Ein 52-jähriger Sicherheitsmitarbeiter einer Flüchtlingsunterkunft erlitt während eines Dienstvorfalls einen plötzlichen Herztod. In der Unterkunft geriet ein Bewohner in einen eskalierenden Streit mit einem Arzt. Der Sicherheitsmann griff ein, und es kam zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Dabei nahm der aggressive Bewohner den Sicherheitsmitarbeiter in den Schwitzkasten (Würgegriff). Kurz darauf brach der Sicherheitsmann zusammen und verstarb – die Obduktion ergab einen sogenannten plötzlichen Herztod.
Die Ehefrau des Verstorbenen beantragte daraufhin eine Hinterbliebenenrente bei der gesetzlichen Unfallversicherung. Eine Hinterbliebenenrente ist eine finanzielle Leistung der gesetzlichen Unfallversicherung an Witwen oder Witwer, wenn der Tod der versicherten Person infolge eines Arbeitsunfalls eingetreten ist. Der zuständige Unfallversicherungsträger (in der Regel die Berufsgenossenschaft) lehnte den Antrag jedoch ab. Zur Begründung hieß es, es sei „keine todesursächliche Gewalteinwirkung feststellbar“ – offenbar gab es keine sichtbaren Verletzungen durch den Schwitzkasten. Zudem verwies man auf eine vorbestehende Herzkrankheit des Mannes, die laut Obduktionsbericht bekannt war. Nach Ansicht der Versicherung handelte es sich also nicht um einen Arbeitsunfall, und folglich bestünde kein Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen.
Die Witwe legte gegen den Ablehnungsbescheid Widerspruch ein, der jedoch ohne Erfolg blieb. Schließlich erhob sie Klage vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund – mit Erfolg: Das SG Dortmund entschied, dass der Vorfall als Arbeitsunfall anzuerkennen ist und der Frau somit Hinterbliebenenrente zusteht. Dieses Urteil vom 14.10.2025 (Az. S 17 U 367/23) ist ein wichtiges Signal für ähnliche Fälle, in denen ein medizinischer Notfall (z.B. Herzinfarkt oder Herztod) in Verbindung mit einer besonderen Arbeitsbelastung steht.
Rechtliche Einordnung: Was gilt als Arbeitsunfall?
Ob ein Ereignis vom Unfallversicherungsträger als Arbeitsunfall anerkannt wird, richtet sich nach § 8 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII). Danach ist ein Arbeitsunfall definiert als Unfall eines Versicherten infolge einer versicherten Tätigkeit. Vereinfacht gesagt muss der Unfall also während einer versicherten Tätigkeit (z.B. bei der Arbeit oder auf einem direkten Arbeitsweg) passieren und durch ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis verursacht werden. Ein solches Ereignis kann klassisch etwa ein Sturz oder eine Verletzung durch einen Gegenstand sein. Wichtig ist, dass es sich nicht um einen rein inneren Vorgang (z.B. spontan auftretender Herzinfarkt ohne äußeren Anlass) handelt, sondern dass ein äußerer Faktor im Spiel ist, der auf den Körper einwirkt und den Gesundheitsschaden auslöst.
Im vorliegenden Fall war das äußere Ereignis offensichtlich die körperliche Auseinandersetzung (insbesondere die Schwitzkasten-Attacke) während der Arbeit. Diese erfüllte das Kriterium eines von außen einwirkenden Ereignisses. Der Streit drehte sich also nicht um die Frage, ob überhaupt ein Unfallereignis vorlag – das war mit dem Handgemenge zweifelsfrei gegeben. Der Knackpunkt lag vielmehr in der Frage der Kausalität: Ist der Mann infolge dieses Ereignisses gestorben? Oder war die vorausgegangene Herzkrankheit so dominierend, dass der Tod auch ohne den Stress des Vorfalls eingetreten wäre? Genau an dieser Stelle scheiden sich oft die Geister in Unfallversicherungsfällen.
Streitfrage: Kausalität – was bedeutet „infolge“?
Das Gesetz (§ 8 Abs. 1 SGB VII) verlangt, dass der Tod “infolge” des Versicherungsfalls eintritt. Infolge bedeutet juristisch: durch das Ereignis verursacht. Hier stellte sich die Frage, ob der Stress und die Todesangst während des Kampfes mit dem Heimbewohner wesentlich den Herztod ausgelöst haben. Anders formuliert: Wäre der Mann ohne diesen Vorfall an diesem Tag vermutlich nicht gestorben? Und umgekehrt, hätte er den Herztod womöglich auch erlitten, wenn er die Herz-Vorerkrankung nicht gehabt hätte? Diese Fragen zielen auf die sog. unfallversicherungsrechtliche Kausalitätslehre ab.
