Keine Klingel im Kreissaal: Ersatzanspruch eines Kindes mit schwerem Gehirnschaden

Das Oberlandesgericht Celle hat am 20.09.2021 zum Aktenzeichen 1 U 32/20 entschieden, dass ein Krankenhaus grob fehlerhaft handelt, wenn eine Mutter kurz nach der Geburt während des „Bondings“ keine Klingel in Reichweite hat.

Aus der Pressemitteilung des OLG Celle vom 24.11.2021 ergibt sich:

Nach einer im Wesentlichen komplikationsfreien Geburt gab eine Hebamme der Mutter Gelegenheit, im Kreissaal mit ihrem Baby zu „bonden“, und ließ beide allein. Kurze Zeit später erschien der Mutter – nach ihrer Schilderung – das Baby „zu ruhig“. Nachdem sie anfangs noch gedacht habe, dass es vielleicht schlafe, habe sie sich doch gewundert, dass es sich gar nicht rege. Sie habe klingeln wollen, damit jemand nachschaue. An ihrem Bett gab es aber keine Klingel. Infolge der Geburt habe sie zunächst nicht aufstehen können. Der Hebamme fiel der Zustand des Babys deshalb erst rund 15 Minuten später auf. Das Kind litt zu diesem Zeitpunkt unter einer Atemdepression („Fast-Kindstod“). Trotz unverzüglicher Behandlung und Reanimation führte dies zu einer schweren Hirnschädigung.

Das heute 8 Jahre alte Kind verlangt – vertreten durch seine Eltern – von dem Krankenhaus und der Hebamme aufgrund der verbleibenden Gesundheitsschäden ein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000 € sowie den Ersatz materieller Schäden. Das Landgericht Hannover hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben.

Die hiergegen eingelegte Berufung hat der für Streitigkeiten aus dem Arzthaftungsrecht zuständige 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle mit Urteil vom 20. September 2021 zurückgewiesen, nachdem er den bereits vom Landgericht vernommenen medizinischen Sachverständigen erneut angehört hatte (Az.: 1 U 32/20). Eine Mutter müsse in dieser Phase der zweiten Lebensstunde des Babys die Möglichkeit haben, eine Hebamme beispielsweise mit einer Klingel zu alarmieren, ohne aus ihrem Bett aufzustehen. Sie sei in dieser Phase nicht stets in der Lage, selbstständig das Bett zu verlassen, um Hilfe zu holen.

Dass eine solche Alarmierungsmöglichkeit hier fehlte, sei ein grober Behandlungsfehler gewesen, der einem Arzt bzw. einer Hebamme schlechterdings nicht unterlaufen dürfe. Das Krankenhaus und die Hebamme hafteten deshalb, auch wenn nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden könne, dass eine frühere Alarmierung die Hirnschädigung tatsächlich verhindert hätte oder diese geringer ausgefallen wäre.

Der Senat hat eine Revision zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen, weil der Fall insbesondere keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfe. Hiergegen haben sich die Beklagten mit einer Beschwerde an den Bundesgerichtshof gewandt, über die dort noch nicht entschieden ist. Sofern das Urteil rechtskräftig wird, steht abschließend fest, dass dem Kind Ersatzansprüche zustehen. Deren Höhe wäre allerdings gegebenenfalls noch durch das Landgericht Hannover zu klären.