Seit dem 1. Januar 2022 sind Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze und Dokumente elektronisch bei Gericht einzureichen. § 130d ZPO schreibt vor, dass Anwaltsprozesse grundsätzlich elektronisch geführt werden müssen. Nur ausnahmsweise darf auf Papier oder Fax ausgewichen werden, nämlich dann, wenn die elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist (§ 130d Satz 2 ZPO). Diese Ausnahme ist eng auszulegen: Die analoge Ersatzeinreichung ist wirklich nur im Notfall zulässig und an strenge Voraussetzungen geknüpft.
Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung klargestellt, dass „professionelle Einreicher“ (also insbesondere Anwältinnen und Anwälte) verpflichtet sind, die notwendige technische Ausstattung einsatzbereit vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen. Anders ausgedrückt: Die Umstellung auf den elektronischen Rechtsverkehr duldet keine Nachlässigkeit bei der technischen Infrastruktur. Persönliche Versäumnisse – etwa fehlende oder ungültige technische Komponenten – gelten nicht als “technische Gründe” im Sinne der Vorschrift. Eine der wichtigsten Komponenten ist dabei das eigene besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) samt gültiger beA-Karte zur Signatur und Authentifizierung.
Der Fall: Fax statt beA wegen Zertifikatsproblem
Ein aktueller Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 7. Oktober 2025 – VIII ZB 21/25 – verdeutlicht eindrücklich, wie streng diese Anforderungen gehandhabt werden. In dem zugrunde liegenden Fall hatte eine Anwältin am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist (14.08.2024) ihre Berufungsbegründung per Telefax an das Gericht geschickt, weil sie über das beA nicht versenden konnte. Als Grund notierte sie auf dem Fax, im beA-Postfach gebe es eine Softwareaktualisierung und ihre alte beA-Karte funktioniere derzeit nicht. Sie habe bereits den beA-Support kontaktiert und hoffe auf Freischaltung bis 20:00 Uhr desselben Tages. Tatsächlich konnte die Anwältin die neue beA-Karte aber erst am 23.08.2024 aktivieren und reichte die Berufungsbegründung elektronisch nach, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand am 26.08.2024.
Das Landgericht Düsseldorf ließ sich davon nicht überzeugen und verwarf die Berufung als unzulässig, weil keine formgerechte fristgerechte Begründung vorlag. Die per Fax eingereichte Begründung genügte nicht der Form des § 130d ZPO, und die Voraussetzungen einer zulässigen Ersatzeinreichung waren nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere liege kein unvorhersehbares Ereignis vor – vielmehr habe die Anwältin versäumt, ihre beA-Karte rechtzeitig zu kontrollieren bzw. zu aktualisieren, was der Mandantschaft nach § 85 Abs. 2 ZPO als Anwaltsverschulden zuzurechnen sei.
Entscheidung des BGH: Keine Wiedereinsetzung bei eigener Versäumnis
Der BGH bestätigte die strenge Linie der Vorinstanz und wies die Rechtsbeschwerde zurück. Dabei betonte der VIII. Zivilsenat erneut Grundsätzliches zum elektronischen Rechtsverkehr:
- E-Filing ist die Regel, Fax die Ausnahme: Nach § 130d ZPO muss ein Anwalt elektronisch einreichen; eine Ersatzeinreichung auf anderem Weg ist nur bei einer echten, vorübergehenden technischen Störung zulässig. Die Hürden hierfür sind hoch, um den Verpflichtungscharakter der elektronischen Einreichung nicht auszuhöhlen.
- Technische Ausstattung ist Anwaltsaufgabe: Anwälte müssen alle erforderlichen technischen Einrichtungen funktionsbereit halten. Insbesondere die beA-Karte als Zugangsmedium muss gültig und einsatzfähig sein. Wer Ablaufdaten, Zertifikatsumstellungen oder nötige Freischaltungen der beA-Karte nicht im Blick behält, kann sich nicht erfolgreich auf “technische Gründe” berufen – und riskiert einen endgültigen Rechtsverlust. Mit anderen Worten: Läuft die eigene Karte ab oder wird durch eine Zertifikatsänderung ungültig, ist das kein externer “technischer Defekt”, sondern eigenes Organisationsverschulden.