Das SG Dortmund orientierte sich hierbei an der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Schon das BSG hat klargestellt, dass für die unfallversicherungsrechtliche Kausalität entscheidend ist, ob das Arbeitsereignis in wesentlichem Maße zum Gesundheitsschaden bzw. Tod beigetragen hat. Mit anderen Worten: Die versicherte Tätigkeit (hier das Einschreiten des Sicherheitsmannes und die daran geknüpfte Auseinandersetzung) muss ein wesentlicher Faktor für den tödlichen Ausgang gewesen sein – selbst wenn daneben andere Faktoren (etwa eine Vorerkrankung) vorliegen. Es genügt, dass die Arbeitsbelastung oder das Ereignis die kritische Mitursache war.
Im vorliegenden Fall argumentierte die Versicherung, es habe keine eindeutige Gewaltwirkung gegeben. Doch das SG stellte klar: Auch psychische und physische Belastungen können eine relevante Einwirkung darstellen. So kann zum Beispiel schon ein intensives Stressereignis wie ein heftiges Streitgespräch die Kriterien eines Unfalls erfüllen, wenn dadurch der Körper in einen Ausnahmezustand gerät. In unserem Fall war der Stress jedoch keineswegs nur psychischer Natur, sondern ging mit einer direkten körperlichen Bedrohung (Würgen im Schwitzkasten) einher – eine Situation, die objektiv geeignet ist, Todesangst und extremen Stress auszulösen.
Entscheidung des SG Dortmund: Herztod als Arbeitsunfall anerkannt
Das Sozialgericht Dortmund entschied zugunsten der Witwe und stufte den Herztod des Mannes als Arbeitsunfall ein, wodurch ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente entsteht. Ausschlaggebend waren dabei die Ergebnisse eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens: Ein Kardiologie-Experte kam zu dem Schluss, dass die akute Stressreaktion in der Auseinandersetzung sehr wohl geeignet war, beim ohnehin vorerkrankten Herzen eine tödliche Rhythmusstörung auszulösen. Todesangst und körperlicher Kampf stellen demnach eine enorme Belastung dar, die einen plötzlichen Herztod herbeiführen kann.
Wichtig: Die vorhandene Herzkrankheit des Mannes schloss die Unfallkausalität nicht aus. Laut Gutachten war die Vorerkrankung vergleichsweise leicht und nicht präzise zu beziffern – einige Parameter konnten post mortem gar nicht mehr erhoben werden. Die körperliche Auseinandersetzung inklusive Schwitzkasten war hingegen klar als erhebliche Belastung erkennbar und wurde als wesentliche Mitursache des Todes gewertet. Entscheidend war, dass die Herzerkrankung nicht von überragender Bedeutung für den Tod war, verglichen mit dem durch den Vorfall ausgelösten Stress.
Das SG stützte sein Urteil auf diese Erkenntnisse. Im Ergebnis hielt das Gericht fest, dass die Ablehnung der Hinterbliebenenrente durch den Unfallversicherer „mit der Rechtslage nicht in Einklang zu bringen“ war. Mit anderen Worten: Der tödliche Vorfall war rechtlich als Arbeitsunfall zu qualifizieren.
Kernaussage des Urteils (Leitsatz):
„Das Erleiden eines plötzlichen Herztodes aufgrund einer akuten Stressreaktion (hier Todesangst) ist wesentlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen und damit ein Arbeitsunfall, solange die konkurrierende Ursache (hier: erhebliche vorbestehende Herzerkrankung) nicht von überragender Bedeutung für den Eintritt des Todes ist.“
Durch diese Klarstellung wurde der Witwe rückwirkend eine Hinterbliebenenrente zugesprochen. Für die Frau bedeutet dies finanzielle Absicherung: Die gesetzliche Unfallversicherung zahlt nun eine Rente, die den Wegfall des Einkommens ihres Mannes zumindest teilweise ausgleicht (Höhe abhängig vom Jahresverdienst des Verstorbenen).
Bedeutung für Versicherte und Hinterbliebene
Dieser Fall unterstreicht einige wichtige Punkte, die Versicherte und ihre Angehörigen kennen sollten:
- Stress und Schock als Unfallursache: Nicht jeder Herzinfarkt oder Herztod am Arbeitsplatz ist automatisch ein Arbeitsunfall. Ohne äußeren Anlass – zum Beispiel wenn jemand ohne Fremdeinwirkung am Schreibtisch zusammenbricht – liegt meist kein Arbeitsunfall vor. Anders sieht es aber aus, wenn außergewöhnliche Belastungen oder Ereignisse im Job vorausgehen. Körperliche Auseinandersetzungen, aber auch andere extreme Stresssituationen (z.B. tätliche Angriffe, schwere Unfälle, sogar heftige Streitgespräche) können als auslösendes Unfallereignis gelten. Entscheidend ist, dass das Ereignis den Körper in einen Ausnahmezustand versetzt (z.B. Adrenalinschub, Herzrhythmusstörungen). Versicherte sollten daher wissen: Psychische oder physische Extremsituationen im Dienst können rechtlich als „von außen einwirkendes Ereignis“ anerkannt werden – auch wenn man ihnen äußerlich keine Verletzung ansieht.
