Hintergrund: Bewerbungsverfahrensanspruch im öffentlichen Dienst
Im öffentlichen Dienst haben Bewerber einen Anspruch auf faire Auswahl nach Eignung, Befähigung und Leistung (Art. 33 Abs. 2 GG). Dieser sogenannte Bewerbungsverfahrensanspruch garantiert, dass jede Bewerbung ausschließlich nach diesen Kriterien bewertet wird. Fühlt sich ein Bewerber benachteiligt – etwa weil der Arbeitgeber das Auswahlverfahren fehlerhaft durchgeführt hat – kann er rechtlich dagegen vorgehen.
Konkurrentenklage: Wird eine Stelle mit einem Mitbewerber besetzt, können unterlegene Bewerber eine Konkurrentenklage erheben. Ziel ist es, die Stellenbesetzung zu stoppen und eine Neubewertung der eigenen Bewerbung zu erzwingen, bevor die Stelle endgültig vergeben ist. Weil eine spätere Korrektur kaum möglich ist (ist der Mitbewerber erst einmal eingestellt oder befördert, gibt es keine „freie“ Stelle mehr), muss der Rechtsschutz schnell greifen. Hierfür dient eine einstweilige Verfügung (Eilverfahren), die die Besetzung vorläufig untersagt, bis das Gericht im Hauptsacheverfahren über die Rechtmäßigkeit der Auswahl entschieden hat.
Der Fall: LAG Köln, Urteil vom 21.08.2025 (Az. 8 GLa 14/24)
Ein 62-jähriger Angestellter (Entgeltgruppe E 11 TVöD Bund) bewarb sich bei seinem öffentlichen Arbeitgeber auf eine höherwertige Stelle (E 14 TVöD). Er und eine Kollegin (E 10 TVöD) kamen in die engere Auswahl. Beide hatten vergleichbare Berufserfahrung; der Bewerber hatte ein Fachhochschuldiplom, die Kollegin einen Universitätsabschluss in Architektur.
Der Arbeitgeber führte ein strukturiertes Auswahlgespräch mit den Bewerbern. Im Interview erzielte der Kläger 41 von 65 Punkten, während die bestbewertete Konkurrentin 57 Punkte erreichte. Daraufhin erhielt der Kläger eine Absage – eine detaillierte Begründung fehlte zunächst. Später erfuhr er, dass die interne Konkurrentin das Anforderungsprofil „voll erfüllt“ habe und man sie als am besten geeignet ansah. Der Bewerber fühlte sich jedoch übergangen und bemängelte, das Auswahlverfahren sei intransparent und womöglich fehlerhaft gewesen.
Eilverfahren eingeleitet: Um die Stelle freizuhalten, stellte der abgelehnte Bewerber beim Arbeitsgericht einen Antrag auf einstweilige Verfügung. Das Arbeitsgericht Bonn lehnte diesen zunächst ab – aus seiner Sicht hatte der Bewerber keinen Anspruch auf den Stopp der Besetzung, weil er offensichtlich keine Chance auf die Stelle gehabt habe. Der Bewerber legte Berufung ein. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln gab ihm schließlich Recht und untersagte dem Arbeitgeber per Urteil vom 21.08.2025, die Stelle bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren mit jemand anderem zu besetzen.
Entscheidung des Gerichts: Fehler im Auswahlverfahren
Das LAG Köln betonte, dass der Kläger einen Anspruch auf vorläufigen Schutz seines Bewerbungsverfahrensanspruchs hat. Für eine einstweilige Verfügung genügt Glaubhaftmachung, dass eine Rechtsverletzung möglich erscheint. Im Klartext: Es reicht, wenn nach dem unstreitigen Sachverhalt Anzeichen dafür vorliegen, dass im Auswahlverfahren etwas falsch lief. Nur wenn der Bewerber selbst bei korrekter Auswahlentscheidung offensichtlich chancenlos wäre, darf der Eilantrag abgelehnt werden. Diese Hürde war hier nicht erreicht.
