SGB II – Leistungen für EU-Bürger

22. August 2020 -

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 08. Juli 2020 zum Aktenzeichen 1 BvR 932/20 entschieden, dass ein sozialgerichtliches Eilverfahren, in dem die Beschwerdeführer die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch für EU-Bürger begehren, verfassungswidrig war.

Die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) sind rumänische Staatsangehörige. Die Beschwerdeführer zu 1) und zu 2) sind die Eltern der in den Jahren 2002, 2003 und 2005 geborenen Beschwerdeführer zu 3) bis 5). Sie reisten Ende 2018 in das Bundesgebiet ein. Die Beschwerdeführerin zu 1) nahm im Februar 2019 zunächst eine geringfügige Beschäftigung auf. Seit Juli 2019 geht sie einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung als Reinigungskraft mit einem durchschnittlichen monatlichen Bruttolohn von 919,00 Euro nach. Die Beschwerdeführer zu 3) bis 5) besuchen ein Berufsbildungsprojekt, welches eine schulische Begleitung mit dem Angebot eines Hauptschulabschlusses umfasst. Der Beschwerdeführer zu 2) ist arbeitsuchend und sammelt Pfandflaschen. Ein Verlust des Freizügigkeitsrechts wurde nicht festgestellt.

Die Familie beantragte im Juni 2019 die Weiterbewilligung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Der Beschwerdeführerin zu 1) sowie den Beschwerdeführern zu 3) bis 5) wurden diese Leistungen vorläufig bewilligt. Der Antragsgegner des Ausgangsverfahrens ging dabei davon aus, dass diese aufgrund der Erwerbstätigkeit der Beschwerdeführerin zu 1) freizügigkeits- und damit nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch anspruchsberechtigt waren. Der Beschwerdeführer zu 2) wurde als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft geführt. Ihm wurden keine Leistungen gewährt. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg. Der Beschwerdeführer zu 2) habe nur „ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche“ und sei somit nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 b) SGB II von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch ausgeschlossen. Die hiergegen erhobene Klage ist bislang noch nicht entschieden. Der Beschwerdeführer zu 2) macht geltend, nicht krankenversichert zu sein und durch seine Familie mitversorgt zu werden, weshalb die Familie insgesamt unterhalb des Existenzminimums lebe.

Dem Antrag der Beschwerdeführer auf einstweiligen Rechtsschutz gab das Sozialgericht im Wege einer Folgenabwägung statt und verpflichtete den Antragsgegner des Ausgangsverfahrens zur vorläufigen Leistungsgewährung an alle fünf Beschwerdeführer. Dem Beschwerdeführer zu 2) könne nicht zugemutet werden, das Bundesgebiet und damit auch seine drei minderjährigen Kinder zu verlassen. Auf die hiergegen seitens des Antragsgegners des Ausgangsverfahrens erhobene Beschwerde hob das Landessozialgericht den Beschluss des Sozialgerichts auf und lehnte den Eilantrag der Beschwerdeführer ab. Der Beschwerdeführer zu 2) habe keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch. Soweit für den Beschwerdeführer zu 2) ausschließlich ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland zur Arbeitsuche in Betracht komme, sei er nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 b) SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Soweit er überhaupt nicht über ein Aufenthaltsrecht verfüge, sei er nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a) SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Beides verstoße weder gegen europäisches Recht noch gegen nationales Verfassungsrecht. Soweit der Beschwerdeführer zu 2) ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 habe, sei er nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 c) SGB II von diesen Leistungen ausgeschlossen. Die Anwendung dieser Regelung auf den Beschwerdeführer zu 2) scheide weder wegen Verstoßes gegen europarechtliche Vorschriften aus, noch verstoße dies gegen nationales Verfassungsrecht (unter Verweis auf den Beschluss desselben Senats des Landessozialgerichts vom 21. August 2019 – L 7 AS 285/19 B ER -, juris). Es bestehe auch kein Aufenthaltsrecht nach § 11 FreizügG/EU in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthaltsG (analog) unter Berücksichtigung von Art. 18 AEUV. Eine unmittelbare Anwendung scheitere daran, dass die Kinder des Beschwerdeführers zu 2) nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen. Eine analoge Anwendung komme ebenfalls nicht in Betracht. In dem hierfür in Bezug genommenen Beschluss des Senats vom 21. August 2019 (L 7 AS 285/19 B ER, juris, Rn. 45) verweist das Landessozialgericht zur Begründung auf seinen nicht veröffentlichten Beschluss vom 28. Juni 2017 (L 7 AS 140/17 B ER) sowie auf den Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. Mai 2017 (L 31 AS 1000/17 B ER, juris). In dem angegriffenen Beschluss führt das Landessozialgericht weiter aus, dass der Senat auch bei Verneinung eines Aufenthaltsrechts des Beschwerdeführers zu 2) nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthaltsG (analog) keine zwingende Notwendigkeit sehe, dass die Kinder die Bundesrepublik Deutschland verlassen müssten. Denn die Beschwerdeführerin zu 1) übe derzeit eine Beschäftigung in Teilzeit aus, die ihr eine Betreuung der Kinder ermögliche, wenn diese sich nicht in der Schule befänden. Die übrigen Beschwerdeführer erhielten keine zu geringen Leistungen.

