LAG Düsseldorf: Dauerhafte Freistellung – Beweislast beim Arbeitnehmer

21. Dezember 2025 -

Eine unbegrenzte, bezahlte Freistellung bis zur Rente – davon träumen viele Arbeitnehmer. Doch ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Düsseldorf vom 02.05.2023 (Az. 8 Sa 594/22) zeigt, wie schwer eine solche Zusage einzufordern ist. Im Streitfall scheiterte ein städtischer Mitarbeiter mit dem Versuch, gerichtlich feststellen zu lassen, dass er dauerhaft und unwiderruflich von der Arbeit freigestellt ist – denn dafür fehlten sowohl der Nachweis als auch die rechtliche Grundlage.

Hintergrund: Freistellung und arbeitsrechtliche Einordnung

Unter Freistellung versteht man die einseitige Entbindung des Arbeitnehmers von der Pflicht zur Arbeitsleistung. Sie kann widerruflich oder unwiderruflich erfolgen. Eine widerrufliche Freistellung bedeutet, dass der Arbeitgeber den Mitarbeiter zwar vorübergehend nicht beschäftigt, ihn aber jederzeit wieder zurück an die Arbeit holen kann. Eine unwiderrufliche Freistellung hingegen schließt ein solches Zurückholen aus – der Arbeitnehmer wird endgültig bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses von seiner Arbeitspflicht entbunden. Wichtig: Wird eine Freistellung unwiderruflich erklärt, kann der Arbeitgeber diese Entscheidung später nicht einseitig rückgängig machen. In der Praxis werden unwiderrufliche Freistellungen häufig im Zusammenhang mit Kündigungen (Stichwort Garden Leave) oder Aufhebungsverträgen genutzt, um den Mitarbeiter bis zum Ausscheiden bei vollem Gehalt freizustellen. Bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis ohne Kündigung sind sie äußerst selten, da der Arbeitgeber damit auf die Arbeitsleistung verzichtet, aber weiterhin Vergütung zahlt.

Zu beachten ist auch, dass Freistellungen formfrei erfolgen können – mündliche Erklärungen genügen rechtlich bereits. Gerade deshalb sollten Arbeitgeber vorsichtig mit vorschnellen Zusagen sein und Arbeitnehmer auf einer schriftlichen Bestätigung bestehen. Grundsätzlich gilt: Ohne ausdrückliche Vereinbarung bleibt eine Freistellung im Zweifel widerruflich. Arbeitgeber behalten ihr Direktionsrecht, die Arbeitspflicht wieder einzufordern, solange sie den Lohn fortzahlen.

Der Fall: Streit um eine unwiderrufliche Freistellung

Im vom LAG Düsseldorf entschiedenen Fall ging es um einen langjährig beschäftigten Mitarbeiter einer Stadtverwaltung (Bereich Grünpflege), der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt und tariflich unkündbar war. Aufgrund gesundheitlicher Probleme konnte er seine ursprüngliche Tätigkeit nicht mehr ausüben. Ab 2015 wurde er auf andere Posten (Ordnungsamt, später Straßenverkehrsamt) abgeordnet, jedoch ergab sich keine dauerhafte Lösung. Schließlich stellte die Stadt den Arbeitnehmer ab 2016 faktisch frei: Er blieb zu Hause, erhielt aber weiterhin sein Gehalt nach den Grundsätzen des Annahmeverzugs (Lohnfortzahlung ohne Arbeitsleistung). Diese Freistellung erfolgte zunächst bis auf Widerruf, d.h. vorbehaltlich einer Wiederaufnahme der Tätigkeit, etwa nach einer amtsärztlichen Untersuchung.

