019–2021 eine weitere Erhöhung zum Stichtag 01.07.2022 nicht geboten sei. Sie hob die Betriebsrenten jedoch freiwillig um 2 % an, wodurch die Rente des Klägers auf 1.763 € brutto stieg.
Der Kläger forderte dagegen eine Anpassung an den vollen Kaufkraftverlust, was einer Erhöhung seiner monatlichen Betriebsrente auf 1.962 € brutto entsprochen hätte. Seiner Ansicht nach durfte die Bank bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Lage nicht allein auf die drei vom COVID-19-bedingten Abschwung geprägten Jahre vor dem Stichtag abstellen. Zudem, so der Kläger, sei die anschließende wirtschaftliche Erholung bereits absehbar gewesen – die positive Entwicklung des Jahres 2022 hätte also zum Stichtag berücksichtigt werden müssen. Sowohl das Arbeitsgericht als auch in zweiter Instanz das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf wiesen die Klage jedoch ab, sodass der Kläger schließlich Revision beim BAG einlegte.
Entscheidung des BAG
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Urteile der Vorinstanzen und wies die Revision des Klägers vollumfänglich zurück. Die höchsten Arbeitsrichter sahen keine Rechtsfehler in der Einschätzung des LAG, dass die unterlassene Rentenanpassung zum Stichtag 1.7.2022 ordnungsgemäß erfolgte. Laut BAG durfte die Bank im Rahmen ihres Ermessensspielraums von einer Erhöhung absehen, da ihre wirtschaftliche Lage – insbesondere die Eigenkapitalverzinsung in den Jahren 2020 und 2021 – deutlich unzureichend gewesen war. Entscheidend ist die Situation zum Anpassungsstichtag: Spätere Verbesserungen der Ertragslage müssen nur berücksichtigt werden, wenn sie bereits zu diesem Zeitpunkt auf Basis ausreichender Tatsachen vorhersehbar waren. Im konkreten Fall war der erhebliche Jahresüberschuss 2022 (ein Konzerngewinn von ca. 1,4 Mrd. €) für die Bank Mitte 2022 noch nicht erkennbar und brauchte daher bei der Entscheidung nicht antizipiert zu werden.
Durch das Urteil stellt das BAG klar, dass § 16 BetrAVG den Arbeitgebern zwar einen weiten Ermessensspielraum gewährt, dieser jedoch pflichtgemäß ausgeübt werden muss. Der Arbeitgeber hat die Interessen der Versorgungsempfänger angemessen gegen die eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abzuwägen. Im vorliegenden Fall attestierte das Gericht der Commerzbank eine fehlerfreie Ermessensausübung. Die freiwillige 2%-Erhöhung der Rente zeigte dabei, dass die Bank die Belange der Rentner zumindest teilweise berücksichtigte – diese Maßnahme genügte hier den Anforderungen des Betriebsrentengesetzes. Zwei inhaltsgleiche Parallelverfahren von Commerzbank-Rentnern wurden am selben Tag ebenfalls abgewiesen, was die nun gefestigte Linie des Dritten Senats unterstreicht.
Auswirkungen auf die betriebliche Praxis
Das BAG-Urteil hat wichtige praktische Folgen für alle Beteiligten der betrieblichen Altersversorgung:
Für Arbeitgeber bedeutet die Entscheidung Rechtssicherheit dahingehend, dass sie bei schlechter oder unsicherer Finanzlage nicht verpflichtet sind, Betriebsrenten in vollem Umfang an die Inflation anzupassen. Ein Unternehmen darf eine Nullrunde oder geringere Erhöhung durchführen, wenn objektive Kennzahlen (z.B. Gewinne, Eigenkapitalverzinsung) nahelegen, dass eine volle Anpassung wirtschaftlich unzumutbar wäre. Allerdings bleibt die Pflicht bestehen, alle drei Jahre eine sorgfältige Prüfung vorzunehmen und die Entscheidung sachlich zu begründen – ein willkürliches Aussetzen der Anpassung ist unzulässig. Das Urteil entlastet zwar die Arbeitgeberseite, zwingt sie aber zugleich, ihren Ermessensgebrauch im Zweifelsfall gerichtsfest zu dokumentieren.
Für Betriebsrentner (ehemalige Arbeitnehmer) zeigt das Urteil, dass ein vollständiger Ausgleich des Kaufkraftverlusts kein automatischer Anspruch ist. Auch bei hoher Inflation hängt eine Rentenerhöhung maßgeblich von der wirtschaftlichen Situation des (früheren) Arbeitgebers ab. So frustrierend dies erscheinen mag, müssen Rentner hinnehmen, dass selbst bei später eintretenden Unternehmensgewinnen kein rückwirkender Anspruch auf eine verpasste Anpassung besteht, sofern diese Gewinne am Stichtag noch nicht absehbar waren. Der gesetzliche Grundsatz, wonach die Sicherung der Unternehmensstabilität Vorrang haben kann, wird durch das Urteil bekräftigt – vorausgesetzt, die Entscheidung wurde transparent und unter Abwägung der Rentnerbelange getroffen.
