Im juristischen Staatsexamen gilt normalerweise: Wer im schriftlichen Teil durchfällt, darf nicht zur mündlichen Prüfung antreten. Doch was, wenn man glaubt, die Klausuren seien falsch bewertet? Eine aktuelle Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg zeigt, dass in solchen Fällen doch noch eine Chance auf die mündliche Prüfung besteht. Konkret entschied das OVG Lüneburg mit Beschluss vom 27.10.2025 (Az. 2 ME 152/25), dass ein Rechtsreferendar, der in den schriftlichen Aufsichtsarbeiten des zweiten Staatsexamens durchgefallen ist und gegen die Noten Widerspruch eingelegt hat, vorläufig trotzdem an der mündlichen Prüfung teilnehmen darf. Diese vorläufige Zulassung zur mündlichen Prüfung soll sicherstellen, dass dem Prüfling kein unwiederbringlicher Nachteil entsteht, solange über seine Notenbeschwerde noch nicht abschließend entschieden ist. Im folgenden Rechtstipp erklären wir, was diese vorläufige Zulassung genau bedeutet, unter welchen Voraussetzungen sie gewährt werden kann, welche rechtlichen Grundsätze (etwa effektiver Rechtsschutz und Folgenabwägung) dahinterstehen, welche Auswirkungen das auf andere Prüflinge hat und welche praktischen Hinweise sich daraus für betroffene Referendare ergeben.
Was bedeutet „vorläufige Zulassung zur mündlichen Prüfung“?
Eine vorläufige Zulassung zur mündlichen Prüfung bedeutet, dass ein Prüfling ausnahmsweise und vorübergehend zur mündlichen Examensprüfung zugelassen wird, obwohl er die erforderlichen Voraussetzungen formell nicht erfüllt. Normalerweise darf im zweiten Staatsexamen nur mündlich geprüft werden, wer die Mindestanforderungen im schriftlichen Teil bestanden hat. In Niedersachsen etwa verlangt das Niedersächsische Justizgesetz (NJAG) neben einem Notenschnitt von mindestens „ausreichend“ (4,0) auch, dass wenigstens drei der acht Examensklausuren mit „ausreichend“ oder besser bewertet wurden. Im zugrundeliegenden Fall hatte der Referendar jedoch nur zwei von acht Klausuren bestanden und galt damit als durchgefallen. Vorläufige Zulassung heißt hier: Trotz dieses Nichtbestehens ordnet das Gericht an, dass der Kandidat so behandelt wird, als habe er die schriftliche Hürde geschafft, bis eine endgültige Entscheidung über seine Klausurergebnisse vorliegt.
Wichtig ist: Die vorläufige Zulassung verschafft dem Prüfling keinen automatischen „Freifahrtschein“ zum Examenserfolg, sondern lediglich die Möglichkeit, die mündliche Prüfung abzulegen, während die Bewertung der Klausuren noch angefochten ist. Die endgültige Gesamtnote des Examens steht dabei zunächst aus, bis die strittigen Klausurergebnisse rechtlich geklärt sind. Konkret bedeutet das, dass der Prüfungsstoff der mündlichen Prüfung zwar jetzt abgenommen und bewertet wird, die Berechnung des endgültigen Prüfungsergebnisses aber erst nach Abschluss des Widerspruchs- bzw. Klageverfahrens erfolgt. Sollte sich im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass doch genügend Klausuren fehlerfrei mit „ausreichend“ bewertet waren (oder Bewertungsfehler korrigiert werden), würde die mündliche Note dann in die Gesamtnote einfließen und der Kandidat könnte das Examen bestehen. Scheitert der Prüfling hingegen letztlich mit seinem Widerspruch oder seiner Klage, bliebe es beim endgültigen Nichtbestehen – die zwischenzeitliche mündliche Prüfung wäre dann im Nachhinein gegenstandslos (juristisch spricht man von einer „voreiligen“ Prüfung, die im Ergebnis verpufft).
Zusammengefasst: Die vorläufige Zulassung zur mündlichen Prüfung ist ein gerichtlich angeordneter Ausnahmefall, der dem Prüfling eine Chance auf die mündliche Prüfung gibt, obwohl er laut aktuellem Notenstand durchgefallen ist. Sie dient dazu, seine Rechte während eines laufenden Prüfungsanfechtungsverfahrens zu wahren, damit er im Falle des Obsiegens nicht um die verdiente Examenschance gebracht wird.