In den folgenden Jahren unternahm die Stadt mehrere Versuche, den Mitarbeiter anderweitig einzugliedern – etwa durch Angebote für Stellen im Ordnungsamt, im Amt für Straßen und Verkehr und sogar im Museum. Keine dieser Umsetzungen gelang letztlich (teils wegen gesundheitlicher Eignung, teils wegen Unstimmigkeiten), sodass der Arbeitnehmer über vier Jahre lang bezahlt freigestellt blieb. Anfang 2022 forderte die Stadt ihn dann auf, zu einem Gespräch über seine weitere Verwendung zu erscheinen. Dabei stellte sich heraus, dass der Mitarbeiter der Auffassung war, bereits seit 2018 unwiderruflich bis zur Rente freigestellt zu sein – und daher nicht mehr zu weiteren Versetzungsgesprächen verpflichtet. Er berief sich auf eine angebliche Zusage eines Sachgebietsleiters im Personalamt aus Februar 2018, die Freistellung erfolge dauerhaft und unwiderruflich. Die Stadt bestritt entschieden, dass eine solche Zusage je erteilt wurde, zumal ein Sachgebietsleiter allein gar nicht befugt sei, so weitreichende Erklärungen abzugeben.

Der Arbeitnehmer erhob schließlich Klage auf Feststellung der unwiderruflichen Freistellung unter Fortzahlung der Bezüge. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, weil der Kläger die behauptete Abrede nicht beweisen konnte. Daraufhin ging der Arbeitnehmer in Berufung vor das LAG Düsseldorf.

Entscheidung: Keine dauerhafte Freistellung mangels Nachweis und Vollmacht

Das LAG Düsseldorf bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung – der Kläger blieb auch in zweiter Instanz erfolglos. Zum einen konnte der Arbeitnehmer den angeblichen Freistellungs-Deal nicht hinreichend beweisen. Zwei Zeugen wurden gehört: die Bekannte des Klägers, die bei dem behaupteten Gespräch anwesend gewesen sein soll, und der betreffende Sachgebietsleiter. Ihre Aussagen waren widersprüchlich und ließen sich nicht eindeutig zugunsten des Klägers auflösen. In der juristischen Beweiswürdigung entstand ein non liquet (Unentschieden) – und in so einem Fall trägt die klagende Partei die Beweislast. Das Gericht betonte folglich, dass der Kläger die behauptete Erklärung nicht mit der nötigen Sicherheit nachweisen konnte. Im Ergebnis musste er also die Konsequenz der Beweisunsicherheit tragen: Die behauptete Vereinbarung galt als nicht erwiesen.

Zum anderen zweifelte das LAG – selbst abgesehen von der Beweisfrage – an der rechtlichen Wirksamkeit einer solchen Zusage. Die Richter führten aus, dass die Umstände die Annahme einer unwiderruflichen Freistellung bis zur Rente nicht stützen: Eine derartig außergewöhnliche Vereinbarung (Verzicht auf Arbeitsleistung für über ein Jahrzehnt bei weiterlaufendem Gehalt von geschätzt einer halben Million Euro) würde in der Regel zumindest schriftlich fixiert und von hoher Stelle autorisiert sein. Im vorliegenden Fall dagegen gab es keine Dokumentation. Im Gegenteil, kurz nach dem angeblichen Gespräch wurden dem Kläger weitere Arbeitsmöglichkeiten angeboten (Straßenverkehrsamt, Museum), was nicht zu einer behaupteten endgültigen Freistellung passt. Auch der Kläger selbst verhielt sich nicht so, wie man es nach einer klaren Zusage erwarten würde – er zeigte sich eher unsicher, nahm doch an Vorstellungsterminen teil und ließ seinen Anwalt noch 2018 über neue Stellen verhandeln, ohne jemals schriftlich auf der angeblich unwiderruflichen Freistellung zu bestehen. Diese Indizien sprachen gegen das Zustandekommen einer verbindlichen Dauerfreistellung.

Schließlich – und besonders wichtig – fehlte es an der vertretungsrechtlichen Grundlage für eine so weitreichende Abrede. Ein Sachgebietsleiter im Personalbereich hat in aller Regel keine Vollmacht, einen Arbeitnehmer bis zur Rente bezahlt freizustellen, sofern dies nicht vom Arbeitgeber (der Stadt) ausdrücklich legitimiert wurde. Das LAG stellte klar, dass es schon an der erforderlichen Vollmacht für die behauptete Erklärung fehlte. Mit anderen Worten: Selbst wenn der Personal-Sachgebietsleiter 2018 etwas in der Richtung gesagt hätte, könnte der Kläger daraus keinen Anspruch gegen die Stadt herleiten – denn der Vorgesetzte handelte außerhalb seiner Befugnisse. Ohne wirksame Vertretungsmacht kommt jedoch kein gültiger Vertrag bzw. keine bindende Zusage zustande (§§ 164, 177 BGB). Auch eine nachträgliche Genehmigung oder Duldung durch die Stadt war nicht ersichtlich, da die Stadtverwaltung bis 2022 nie schriftlich oder ausdrücklich bestätigte, dass der Kläger dauerhaft freigestellt sei. Der langjährige fortgezahlte Lohn beruhte auf einer widerruflichen Freistellung im Annahmeverzug, nicht auf einer vertraglichen Vereinbarung ohne Widerrufsmöglichkeit.

