Eine Arbeitnehmerin ließ sich ein Tattoo stechen und fiel kurz darauf wegen einer entzündeten Tätowierung für mehrere Tage krankheitsbedingt aus. Ihr Arbeitgeber verweigerte die Lohnfortzahlung für diese Zeit – und das zu Recht, wie das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein nun entschieden hat. Dieses Urteil zeigt, dass nicht jede Erkrankung automatisch vom Arbeitgeber bezahlt werden muss, insbesondere dann nicht, wenn die Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet ist. Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber können aus dieser Entscheidung wichtige Lehren ziehen: Arbeitnehmer sollten bei freiwilligen gesundheitlichen Risiken die möglichen Konsequenzen bedenken, und Arbeitgeber erhalten eine Bestätigung, dass sie in bestimmten Fällen die Lohnfortzahlung rechtmäßig verweigern dürfen.
Der Fall im Überblick
Die Klägerin, eine als Pflegehilfskraft beschäftigte Frau, ließ sich ein Tattoo auf dem Unterarm stechen. In der Folge entzündete sich die Tätowierung so stark, dass sie mehrere Tage arbeitsunfähig krankgeschrieben wurde. Für diesen Zeitraum zahlte der Arbeitgeber kein Gehalt, da er die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verweigerte.
Die Frau zog daraufhin vor Gericht und argumentierte, die Entzündung sei zeitlich nach dem eigentlichen Tattoo-Stechen aufgetreten und ein davon unabhängiges, unverschuldetes Krankheitsereignis. Das Risiko einer Tattoo-Infektion liege lediglich bei etwa 1–5 %, also einer sehr kleinen Wahrscheinlichkeit. Außerdem seien Tätowierungen heute weit verbreitet und als Teil der privaten Lebensführung gesellschaftlich akzeptiert und rechtlich geschützt. Kurz gesagt: Die Klägerin meinte, die nachträgliche Entzündung ihres Tattoos könne man ihr nicht als eigenes Fehlverhalten anlasten.
Der Arbeitgeber hielt dem entgegen, dass die Mitarbeiterin bewusst ein Gesundheitsrisiko eingegangen sei. Wer sich tätowieren lasse, willige in eine körperliche Verletzung ein – und das daraus folgende Infektionsrisiko gehöre nicht zu den normalen Lebensrisiken, für die der Arbeitgeber finanziell einstehen müsse. Mit dieser Argumentation gewann der Arbeitgeber bereits in erster Instanz vor dem Arbeitsgericht Flensburg (Az. 1 Ca 278/24). Mit Urteil vom 22.05.2025 bestätigte nun auch das LAG Schleswig-Holstein, dass die Entgeltfortzahlung zu Recht verweigert worden war (Az. 5 Sa 284 a/24).
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – nur bei unverschuldeter Krankheit
Grundsätzlich haben Beschäftigte im Krankheitsfall einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für bis zu sechs Wochen. Diese Pflicht zur Lohnfortzahlung trifft den Arbeitgeber aber nur, wenn den Arbeitnehmer an der Arbeitsunfähigkeit kein eigenes Verschulden trifft. So steht es in § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Vereinfacht gilt also: „Ohne Arbeit kein Lohn“ – außer bei unverschuldeter Krankheit, dann zahlt der Arbeitgeber bis zu 6 Wochen weiter.
Entscheidend ist hier, was unter Verschulden im Sinne des EFZG zu verstehen ist. Nach der Rechtsprechung liegt ein relevantes Verschulden vor, „wenn das Verhalten des Arbeitnehmers einen groben Verstoß gegen das eigene Gesundheitsinteresse darstellt – etwa, wenn ein verständiger Mensch im eigenen Interesse anders gehandelt hätte“. Es reicht also nicht irgendeine Fahrlässigkeit, sondern der Arbeitnehmer muss in erheblichem Maße unvernünftig gehandelt haben, sodass ein vernünftiger Mensch an seiner Stelle das Risiko so nicht eingegangen wäre.
In der Praxis sind einige Fallgruppen anerkannt, in denen kein Lohnfortzahlungsanspruch besteht, weil die Arbeitsunfähigkeit als selbst verschuldet angesehen wird. Typische Beispiele aus Rechtsprechung und Literatur sind etwa:
- Unfall durch grob fahrlässiges Verhalten: Etwa ein Beinbruch infolge eines alkoholbedingten Autounfalls – hier hat der Arbeitnehmer seine Gesundheit in unverantwortlicher Weise aufs Spiel gesetzt.
