Internationaler Güterkraftverkehr: Entsendung von Arbeitnehmern

02. Dezember 2020 -

Der Europäische Gerichtshof hat am 01.12.2020 zum Aktenzeichen C-815/18 entschieden, dass die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen auf die länderübergreifende Erbringung von Dienstleistungen im Straßenverkehrssektor anwendbar ist.

Aus der Pressemitteilung des EuGH  Nr. 148/2020 vom 01.12.2020 ergibt sich:

Arbeitnehmer aus Deutschland und Ungarn waren im Rahmen von Charterverträgen als Fahrer tätig, die sich auf grenzüberschreitende Beförderungen bezogen, wobei die Charterverträge zwischen einem Güterkraftverkehrsunternehmen in Erp (Niederlande), der Van den Bosch Transporten BV, und zweien seiner Schwestergesellschaften geschlossen worden waren, von denen die eine eine Gesellschaft deutschen Rechts und die andere eine Gesellschaft ungarischen Rechts ist, die derselben Unternehmensgruppe angehören und an die die in Rede stehenden Fahrer vertraglich gebunden waren.

In der Regel fand die Vercharterung in dem maßgeblichen Zeitraum ab Erp statt, und die Fahrten endeten dort auch, die meisten auf der Grundlage der fraglichen Charterverträge durchgeführten Beförderungen fanden jedoch außerhalb des Hoheitsgebiets des Königreichs der Niederlande statt. Van den Bosch Transporten unterlag als Mitglied des niederländischen Verbands für den Güterverkehr dem für diesen Sektor geltenden Tarifvertrag (im Folgenden: Tarifvertrag für den Güterverkehr), der zwischen diesem Verband und der Federatie Nederlandse Vakbeweging (FNV) (Niederländischer Gewerkschaftsverband) geschlossen worden war. Ein zweiter Tarifvertrag, der u.a. für den gewerblichen Güterkraftverkehr galt und dessen Bestimmungen im Wesentlichen mit denen des Tarifvertrages über den Güterverkehr übereinstimmten, war im Unterschied zum ersten für allgemein verbindlich erklärt worden. Nach nationalem Recht waren aber die unter den Tarifvertrag für den Güterverkehr fallenden Unternehmen von der Anwendung dieses zweiten Tarifvertrages befreit, sofern der erste Tarifvertrag eingehalten wurde.

Nach Ansicht von FNV hätte Van den Bosch Transporten bei der Einschaltung von Fahrern aus Deutschland und Ungarn auf sie in ihrer Eigenschaft als entsandte Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, 1) die grundlegenden Arbeitsbedingungen des Tarifvertrages für den Güterverkehr anwenden müssen. Da die in diesem Tarifvertrag vereinbarten grundlegenden Arbeitsbedingungen aber auf diese Fahrer nicht angewandt worden waren, erhob FNV eine Klage gegen die drei Güterkraftverkehrsunternehmen, auf die hin im ersten Rechtszug ein stattgebendes Zwischenurteil erging. Dieses Urteil wurde jedoch im Berufungsverfahren aufgehoben.

Das Berufungsgericht war u.a. der Ansicht, dass die in Rede stehenden Vercharterungen nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern fielen, da sich diese Richtlinie nur auf Vercharterungen beziehe, die zumindest hauptsächlich „im Hoheitsgebiet“ eines anderen Mitgliedstaates erfolgten.

In diesem Zusammenhang hat der Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande), bei dem FNV Kassationsbeschwerde erhoben hat, dem EuGH eine Reihe von Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die im Wesentlichen die Voraussetzungen betreffen, unter denen auf das Vorliegen einer Entsendung von Arbeitnehmern „in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates“ im internationalen Straßenverkehrssektor geschlossen werden kann.

Der EuGH hat entschieden, dass die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern auf die länderübergreifende Erbringung von Dienstleistungen im Straßenverkehrssektor anwendbar ist.

Nach Auffassung des EuGh gilt diese Richtlinie nämlich grundsätzlich für jede länderübergreifende Erbringung von Dienstleistungen, die mit einer Entsendung von Arbeitnehmern verbunden ist, unabhängig vom betroffenen Wirtschaftssektor, und im Unterschied zu einem klassischen Liberalisierungsinstrument verfolgt sie eine Reihe von Zielen in Bezug auf die notwendige Förderung des länderübergreifenden Dienstleistungsverkehrs bei gleichzeitiger Sicherstellung eines fairen Wettbewerbs und der Wahrung der Rechte der Arbeitnehmer. Der Umstand, dass die Rechtsgrundlage dieser Richtlinie keine Bestimmungen über den Verkehr umfasse, könne daher vom Anwendungsbereich der Richtlinie die länderübergreifende Erbringung von Dienstleistungen im Straßenverkehrssektor, insbesondere im Güterkraftverkehrssektor, nicht ausschließen.