Unter welchen Voraussetzungen kann eine vorläufige Zulassung gewährt werden?
Damit ein Gericht eine solche vorläufige Teilnahme an der mündlichen Prüfung anordnet, müssen bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Zunächst muss der Prüfling gegen das Nichtbestehen vorgehen – das heißt, er muss formell Schritte einleiten, um die Klausurbewertungen anzufechten. In der Praxis bedeutet dies: Widerspruch einlegen (bzw. remonstrieren) gegen den Bescheid „nicht bestanden“ und anschließend, falls nötig, Klage beim Verwaltungsgericht erheben. Genau dies tat der Referendar im entschiedenen Fall auch: Er legte Widerspruch ein und machte darin geltend, dass sechs seiner acht Klausuren gravierende Bewertungsfehler aufwiesen. Nachdem das Justizprüfungsamt (JPA) Niedersachsen seinen Widerspruch zurückgewiesen hatte, erhob er Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) Göttingen. Parallel zu dieser Klage stellte er beim VG einen Eilantrag auf vorläufige Zulassung zur mündlichen Prüfung. Fazit: Ohne Widerspruch/Klage kein vorläufiger Prüfungszulassungs-Anspruch – man muss sich also aktiv gegen die Noten wehren, damit das Gericht überhaupt tätig werden kann.
Rechtlich geprüft wird ein solcher Antrag im einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO. Dafür muss der Prüfling zwei Dinge glaubhaft machen: einen Anordnungsanspruch (d.h. dass ihm in der Hauptsache ein Recht auf Zulassung zur mündlichen Prüfung zustehen könnte) und einen Anordnungsgrund (d.h. dass er dringend auf die vorläufige Entscheidung angewiesen ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden). Grundvoraussetzung ist dabei, dass das eigentliche Klageziel die Zulassung zur Prüfung bzw. Neubewertung ist – das OVG Lüneburg hat klargestellt, dass ein solcher Zwischenantrag zulässig ist, wenn in der Hauptsache eine Verpflichtungsklage auf Prüfungszulassung geführt wird. Im Prüfungsrecht geht es regelmäßig darum, den eigenen Rechtskreis zu erweitern, also z.B. doch noch zur mündlichen Prüfung zugelassen zu werden oder ein „Bestanden“ zu erreichen. Folglich kann das Gericht im Eilverfahren anordnen, dass der Prüfling vorläufig teilnehmen darf, bis geklärt ist, ob die schriftlichen Leistungen korrekt bewertet wurden.
Inhaltlich muss der Prüfling für den Anordnungsanspruch zumindest schlüssig darlegen, warum die Negativbewertung der Klausuren angreifbar ist – zum Beispiel durch Hinweise auf Bewertungsfehler, falsche Punktevergabe oder vergleichbare Mängel. Absolute Gewissheit über den Erfolg der Notenbeanstandung verlangt das Gericht im Eilverfahren aber nicht: Im vorliegenden Fall sah es das OVG Lüneburg sogar als zulässig an, ausnahmsweise auf eine Prognose der Erfolgsaussichten zu verzichten und stattdessen direkt eine Folgenabwägung vorzunehmen. Der Grund: Die Vielzahl komplexer Einwendungen gegen die Klausurbewertungen machte eine schnelle Einschätzung der Erfolgschancen nahezu unmöglich. Entscheidend war daher vor allem der Anordnungsgrund, also die drohenden Nachteile, wenn der Referendar nicht zur mündlichen Prüfung zugelassen würde.