- Rein kosmetische Eingriffe: Wird jemand z.B. ohne medizinische Notwendigkeit operiert (Schönheitsoperation) und fällt wegen Komplikationen aus, gilt dies als selbst verursachtes Risiko. Auch in einem solchen Fall besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
Diese Grundsätze gelten jetzt analog für Tätowierungen: Wer sich freiwillig tätowieren lässt und dadurch arbeitsunfähig wird, muss das finanzielle Risiko der Krankheitsfolgen selbst tragen. Zwar sind Tattoos heute allgemein anerkannt, doch ihr gesundheitliches Risiko (insbesondere durch mögliche Infektionen) trägt der Arbeitnehmer selbst – es handelt sich nicht um ein allgemeines Lebensrisiko, das der Arbeitgeber abdecken muss.
Die Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein
Das LAG Schleswig-Holstein folgte der Einschätzung des erstinstanzlichen Gerichts und des Arbeitgebers: Die Krankmeldung der Klägerin infolge der Tattoo-Entzündung war selbst verschuldet im Sinne des EFZG. Die Frau habe ihre Arbeitsunfähigkeit durch ihr eigenes Verhalten verursacht und damit ihren Lohnfortzahlungsanspruch verwirkt.
Zur Begründung stellte das Gericht darauf ab, dass die Klägerin mit dem Infektionsrisiko hätte rechnen müssen. Nach ihrem eigenen Vortrag treten Entzündungen nach Tätowierungen in bis zu 5 % der Fälle auf – eine Wahrscheinlichkeit, die nicht vernachlässigbar ist und keine völlig ungewöhnliche oder fernliegende Komplikation darstellt. Ein solcher Wert liegt nämlich durchaus im Bereich des Üblichen: Bereits bei Medikamenten spricht man von einer „häufigen“ Nebenwirkung, wenn sie in mehr als 1 % der Behandlungsfälle auftritt.
Wer trotz eines derartigen (wenn auch relativ kleinen) bekannten Risikos sich freiwillig diesem aussetzt, handelt grob unvernünftig und verstößt gegen sein eigenes Gesundheitsinteresse – so die Schlussfolgerung der Richter. Damit ist das Verschulden im Sinne des § 3 EFZG erfüllt, und folglich entfällt der Anspruch auf Lohnfortzahlung. Die Klägerin musste daher für die fraglichen Krankentage ohne Gehalt auskommen. Eine Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde vom LAG nicht zugelassen, was unterstreicht, dass das Gericht die Rechtslage als eindeutig angesehen hat.
Tipps für Arbeitnehmer
- Eigenes Risiko bedenken: Als Arbeitnehmer sollten Sie sich bewusst machen, dass nicht jede Krankheit automatisch zur Lohnfortzahlung berechtigt. Wenn Sie Ihre Arbeitsunfähigkeit durch ein freiwillig eingegangenes Risiko selbst herbeiführen, haben Sie im Zweifel keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung. Dieser Grundsatz wurde nun auch für Tattoo-Komplikationen bestätigt. Überlegen Sie also gut, wann und wie Sie freiwillige medizinische oder kosmetische Eingriffe vornehmen.
- Planung von Eingriffen: Für freiwillige Eingriffe oder riskante Vorhaben (z.B. Tattoos, Piercings, Schönheitsoperationen, Extremsportarten) ist es empfehlenswert, diese auf die Freizeit oder den Urlaub zu legen. So vermeiden Sie, dass eine daraus resultierende Krankheit mit Arbeitsunfähigkeit zu einem unbezahlten Fehltag wird. Im Falle einer komplikationsbedingten Arbeitsunfähigkeit können Sie ansonsten gezwungen sein, Urlaubstage zu opfern oder auf Lohn zu verzichten.
