Cannabisbesitz im Strafvollzug – Erlaubt am „gewöhnlichen Aufenthalt“?

05. Juni 2025 -

Mit Urteil vom 28. Mai 2025 (Az. 5 ORs 17/25) hat das Kammergericht Berlin (KG) eine richtungsweisende Entscheidung zur Reichweite des legalen Cannabisbesitzes nach dem Konsumcannabisgesetz (KCanG) getroffen. Im Fokus steht die Frage, ob ein Strafgefangener Cannabis legal in seinem Haftraum besitzen darf. Das KG hat dies bejaht und die Revision der Staatsanwaltschaft gegen einen entsprechenden Freispruch des Amtsgerichts Tiergarten verworfen.

Die Entscheidung hat erhebliche Relevanz für die Praxis – nicht nur im Strafvollzug, sondern auch für die Auslegung zentraler Begriffe des KCanG wie „gewöhnlicher Aufenthalt“. Sie stößt damit auch eine gesellschaftspolitische Diskussion an: Darf ein Gefangener Cannabis besitzen, obwohl Konsum und Besitz in Justizvollzugsanstalten bislang regelmäßig untersagt sind?


Sachverhalt

Der Angeklagte befand sich seit September 2023 in Strafhaft. Bei einer Haftraumkontrolle am 23. April 2024 wurden 45,06 Gramm Cannabisharz (13,64 g THC) gefunden, bestimmt zum Eigenkonsum. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte ihn zwar wegen eines weiteren Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, sprach ihn jedoch vom Vorwurf des verbotenen Cannabisbesitzes gemäß § 34 KCanG frei. Es begründete dies mit der neuen Erlaubnisnorm des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KCanG.

Die Staatsanwaltschaft legte gegen diesen Freispruch Revision ein – erfolglos.


Rechtslage: Cannabisbesitz nach dem KCanG

Seit dem 1. April 2024 erlaubt das Konsumcannabisgesetz volljährigen Personen:

  • nach § 3 Abs. 1 KCanG: Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum,
  • nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KCanG: Besitz von bis zu 50 Gramm am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt.

Zusätzlich erlaubt § 3 Abs. 2 Nr. 2 den Besitz von bis zu drei lebenden Pflanzen – allerdings nur dort, wo auch deren Anbau erlaubt ist (§ 9 Abs. 1 KCanG, sogenannter „privater Eigenanbau“).


Die zentrale Rechtsfrage: Was ist der „gewöhnliche Aufenthalt“?

Das KG stellt in seinem Urteil klar:
Der Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ ist gesetzlich definiert in § 1 Nr. 17 KCanG – und diese Definition lehnt sich ausdrücklich an § 9 AO und § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I an.

„Gewöhnlicher Aufenthalt ist der Ort, an dem sich eine Person unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie dort nicht nur vorübergehend verweilt.“

Dauerhaftigkeit und faktischer Lebensmittelpunkt sind entscheidend – nicht die Freiwilligkeit des Aufenthalts. Damit kann auch ein Haftraum bei mehrjähriger Strafhaft als gewöhnlicher Aufenthalt gelten.

Diese Auslegung wird durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt – etwa durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu § 30 SGB I. Auch der Bundesfinanzhof hat für § 9 AO klargestellt: Es kommt allein auf die tatsächlichen Verhältnisse an.


Kein Ausschluss von Gefängnissen im Gesetz

Das Kammergericht widerspricht der Auffassung der Staatsanwaltschaft, wonach der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts restriktiv auszulegen sei, um Strafvollzugsanstalten auszuschließen:

  • Eine solche Einschränkung findet sich nicht im Gesetzeswortlaut.
  • Auch die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 20/8704) enthält keine Hinweise, dass Strafvollzugsanstalten ausgenommen werden sollen.
  • Der Gesetzgeber hat ausdrücklich Sonderregelungen für bestimmte Orte getroffen – etwa Kinderspielplätze, Schulen und Bundeswehranlagen (§ 5 KCanG) – nicht jedoch für Haftanstalten.
  • Eine analoge Anwendung solcher Ausnahmen auf Justizvollzugsanstalten verbietet sich aus Gründen des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG).

Sicherheit und Ordnung: Vollzugsrecht statt Strafrecht

Das KG betont:

Sicherheitsbedenken in Justizvollzugsanstalten sind nicht im Strafrecht, sondern im Vollzugsrecht zu regeln.

Der Besitz mag dort aus Gründen der Anstaltssicherheit untersagt sein – das rechtfertigt keine strafrechtliche Ahndung, solange der Besitz unter die Erlaubnistatbestände des KCanG fällt.

Eine Justizvollzugsanstalt kann also auf Grundlage des Vollzugsgesetzes – z. B. durch Hausordnung oder Allgemeinverfügungen – den Besitz und Konsum verbieten und bei Verstößen vollzugsrechtliche Maßnahmen ergreifen (z. B. Disziplinarmaßnahmen, Besuchseinschränkungen). Eine Strafbarkeit ist aber ausgeschlossen, solange die gesetzlichen Besitzgrenzen des KCanG eingehalten sind.


Bewertung und Bedeutung der Entscheidung

Für die Praxis

  • Strafgefangene dürfen Cannabis legal besitzen, solange es sich um Eigenkonsum im Rahmen der gesetzlich erlaubten Menge handelt und der Besitz sich auf den Haftraum als „gewöhnlichen Aufenthalt“ beschränkt.
  • Strafverfolgungsbehörden und Vollzugsanstalten müssen künftig sorgfältig differenzieren zwischen strafrechtlich erlaubt und vollzugsrechtlich unzulässig.

Für den Gesetzgeber

  • Die Entscheidung verdeutlicht eine Regelungslücke: Die Möglichkeit, den Besitz im Strafvollzug zu beschränken, besteht zwar, aber nicht durch Strafrecht, sondern nur über das Vollzugsrecht der Länder.
  • Eine gesetzliche Klarstellung oder Erweiterung des § 5 KCanG könnte erfolgen, wenn der Gesetzgeber Cannabisbesitz im Strafvollzug generell ausschließen möchte.

Für die Rechtswissenschaft

  • Das Urteil bestätigt die Tendenz zu einer wortlautgetreuen, systematischen Auslegung des KCanG.
  • Es setzt einen klaren Maßstab für die Verwendung gesetzlich definierter Begriffe im neuen Cannabisrecht und bezieht sich konsequent auf die herangezogenen Bezugsvorschriften (§§ 9 AO, § 30 SGB I).

Das KG-Urteil vom 28. Mai 2025 (5 ORs 17/25) stellt klar: Der Besitz von Cannabis durch Strafgefangene kann unter das neue Erlaubnisregime des KCanG fallen, wenn sich der Besitz im Haftraum abspielt und die Mengenregelungen eingehalten werden. Der Haftraum gilt bei mehrjähriger Haft als „gewöhnlicher Aufenthalt“.

Das Strafrecht kennt keine Sonderregelung für Justizvollzugsanstalten – Einschränkungen sind ausschließlich über das jeweilige Vollzugsrecht möglich. Damit eröffnet das Urteil neue rechtliche Spielräume, setzt aber zugleich klare Grenzen für eine strafrechtliche Verfolgung jenseits des Gesetzeswortlauts.