Die nachfolgende Anhörungsrüge wies das Landessozialgericht zurück. Soweit die Beschwerdeführer geltend machten, die zugrundeliegende Rechtsfrage stelle sich als schwierig und ungeklärt dar, weshalb im vorliegenden Verfahren eine Folgenabwägung erfolgen müsse, teile der Senat diese Auffassung nicht. Eine Folgenabwägung müsse der Senat nicht vornehmen, weil er die zugrundeliegenden, umstrittenen Rechtsfragen ausführlich, auch unter Verweis auf andere Entscheidungen des Senats, nicht nur summarisch, sondern abschließend geklärt habe.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4, Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 6 GG. Art. 19 Abs. 4 GG sei verletzt, weil die angegriffene Entscheidung des Landessozialgerichts bei (vermeintlich) abschließender rechtlicher Prüfung des geltend gemachten Anspruchs die erforderliche Auseinandersetzung mit dem Meinungsstand zu umstrittenen Rechtsfragen nicht erkennen lasse und damit nicht die erforderliche Prüfungstiefe für eine abschließende Prüfung aufweise. Das Landessozialgericht habe bei dieser Prüfung auch das Gewicht der drohenden Grundrechtsverletzung verkannt. Die Frage nach der (analogen) Anwendbarkeit des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthaltsG sei ungeklärt und schwierig. Die Frage, ob der Leistungsausschluss bei einem Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 mit Unionsrecht vereinbar sei, sei in der Rechtsprechung umstritten und höchstrichterlich ebenfalls noch nicht geklärt. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen habe diese Frage mit Beschluss vom 14. Februar 2019 (L 19 AS 1104/18, juris) dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Der Beschwerdeführer zu 2) werde mit der angegriffenen Entscheidung vor die Wahl gestellt, entweder seine minderjährigen Kinder und seine Lebensgefährtin zu verlassen und allein die Reise ins Heimatland anzutreten oder weiterhin mit seiner Familie im Bundesgebiet zu verbleiben, wenn auch auf deren Kosten und ohne Sicherung seiner physischen und soziokulturellen Existenz.

Der angegriffene Beschluss des Landessozialgerichts verletzt den Beschwerdeführer zu 2) in seinem verfassungsmäßigen Recht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits geklärt (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

Der Beschluss des Landessozialgerichts verletzt den Beschwerdeführer zu 2) in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.

Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes verlangt grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ansonsten dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Rechte droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (BVerfGE 126, 1 <27>; vgl. auch BVerfGE 93, 1 <13>). Dies gilt gleichermaßen für Anfechtungs- wie für Vornahmesachen (vgl. BVerfGE 126, 1 <27 f.>). Hieraus ergeben sich Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen Gesetzesbestimmungen über den Eilrechtsschutz (vgl. BVerfGE 49, 220 <226>; 77, 275 <284>). Hinsichtlich des fachgerichtlich begründeten Erfordernisses der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs bedeutet dies, dass die Anforderungen an dessen Vorliegen, gemessen an der drohenden Rechtsverletzung, nicht überspannt werden dürfen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. März 2019 – 1 BvR 169/19 -, Rn. 14 m.w.N.; stRspr).

Die Entscheidungen dürfen sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Hierbei ist dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten nach Möglichkeit zu verhindern (vgl. BVerfGE 126, 1 <27 f.>). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. März 2019 – 1 BvR 169/19 -, Rn. 15 m.w.N.; stRspr). Indessen dürfen sich die Gerichte, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, nur dann an den Erfolgs-aussichten der Hauptsache orientieren, wenn sie die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen können. Eine solche abschließende Prüfung kommt allerdings nur in Betracht, wenn eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren möglich ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 1241/16 – , Rn. 11; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2018 – 2 BvR 80/18 -, Rn. 8). Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist eine Folgenabwägung durchzuführen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 1241/16 -, Rn. 11; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2018 –  2 BvR 80/18 -, Rn. 8; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. März 2019 – 1 BvR 169/19 -, Rn. 15 m.w.N.; stRspr).

