Keine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch befristete Erwerbsminderungsrente

29. Mai 2025 -

Das Arbeitsgericht Potsdam hat mit Urteil vom 09.09.2020 (Az. 3 Ca 293/20) entschieden, dass ein Arbeitsverhältnis nicht allein durch den befristeten Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung endet, selbst wenn eine entsprechende auflösende Bedingung im Arbeitsvertrag vereinbart wurde. Dieses Urteil stärkt die Rechte von Arbeitnehmern, insbesondere schwerbehinderten oder diesen gleichgestellten Personen, und setzt sich kritisch mit der Wirksamkeit einzelvertraglicher Befristungsklauseln auseinander.

Im Mittelpunkt der Entscheidung stehen Fragen des Befristungsrechts (§§ 14, 15, 21 TzBfG), des besonderen Kündigungsschutzes nach dem SGB IX und der Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Arbeitsrecht.


Sachverhalt

Der Kläger, ein seit 2016 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellter Arbeitnehmer, war seit 1998 bei der Beklagten beschäftigt. Der Arbeitsvertrag vom 05.07.1999 enthielt die folgende Klausel:

„Das Arbeitsverhältnis endet ohne vorherige Kündigung mit Ablauf des Monats, in dem der Mitarbeiter das 65. Lebensjahr vollendet bzw. mit Beginn des Monats, ab dem er Altersruhegeld oder eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit erhält. Dies gilt auch, wenn die Rente […] nur befristet bezogen wird.“

Dem Kläger wurde durch Bescheid vom 16.08.2018 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 28.02.2021 bewilligt. Daraufhin teilte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 18.02.2020 mit, das Arbeitsverhältnis sei durch den Rentenbezug beendet worden. Der Kläger klagte daraufhin auf Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis fortbesteht.


Die Entscheidung des Arbeitsgerichts

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Die zentrale Aussage des Urteils lautet:

„Das Arbeitsverhältnis ist nicht durch den Bezug der befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung beendet worden.“

Keine Beendigung wegen fehlender Zustimmung des Integrationsamts (§ 175 SGB IX)

Da der Kläger zum Zeitpunkt des Zugangs der Mitteilung schwerbehinderten Menschen gleichgestellt war, hätte die Arbeitgeberin vor einer Beendigung aufgrund der auflösenden Bedingung die Zustimmung des Integrationsamts einholen müssen. Dies ist nicht erfolgt. Rechtsfolge: Die Bedingung tritt nicht ein – das Arbeitsverhältnis besteht fort.

Unwirksamkeit der arbeitsvertraglichen Klausel

Zudem erklärte das Gericht die Klausel im Arbeitsvertrag für unwirksam, da sie eine auflösende Bedingung ohne sachlichen Grund im Sinne des § 14 Abs. 1 TzBfG darstellt.

Die Begründung folgt der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts:

  • Eine bloß befristete Rente wegen Erwerbsminderung stellt keine hinreichend sichere Grundlage für die Annahme einer dauerhaften Leistungsminderung dar.
  • Die Klausel entzieht dem Arbeitnehmer den Schutz des Kündigungsrechts, ohne dass dieser durch eine dauerhafte wirtschaftliche Absicherung durch die Rente kompensiert wird.
  • Die Klausel ist damit unangemessen benachteiligend und unterläuft den Kündigungsschutz.
  • Die Regelung hätte ggf. ausdrücklich zwischen befristeter und unbefristeter Erwerbsminderungsrente differenzieren müssen, um wirksam zu sein.

Rechtliche Bewertung und arbeitsrechtliche Bedeutung

Bedeutung für die Praxis

Das Urteil verdeutlicht zwei zentrale Anforderungen bei Beendigungen aufgrund Erwerbsminderung:

  • Schutz schwerbehinderter und gleichgestellter Arbeitnehmer: Arbeitgeber müssen zwingend die Zustimmung des Integrationsamts einholen – selbst bei auflösenden Bedingungen im Vertrag. Das gilt auch, wenn keine Kündigung ausgesprochen wird.
  • Wirksamkeit auflösender Bedingungen bei befristeten Erwerbsminderungsrenten: Solche Klauseln sind regelmäßig unwirksam, wenn sie eine Beendigung auch bei befristetem Rentenbezug vorsehen. Sie verstoßen gegen das Befristungsrecht (§§ 14, 21 TzBfG) und gegen das Diskriminierungsverbot des AGG, insbesondere bei Bezug auf eine Behinderung.

Abgrenzung zur unbefristeten Rente

Bei unbefristetem Rentenbezug wegen Erwerbsminderung kann eine auflösende Bedingung wirksam sein, wenn

  • sie klar und eindeutig geregelt ist,
  • die Rentenbewilligung eine dauerhafte Leistungsminderung belegt,
  • der Arbeitnehmer wirtschaftlich abgesichert ist.

Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall jedoch gerade nicht erfüllt.

Handlungsempfehlung für Arbeitgeber

  • Klauseln prüfen: Arbeitsverträge sollten nicht pauschal jede Form der Erwerbsminderungsrente als Beendigungsgrund vorsehen.
  • Integrationsamt beteiligen: Bei schwerbehinderten oder gleichgestellten Mitarbeitern ist stets die Zustimmung des Integrationsamts erforderlich – auch bei automatischen Beendigungen.
  • Individuelle Prüfung: Arbeitgeber müssen sorgfältig prüfen, ob eine Erwerbsminderungsrente tatsächlich eine dauerhafte Leistungsunfähigkeit belegt. Andernfalls bleibt eine Kündigung der einzige rechtssichere Weg.

Das Arbeitsgericht Potsdam hat in diesem Fall ein starkes Signal für den Bestandsschutz erwerbsgeminderter und schwerbehinderter Arbeitnehmer gesetzt. Das Urteil reiht sich ein in die bisherige Linie des Bundesarbeitsgerichts zur Unwirksamkeit pauschaler Beendigungsklauseln bei befristeter Erwerbsminderungsrente und stellt gleichzeitig hohe Anforderungen an Arbeitgeber bei der Anwendung auflösender Bedingungen.

Für Arbeitgeber ist es nun umso wichtiger, arbeitsvertragliche Regelungen klar zu formulieren, sozialrechtliche Realitäten zu berücksichtigen und arbeitsrechtliche Schutzvorschriften konsequent einzuhalten.