Der Kläger musste zurückstecken – er konnte weder den Inhalt noch die Autorisierung der vermeintlichen Freistellungszusage nachweisen. Eine unwiderrufliche Freistellung liegt nur vor, wenn beide Seiten dies klar (idealerweise schriftlich) vereinbart haben und der Erklärende dazu bevollmächtigt ist. Andernfalls bleibt es bei einer widerruflichen Freistellung, die der Arbeitgeber jederzeit beenden darf.

Praktische Tipps für Arbeitnehmer

  • Abreden schriftlich bestätigen lassen: Werden Sie von der Arbeit freigestellt, fragen Sie nach einer schriftlichen Bestätigung der Bedingungen. Insbesondere bei längerfristigen Freistellungen sollte klar dokumentiert sein, ob diese widerruflich oder unwiderruflich Ohne Schriftstück laufen Sie Gefahr, im Streitfall nichts in der Hand zu haben.
  • Nicht auf mündliche Zusagen verlassen: Verspricht ein Vorgesetzter Ihnen mündlich eine dauerhafte Freistellung, reagieren Sie skeptisch. Prüfen Sie, ob diese Person überhaupt die Befugnis hat, eine solche weitreichende Vereinbarung zu treffen. Fordern Sie eine schriftliche Vereinbarung von der Personalabteilung oder Geschäftsführung ein. Ansonsten gilt: Was nicht offiziell abgesegnet ist, besteht rechtlich meist nicht.
  • Widerruflichkeit verstehen: Gehen Sie nicht automatisch davon aus, dass eine Freistellung bis zur Rente wirklich unwiderruflich ist. Im Zweifel ist eine Freistellung nur eine vorübergehende Maßnahme. Solange Ihnen nicht ausdrücklich etwas anderes zugesichert wurde, müssen Sie damit rechnen, wieder zur Arbeit aufgefordert zu werden – vor allem, wenn sich die Umstände ändern (etwa neue Einsatzmöglichkeiten oder gesundheitliche Verbesserungen).
  • Beweislast einkalkulieren: Bedenken Sie, dass Sie im Streitfall die Beweislast für eine spezielle Abmachung tragen. Kann die Existenz oder der Inhalt einer behaupteten Vereinbarung vor Gericht nicht eindeutig bewiesen werden, entscheidet dies zu Ihren Lasten. Sichern Sie daher frühzeitig Beweise: Zum Beispiel schriftliche Korrespondenz, E-Mails oder Zeugen, die den genauen Wortlaut bestätigen können. Ohne belastbare Belege stehen die Chancen schlecht, eine dauerhaft bezahlte Freistellung einzuklagen.
  • Im Zweifel fachlichen Rat suchen: Wenn Unklarheit darüber besteht, ob Sie arbeiten müssen oder nicht, holen Sie rechtlichen Rat ein. Arbeitsrechtliche Experten können Ihre Situation einschätzen und gegebenenfalls mit dem Arbeitgeber eine einvernehmliche Lösung aushandeln. Im besagten Fall mündete der Konflikt letztlich in einem Vergleich: Das Arbeitsverhältnis wurde gegen Zahlung einer Abfindung beendet – ein Ausgang, der möglicherweise schneller und nervenschonender erreichbar gewesen wäre, hätte man frühzeitig verhandelt.