Wichtige Aussagen des LAG Köln (Leitsätze):
- Stellenbesetzung vorläufig stoppen: Im Eilverfahren ist die Besetzung der Stelle zu untersagen, wenn aufgrund der vorliegenden Fakten möglich erscheint, dass der Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt wurde. Nur wenn der abgelehnte Bewerber bei fehlerfreier Auswahl sicher keine Chance gehabt hätte, darf der Antrag auf Einstweilenschutz abgewiesen werden.
- Dienstliche Beurteilungen als Hauptkriterium: Falls der Arbeitgeber – ähnlich wie im Beamtenrecht – dienstliche Leistungsbeurteilungen für seine Angestellten nutzt, müssen diese aktuellen Beurteilungen (insbesondere das Gesamturteil) das vorrangige Auswahlkriterium sein. Sie spiegeln die Leistung und Eignung der Bewerber direkt wider und genießen daher grundsätzlich Vorrang vor anderen Auswahlmethoden.
- Interviews nur als Ergänzung: Strukturierte Auswahlgespräche oder andere Tests dürfen erst herangezogen werden, wenn sich anhand der dienstlichen Beurteilungen kein klarer Vorsprung eines Bewerbers erkennen lässt oder die Beurteilungen zu unterschiedlich und nicht vergleichbar sind. Solange die Leistungsbewertungen eine eindeutige Rangfolge zulassen, muss diese respektiert werden.
Im konkreten Fall sah das Gericht mehrere Fehler des Arbeitgebers:
- Ignorierte Leistungsbeurteilungen: Der Arbeitgeber hatte die aktuellen dienstlichen Beurteilungen der Bewerber überhaupt nicht berücksichtigt. Der Kläger hatte in seiner letzten Beurteilung 9,1 Punkte erhalten („erfüllt die Anforderungen vollständig“). Die ausgewählte Konkurrentin hatte 10,1 Punkte, allerdings in einer niedrigeren Entgeltgruppe (E 10). Solche Bewertungen sind nur eingeschränkt vergleichbar, da höhere Positionen oft strengere Maßstäbe anlegen. Ein etwas niedrigerer Wert in E 11 kann also gleichwertig mit einem höheren Wert in E 10 sein. Das LAG stellte klar, dass der geringfügige Notenunterschied hier keinen eindeutigen Leistungsvorsprung der Konkurrentin bewies.
- Auswahl nur nach Interview-Punkten: Statt die Beurteilungen als Hauptkriterium auszuwerten, stützte sich der Arbeitgeber allein auf das Ergebnis des strukturierten Interviews. Das LAG Köln wertete dies als Verstoß gegen das Prinzip der Bestenauslese. Interviews sind nachrangig – sie dürfen nicht zum alleinigen Entscheidungsinstrument werden, solange die Leistungsakten etwas anderes nahelegen. Im Urteil heißt es sinngemäß: Weil nicht dargelegt wurde, warum trotz Auswertung der Beurteilungen kein Vorsprung feststellbar war, hätte das Auswahlgespräch in dieser Form nicht ausschlaggebend sein dürfen.
- Anforderungsprofil aufgeweicht: Die Stellenausschreibung verlangte zwar formal einen Uni-Diplom/Master oder gleichwertigen Abschluss. Der Kläger hatte „nur“ ein FH-Diplom, wurde aber dennoch zum Verfahren zugelassen – zu Recht, denn die Ausschreibung anerkannte vergleichbare Qualifikationen. Der Arbeitgeber konnte sich später nicht darauf berufen, der Konkurrentin stünde allein wegen ihres Uni-Abschlusses der Vorzug zu. Hätte man das FH-Diplom von Anfang an nicht gelten lassen wollen, dürfte der Bewerber gar nicht erst ins Verfahren genommen werden. Das LAG machte deutlich, dass nachträglich keine strengeren Maßstäbe angelegt werden dürfen, als in der Ausschreibung angegeben.
Bedeutung des Urteils für Arbeitnehmer (Bewerber)
Für Arbeitnehmer – speziell im öffentlichen Sektor – bestätigt dieses Urteil: Transparenz und Fairness im Auswahlverfahren sind erzwingbar. Wer den Verdacht hat, bei einer Beförderung oder Stellenbesetzung zu Unrecht übergangen worden zu sein, sollte frühzeitig rechtlichen Rat suchen. Wichtig ist schnelles Handeln: Eine einstweilige Verfügung muss in aller Regel unverzüglich nach der umstrittenen Entscheidung beantragt werden, da Gerichte die Dringlichkeit sonst verneinen könnten.
