Zugang formloser Zustellung muss in Verfassungsbeschwerde benannt werden

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 24. Februar 2021 zum Aktenzeichen 2 BvR 428/18 und 2 BvR 496/18 entscheiden, dass bei der formlosen Zustellung eines mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung vom Beschwerdeführer der Zugang in der Begründung der Verfassungsbeschwerde, jedenfalls innerhalb der Begründungsfrist bekannt gegeben werden muss – sonst ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig.

Eine Verfassungsbeschwerde ist innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG nicht nur einzulegen, sondern auch zu begründen.

Gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG beginnt die Monatsfrist mit der Zustellung oder formlosen Mitteilung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung, wenn diese nach den maßgebenden verfahrensrechtlichen Vorschriften von Amts wegen vorzunehmen ist. Im Falle mehrfacher Bekanntmachung einer strafgerichtlichen Entscheidung beginnt der Lauf der verfassungsprozessualen Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG bereits mit der zuerst bewirkten Zustellung oder formlosen Mitteilung der den Rechtsweg beendenden Entscheidung.

Im Strafprozess erfolgt die Bekanntmachung von Entscheidungen von Amts wegen wahlweise durch Zustellung oder formlose Mitteilung, wenn die Entscheidungen – wie hier – nicht in Anwesenheit der betroffenen Person ergehen und keine strafprozessuale Frist in Gang setzen (vgl. § 35 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Die fristauslösende Zustellung oder formlose Mitteilung im Strafverfahren kann dabei nicht nur an die von der Entscheidung betroffene Person, sondern auch an einen durch Rechtsgeschäft bestellten oder kraft Gesetzes ermächtigten Zustellungsbevollmächtigten erfolgen. Gemäß § 145a Abs. 1 StPO, der gemäß § 428 Abs. 1 Satz 2 StPO für die Vertretung des Einziehungsberechtigten entsprechend anzuwenden ist, gelten der gewählte Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, sowie der bestellte Verteidiger kraft Gesetzes als ermächtigt, Zustellungen und sonstige Mitteilungen für den Beschuldigten in Empfang zu nehmen.

Entscheidet sich das Strafgericht gemäß § 145a Abs. 1 StPO für eine Zustellung an den Wahl- oder Pflichtverteidiger, so wird der Beschuldigte hiervon unterrichtet und erhält gemäß § 145a Abs. 3 Satz 1 StPO zugleich formlos eine Abschrift der Entscheidung. Hierin liegt eine formlose Mitteilung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG.

Da § 145a Abs. 1 StPO nicht zur Zustellung oder sonstigen Mitteilung an den Wahl- oder Pflichtverteidiger verpflichtet und § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO keine Anwendung findet, kann umgekehrt ebenso eine Zustellung nur an den Beschuldigten erfolgen; in diesem Fall ist aber dem Verteidiger nach § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO eine Abschrift zu übermitteln. Auch dies stellt eine form-lose Mitteilung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG dar und ist daher geeignet, die Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG auszulösen.

Angesichts dessen ist im Verfassungsbeschwerdeverfahren die Angabe aller Zugangszeitpunkte – also sowohl des Zugangs bei dem oder den Verteidiger(n) als auch beim Beschuldigten – oder die Klarstellung, dass nur eine einzige (gegebenenfalls formlose) Bekanntgabe erfolgt ist, jedenfalls dann erforderlich, wenn sich die Einhaltung der Monatsfrist nicht ohne Weiteres aus den Unterlagen ergibt. Ein differenzierter Vortrag zu den jeweiligen Zugangszeitpunkten wird insbesondere dann notwendig, wenn die Verfassungsbeschwerde über einen Monat nach dem Entscheidungsdatum der angegriffenen letztinstanzlichen Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht eingeht und der Verteidiger einen Zugangszeitpunkt bei sich selbst angibt, wonach die Verfassungsbeschwerde nur einen Tag vor Ablauf der Monatsfrist gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG erhoben wurde. Andernfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschuldigte die Entscheidung bereits zu einem früheren Zeitpunkt erhalten hat.

Eine eigenverantwortliche Feststellung des Fristbeginns ist dem Bevollmächtigen im Verfassungsbeschwerdeverfahren auch zumutbar, da er diesen in aller Regel durch Austausch mit dem Beschwerdeführer oder durch Einsicht in die Gerichtsakte unproblematisch ermitteln kann.

Ausgehend hiervon kann im vorliegenden Verfahren auf Grundlage des Beschwerdevortrags nicht zuverlässig beurteilt werden, ob die Verfassungsbeschwerde die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG gewahrt hat.

Die am 19. März 2018 beim Bundesverfassungsgericht eingegangene Verfassungsbeschwerde benennt allein den Zeitpunkt, zu dem der Beschluss des Landgerichts München I vom 8. Februar 2018, mit dem die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts München vom 24. Juli 2017 verworfen wurde, dem von der Beschwerdeführerin bevollmächtigten Rechtsanwalt zugestellt worden sein soll. Dazu hat der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin, die als Einziehungsbeteiligte am Strafverfahren beteiligt war, eine Ablichtung des Übersendungsschreibens des Landgerichts München I mit Eingangsstempel der Kanzlei vom 19. Februar 2018 vorgelegt. Davon ausgehend wäre die Verfassungsbeschwerde erst am Tag des Ablaufs der Frist aus § 93 Abs. 1 BVerfGG erhoben worden.

Dieser Umstand hätte den Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin dazu veranlassen müssen, auch den Zeitpunkt der Zustellung oder formlosen Mitteilung der verfahrensabschließenden Entscheidung an die Beschwerdeführerin mitzuteilen. Dies hat der Bevollmächtigte versäumt. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der angegriffene Beschluss des Landgerichts der Beschwerdeführerin bereits zu einem früheren Zeitpunkt zugegangen ist, ist die Einhaltung der Frist zur Erhebung und Begründung der Verfassungsbeschwerde gemäß § 93 Abs. 1 BVerfGG weder aus sich heraus noch aus dem Beschwerdevorbringen nachvollziehbar.