- Glaubhaftmachung erfordert konkreten Vortrag: Wer sich auf § 130d Satz 2 ZPO beruft, muss die Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung substantiiert darlegen und glaubhaft machen. Im vorliegenden Fall bemängelte der BGH, dass der Fax-Schriftsatz vom 14.08.2024 lediglich pauschal eine „Softwareaktualisierung“ und eine „nicht funktionierende“ beA-Karte erwähnte – ohne offenzulegen, ob die Karte überhaupt gültig war oder worin genau das Problem bestand. Eine so vage Erklärung genügt den Anforderungen nicht. Vielmehr verlangt die Rechtsprechung eine aus sich heraus verständliche, in sich geschlossene Schilderung des technischen Problems nebst einer anwaltlichen Versicherung der Richtigkeit.
- Belege und Versicherungen: Im Idealfall stützt man den Vortrag durch Beweismittel (z.B. Screenshot von Fehlermeldungen, Störungsmeldungen der BRAK/BNotK etc. oder E-Mails des Supports). Eigene Darstellungen sollten – sofern kein Zeitverlust damit einhergeht – mit einer eidesstattlichen Versicherung oder anwaltlichen Versicherung versehen werden, damit das Gericht die geschilderten Umstände als glaubhaft ansehen darf.
- Unverzüglichkeitsgebot: § 130d Satz 3 ZPO schreibt vor, dass die Glaubhaftmachung spätestens gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach erfolgen muss. Ein Anwalt darf also nicht erst abwarten, ob das Gericht nachfragt, sondern muss ungefragt die technischen Probleme darlegen. Im entschiedenen Fall reichte die Anwältin erst am 26.08. und 13.09.2024 ergänzende Erklärungen und Belege (E-Mails der Zertifizierungsstelle, Screenshot des Zertifikats) nach – das war eindeutig nicht mehr unverzüglich. Der BGH stellte klar, dass es kein “Wahlrecht” gibt, die bei Fax-Einreichung eigentlich sofort mögliche Erklärung zunächst wegzulassen und später nachzureichen. Nur wenn die Störung tatsächlich erst in letzter Minute bemerkt wird und deshalb nicht alles sofort vorgetragen werden kann, darf ausnahmsweise in kurzer Frist nachgelegt werden. Doch auch dann ist die Nachfrist eng bemessen – “wochenlang” darf man nicht zuwarten. Im BGH-Fall hätte also bereits im Fax-Schreiben vom 14.08.2024 oder zumindest unmittelbar danach detailliert dargelegt werden müssen, was es mit der Zertifikatsumstellung und der Karten-Funktionsstörung genau auf sich hatte.
- Kein technischer Grund erkennbar: Letztlich blieb im Verfahren offen, ob wirklich ein technischer Defekt vorlag oder die Karte schlicht ungültig geworden war, weil die Anwältin keine klare Aufklärung dazu liefern konnte. Weder aus dem Fax-Hinweis noch aus den späteren Unterlagen ging eindeutig hervor, warum die alte beA-Karte nicht funktionierte und ob dies auf einen unvorhersehbaren technischen Grund zurückzuführen war. Damit fehlte die zentrale Voraussetzung für § 130d S.2 ZPO.
Die Konsequenz aus all dem: Ohne formgerechte elektronische Einreichung und ohne erfolgreich nachgewiesene technische Unmöglichkeit galt die Berufungsbegründung als nicht fristgerecht eingereicht. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) kam nicht in Betracht, weil kein unverschuldetes Hindernis vorlag – die Versäumung war bei zutreffender Betrachtung selbst verschuldet. Das bedeutet, die Beklagte hat endgültig ihren Rechtsmittelanspruch verloren. Der BGH sieht darin auch keine unzumutbare Beschränkung des Rechtsschutzes, sondern eine sachgerechte Konsequenz der seit langem bekannten Rechtslage.
Praxistipps: So vermeiden Sie Rechtsverluste beim beA-Versand
Für die Anwaltschaft – besonders nach Einführung des verpflichtenden elektronischen Rechtsverkehrs – lassen sich aus diesem Beschluss einige klare Handlungsanweisungen ableiten:
- Gültigkeit der beA-Karte sicherstellen: Überprüfen Sie regelmäßig das Ablaufdatum Ihrer beA-Karte und achten Sie auf Mitteilungen der Bundesnotarkammer/BRAK zu Zertifikatsumstellungen. Beantragen Sie rechtzeitig Ersatzkarten oder Zertifikatsverlängerungen. Eine abgelaufene oder deaktivierte Karte gilt nicht als technischer Defekt, sondern als anwaltliches Versäumnis.