Das LAG Köln hat die Hürde für einen erfolgreichen Eilantrag bewusst nicht zu hoch angesetzt. Als unterlegener Bewerber muss man nicht beweisen, dass man der beste Kandidat ist – es genügt, plausible Anhaltspunkte für einen Verfahrensfehler oder eine mögliche Rechtsverletzung aufzuzeigen. Einige Tipps für betroffene Arbeitnehmer:
- Dienstliche Beurteilung prüfen: Verlangen Sie Einsicht in Ihre aktuelle Beurteilung und – falls möglich – in die der ausgewählten Person. Sind dort erhebliche Leistungsunterschiede dokumentiert? Im vorliegenden Fall war der Leistungsabstand nicht eindeutig, was dem Kläger half.
- Begründung der Entscheidung einholen: Bitten Sie den Arbeitgeber um eine schriftliche Begründung, warum Sie nicht ausgewählt wurden. Auch wenn kein Anspruch auf eine detaillierte Auskunft besteht, können schon spärliche Informationen (wie hier: „Konkurrentin erfüllt Profil vollumfänglich“) Indizien liefern, worauf die Auswahl beruhte. Im Zweifel muss man im Gerichtsverfahren auf Akteneinsicht dringen, um z.B. den Auswahlvermerk zu erhalten.
- Fehlerquellen identifizieren: Mögliche Ansatzpunkte sind z.B. Missachtung von Leistungsbewertungen, Abweichen vom Stellenausschreibungstext, fehlende Transparenz oder offensichtliche Begünstigung eines Mitbewerbers. Dokumentieren Sie alle Auffälligkeiten.
- Eilrechtsschutz beantragen: Ist der Verdacht einer Fehlentscheidung begründet, kann ein Anwalt zügig eine einstweilige Verfügung beantragen. Diese sichert Ihre Chance auf die Stelle, indem sie die endgültige Besetzung vorläufig blockiert. Andernfalls wäre Ihr Anspruch in der Hauptsache (Neubescheidung der Bewerbung) wertlos, denn eine vergebene Stelle lässt sich kaum „zurückholen“.
Beachten Sie: Die Gerichte werden den Eilantrag ablehnen, wenn Ihre Chancen offensichtlich nicht bestehen – etwa weil ein Mitbewerber Ihnen in allen Kriterien haushoch überlegen ist. Doch gerade wenn das Rennen eigentlich eng war und Verfahrenfehler im Raum stehen, lohnt sich der Rechtsschutz. Das Urteil aus Köln zeigt, dass Gerichte bereit sind, Bewerberrechte konsequent durchzusetzen, solange noch eine faire Chance für den Kläger besteht.
Bedeutung für Arbeitgeber (öffentlicher Dienst)
Für Arbeitgeber im öffentlichen Dienst – Kommunen, Behörden, staatliche Betriebe – enthält das Urteil wichtige Lehren, um teure Verzögerungen und Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden:
- Auswahlkriterien klar definieren und einhalten: Legen Sie im Stellenausschreibungstext eindeutige Anforderungen fest (z.B. bestimmte Abschlüsse, Erfahrungen). Halten Sie sich strikt daran. Wenn Sie gleichwertige Qualifikationen zulassen (etwa FH-Diplom anstelle von Uni-Master), können Sie später nicht plötzlich doch den Universitätsabschluss als ausschlaggebend werten. Konsistenz schützt vor Angriffen im Verfahren.
- Dienstliche Beurteilungen nutzen: Fertigen Sie – sofern möglich – regelmäßige Leistungsbeurteilungen Ihrer Mitarbeiter an. Diese dienen im Beförderungsverfahren als objektives Kriterium. Berücksichtigen Sie die aktuellen Beurteilungen zwingend bei der Auswahlentscheidung. Ein Kandidat mit einer sehr viel besseren Bewertung wird in der Regel Vorrang haben. Falls Sie ausnahmsweise von der Reihenfolge der Beurteilungsergebnisse abweichen, muss es gute Gründe geben, die dokumentiert werden sollten.
