Fenstersprung nach Akku-Explosion im Homeoffice: Kein Arbeitsunfall laut LSG Berlin-Brandenburg

28. Oktober 2025 -

Ein Softwareentwickler rettete sich in Berlin mit einem Sprung aus dem Fenster vor einem Wohnungsbrand – und zog sich dabei beide Fußbrüche zu. Auslöser war eine Explosion der Akkus seines E-Rollers, die während einer geschäftlichen Telefonkonferenz in seinem Homeoffice plötzlich in Flammen gerieten und dichten Qualm verursachten. Der Mann wollte diesen Vorfall als Arbeitsunfall anerkennen lassen, da er sich zum Zeitpunkt des Unglücks im Homeoffice befand und in Ausübung seines Berufs (Telefonkonferenz) wähnte. Die Berufsgenossenschaft – der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung – lehnte jedoch eine Anerkennung ab, und auch vor Gericht blieb der Mann in erster Instanz erfolglos. Nun hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg am 09.10.2025 letztinstanzlich bestätigt, dass es sich nicht um einen Arbeitsunfall handelt. Die gesetzliche Unfallversicherung muss folglich für diesen Fenstersturz die Kosten nicht übernehmen.

Der Fall: E-Roller-Akkus explodieren während der Arbeit im Homeoffice

Der Kläger arbeitete Anfang 2021 von seiner Wohnung aus im Homeoffice als Softwareentwickler. Eines Tages war er in einer dienstlichen Telefonkonferenz, als er Rauch in der Wohnung bemerkte. Beim Nachschauen explodierten in dem Moment zwei Akkus seines privat genutzten E-Rollers, die nahe der Wohnungstür lagerten. Es entstand eine Stichflamme und starker Rauch; der Fluchtweg durch die Tür war versperrt. Um sein Leben zu retten, kletterte der Mann daher aus dem Fenster im ersten Stock und ließ sich in den Innenhof fallen. Dabei erlitt er schwere Verletzungen (mehrere Knochenbrüche an den Füßen). Nachdem die Feuerwehr den Brand gelöscht hatte, stellte sich heraus, dass ein technischer Defekt der Akkus den Brand ausgelöst hatte.

Der Unfall ereignete sich also während der Arbeitszeit und im häuslichen Arbeitszimmer. Der Mann argumentierte daher, dies müsse als Arbeitsunfall gelten und von der gesetzlichen Unfallversicherung abgedeckt sein. Schließlich habe er sich wegen eines plötzlich auftretenden Brandes während der Arbeit in Gefahr begeben und verletzt. Die zuständige Berufsgenossenschaft sah dies jedoch anders: Sie verneinte den Versicherungsschutz, da das Geschehen keinen ausreichenden Zusammenhang zur beruflichen Tätigkeit habe. Der verletzte Softwareentwickler klagte gegen die Entscheidung der Berufsgenossenschaft, verlor jedoch bereits vor dem Sozialgericht – und letztlich nun auch in der Berufungsinstanz vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg.

Gerichtsentscheidung: Kein Arbeitsunfall wegen fehlendem Zusammenhang zur Arbeit

Das LSG Berlin-Brandenburg bestätigte am 09.10.2025, dass der Fenstersturz nicht unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fällt. Entscheidend war für die Richter, dass keine „hinreichend enge sachliche Beziehung“ zwischen der Verletzung (Sprung aus dem Fenster) und der beruflichen Tätigkeit (der Telefonkonferenz) bestand. Mit anderen Worten: Der Unfall passierte zwar bei Gelegenheit der Arbeit im Homeoffice, war aber nicht durch die berufliche Tätigkeit verursacht. Der Mann sprang aus dem Fenster in erster Linie, um sein eigenes Leben zu retten – ein Motiv, das das Gericht als „überragend wichtiges privates Motiv“ eingestuft hat. Diese lebensrettende Flucht war also eine persönliche Handlung zur Gefahrenabwehr, keine arbeitsbedingte Verrichtung. Dass der Mann im Hinterkopf möglicherweise auch seine Arbeitsfähigkeit erhalten wollte, um nach der Rettung weiterarbeiten zu können, bezeichnete das Gericht als völlig nachrangig und rechtlich unerheblich. Damit fehlte der direkte Zusammenhang zum versicherten Arbeitsauftrag.