- Vorerkrankungen schließen den Versicherungsschutz nicht aus: Viele Beschäftigte haben gesundheitliche Risikofaktoren (z.B. Herz-Kreislauf-Vorerkrankungen). Wichtig zu wissen: Eine Vorerkrankung nimmt den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht automatisch weg. Entscheidend ist, ob die Arbeitssituation wesentlich zum Eintritt des Schadens beigetragen hat. Selbst wenn eine medizinische Vorschädigung vorliegt, kann der betrieblich bedingte Stress oder die körperliche Beanspruchung den Ausschlag geben. Praxis-Tipp: Betroffene sollten im Falle eines Unfalls alle Umstände angeben. Auch wenn der Arzt im Nachhinein feststellt, dass bereits ein Gesundheitsproblem bestand, lohnt es sich zu prüfen, ob eine Arbeitsbelastung als Auslöser infrage kommt.
- Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen: Stirbt ein Versicherter infolge eines Arbeitsunfalls, haben Ehepartner bzw. eingetragene Lebenspartner und Kinder Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung. Dazu gehört insbesondere die Hinterbliebenenrente für Witwen und Witwer. Diese wird zusätzlich zur gesetzlichen Rentenversicherung (Witwenrente) gewährt und soll den Einkommensausfall teilweise kompensieren. Praktisch bedeutet dies: Neben einem einmaligen Sterbegeld und evtl. Überführungskosten erhalten Hinterbliebene monatliche Rentenzahlungen. Zum Beispiel zahlt die Berufsgenossenschaft in den ersten drei Monaten nach dem Todesfall zwei Drittel des zuletzt versicherten Jahresarbeitsverdienstes als Rente, danach in der Regel rund 30% des Jahresverdienstes für bis zu zwei Jahre (bei jungen Witwen/Witwern) – bei älteren oder betreuungspflichtigen Hinterbliebenen ggf. auch länger in Form der sog. großen Witwenrente. Hinterbliebene sollten daher unbedingt einen Antrag stellen, wenn sie glauben, dass ein Todesfall arbeitsbedingt war.
- Rechtsschutz nutzen bei anfänglicher Ablehnung: Es kommt leider vor, dass Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaften) einen Fall zunächst nicht als Arbeitsunfall anerkennen – gerade wenn keine offensichtliche Verletzung vorliegt oder Vorerkrankungen bekannt sind. Betroffene sollten sich von einer ersten Absage nicht entmutigen lassen. Wie der besprochene Fall zeigt, lohnt es sich, einen Widerspruch gegen den Bescheid einzulegen und notfalls vor Gericht zu ziehen. Im Sozialgerichtsverfahren können Beweise erhoben werden, z.B. durch Sachverständige, die klären, ob das Arbeitsereignis medizinisch als (Mit-)Ursache des Todes in Betracht kommt. Handlungsempfehlung: Sammeln Sie frühzeitig Belege und Zeugenaussagen für das Unfallereignis (Unfallberichte, Aussagen von Kollegen, ärztliche Befunde). Ziehen Sie bei komplexen Sachverhalten einen Fachanwalt für Sozialrecht hinzu. Die Kosten eines Verfahrens vor dem Sozialgericht müssen Betroffene in der ersten Instanz übrigens nicht fürchten – in der Sozialgerichtsbarkeit trägt jede Seite ihre Anwaltskosten selbst, Gerichtskosten fallen nicht an.
Der Urteilsspruch des SG Dortmund vom 14.10.2025 stärkt die Rechte von Versicherten und Hinterbliebenen in schwierigen Konstellationen. Ein plötzlicher Herztod infolge einer dramatischen Stresssituation im Job – wie hier durch eine tätliche Auseinandersetzung – ist ein Arbeitsunfall und führt zu Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. Versicherte sollten wissen, dass sie auch bei weniger sichtbaren Gesundheitsschäden durch Arbeitsbelastung abgesichert sind. Hinterbliebene müssen einen ablehnenden Bescheid nicht hinnehmen, sondern können ihr Recht auf Versorgung aktiv einfordern. Das Urteil vermittelt somit: Maßgeblich ist die wesentliche Ursache – und dabei kann der Job der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Mit diesem Wissen im Rücken können sich Ratsuchende in ähnlichen Situationen besser orientieren und ihre Ansprüche gezielt geltend machen.