- Auswahlvermerk sorgfältig führen: Halten Sie im Auswahlvermerk oder Protokoll fest, wie Sie zu Ihrer Entscheidung gelangt sind. Darin sollten alle wesentlichen Kriterien (Beurteilungen, Interviewergebnisse, fachliche Anforderungen usw.) einfließen. Im Kölner Fall bemängelte das Gericht, dass im Vermerk kein Wort zu den dienstlichen Beurteilungen stand. Das erweckt den Eindruck, diese seien ignoriert worden – ein gefundenes Fressen für eine Konkurrentenklage.
- Interviews als Ergänzung, nicht Ersatz: Strukturierte Interviews, Assessment-Center, Tests oder Probeaufgaben sind sinnvolle Instrumente, dürfen aber die schriftlichen Leistungsnachweise nicht verdrängen. Nutzen Sie sie vor allem dann, wenn die Papierlage (Beurteilungen, Zeugnisse) keinen klaren Sieger erkennen lässt. Ist hingegen ein Bewerber laut Beurteilungen deutlich vorne, sollte das Ergebnis eines Interviews dem nicht widersprechen, ohne dass Sie den Grund erläutern. Andernfalls laufen Sie Gefahr, dass ein Gericht Ihnen eine Fehlgewichtung vorwirft.
- Transparenz gegenüber Bewerbern: Auch wenn keine detaillierte Auskunftspflicht besteht, ist es oft klug, unterlegenen internen Bewerbern die Entscheidungskriterien offen zu legen. Das kann das Verständnis fördern und den Eindruck von Willkür vermeiden. Gegebenenfalls kann man anbieten, die Stelle vorläufig kommissarisch zu besetzen, bis Unklarheiten beseitigt sind – im vorliegenden Fall hatte der Kläger hilfsweise sogar beantragt, eine kommissarische Besetzung bis zum Prozessende anzuordnen. Ein Entgegenkommen kann zeigen, dass man die Rechte des Bewerbers ernst nimmt, und unter Umständen ein Eilverfahren entbehrlich machen.
Wichtig: Eine einmal getroffene (und kommunizierte) Auswahlentscheidung lässt sich kaum „geheim“ halten – häufig erfahren abgelehnte Bewerber intern doch von der bevorstehenden Besetzung. Sobald ein Bewerber rechtliche Schritte ankündigt oder Fragen stellt, sollten Arbeitgeber nicht voreilig vollendete Tatsachen schaffen. Die Gerichte werten es regelmäßig als Verstoß gegen effektiven Rechtsschutz, wenn ein Dienstherr die Ernennung/Besetzung durchzieht, obwohl ein Eilantrag in Sicht ist. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt: im Zweifel lieber kurz innehalten oder Rechtsrat einholen, als das Risiko eingehen, dass eine gerichtliche Verfügung die Stelle blockiert und ein Imageschaden entsteht.
Das Urteil des LAG Köln vom 21.08.2025 (Az. 8 GLa 14/24) stärkt die Rechte von Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst, nicht „übergangen“ zu werden, und mahnt Arbeitgeber, Auswahlverfahren sauber und nachvollziehbar zu führen. Arbeitnehmer sollten wissen, dass sie eine realistische Chance haben, eine Stellenbesetzung per Eilverfahren zu stoppen, wenn Auswahlfehler möglich sind. Arbeitgeber wiederum tun gut daran, von vornherein die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 33 II GG (Bestenauslese) strikt zu beachten – das spart am Ende Zeit, Geld und Nerven.
Benachteiligte Bewerber wie auch Personalverantwortliche stehen in solchen komplexen Situationen oft unter Zeitdruck und rechtlichem Unsicherheitsfaktor. Eine fachanwaltliche Beratung kann helfen, die Erfolgsaussichten einer Konkurrentenklage abzuschätzen oder vorbeugend ein rechtssicheres Auswahlverfahren zu gestalten. Zögern Sie nicht, bei Fragen zum Bewerbungsverfahrensanspruch oder zum Stellenbesetzungsverfahren im Arbeitsrecht professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Wir stehen sowohl Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern mit Rat und Tat zur Seite, um Ihre Rechte zu wahren und rechtliche Konflikte möglichst effektiv zu lösen.