Erfolgloses Normenkontrollverfahren gegen Sächsisches Wahlgesetz: Begrenzung des Ausgleichs von Überhangmandaten mit Landesverfassung vereinbar

22. Juni 2021 -

Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen in Leipzig hat am 18.06.2021 zum Aktenzeichen 35-II-20 (HS) entschieden, dass die Regelung im Sächsischen Wahlgesetz, die den Ausgleich von Überhangmandaten bei der Landtagswahl begrenzt (§ 6 Absatz 6 Satz 3 SächsWahlG), mit der Verfassung des Freistaates Sachsen vereinbar ist.

Aus der Pressemitteilung des VerfGH SA vom 21.06.2021 ergibt sich:

38 Mitglieder des Sächsischen Landtages haben sich in einem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle an den Verfassungsgerichtshof gewandt und die Prüfung begehrt, ob die Regelung des § 6 Abs. 6 Satz 3 SächsWahlG mit dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit und dem Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit vereinbar ist.

Die Verfassung sieht in Art. 41 Abs. 1 vor, dass der Sächsische Landtag in der Regel aus 120 Abgeordneten besteht, die nach einem Verfahren gewählt werden, das die Persönlichkeitswahl mit den Grundsätzen der Verhältniswahl verbindet. Das Sächsische Wahlgesetz regelt, dass von den 120 Abgeordneten 60 Abgeordnete direkt in den Wahlkreisen durch Mehrheitswahl und die übrigen 60 Abgeordneten aus den Landeslisten einer Partei in den Landtag gewählt werden. Die Verteilung der Sitze im Landtag auf die einzelnen Parteien errechnet sich nach dem Verhältnis der für die Landeslisten abgegebenen Stimmen. Die in den Wahlkreisen errungenen Direktmandate bleiben jedoch stets erhalten. Dies kann zu sog. Überhangmandaten führen, wenn die Zahl der Direktmandate einer Partei die Zahl der nach dem Verhältniswahlverfahren errechneten Sitze dieser Partei übersteigt. Das Sächsische Wahlgesetz sieht in einem solchen Fall Ausgleichsmandate für die übrigen Landeslisten vor. Allerdings darf die Zahl der Ausgleichsmandate nach der von den Antragstellern angegriffenen Regelung die der Überhangmandate nicht übersteigen.

Die Antragsteller sind der Auffassung, dass die Beschränkung des Ausgleichs von Überhangmandaten die Wähler und die Wahlbewerber in ihrem Recht auf Gleichheit der Wahl und die Parteien in ihrem Recht auf Gleichbehandlung verletzen. Neben einem Vergleich mit den Regelungen der anderen Bundesländer und des Bundes tragen sie zur Begründung im Wesentlichen vor, dass in dem durch den sächsischen Verfassungsgeber abschließend charakterisierten Wahlsystem der aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit folgende Grundsatz der Erfolgswertgleichheit gebiete, dass sämtliche Überhangmandate ausgeglichen werden.

Der VerfGH Leipzig hat entschieden, dass der zulässige Antrag im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle offensichtlich unbegründet ist.

Die in § 6 Abs. 6 Satz 3 SächsWahlG enthaltene Beschränkung der Zahl von Ausgleichsmandaten beim Ausgleich von Überhangmandaten steht im Einklang mit dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit und dem Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit.

Es obliegt dem Landesgesetzgeber, die Einzelheiten des Wahlrechts für die Wahlen zum Landtag zu regeln, wobei er jedoch an landesverfassungsrechtliche Vorgaben gebunden ist. Die Verfassung des Freistaates Sachsen enthält für den Sächsischen Landtag im Gegensatz zum Grundgesetz neben der Festlegung auf die allgemeinen Wahlrechtsgrundsätze ausdrückliche Regelungen über die Mandatsanzahl und das Wahlsystem, das die Persönlichkeitswahl mit den Grundsätzen der Verhältniswahl verbindet. Da die verfassungsrechtlichen Vorgaben an die Gestaltung der Landtagswahl teilweise miteinander kollidieren, ist eine – isoliert betrachtet – optimale Umsetzung jeder einzelnen Vorgabe faktisch unmöglich. Es ist Sache des Gesetzgebers, die verfassungsrechtlichen Vorgaben unter Wahrung des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl zu einem Ausgleich zu bringen. Im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums darf er dabei auch den Ausgleich angefallener Überhangmandate begrenzen, selbst wenn hierdurch eine vollständige Proportionalität bei der Verteilung der Gesamtzahl der Sitze nicht erreicht wird. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl ist erst dann gegeben, wenn die Regelung zur Erreichung der vom Gesetzgeber verfolgten Ziele nicht geeignet ist oder das Maß des zur Erreichung dieser Ziele Erforderlichen überschreitet. Dies wäre dann der Fall, wenn die – durch die Begrenzung des Ausgleichs von Überhangmandaten mögliche – Zuteilung zusätzlicher Sitze außerhalb des Proporzes dazu führte, dass der Grundcharakter der Wahl als einer am Ergebnis der für die Parteien abgegebenen Stimmen orientierten Verhältniswahl aufgehoben würde. Unausgeglichene Überhangmandate sind nur in eng begrenztem Umfang zulässig. Könnten sie regelmäßig in größerer Zahl anfallen, widerspräche dies der Grundentscheidung der Verfassung des Freistaates Sachsen für eine personalisierte Verhältniswahl.

Soweit es in der Vergangenheit bei zwei Landtagswahlen aufgrund der gesetzlichen Begrenzung zu einem nur unvollständigen Ausgleich von Überhangmandaten gekommen ist, stellt dies, selbst wenn sich solches wiederholen sollte, den Grundcharakter der Verhältniswahl nicht in Frage. Dafür, dass künftig unausgeglichene Mehrsitze in größerem Umfang auftreten könnten, bestehen derzeit trotz Veränderungen im Wählerverhalten oder in der Parteienlandschaft keine konkreten Anhaltspunkte. Ob der Gesetzgeber innerhalb seines Gestaltungsspielraums auch einen anderen als den in § 6 Abs. 6 Satz 3 SächsWahlG normierten Ausgleichsmechanismus hätte festlegen können, ist für die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags ohne Bedeutung. Der Verfassungsgerichtshof hat allein zu prüfen, ob sich die vom Gesetzgeber gewählte rechtliche Konzeption im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen hält. Dies ist hier gegenwärtig der Fall.