Praktische Tipps für Arbeitgeber

  • Freistellungen klar regeln: Stellen Sie bei jeder Freistellung ausdrücklich klar, ob sie widerruflich oder unwiderruflich erfolgt. Im Zweifelsfall empfiehlt es sich, widerruflich zu freizustellen und dies auch so zu formulieren. So behalten Sie die Kontrolle und vermeiden Missverständnisse.
  • Unwiderrufliche Freistellungen nur mit Bedacht und Befristung: Eine endgültige Freistellung ohne Widerrufsmöglichkeit im laufenden Arbeitsverhältnis ist die große Ausnahme. Falls Sie in besonderen Situationen (etwa zur Beilegung eines Rechtsstreits) eine unwiderrufliche Freistellung gewähren, begrenzen Sie diese zeitlich – zum Beispiel bis zu einem bestimmten Datum oder dem Abschluss eines Projekts. Unbefristete Zusagen „bis zur Rente“ sollten vermieden werden, da sie enorme finanzielle Verpflichtungen bedeuten.
  • Interne Zuständigkeiten festlegen: Sorgen Sie dafür, dass innerhalb Ihres Unternehmens oder Ihrer Behörde klar geregelt ist, wer Freistellungen aussprechen darf und in welchem Umfang. Untergeordnete Führungskräfte sollten nicht eigenmächtig weitreichende Versprechen machen können. Kommunizieren Sie intern, dass z.B. dauerhafte Freistellungen oder solche mit Abfindungscharakter nur von der Personalabteilung oder Geschäftsleitung autorisiert werden dürfen.
  • Alles Wichtige schriftlich festhalten: Bestätigen Sie Freistellungen – insbesondere längere – schriftlich. Nur so können beide Seiten sich später nicht auf unterschiedliche mündliche Abreden berufen. In einem Freistellungsschreiben sollte stehen, ab wann und bis wann die Freistellung gilt, ob sie widerruflich ist, wie Urlaubstage angerechnet werden und ggf. dass die Gehaltszahlung fortgeführt wird. Klare Dokumentation beugt Streit vor.
  • Im Zweifel: lieber widerruflich freistellen: Oft erreicht man das Ziel (den Mitarbeiter vorerst nicht einsetzen) auch mit einer widerruflichen Freistellung. Diese hat für den Arbeitgeber den Vorteil, bei Bedarf reagieren zu können – etwa wenn sich eine Einsatzmöglichkeit ergibt oder neue Erkenntnisse (medizinische Gutachten etc.) vorliegen. Beachten Sie jedoch: Bei widerruflicher Freistellung können Sie laufenden Erholungsurlaub nicht einseitig verrechnen, da der Arbeitnehmer grundsätzlich verfügbar bleiben muss. Dies ist der kleine „Nachteil“ gegenüber einer unwiderruflichen Freistellung, sollte aber in Kauf genommen werden, wenn man sich Flexibilität erhalten möchte.
  • Rechtzeitig handeln und kommunizieren: Wenn ein Mitarbeiter längere Zeit ohne Arbeitspflicht bei vollem Gehalt bleibt (z.B. aus gesundheitlichen Gründen), suchen Sie frühzeitig das Gespräch über Alternativen. Dokumentieren Sie Angebote von Ersatzpositionen, Fortbildungsmaßnahmen oder ärztliche Untersuchungen. So zeigen Sie, dass keine konkludente (stillschweigende) Dauer-Freistellung beabsichtigt ist. Im Ernstfall – wie im vorliegenden Fall – können solche Nachweise entscheidend sein, um zu untermauern, dass keine unwiderrufliche Freistellungszusage bestand. Andernfalls riskiert man langwierige und kostspielige Verfahren.

Im Ergebnis verdeutlicht das LAG-Urteil: Eine dauerhafte unwiderrufliche Freistellung im ungekündigten Arbeitsverhältnis ist arbeitsrechtlich nur mit einer klaren, wirksamen Abmachung möglich – und die Hürden dafür sind hoch. Arbeitgeber sollten solche Versprechen nur wohlüberlegt und korrekt autorisiert abgeben. Arbeitnehmer wiederum dürfen nicht darauf bauen, ohne belastbare schriftliche Vereinbarung bis zur Rente freigestellt zu sein. Letztlich schützt klare Kommunikation beide Seiten davor, in teure Rechtsstreitigkeiten zu geraten.