Die Folge dieser Wertung: Es liegt kein Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch VII vor. Nach dieser Vorschrift sind nur Unfälle versichert, die eine Beschäftigter infolge einer versicherten Tätigkeit erleidet – also durch eine berufliche Tätigkeit oder auf einem hierzu gehörenden Weg verursacht werden. Reine Privatangelegenheiten oder Risiken aus dem persönlichen Lebensbereich fallen nicht darunter. Genau so ein privates Risiko habe sich hier verwirklicht, so das Gericht: Die Gefahr ging von den privaten Akkus des E-Rollers des Mannes aus, welche nichts mit seiner beruflichen Aufgabe zu tun hatten. Die Explosion erfolgte zufällig während der Arbeitszeit, aber eben ohne sachlichen Bezug zur beruflichen Tätigkeit. Der Sprung aus dem Fenster war dementsprechend eine spontane Selbstrettungsmaßnahme – keine dienstliche Handlung.

Homeoffice-Unfälle: Wann greift die gesetzliche Unfallversicherung?

Grundsätzlich sind Arbeitsunfälle nicht auf das klassische Büro oder die Baustelle beschränkt – auch im Homeoffice können Beschäftigte unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen. Seit einigen Jahren ist gesetzlich klargestellt, dass das Homeoffice als „Arbeitsort“ gilt, an dem ähnliche Regeln wie im Betrieb gelten. Voraussetzung ist jedoch stets, dass der Unfall in Ausübung der beruflichen Tätigkeit passiert. Entscheidend ist, ob die konkrete Verrichtung zum Unfallzeitpunkt dem Unternehmen bzw. dem Job diente, also im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand. Wird die eigentliche Arbeitstätigkeit dagegen zu privaten Zwecken unterbrochen oder ereignet sich ein Unfall aus rein persönlichen Gründen, entfällt der gesetzliche Versicherungsschutz. Mit anderen Worten: Nicht jeder Unfall zuhause während der Arbeitszeit ist automatisch ein Arbeitsunfall. Es muss ein funktionaler Bezug zur Arbeit vorliegen.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in der Vergangenheit klargestellt, dass sogar Gefahren, die von privaten Gegenständen im Homeoffice ausgehen, unter Umständen versichert sein können – wenn diese Gegenstände für die berufliche Tätigkeit eingesetzt werden. Ein Beispiel: Nutzt jemand sein eigenes (privates) Laptop oder einen Bürostuhl für die Arbeit zu Hause und es kommt dadurch zum Unfall (etwa der Stuhl bricht zusammen, das Laptop explodiert während der Dienstnutzung), kann dies als Arbeitsunfall anerkannt werden, weil das Arbeitsgerät im Dienst verwendet wurde. Im Gegensatz dazu sind Unfälle durch private Aktivitäten oder Geräte, die nicht der Arbeit dienen, nicht abgedeckt. Im vorliegenden Fall spielte der E-Roller und dessen Akku keine Rolle für die Arbeitsaufgaben – er war nicht dazu bestimmt, die Telefonkonferenz durchzuführen, wie das Gericht betonte. Daher fehlte die versicherte Tätigkeit als Ursache des Unfalls.

Auch typische Handlungen im Homeoffice sind nur dann versichert, wenn sie unmittelbar der Arbeit dienen. Beispielsweise ist der Gang im Homeoffice, um Arbeitsmaterial zu holen, versichert, nicht jedoch ein Gang in die Küche, um sich privat einen Kaffee oder ein Mittagessen zu holen (solche Pausen dienen der eigenwirtschaftlichen Versorgung). Im Zweifel fragen Gerichte genau: War die Handlung zum Unfallzeitpunkt beruflich motiviert oder privat? – Davon hängt ab, ob die gesetzliche Unfallversicherung greift.

Lehren aus dem Urteil für Versicherte und Arbeitgeber

Der Fall macht deutlich: Arbeitsunfall oder nicht? – Es kommt auf den Kontext an. Beschäftigte sollten wissen, dass der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung an die berufliche Tätigkeit geknüpft ist. Wer im Homeoffice arbeitet, genießt zwar grundsätzlich denselben Unfallschutz wie im Betrieb, aber eben nur während Tätigkeiten für den Job. Nicht alles, was während der Arbeitszeit zuhause passiert, ist versichert. Persönliche Risiken im Haushalt oder im privaten Umfeld bleiben private Angelegenheit. Im konkreten Fall war der brennende E-Roller-Akku kein Arbeitsmittel, sondern ein Zufallsereignis aus der Privatsphäre – deswegen musste die Berufsgenossenschaft nicht zahlen.