Auch wenn irreparable Grundrechtsverletzungen von erheblichem Gewicht drohen, ist das Gericht indessen nicht von vornherein daran gehindert, auch zu solchen Rechtsfragen eine „abschließende“ rechtliche Prüfung vorzunehmen, die schwierig und ungeklärt sind oder die im entscheidungserheblichen Zeitpunkt als hoch streitig eingestuft werden müssen. Das Gericht hat in solchen Fällen allerdings in den Blick zu nehmen, dass sich eine solche Prüfung im Eilverfahren auf die Möglichkeiten des Rechtsschutzsuchenden auswirkt, die Entscheidungsfindung im Hauptsacheverfahren und im Rahmen prozessrechtlich vorgesehener Rechtsmittelverfahren zu beeinflussen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2018 – 2 BvR 80/18 -, Rn. 8; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 2019 – 2 BvR 1556/17 -, Rn. 11). Daraus ergeben sich Anforderungen an die Begründungstiefe. Insbesondere kann eine „abschließende“ Prüfung eine – zumindest knappe – Auseinandersetzung mit dem Meinungsstand erfordern (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2018 – 2 BvR 80/18 -, Rn. 11; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 2019 – 2 BvR 1556/17 -, Rn. 14).

Nach diesen Maßstäben verletzt der angegriffene Beschluss Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Vorliegend ist der Anspruch auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG betroffen, dessen Beeinträchtigung auch nachträglich bei einem erfolgreichen Abschluss des ‒ möglicherweise noch längere Zeit in Anspruch nehmenden ‒ Hauptsacheverfahrens nicht mehr ausgeglichen werden kann, weil der elementare Lebensbedarf eines Menschen grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden kann, in dem er besteht (vgl. BVerfGE 125, 175 <225>). Angesichts des Gewichts einer solchen Grundrechtsbeeinträchtigung hätte das Landessozialgericht nur dann auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abstellen dürfen, wenn es die Sach- und Rechtslage abschließend geprüft hätte. Das ist nicht der Fall. Das Landessozialgericht hat auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abgestellt, ohne die dem Gewährleistungsgehalt des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG hier entsprechende „abschließende“ Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache vorzunehmen.

Das Landessozialgericht hat entscheidungstragend verneint, dass dem Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a) SGB II ein Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers zu 2) aus § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthaltsG (analog) entgegenstehe. Zur Begründung hat es auf seinen eigenen Beschluss vom 21. August 2019 (L 7 AS 285/19 B ER, juris, Rn. 45) verwiesen, in dem wiederum auf den nicht veröffentlichten Beschluss des Senats vom 28. Juni 2017 (L 7 AS 140/17 B ER) sowie auf den Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. Mai 2017 (L 31 AS 1000/17 B ER, juris) verwiesen wird. Mit diesen Verweisen konnte die für eine abschließende Entscheidung hier erforderliche Begründungstiefe nicht erreicht werden.

Ob § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthaltsG (analog) und Art. 18 Abs. 1 AEUV dem sorgeberechtigten Elternteil eines wegen der Begleitung des anderen Elternteils nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigten minderjährigen Unionsbürgers ein Aufenthaltsrecht vermitteln kann, ist in der Rechtsprechung und der Literatur sehr umstritten (siehe dazu nur die Nachweise in BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. Oktober 2019 – 1 BvR 1710/18 -, Rn. 12). Das Landessozialgericht hätte für eine abschließende Prüfung dieser ungeklärten Rechtsfrage jedenfalls auf Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts eingehen müssen, die in den tragend in Bezug genommenen früheren Beschlüssen der Landessozialgerichte noch nicht hatten berücksichtigt werden können, weil sie vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangen sind. Das Bundesverfassungsgericht hat am 4. Oktober 2019 einen Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des auch hier betroffenen Senats des Landessozialgerichts vom 3. Juli 2018 (L 7 AS 274/18 B, juris) aufgehoben. Hintergrund war bereits in diesem Verfahren, dass die auch dort relevante Frage nach der Anwendbarkeit von § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthaltsG und Art. 18 Abs. 1 AEUV eine ungeklärte und schwierige Rechtsfrage ist, in welcher auch die Wertungen der Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. Oktober 2019 – 1 BvR 1710/18 -, Rn. 13). Die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts konnte das Hessische Landessozialgericht in seinem Beschluss vom 21. August 2019 noch nicht kennen. Im jetzigen Verfahren hätte das Landessozialgericht die Wertungen der Art. 6 GG und Art. 8 EMRK aber berücksichtigen müssen, um zu einer „abschließenden“ Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache gelangen zu können. Der bloße Verweis auf seinen insoweit unergiebigen Beschluss vom 21. August 2019, der wiederum auf ältere Entscheidungen verweist, genügt hierfür nicht. Das Gericht hätte die Konsequenzen der von ihm angedachten Lösung einer Rückkehr des Beschwerdeführers zu 2) in sein Heimatland und damit die Trennung von seiner Familie nunmehr – wenigstens knapp – im Lichte von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK würdigen müssen. Der bloße Verweis auf die Betreuung der gemeinsamen Kinder durch die Lebensgefährtin reicht hierfür nicht aus.

Die Entscheidung des Landessozialgerichts beruht auf der unzureichenden Beachtung der sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ergebenden Anforderungen. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass das Landessozialgericht bei einer verfassungsrechtlich gebotenen Befassung mit dem Begehren des Beschwerdeführers zu 2) zu einem für diesen günstigeren Ergebnis gelangt wäre.