Als wichtigste Voraussetzung für die Eilzulassung hat das Gericht nämlich bewertet, dass dem Prüfling ohne die sofortige Zulassung unzumutbare Nachteile drohen. Im Klartext: Zeitdruck und Karriereknick. Würde er bis zum Abschluss des langwierigen Klageverfahrens warten müssen, ginge ihm kostbare Zeit verloren – er müsste sein Examenswissen vielleicht über Jahre „warmhalten“ und könnte seine berufliche Laufbahn nicht fortsetzen. Dieser Nachteil wiegt besonders schwer, weil im zweiten Examen oft die berufliche Zukunft (Stichwort Berufswahlfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG) auf dem Spiel steht. Daher kann eine vorläufige Zulassung gerechtfertigt sein, wenn ohne sie das weitere Zuwarten den Prüfling unverhältnismäßig belasten würde. Umgekehrt prüft das Gericht natürlich auch, ob eine solche Maßnahme der Gegenseite (hier dem Prüfungsamt) oder der Allgemeinheit schwere Nachteile zufügt – dazu unten mehr. Zusammengefasst lässt sich sagen: Eine vorläufige Zulassung kommt in Betracht, wenn (1) der Prüfling rechtlich gegen das Durchfallen vorgeht und das Verfahren läuft, (2) er konkrete Anhaltspunkte für Bewertungsfehler oder Rechtsverstöße vorträgt, und (3) ihm ohne die Eilentscheidung erhebliche, irreparable Nachteile entstehen würden (etwa ein empfindlicher Karriereverzug), während die vorläufige Prüfung niemandem unzumutbar schadet.
Rechtliche Grundsätze: Effektiver Rechtsschutz und Folgenabwägung
Die Entscheidung des OVG Lüneburg beruht auf zentralen rechtlichen Grundsätzen, insbesondere dem effektiven Rechtsschutz und einer sorgfältigen Folgenabwägung im Eilverfahren. Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes garantiert jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, effektiven Rechtsschutz durch die Gerichte. Dieses Prinzip hätte wenig Wert, wenn ein Prüfling zwar im Nachhinein Recht bekäme (z.B. wegen falscher Bewertung einer Klausur), aber die Chance auf das Examen faktisch für immer verloren wäre, weil er inzwischen nicht an der mündlichen Prüfung teilnehmen durfte. Genau hier greift der einstweilige Rechtsschutz: Er stellt sicher, dass rechtzeitige gerichtliche Entscheidungen getroffen werden können, um schwere und irreversible Nachteile abzuwenden, bevor es zu spät ist. Das OVG Lüneburg hat betont, dass der Antrag auf vorläufige Prüfungszulassung ein statthafter Weg ist, um einen solchen vorläufigen Zustand zu schaffen und den Anspruch des Prüflings auf faire Prüfungsbewertung wirkungsvoll zu schützen. Effektiver Rechtsschutz bedeutet also in diesem Kontext: Das Gericht greift ein, damit der Prüfling sein Recht notfalls schon vor einer endgültigen Klärung ausüben kann, damit ihm kein unwiederbringlicher Nachteil entsteht.
Eine weitere tragende Säule der Entscheidung ist die Folgenabwägung. Bei Eilverfahren nach § 123 VwGO prüft das Gericht regelmäßig zwei Dinge: die voraussichtliche Rechtmäßigkeit des Anliegens und die gegenseitigen Folgen, falls dem Antrag stattgegeben oder nicht stattgegeben wird. Wie oben erwähnt, hat das OVG Lüneburg in diesem besonderen Fall auf eine ausführliche Erfolgsaussichten-Prognose verzichtet und sich auf die Abwägung der Folgen konzentriert. Das heißt, es wurden die Konsequenzen gegenübergestellt: Was passiert, wenn der Referendar nicht vorläufig zur mündlichen Prüfung darf, und was passiert, wenn er darf?
Die Abwägung fiel zugunsten des Referendars aus. Ohne Zulassung hätte er – im Falle eines späteren Klageerfolgs – einen unwiederbringlichen Nachteil erlitten: Er hätte möglicherweise das Examen eigentlich bestanden, durfte aber nicht zur mündlichen Prüfung antreten und müsste nun viel später unter schwierigeren Bedingungen erneut prüfen. Mit Zulassung hingegen entstehen nach Auffassung des Gerichts keine vergleichbar schweren Nachteile auf Seiten der Gegenseite oder der Allgemeinheit. Zwar muss das Justizprüfungsamt die mündliche Prüfung organisieren und finanzieren, obwohl sie eventuell „für die Katz“ sein könnte, falls der Kandidat letztlich doch endgültig durchfällt. Doch diesen Mehraufwand hat das Gericht ausdrücklich als nachrangig eingestuft: Angesichts der gravierenden Nachteile, die dem Prüfling drohen, müsse der Staat solche Aufwendungen hinnehmen. Selbst das Argument des Prüfungsamts, eine mündliche Prüfung ohne finale Klausurnoten sei „zwecklos“ oder schwierig, wurde verworfen – der grundrechtlich geschützte Anspruch des Prüflings wiegt schwerer.