- Technische Updates im Blick behalten: Halten Sie Ihre beA-Software (Client Security etc.) auf dem aktuellen Stand. Wenn Wartungen oder Updates angekündigt sind, planen Sie Fristsachen entsprechend und testen Sie Ihr System vor anstehenden Fristen.
- Fristen nicht auf den letzten Drücker wahrnehmen: Insbesondere bei knappen Fristen (z.B. Berufungs- oder Berufungsbegründungsfrist) empfiehlt es sich, nicht bis zum allerletzten Tag zu warten. So bleibt Puffer, um bei eventuellen technischen Problemen rechtzeitig zu reagieren, oder notfalls einen Verlängerungsantrag zu stellen, solange noch Zeit ist.
- Im Störfall sofort reagieren: Wenn am Tag des Fristablaufs unerwartet eine elektronische Übermittlung scheitert (z.B. Server-Ausfall, beA-Zugang nicht möglich, Internet down), sofort auf Fax oder Boten ausweichen, um fristwahrend einzureichen. Gleichzeitig (im selben Schriftsatz) müssen Sie detailliert schildern, warum die elektronische Übermittlung fehlschlägt. Beschreiben Sie den Ablauf genau: Was haben Sie wann versucht? Welche Fehlermeldung kam? Wo liegt nach Ihrem Kenntnisstand das Problem?
- Glaubhaftmachung gründlich und vollständig: Legen Sie – soweit vorhanden – Belege bei (z.B. Screenshot der Fehlermeldung, Störungsstatus der beA-Seite, Support-E-Mails). Formulieren Sie Ihren Vortrag so ausführlich, dass ein Laie verstehen könnte, was passiert ist. Eine bloße Floskel wie „technische Probleme im beA“ reicht nicht. Wenn die Zeit reicht, fügen Sie am Ende Ihrer Schilderung eine anwaltliche Versicherung hinzu, dass die gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen. Damit erhöhen Sie die Glaubhaftigkeit Ihrer Darlegung.
- Unverzüglich nachfassen (wenn nötig): Falls die Störung wirklich last-minute eintrat und Sie im Eifer des Gefechts nicht alles belegen konnten, holen Sie weitere Nachweise ohne schuldhaftes Zögern nach. Dies bedeutet innerhalb weniger Tage, nicht Wochen. Beispielsweise könnten Sie am nächsten Tag einen ergänzenden Schriftsatz nachreichen, dem Sie etwa eine offizielle Störungsmitteilung der BRAK oder eine ausführlichere eigene eidesstattliche Versicherung beifügen. Je mehr Zeit vergeht, desto eher riskiert man, dass die Nachreichung als nicht mehr unverzüglich zurückgewiesen wird.
- Organisation verschuldet = Mandant verschuldet: Bedenken Sie stets, dass Anwaltsverschulden dem Mandanten zugerechnet wird (§ 85 Abs. 2 ZPO). Versäumen Sie eine Frist aufgrund mangelhafter Organisation oder Technik, bleibt dies Ihrem Mandanten nicht erspart. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird in solchen Fällen regelmäßig aussichtslos sein. Daher lohnt sich proaktive technische Vorsorge allemal.
Der BGH-Beschluss vom 07.10.2025 (VIII ZB 21/25) führt die konsequente Linie fort, die bereits in früheren Entscheidungen zum elektronischen Rechtsverkehr angelegt war. Für die Praxis der Rechtsanwälte bedeutet das: Kein Pardon bei eigenen Versäumnissen in Sachen beA. Wer die digitale Infrastruktur nicht sorgfältig im Griff hat, setzt die Rechte seiner Mandanten aufs Spiel. Umgekehrt kann, wer im echten Notfall korrekt und unverzüglich vorträgt, durchaus auf Nachsicht hoffen – aber diese Hürden sind hoch. Es bleibt also im Interesse jedes Rechtsanwalts, technische Probleme gar nicht erst entstehen zu lassen bzw. bestmöglich vorzubeugen, um nicht am Ende mit leeren Händen dazustehen.