Fortdauer der Sicherungsverwahrung ist verfassungswidrig ohne bestmögliche Sachaufklärung

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 28. September 2020 zum Aktenzeichen 2 BvR 1235/17 entschieden, dass die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in einem sogenannten „Altfall“ nach § 67d Abs. 3 StGB in Verbindung mit Art. 316f Abs. 2 EGStGB den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 GG verletzt.

Der einschlägig vorbestrafte Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Berlin vom 3. Juni 1998 wegen versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Darüber hinaus wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet

Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann „die Freiheit der Person“ und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als „unverletzlich“ bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuieren.

Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG erfordert auch im Verfahrensrecht Beachtung.

In Bezug auf die Fortdauerentscheidungen bei Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus bedeutet dies nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass es bei einer langjährigen Unterbringung in der Regel geboten ist, von Zeit zu Zeit einen anstaltsfremden Sachverständigen hinzuzuziehen, um der Gefahr repetitiver Routinebeurteilungen vorzubeugen und um auszuschließen, dass Belange der Anstalt oder der Beziehung zwischen Untergebrachtem und Therapeuten das Gutachten beeinflussen. Aus denselben Gründen kann es bei langdauernder Unterbringung angezeigt sein, den Untergebrachten von einem solchen Sachverständigen begutachten zu lassen, der im Laufe des Vollstreckungsverfahrens noch überhaupt nicht mit dem Untergebrachten befasst war

Diese verfassungsrechtlichen Prinzipien gelten auch für den Vollzug einer Sicherungsverwahrung.

Die Entscheidung über die Einholung eines Sachverständigengutachtens aufgrund § 463 Abs. 3 Satz 3 in Verbindung mit § 454 Abs. 2 StPO ist zunächst Aufgabe der Fachgerichte. Ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts ist erst dann gerechtfertigt, wenn deren Auslegung und Anwendung der freiheitssichernden Vorschriften mit Bedeutung und Tragweite des Freiheitsgrundrechts nicht zu vereinbaren sind oder sich als objektiv willkürlich erweisen.

Die Fachgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung der prozeduralen Sicherungen des Freiheitsgrundrechts allerdings zu berücksichtigen, dass die materiellen Freiheitsgarantien des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG unter den grundrechtlich verbürgten Rechten ein besonderes Gewicht haben und die Freiheit des Einzelnen nur in einem mit wesentlichen formellen Garantien ausgestatteten Verfahren entzogen werden darf.

Daher beruht vorliegend die Bestimmung des Sachverständigen K. zur Begutachtung des langjährig untergebrachten Beschwerdeführers auf einer Nichtbeachtung des verfassungsrechtlichen Gebots bestmöglicher Sachaufklärung. Hierdurch ist der Beschwerdeführer in seinem Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt.