In dem zugrunde liegenden Steuerstrafverfahren soll ein in Rumänien lebender Beschuldigter im Gebrauchtwagenhandel Steuern hinterzogen haben. Das Finanzamt vermutete, dass sein Neffe eine notariell beglaubigte Generalvollmacht genutzt hatte – eine Vollmacht, die der Beschuldigte angeblich nicht unterschrieben habe. Der beurkundende Notar verwahrte die Originalvollmacht. Auf Nachfrage verweigerte er Auskunft über die Beglaubigung und lehnte später auch die Herausgabe der Vollmacht mit Hinweis auf seine Amtsverschwiegenheit ab. Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbeschluss nach § 103 StPO, der dem Notar eine Abwendungsbefugnis (= die Möglichkeit, die Suche durch freiwilliges Aushändigen zu verhindern) einräumen sollte. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit wurde zunächst jedoch ein richterliches Herausgabeersuchen (§ 95 StPO) versucht, verbunden mit der Androhung von Zwangsmitteln. Dagegen legte der Notar Beschwerde ein.
Berufsträger und Herausgabeersuchen: Rechtslage
Grundsätzlich kann gem. § 95 StPO jeder, der im Besitz von mutmaßlich beweiserheblichen Gegenständen ist, zur Vorlage oder Herausgabe aufgefordert werden. Weigert er sich, können Ordnungs- oder Zwangsmittel (§ 70 StPO) drohen. Wichtig: Diese Androhung fällt aber bei Personen weg, die nach § 53 StPO zur Zeugnisverweigerung berechtigt sind. Dazu zählen u.a. Notare, Rechtsanwälte, Ärzte und Seelsorger. Das LG Nürnberg-Fürth betont daher klar: Selbst wenn das an den Notar gerichtete Herausgabeersuchen formal nach § 95 StPO erlassen wurde, konnte es gegen ihn keine zwangsweise Durchsetzung finden. Ein Verstoß gegen § 95 StPO kann für den zeugnisverweigernden Berufsgeheimnisträger bereits dahingehend vorliegen, dass er zu einer nicht durchsetzbaren Herausgabepflicht gedrängt wird. Im geschilderten Fall empfahl das Gericht, dass der Notar durch das Ersuchen rechtswidrig in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt worden sei.
Die Staatsanwaltschaft hatte argumentiert, notarielle Urkunden seien nach § 97 StPO nicht vom Beschlagnahmeverbot erfasst (da sie öffentlich sind) und daher Zwangsmittel möglich. Das LG verwies hierauf jedoch: § 95 Abs. 2 S. 2 StPO knüpft die Ausnahme ausdrücklich an die Eigenschaft der Person als zeugnisverweigerungsberechtigt, nicht an das Geheimhaltungsprivileg des Gegenstands. Selbst wenn die Originalurkunde beschlagnahmefähig wäre (was hier fraglich ist), konnte der Notar aufgrund seines Zeugnisverweigerungsrechts nicht gezwungen werden.
Durchsuchungsbeschluss und Abwendungsbefugnis
Das LG ging darüber hinaus detailliert auf die Verhältnismäßigkeit ein. Nach seiner Auffassung ist ein Herausgabeverlangen bei einem Berufsgeheimnisträger nur scheinbar ein schonenderes Mittel im Vergleich zum Durchsuchungsbeschluss mit Abwendungsbefugnis. Denn in Wahrheit setzt es den Berufsgeheimnisträger unter erheblichen Rechtfertigungsdruck: Er müsste selbst die anspruchsvolle Rechtsfrage lösen, ob die geforderte Urkunde überhaupt herausgeben werden darf. Eine falsche Entscheidung könnte ihn wegen Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB) strafbar machen. Die Entscheidung betont, dass der Notar in diesem Fall Gefahr läuft, ein anvertrautes Geheimnis ohne Rechtfertigung preiszugeben – dies wäre objektiv unbefugt nach § 203 StGB.
Erst wenn die Ermittlungsbehörde bereits einen Durchsuchungs- oder Beschlagnahmebeschluss („Zwangsgrundlage“) in der Hand hält und ihn mit einer Abwendungsbefugnis versieht, ist das Misstrauensverhältnis geklärt: Gibt der Berufsträger die Unterlagen freiwillig heraus, tut er dies widerwillig, um einem Zwang zu entgehen, und handelt nach Auffassung des Gerichts dabei in „Wahrnehmung berechtigter Interessen“. In einem solchen Fall ist die Offenbarung gerade nicht unbefugt im Sinne des § 203 StGB. Das Gericht führt dazu aus: „Gibt er nämlich die geforderte Sache heraus, um selbst einem gegen ihn gerichteten Zwang zu entgehen, handelt er in Wahrnehmung berechtigter Interessen… und damit nicht unbefugt i.S.d. § 203 StGB“. Eine solche zwingende Zwangsandrohung führt beim Durchsuchungsbeschluss also dazu, dass die Freiwilligkeit zwar relativiert, dafür aber die strafrechtliche Verantwortlichkeit aufgehoben wird.
Da im vorliegenden Fall kein tatsächlicher Durchsuchungsbeschluss ergangen war, entfiel diese klärende Zwangslage. Das Herausgabeverlangen stand somit faktisch als alleinstehende Maßnahme da – und erwies sich damit als überflüssig und unverhältnismäßig. Das LG hebt hervor, dass das Ersuchen im Ergebnis keinen milderen Eingriff darstellt, sondern regulativ mit einer Abwendungsbefugnis im Durchsuchungsbeschluss zusammenfällt. Einen solchen Differenzierungsspielraum, der eigenständig einen Verhältnismäßigkeitsvorteil bringen könnte, gebe es hier nicht.
Praxishinweise für Anwälte und Notare
- Zeugnisverweigerung prüfen: Stellt die Behörde per Ersuchen die Herausgabe vertraulicher Unterlagen bei einem Rechtsanwalt, Notar oder Arzt nach § 95 StPO an, sollte zunächst die Frage geprüft werden, ob eine gültige Schweigepflichtentbindung vorliegt. Liegt keine Entbindung vor, darf der Betroffene die Herausgabe verweigern und kann zugleich sicher sein, dass Zwangsmittel nicht durchsetzbar sind. Ein Androhen von Ordnungsgeld oder Zwangshaft gegen einen zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträger verstößt gegen § 95 Abs. 2 S. 2 StPO.
- Verhältnismäßigkeit beachten: Ein Herausgabeverlangen an einen Schweigepflichtigen ist rechtlich problematisch. Es zwingt ihn, selbst über seine Schweigepflicht zu entscheiden. Deshalb kam das LG Nürnberg-Fürth zum Ergebnis: Das Herausgabeverlangen ist kein milderes Mittel gegenüber einem Durchsuchungsbeschluss mit Abwendungsbefugnis. Behörden sollten deshalb in solchen Fällen lieber von vornherein einen Durchsuchungsbeschluss beantragen und dabei unbedingt eine Abwendungsbefugnis vorsehen. Nur so entsteht für den Betroffenen klare Rechtslage: Wer dann doch freiwillig gibt, handelt rechtmäßig.
- Schutz vor Strafverfolgung: Nutzt ein Geheimnisträger die Abwendungsbefugnis in einem Durchsuchungsbeschluss und übergibt vertrauliche Unterlagen freiwillig, wird sein Verhalten nach der Entscheidung nicht als „unbefugt“ i.S.d. § 203 StGB bewertet. Er handelt in diesem Fall „in Wahrnehmung berechtigter Interessen“, was als Rechtfertigungsgrund anerkannt wird. Demgegenüber steht bei einem isolierten Herausgabeverlangen die fehlende Zwangsandrohung im Raum – was, so das Gericht, nicht zu einer strafbaren Offenbarung führt, wenn eigentlich kein Zwang herrscht.
- Beispiel: Wird etwa ein Anwalt aufgefordert, einen Mandantentext herauszugeben, den er archiviert hat, kann ihm kein Ordnungs- oder Zwangsmittel angedroht werden, wenn er zur Verschwiegenheit berechtigt ist. Weigert er sich, muss die Behörde notfalls den normalen Weg über Durchsuchung gehen. Verfügt der Ermittlungsrichter im Beschluss aber über eine Abwendungsbefugnis, kann der Anwalt die Akten – ohne seine Standespflicht zu verletzen – herausgeben, um eine Zwangsmaßnahme zu vermeiden.
Bei Berufsgeheimnisträgern (Notar, Rechtsanwalt, Arzt etc.) darf ein Herausgabeverlangen nach § 95 StPO nicht mit Zwangsandrohung verbunden werden. Es stellt keinen geringeren Eingriff dar als eine Durchsuchung mit Abwendungsbefugnis. Wer freiwillig im Rahmen einer Abwendungsbefugnis übergibt, tut dies hingegen rechtmäßig (Wahrnehmung berechtigter Interessen). Für die Praxis heißt das: Im Zweifel gleich den normalen Durchsuchungsbeschluss mit Hinweis auf die Abwendungsbefugnis suchen statt formeller Herausgabeersuchen.
Quellen: LG Nürnberg-Fürth, Beschluss v. 24.11.2025 – 12 Qs 41/25