Bei der Folgenabwägung spielte auch die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) eine Rolle: Das OVG führte an, dass der Referendar sich in der Ausbildung befindet, um einen Beruf (etwa als Volljurist, Anwalt, Richter) zu ergreifen. Wird ihm diese Möglichkeit durch verzögerte oder verweigerte Prüfungen genommen, ist sein Grundrecht betroffen. Demgegenüber stehen die Interessen der Verwaltung an einem geordneten Prüfungsablauf und die Rechtssicherheit im Prüfungswesen. Doch das Gericht befand, dass in diesem Fall die Nachteile des Prüflings deutlich schwerer wiegen als die möglichen negativen Folgen für die Behörde oder die Prüfungsordnung. Dieses Ergebnis ist ein Ausdruck von Verhältnismäßigkeit: Der Staat muss im Zweifel eher in Kauf nehmen, dass eine mündliche Prüfung „umsonst“ durchgeführt wird, als dass ein Prüfling durch Zeitablauf sein Recht verliert.
Abschließend ist hervorzuheben, dass das OVG auch Bedenken hinsichtlich der Chancengleichheit und Prüfungsfairness adressiert hat. Einige mögen fragen: Verschafft eine solche Eilzulassung einem Prüfling einen unlauteren Vorteil? Das Gericht sagt klar: Nein. In seinem Beschluss heißt es ausdrücklich, dass die vorläufige Zulassung keine erheblichen Rechtsunsicherheiten oder unwiederbringlichen Nachteile mit sich bringt – weder für das Prüfungsamt noch „schon gar nicht für weitere Prüflinge“. Mit anderen Worten: Andere Examenskandidaten werden dadurch nicht benachteiligt; es wird niemandem etwas „weggenommen“. Vielmehr wird nur gewährleistet, dass im Einzelfall Gerechtigkeit geübt wird, ohne das Prüfungssystem als Ganzes zu gefährden. Diese Klarstellung beruhigt die Lage: Die Grundsätze effektiver Rechtsschutz und faire Interessenabwägung stehen über starren Formeln, aber das Vorgehen bleibt die Ausnahme für besondere Fälle, in denen es wirklich nötig ist.
Auswirkungen auf andere Prüflinge im Staatsexamen
Die Entscheidung aus Lüneburg hat nicht nur für den konkreten Referendar Bedeutung, sondern wirft auch Fragen für alle Examenskandidaten auf: Was bedeutet das für mich, wenn ich im schriftlichen Teil durchfalle? Zunächst einmal zeigt der Beschluss, dass durchgefallen nicht immer endgültig durchgefallen heißt – jedenfalls dann nicht, wenn man plausible Gründe für eine Prüfungsanfechtung hat. Andere Prüflinge in ähnlicher Lage können aus dem Fall Hoffnung schöpfen, dass sie trotz eines anfänglichen „Nicht bestanden“ nicht automatisch aufgeben müssen, sondern mit rechtlichen Schritten möglicherweise noch eine Chance auf die mündliche Prüfung erhalten. Die Position von Examenskandidaten mit grenzwertigen Klausurergebnissen wird durch diese Rechtsprechung eindeutig gestärkt: Wer knapp an den schriftlichen Anforderungen scheitert, hat zumindest die Option, vor Gericht eine vorläufige Zulassung zur Mündlichen zu erstreiten und so den Examensprozess offen zu halten.