Für Betriebsräte bedeutet die Entscheidung, dass sie den Fokus noch stärker auf die finanzielle Lage des Unternehmens legen sollten, wenn es um betriebliche Altersversorgung geht. Zwar hat der Betriebsrat bei der Anpassungsprüfung nach § 16 BetrAVG kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht, doch kann er im Rahmen seiner allgemeinen Informations- und Beratungsrechte darauf dringen, dass der Arbeitgeber seine Entscheidung nachvollziehbar darlegt. Betriebsräte können zudem darauf hinwirken, dass Arbeitgeber in Zeiten hoher Inflation zumindest freiwillige Ausgleiche gewähren, falls eine volle Anpassung aus wirtschaftlichen Gründen unterbleibt. Eine offene Kommunikation gegenüber der Belegschaft und den Versorgungsempfängern ist hierbei zentral, um Verständnis für schwierige Entscheidungen zu schaffen und Vertrauen zu erhalten.
Konkrete rechtliche Handlungsempfehlungen
Für Arbeitgeber: Sorgen Sie dafür, die Anpassungsprüfung alle drei Jahre fristgerecht durchzuführen und zu dokumentieren. Legen Sie klare Kriterien für die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage fest (z.B. Eigenkapitalverzinsung, Gewinnentwicklung) und beziehen Sie diese transparent in Ihre Entscheidung ein. Wenn objektive Kennzahlen eine Anpassung nicht rechtfertigen, formulieren Sie die Gründe nachvollziehbar und kommunizieren Sie diese an die Betroffenen.
Nutzen Sie Ihren Ermessensspielraum, aber vermeiden Sie Ermessensfehler. Wägen Sie die Belange der Rentner (insbesondere den Kaufkraftverlust) gegen die Interessen des Unternehmens ab. Gegebenenfalls kann eine teilweise freiwillige Erhöhung – wie im Commerzbank-Fall 2 % – sinnvoll sein, um den Rentnern entgegenzukommen und Unzufriedenheit oder Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen.
Behalten Sie zukünftige Entwicklungen im Blick, stützen Sie Ihre Entscheidung aber auf die zum Stichtag vorliegenden Fakten. Sie sind rechtlich nicht verpflichtet, spekulative künftige Gewinne vorwegzunehmen. Sollte sich die Lage unerwartet verbessern, können Anpassungen beim nächsten Prüfturnus nachgeholt werden – wichtig ist, dass Ihre Prognose zum Stichtag vertretbar und begründbar war.
Für Arbeitnehmer/Betriebsrentner: Informieren Sie sich frühzeitig über die Finanzlage Ihres (ehemaligen) Arbeitgebers in den Jahren vor dem Anpassungsstichtag. Geschäftsberichte und Unternehmenskennzahlen geben Anhaltspunkte dafür, ob z.B. Verluste oder geringe Renditen vorlagen – in solchen Fällen ist eine Nullrunde oder nur eine minimale Erhöhung leider zulässig.
Haben Sie Verständnis dafür, dass nicht jede Teuerung automatisch ausgeglichen wird. Wenn Ihr Arbeitgeber eine Anpassung verweigert oder nur teilweise vornimmt, muss er dies begründen. Fragen Sie im Zweifel nach den konkreten Gründen und ziehen Sie bei Unklarheiten eine rechtliche Prüfung in Betracht. Beachten Sie jedoch, dass die Gerichte den Ermessensspielraum des Arbeitgebers respektieren, solange keine groben Fehler nachweisbar sind.
Planen Sie Ihre Altersvorsorge vorausschauend und verlassen Sie sich nicht ausschließlich auf regelmäßige Inflationsanpassungen der Betriebsrente. Es kann sinnvoll sein, private Vorsorge zu betreiben oder finanzielle Rücklagen zu bilden für den Fall, dass die Betriebsrente vorübergehend an Kaufkraft verliert. So sind Sie weniger abhängig von betrieblichen Anpassungsentscheidungen.
Für Betriebsräte: Lassen Sie sich vom Arbeitgeber über das Ergebnis der gesetzlich vorgeschriebenen Anpassungsprüfung unterrichten. Auch wenn kein Mitbestimmungsrecht im engen Sinne besteht, kann der Betriebsrat als Interessenvertreter darauf achten, dass der Arbeitgeber seine Entscheidung nachvollziehbar darlegt und die Kriterien der Prüfung offenlegt.
Sollte der Arbeitgeber aufgrund wirtschaftlicher Lage keine oder nur eine geringe Rentenanpassung vornehmen, regen Sie an, zumindest einen freiwilligen Inflationsausgleich zu gewähren. Dies kann z.B. in Form einer kleinen prozentualen Erhöhung oder einer einmaligen Zahlung erfolgen, um die Härten für die Rentner abzumildern.
Unterstützen Sie ehemalige Beschäftigte dabei, die Entscheidung nachzuvollziehen. Informieren Sie die Belegschaft frühzeitig über anstehende Prüftermine und die Faktoren, nach denen entschieden wird. Eine transparente Kommunikation kann dazu beitragen, Erwartungen zu steuern und Unmut vorzubeugen, falls Anpassungen geringer ausfallen als erhofft.
Durch Beachtung dieser Empfehlungen können Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Betriebsräte gleichermaßen dazu beitragen, dass Betriebsrentenanpassungen im Einklang mit der aktuellen Rechtslage und fair gegenüber allen Beteiligten erfolgen. Die BAG-Entscheidung vom 28.10.2025 hat die Leitplanken hierfür deutlich aufgezeigt – innerhalb dieses Rahmens gilt es nun, verantwortungsbewusst zu handeln.