Für Versicherte bedeutet dies in der Praxis: Achten Sie darauf, welche Tätigkeit Sie im Moment eines Unfalls ausgeübt haben. War es eine dienstliche Verrichtung oder etwas Privates? Nur erstere fällt unter den gesetzlichen Unfallschutz. Wer also z.B. während der Arbeit daheim kurz private Dinge erledigt und sich dabei verletzt, kann in der Regel nicht mit Leistungen der Berufsgenossenschaft rechnen. In Zweifelsfällen lohnt es sich aber, den Sachverhalt prüfen zu lassen – manchmal sind die Grenzen fließend (etwa bei kurzen Unterbrechungen, die eng mit der Arbeit zusammenhängen).

Arbeitgeber sollten ihre Angestellten im Homeoffice entsprechend sensibilisieren. Zwar können Arbeitgeber private Unfälle der Mitarbeiter nicht verhindern, aber Aufklärung kann helfen, falsche Erwartungen zu vermeiden. Wichtig ist auch, im Homeoffice sichere Arbeitsbedingungen zu fördern: Zum Beispiel sollten technische Arbeitsmittel, wenn privat gestellt, in einwandfreiem Zustand sein. Denn wenn Arbeitsgeräte im Homeoffice versagen und einen Unfall verursachen, trägt die gesetzliche Unfallversicherung unter Umständen die Folgen – während sie bei Privatgeräten ohne Arbeitsbezug nicht eintritt. Arbeitgeber sind gut beraten, klare Vereinbarungen über den Arbeitsort und die Arbeitsmittel im Homeoffice zu treffen, um den Unfallschutz transparent zu halten.

Bedeutung des Urteils über den Einzelfall hinaus

Diese Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg verdeutlicht die Grenzen des Unfallversicherungsschutzes im Homeoffice. In Zeiten, in denen Homeoffice immer verbreiteter ist, stellt das Urteil klar: Entscheidend ist nicht der Ort (Büro vs. Zuhause) oder der Zeitpunkt (während der Arbeitszeit), sondern die Handlung und ihr Bezug zur Arbeit. Unfälle, die zwar während der Arbeit passieren, aber durch rein private Umstände verursacht werden, bleiben Privatsache. Die gesetzliche Unfallversicherung ist kein Rundum-sorglos-Paket für alle Missgeschicke im Homeoffice, sondern greift nur bei tatsächlichen Berufsrisiken.

Über den Einzelfall hinaus hat das Urteil Signalwirkung: Arbeitnehmer sollten ihre Tätigkeiten im Homeoffice so organisieren, dass berufliche und private Sphären möglichst getrennt sind – jedenfalls in Bezug auf Gefahrenquellen. Wer z.B. gefährliche Gegenstände (wie Akkus, Geräte, Werkzeuge) zu Hause lagert, sollte sich bewusst sein, dass Unfälle hierdurch nicht automatisch als Arbeitsunfall gelten, nur weil man gerade „bei der Arbeit“ war. Für die Berufsgenossenschaften und Gerichte liefert der Fall ein weiteres Präzedenzbeispiel, um die Abgrenzung zwischen Arbeitsunfall und privatem Unfall zu schärfen. Letztlich stärkt das Urteil das Verständnis dafür, dass der Unfallschutz an den Zweck der Handlung* geknüpft ist: Tätigkeiten im unmittelbaren Interesse des Arbeitgebers sind versichert, eigenwirtschaftliche (private) Handlungen dagegen nicht.

Betroffene können aus diesem Urteil lernen, im Schadensfall genau darzulegen, weshalb eine Tätigkeit dem Betrieb diente. Gleichzeitig mahnt der Fall zur Vorsicht: Nicht jede schicksalhafte Wendung im Homeoffice ist sozialversicherungsrechtlich abgedeckt. Im Zweifel sollte man sich rechtlich beraten lassen, ob ein Unfall als Arbeitsunfall anerkannt werden kann – die Kriterien sind komplex und werden im Einzelfall geprüft. Für alle Seiten – Beschäftigte wie Arbeitgeber – unterstreicht das LSG-Urteil die Bedeutung einer klaren Trennung von Beruf und Privat im heimischen Arbeitsumfeld, zumindest was das Gefahrenrisiko angeht. Nur so lässt sich sicher einschätzen, wann der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung greift und wann nicht.

Der dramatische Fenstersprung des Softwareentwicklers war aus menschlicher Sicht verständlich und lebensrettend – versicherungsrechtlich blieb er jedoch ein privater Unfall ohne Leistungsanspruch der Berufsgenossenschaft. Das Urteil erinnert daran, dass bei der Anerkennung von Arbeitsunfällen stets die Berufsbezogenheit der Tätigkeit im Vordergrund steht.