- Offenheit und Vorsicht: Teilen Sie Ihrem Arbeitgeber ehrlich mit, wenn eine Erkrankung in Zusammenhang mit einem freiwilligen persönlichen Vorhaben (wie einem Tattoo) steht – etwa wird dies oft schon aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder dem Krankheitsbild ersichtlich. Zwar mag man befürchten, dadurch keinen Lohn zu erhalten, doch Unwahrheiten können arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Seien Sie sich des Risikos bewusst und entscheiden Sie mit Bedacht. Im Zweifel – beispielsweise bei Grenzfällen, ob eine Krankheit als selbstverschuldet gilt oder nicht – lassen Sie sich rechtlich beraten, um Ihre Ansprüche zu klären.
Tipps für Arbeitgeber
- Prüfung des Verschuldens: Als Arbeitgeber dürfen Sie die Lohnfortzahlung verweigern, wenn eine Krankheit des Arbeitnehmers nachweislich selbstverschuldet ist. Dieser Fall tritt nur bei einem groben Verstoß des Arbeitnehmers gegen sein eigenes Gesundheitsinteresse ein. Beispiele sind riskante und unnötige Aktionen wie freiwillige kosmetische Eingriffe mit anschließender Arbeitsunfähigkeit oder Unfälle durch grobe Fahrlässigkeit (z.B. Fahren unter Alkoholeinfluss). Im aktuellen Fall hat das LAG bestätigt, dass auch eine Tattoo-Entzündung unter diese Kategorie fällt.
- Sorgfältige Einzelfallbewertung: Nicht jede Krankheit ist auf ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers zurückzuführen. Seien Sie vorsichtig und prüfen Sie jeden Fall individuell. Fragen Sie gegebenenfalls beim Arbeitnehmer nach den Hintergründen der Erkrankung (soweit zulässig) oder achten Sie auf Hinweise im Attest. Nur wenn klar ist, dass ein Zusammenhang mit einem vom Arbeitnehmer eingegangenen Risiko besteht, sollten Sie eine Zahlung verweigern. Bedenken Sie: Die Beweislast für das Verschulden trägt in der Regel der Arbeitgeber.
- Kommunikation und Dokumentation: Entscheiden Sie sich, die Lohnfortzahlung wegen vermuteten Selbstverschuldens auszusetzen, sollten Sie dies transparent kommunizieren. Weisen Sie den Arbeitnehmer – am besten schriftlich – auf den Grund hin, z.B. dass aufgrund § 3 EFZG kein Anspruch besteht, weil die Arbeitsunfähigkeit auf ein selbst gewähltes Risiko (wie eine Tätowierung) zurückzuführen ist. Dokumentieren Sie die Umstände gründlich. Dies kann wichtig werden, falls der Arbeitnehmer rechtliche Schritte einleitet.
- Rechtliche Absicherung: Da die Hürde für Selbstverschulden hoch ist, empfiehlt es sich im Zweifelsfall, arbeitsrechtlichen Rat einzuholen, bevor Sie die Lohnfortzahlung verweigern. Eine falsche Einschätzung kann sonst teuer werden – etwa, wenn ein Gericht doch einen Lohnfortzahlungsanspruch bejaht und Sie nachträglich zahlen müssen. Die aktuelle Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein gibt Arbeitgebern zwar Rückenwind in klar gelagerten Fällen, dennoch sollte jeder Fall eingehend geprüft werden, um rechtliche Streitigkeiten zu vermeiden.
Arbeitnehmer tun gut daran, sich der Konsequenzen freiwilliger gesundheitlicher Risiken bewusst zu sein – wer aus privater Entscheidung heraus seine Arbeitskraft gefährdet, kann im Krankheitsfall finanziell leer ausgehen. Arbeitgeber wiederum haben nun eine weitere bestätigte Handhabe, Lohnfortzahlung bei selbstverschuldeten Erkrankungen abzulehnen, sollten dieses Mittel aber mit Augenmaß und nach sorgfältiger Prüfung einsetzen. Das Urteil des LAG Schleswig-Holstein vom 22.05.2025 (Az. 5 Sa 284 a/24) schafft Klarheit: Eine Tattoo-Entzündung kann den Anspruch auf Lohnfortzahlung ausschließen, wenn der Arbeitnehmer das Risiko freiwillig und vermeidbar eingegangen ist. In der Arbeitswelt, in der individuelle Lebensgestaltung und berufliche Pflichten aufeinandertreffen, zeigt dieser Fall eindrücklich, dass Recht und Eigenverantwortung Hand in Hand gehen.