Mann-zu-Frau-Transsexuelle keinen Anspruch auf Entfernung der Barthaare durch nichtärztliche Leistungserbringer (Elektrologisten/Kosmetiker)

Das Bundessozialgericht hat am 17.12.2020 zu den Aktenzeichen B 1 KR 4/20 R, B 1 KR 6/20 R, B 1 KR 19/20 R und B 1 KR 28/20 R entschieden, dass Mann-zu-Frau-Transsexuelle keinen Anspruch auf Entfernung der Barthaare durch nichtärztliche Leistungserbringer (Elektrologisten/Kosmetiker) haben.

Die jeweils als Mann geborenen Klägerinnen, die bei den beklagten Krankenkassen versichert sind, über die Kostenübernahme für Epilationen mittels Elektrokoagulation (Nadelepilation) zur Entfernung der Barthaare (auch) durch eigenverantwortlich behandelnde Elektrologisten. Bei allen Klägerinnen wurden aufgrund der Diagnose Mann-zu-Frau-Transsexualismus geschlechtsangleichende Maßnahmen durchgeführt. Die Nadelepilation als solche ist im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen aufgeführt (Gebührenordnungspositionen 02300 und 10340). Die Nadelepilation erfordert einen erheblichen Zeitaufwand und muss über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden, um alle einer Laserepilation nicht zugänglichen Barthaare (insbesondere graue und weiße Haare) zu entfernen. Jede einzelne Barthaarwurzel wird manuell durch Strom, der mittels einer Nadel in den Haarkanal eingeleitet wird, in einem nicht schmerzfreien Verfahren abgetötet. Die Klägerinnen haben bislang keine (Vertrags-)Ärzte gefunden, die in der Lage und willens sind, Nadelepilationen durchzuführen. Die Kosten der von Elektrologisten durchgeführten Nadelepilation sämtlicher Barthaare bei Mann-zu-Frau-Transsexualismus belaufen sich regelmäßig auf etliche tausend bis über zehntausend Euro. Die Landessozialgerichte haben in allen Fällen einen Anspruch auf Kostenübernahme auch für den Fall eines faktischen Systemversagens verneint: Der Arztvorbehalt nach § 15 Abs. 1 SGB V stehe einem Anspruch auf Kostenübernahme für eine Behandlung durch Elektrologisten bzw. Kosmetiker entgegen. Zum Teil haben die Landessozialgerichte auch darauf verwiesen, dass die begehrte Behandlung auch nicht als Heilmittel verordnungsfähig sei. Kosmetiker bzw. Elektrologisten seien keine zugelassenen Heilmittelerbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung. Zudem sei die Nadelepilation in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V nicht als zugelassenes Heilmittel aufgeführt. Dass der Gemeinsame Bundesausschuss insoweit trotz Vorliegens der formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht entschieden habe, sei nicht ersichtlich. Schließlich könne die Krankenkasse auch nicht verpflichtet werden, die Versicherte durch einen (konkreten) Vertragsarzt mit der Nadelepilation zu versorgen. Es fehle an einer Rechtsgrundlage für die Verpflichtung eines Vertragsarztes durch eine Krankenkasse.

Der Senat hat die Revisionen der Klägerinnen zurückgewiesen.

Nach Auffassung des BSG sind die Voraussetzungen einer Kostenfreistellung oder Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V sind nicht erfüllt. Mann-zu-Frau-Transsexuelle können die Entfernung der Barthaare nur als ärztliche Behandlung beanspruchen. Der Arztvorbehalt (§ 15 SGB V) steht mit dem Grundgesetz in Einklang. Arzt ist nur der approbierte Heilbehandler. Dies schließt die begehrte Nadelepilation durch eigenverantwortlich behandelnde nichtärztliche Leistungserbringer aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Dies gilt auch dann, wenn Elektrologisten/Kosmetiker über eine Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz verfügen. Die Nadelepilation durch Elektrologisten/Kosmetiker kann auch nicht als Heilmittel beansprucht werden. Sie ist bisher nicht als verordnungsfähig in der Heilmittel-Richtlinie aufgeführt. Insoweit besteht auch keine Leistungspflicht infolge Systemversagens. Derzeit können Kosmetiker/Elektrologisten schon nicht als Heilmittelerbringer zugelassen werden. Dies schließt es aber nicht aus, dass Nadelepilation als ärztliche Leistung unter unselbständiger Mithilfe von Elektrologisten/Kosmetikern erbracht wird. Ein Systemversagen wegen einer sich hier aufdrängenden faktischen Versorgungslücke lässt den Arztvorbehalt als zwingende berufliche Mindestqualifikation nicht entfallen.