Wichtig ist aber zu verstehen, dass es sich hier um ausdrücklich besondere Einzelfälle handelt. Das OVG Lüneburg hat seine Entscheidung auf die spezifischen Umstände gestützt – u.a. die Tatsache, dass der Kandidat bereits im zweiten Versuch war und umfangreiche Beanstandungen der Bewertung vorbrachte. Es handelt sich also nicht um einen Freibrief für alle Durchgefallenen, automatisch eine mündliche Prüfung einzufordern. Wer z.B. weit unter den Bestehensgrenzen lag oder keine konkreten Fehler in der Bewertung benennen kann, wird kaum Erfolg haben. Die Gerichte werden jeden Fall individuell prüfen. Dennoch setzt die OVG-Entscheidung ein Signal an Prüfungsämter und Gerichte: In Zweifelsfällen ist es im Interesse der Prüflinge und der Gerechtigkeit, eher großzügig eine Prüfung zu viel durchzuführen als einem möglicherweise zu Unrecht durchgefallenen Kandidaten den Weg abzuschneiden.
Für andere Prüflinge bedeutet das auch, dass Chancengleichheit gewahrt bleibt. Wie oben erwähnt, hat das Gericht klargestellt, dass kein anderer Prüfling durch die Maßnahme benachteiligt wird. Es entsteht also keine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ im Examen, sondern lediglich ein Korrektiv für extreme Situationen. Sollte ein Prüfling tatsächlich durch Widerspruch und Gericht einen mündlichen Prüfungstermin bekommen, so ist das keine Bevorzugung, sondern das Ergebnis eines transparenten Rechtswegs, der grundsätzlich allen offensteht, die sich in derselben Lage befinden. Im Gegenteil: Die Entscheidung könnte sogar zu einer einheitlicheren Praxis führen. Prüfungsämter könnten künftig eher bereit sein, einem Widerspruchsführer freiwillig die mündliche Prüfung zu ermöglichen, wenn die Sache auf der Kippe steht – um langwierige Gerichtsverfahren zu vermeiden. Insgesamt kann man sagen: Andere Prüflinge brauchen keine Sorge haben, dass hier jemand unrechtmäßig profitiert; vielmehr besteht nun für alle die Möglichkeit, im Falle eines fragwürdigen Klausur-Durchfallens den Rechtsweg zu beschreiten, ohne dass dadurch die Fairness des Examens aus den Angeln gehoben wird.
Praktische Hinweise für Referendare nach einem schriftlichen „Durchfallen“
Was können angehende Volljuristinnen und Volljuristen aus dem Ganzen lernen? Hier ein paar praktische Tipps, falls man in der schriftlichen Examensprüfung durchfällt und dies nicht einfach hinnehmen möchte:
- Nicht zögern, Rechtsmittel einlegen: Sobald der Bescheid „nicht bestanden“ ins Haus flattert, sollten Sie umgehend Remonstration (Antrag auf Neubewertung) einlegen und – wo vorgesehen – Widerspruch erheben. Beachten Sie die Fristen (in der Regel 1 Monat für den Widerspruch). Eine knappe Mitteilung reicht zunächst fristwahrend aus; die ausführliche Begründung können Sie nachreichen. Wichtig ist, dass Sie formal rechtzeitig aktiv werden.
- Bewertungsfehler systematisch suchen: Analysieren Sie Ihre Klausuren gründlich. Sichern Sie alle Unterlagen (Klausurlösungen, Korrekturbemerkungen, Gutachten) und versuchen Sie herauszufinden, ob Bewertungsfehler vorliegen könnten – etwa übersehene Seiten, falsche Punktzurechnungen, Abweichungen vom Erwartungshorizont etc. Dokumentieren Sie alles: Schreiben Sie sich Gedächtnisprotokolle Ihrer Antworten und ggf. der Prüferhinweise. Diese Unterlagen brauchen Sie, um im Widerspruch oder vor Gericht überzeugend darlegen zu können, wo Sie unfair bewertet worden sein könnten.
- Einstweilige Anordnung erwägen: Parallel zur Klage gegen den Durchfall-Bescheid sollten Sie ernsthaft in Betracht ziehen, einen Eilantrag auf vorläufige Zulassung zur mündlichen Prüfung beim Verwaltungsgericht zu stellen. Begründen Sie darin konkret, welche Nachteile Ihnen entstehen, wenn Sie bis zur endgültigen Entscheidung warten müssen – zum Beispiel Zeitverlust, ein eventuell letzter Versuch oder bereits geplante Karrierewege, die auf dem Spiel stehen. Verweisen Sie darauf, dass Sie bereit und in der Lage sind, die mündliche Prüfung abzulegen, und dass Sie diese Chance benötigen, um ihr Recht zu wahren.