Zur Eigenschaft der betroffenen Fahrer als entsandte Arbeitnehmer weist der EuGH darauf hin, dass die Arbeitsleistung eines Arbeitnehmers, damit er als „in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates entsandt“ angesehen werden könne, einen hinreichenden Bezug zu diesem Hoheitsgebiet aufweisen müsse. Das Vorliegen einer solchen Verbindung werde im Rahmen einer Gesamtwürdigung von Gesichtspunkten bestimmt, zu denen die Art der von dem betreffenden Arbeitnehmer in diesem Hoheitsgebiet verrichteten Tätigkeiten, die Enge der Verbindung der Tätigkeiten dieses Arbeitnehmers zu dem Hoheitsgebiet eines jeden Mitgliedstaates, in dem er tätig sei, und der Anteil gehören, den diese Tätigkeiten dort an der gesamten Beförderungsleistung ausmachen.

Dass ein Fernfahrer, der von einem in einem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen einem Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat überlassen wurde, am Sitz dieses zweiten Unternehmens die mit seinen Aufgaben zusammenhängenden Anweisungen erhalte, die Ausführung dieser Aufgaben dort beginne oder beende, reiche insbesondere für sich genommen nicht für die Annahme aus, dass dieser Fahrer im Sinne der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaates entsandt worden sei, wenn die Arbeitsleistung dieses Fahrers aufgrund anderer Faktoren keine hinreichende Verbindung zu diesem Hoheitsgebiet aufweise.

Das Bestehen eines Konzernverbunds zwischen den Unternehmen, die Parteien des Vertrages über die Überlassung von Arbeitnehmern seien, vermag als solches nichts darüber auszusagen, wie eng die Verbindung der Arbeitsleistung zu dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates sei, in das diese Arbeitnehmer entsandt werden. Daher sei das Bestehen eines Konzernverbunds für die Beurteilung, ob eine Entsendung von Arbeitnehmern vorliege, nicht relevant.

Zu dem Sonderfall der Kabotagebeförderungen, für die, wie die Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 über den grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr (ABl. 2009, L 300, 72) betone, die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern gelte, führt der EuGH aus, dass diese Beförderungen vollständig im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates stattfinden, was die Annahme zulasse, dass die Arbeitsleistung des Fahrers im Rahmen solcher Beförderungen eine hinreichende Verbindung zu diesem Hoheitsgebiet aufweise. Die Dauer der Kabotagebeförderung sei für die Beurteilung des Vorliegens einer solchen Entsendung unerheblich, unbeschadet der den Mitgliedstaaten nach dieser Richtlinie zur Verfügung stehenden Möglichkeit, bestimmte Vorschriften der Richtlinie, insbesondere in Bezug auf die Mindestlohnsätze, nicht anzuwenden, wenn die Dauer der Entsendung einen Monat nicht übersteige.

Die Mitgliedstaaten haben im Fall einer Entsendung von Arbeitnehmern nach dieser Richtlinie dafür zu sorgen, dass die betreffenden Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern eine Reihe von Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die u.a. in für allgemein verbindlich erklärten Tarifverträgen festgelegt seien, d.h. in solchen Tarifverträgen, die von allen Unternehmen, die zur betreffenden Branche oder zum fraglichen Gewerbe gehören, einzuhalten seien, die in den räumlichen Anwendungsbereich der genannten Tarifverträge fallen. Ob ein Tarifvertrag für allgemein verbindlich erklärt worden sei, sei anhand des anwendbaren nationalen Rechts zu beurteilen. Unter diesen Begriff falle auch ein Tarifvertrag, der nicht für allgemein verbindlich erklärt worden sei, aber dessen Einhaltung für die ihm unterliegenden Unternehmen die Voraussetzung für die Befreiung von der Anwendung eines anderen, seinerseits für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrages darstellt, dessen Bestimmungen im Wesentlichen mit jenen dieses anderen Tarifvertrages identisch seien.