Überstundenabbau: Alltag in vielen Unternehmen
In vielen Betrieben gehören Überstunden zum Arbeitsalltag. Ob in Zeiten hoher Auftragslage, bei Personalengpässen oder kurzfristigen Projektspitzen – oft leisten Beschäftigte mehr Stunden, als im Arbeitsvertrag vorgesehen. Diese „Mehrarbeit“ wird dann entweder vergütet oder durch Freizeitausgleich abgegolten. Dabei stellt sich regelmäßig die Frage: Wer bestimmt eigentlich, wann diese Überstunden wieder „abgefeiert“ werden – Arbeitnehmer oder Arbeitgeber?
Was sind Überstunden überhaupt?
Rechtlich gesehen sind Überstunden alle Arbeitsstunden, die über die individuell vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinausgehen. In einem Arbeitsvertrag mit einer 40-Stunden-Woche gelten etwa alle Arbeitsstunden darüber hinaus als Überstunden – vorausgesetzt, sie wurden vom Arbeitgeber angeordnet, genehmigt oder zumindest geduldet.
Ob und wie diese Überstunden ausgeglichen werden, regelt in der Regel der Arbeitsvertrag, ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung. Fehlt eine ausdrückliche Regelung, kann der Arbeitgeber grundsätzlich entscheiden, wie und wann Überstunden abgegolten werden – sei es durch Auszahlung oder Freizeitausgleich.
Der rechtliche Rahmen: Wer bestimmt über den Abbau von Überstunden?
Grundsatz: Direktionsrecht des Arbeitgebers
Ohne abweichende vertragliche Regelungen kann der Arbeitgeber aufgrund seines sogenannten Direktionsrechts einseitig anordnen, wann Überstunden durch Freizeit auszugleichen sind. Das bedeutet: Der Arbeitgeber darf Beschäftigte auch kurzfristig zum Überstundenabbau verpflichten – etwa indem er sie anordnet, an einem bestimmten Tag zuhause zu bleiben oder später zur Arbeit zu erscheinen.
Ein typisches Beispiel: Hat ein Arbeitnehmer am Montag zehn statt der üblichen acht Stunden gearbeitet, kann der Arbeitgeber anordnen, dass der Arbeitnehmer am Dienstag nur sechs Stunden arbeiten soll – um so den wöchentlichen Durchschnitt einzuhalten.
Einschränkungen durch vertragliche Regelungen
Dieses Direktionsrecht besteht jedoch nicht uneingeschränkt. Arbeitsverträge, Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen können konkret regeln, wie Überstunden abgebaut werden dürfen. Ist dort etwa festgehalten, dass der Überstundenabbau in gegenseitigem Einvernehmen erfolgen muss oder eine bestimmte Frist einzuhalten ist, hat der Arbeitgeber diese Regelungen zu beachten.
Gleitzeit– und Arbeitszeitkonten
In vielen Unternehmen bestehen Gleitzeitmodelle oder Arbeitszeitkonten. Hier ist der Umgang mit Mehrarbeit oft flexibler geregelt. Beschäftigte dürfen innerhalb bestimmter Bandbreiten selbst entscheiden, wann sie früher gehen oder später kommen. Auch der Abbau von Plusstunden liegt hier oft in der Hand des Arbeitnehmers – allerdings ebenfalls nur innerhalb der Grenzen der betrieblichen Vereinbarungen. Der Arbeitgeber kann jedoch – etwa bei betrieblichen Erfordernissen – Vorgaben machen, etwa wenn es gilt, eine bestimmte Kernzeit einzuhalten oder den Dienstbetrieb sicherzustellen.
Kann der Arbeitgeber Beschäftigte zum Überstundenabbau zwingen?
Ja – aber nur, wenn keine entgegenstehenden Regelungen existieren
Fehlen vertragliche oder kollektivrechtliche Regelungen, darf der Arbeitgeber einseitig und sogar kurzfristig den Abbau von Überstunden durch Freizeitausgleich anordnen. Dies ergibt sich aus § 106 Gewerbeordnung, der dem Arbeitgeber das Recht einräumt, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung näher zu bestimmen.
Dabei müssen aber auch billiges Ermessen (§ 315 BGB) sowie etwaige Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BetrVG) beachtet werden. Der Arbeitgeber darf also keine willkürlichen Anordnungen treffen, sondern muss auf berechtigte Interessen der Beschäftigten Rücksicht nehmen – etwa auf Betreuungsverpflichtungen oder bereits geplante Arzttermine.
Nein – wenn eine abweichende Regelung besteht
Gibt es eine Betriebsvereinbarung, die vorsieht, dass Überstundenabbau nur in Abstimmung mit dem Arbeitnehmer erfolgen darf, hat diese Vorrang. Gleiches gilt für Tarifverträge oder individuelle Arbeitsverträge. Der Arbeitgeber darf dann nicht einseitig Freizeit zum Abbau anordnen.
Pflicht zu Überstunden? – Nur in Ausnahmefällen!
Unabhängig vom Abbau stellt sich auch die Frage, ob Beschäftigte überhaupt verpflichtet sind, Überstunden zu leisten. Ohne vertragliche Regelung dürfen Arbeitnehmer grundsätzlich Überstunden verweigern. Nur in besonderen Ausnahmefällen – etwa bei betrieblichen Notlagen, zur Abwendung eines Schadens oder bei Naturkatastrophen – kann eine Pflicht zur Mehrarbeit bestehen.
Praxisbeispiele
- Fall 1 – Keine vertragliche Regelung:
Ein Beschäftigter hat 20 Überstunden angesammelt. Der Arbeitgeber ordnet an, dass der Arbeitnehmer an einem Freitag nicht zur Arbeit kommt, um diese Stunden abzubauen. → Zulässig, sofern kein Betriebsrat widerspricht und keine betrieblichen Regelungen entgegenstehen. - Fall 2 – Gleitzeitmodell:
Ein Mitarbeiter mit Gleitzeit möchte die Überstunden an einem Brückentag abbauen. Der Arbeitgeber lehnt dies ab, da wichtige Kundentermine anstehen. → Zulässig, da das Direktionsrecht auch bei Gleitzeit zur Aufrechterhaltung des Betriebs greifen kann. - Fall 3 – Betriebsvereinbarung mit Freigabevorbehalt:
Eine Betriebsvereinbarung sieht vor, dass Überstundenabbau mindestens eine Woche vorher beantragt und genehmigt werden muss. Der Arbeitgeber will einen spontanen Abbau anordnen. → Nicht zulässig – die Vereinbarung geht vor.
Fazit: Einzelfallbetrachtung entscheidend
Ob der Arbeitgeber Beschäftigte zum Überstundenabbau zwingen darf, hängt stark vom jeweiligen rechtlichen Rahmen ab. Ohne entgegenstehende Regelung darf der Arbeitgeber den Abbau grundsätzlich anordnen – auch kurzfristig. Bestehen jedoch individuelle oder kollektive Regelungen, muss er sich daran halten. In jedem Fall gilt: Das Maß der Zumutbarkeit und die Interessen der Beschäftigten dürfen nicht außer Acht gelassen werden.
Empfehlung für Arbeitgeber:
- Klare Regelungen zum Überstundenabbau im Arbeitsvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung schaffen
- Mitbestimmungspflichten des Betriebsrats beachten
- Freizeitausgleich frühzeitig und fair planen
Empfehlung für Arbeitnehmer:
- Arbeitsvertrag auf Klauseln zum Überstundenabbau prüfen
- Gleitzeit– oder Arbeitszeitkonten aktiv nutzen
- Im Zweifel Freizeitausgleich mit dem Vorgesetzten abstimmen und dokumentieren
Rechtlicher Hinweis: Dieser Beitrag ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Im Einzelfall empfiehlt sich die Konsultation eines Fachanwalts für Arbeitsrecht.