- Weiterlernen und vorbereitet bleiben: Lassen Sie trotz des Rückschlags nicht alle Bücher fallen. Bleiben Sie am Ball und bereiten Sie sich auf die mündliche Prüfung vor, selbst wenn noch unklar ist, ob Sie antreten dürfen. Das OVG Lüneburg hielt es übrigens für abwegig, dass jemand in Ihrer Situation sein Wissen nicht aufrechterhält – genau das wird von Ihnen erwartet. Im besten Fall bekommen Sie kurzfristig grünes Licht vom Gericht und können dann fit in die Prüfung gehen. Und falls am Ende doch alles vergeblich war, haben Sie zumindest nichts an Wissen eingebüßt und sind bereit für einen etwaigen Wiederholungsversuch.
- Kommunikation mit dem Prüfungsamt: Informieren Sie Ihre Ausbildungsleitung oder das Justizprüfungsamt über Ihre Schritte. Fragen Sie höflich nach, ob ein mündlicher Prüfungstermin vorsorglich reserviert werden kann, falls Ihrem Antrag stattgegeben wird. In Niedersachsen finden mündliche Prüfungen zu bestimmten „Kampagnen“ statt (z.B. November/Dezember); es kann nicht schaden, wenn das Prüfungsamt über Ihr laufendes Verfahren Bescheid weiß und organisatorisch reagieren kann. Manche Prüfungsbehörden zeigen sich kooperativ, um bei einem positiven Gerichtsentscheid schnell einen Termin anbieten zu können – das liegt im Interesse aller Beteiligten.
- Juristischen Rat einholen: Prüfungsanfechtungen und Eilverfahren sind komplex. Zögern Sie nicht, fachkundigen Rat (etwa von auf Prüfungsrecht spezialisierten Anwältinnen und Anwälten) einzuholen, zumindest für die Klage und den Eilantrag. Im dargestellten Fall hatte der Referendar seinen ersten Eilantrag zwar sogar selbst verfasst und Erfolg damit. Gleichwohl kann professionelle Unterstützung die Erfolgschancen erhöhen, weil erfahrene Juristen genau wissen, worauf es in solchen Verfahren ankommt (z.B. welche Formulierungen und Nachweise für einen Anordnungsanspruch erforderlich sind).
Die Entscheidung des OVG Lüneburg vom 27.10.2025 zur vorläufigen Zulassung zur mündlichen Prüfung ist ein wichtiger Etappensieg für Prüflingsrechte im Staatsexamen. Sie zeigt, dass Durchfallen im schriftlichen Teil nicht das endgültige Aus bedeuten muss, solange berechtigte Zweifel an der Bewertung bestehen und man couragiert den Rechtsweg beschreitet. Gerichtlicher Eilrechtsschutz kann verhindern, dass ein möglicherweise zu Unrecht „Durchgefallener“ um seine verdiente Chance gebracht wird. Dabei wahrt das Gericht die Interessen aller Beteiligten: Dem Prüfling wird kein unersetzlicher Nachteil zugemutet, während der Aufwand für den Staat – eine zusätzliche mündliche Prüfung – als hinnehmbar betrachtet wird. Für Referendarinnen und Referendare bedeutet das: Man sollte die Flinte nicht ins Korn werfen, wenn man an die Bewertung der Klausuren begründete Zweifel hat. Natürlich bleibt eine Prüfungsanfechtung ein Ausnahmeweg und garantiert keinen Erfolg – aber sie bietet eine zweite Chance, die es ohne diesen Beschluss so nicht gegeben hätte. Im Ergebnis unterstreicht der Fall einen zentralen Grundsatz: Lieber einmal zu viel prüfen, als eine Karriere zu früh beenden. Denn ein knapp gescheitertes Examen muss nicht das letzte Wort sein, wenn effektiver Rechtsschutz greift. Referendare sollten ihre Rechte kennen und nutzen – dann kann selbst aus einem vorläufigen „Nicht bestanden“ am Ende doch noch ein bestandenes Examen werden.