Der angekündigte Abbau von 430 Vollzeitstellen bei ProSiebenSat.1 im Rahmen eines Sparprogramms wirft für betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zahlreiche rechtliche Fragen auf. Nachfolgend finden Sie einen Überblick über die wesentlichen arbeitsrechtlichen Aspekte sowie praktische Hinweise, wie Sie Ihre Rechte wahren und im Rahmen der laufenden Verhandlungen mit dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat bestmöglich agieren können.
Hintergrund und Ausgangslage
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Umfang des Stellenabbaus
ProSiebenSat.1 plant, insgesamt 430 Vollzeitstellen abzubauen, was etwa 6 % der zum Stichtag 31.12.2024 vorhandenen 7.041 Vollzeitäquivalente entspricht. Die Maßnahme soll über ein Freiwilligen-Programm („sozialverträgliche Lösung“) realisiert werden; zu dessen Umsetzung werden Rückstellungen in Höhe eines mittleren bis hohen zweistelligen Millionen-Euro-Betrags gebildet. -
Begründung durch den Arbeitgeber
Laut Konzernchef Habets dient der Abbau der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, der Kostenstruktur und der digitalen Transformation in einem herausfordernden wirtschaftlichen Umfeld.
Rechtliche Grundlagen
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Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
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Mitbestimmung (§ 87 Abs. 1 Nr. 1–12 BetrVG): Der Betriebsrat muss frühzeitig und umfassend informiert werden; ohne ordnungsgemäße Beteiligung ist jeder Sozialplan unwirksam.
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Sozialplan (§ 112 BetrVG): Bei nachteiligen Weisungen, zu denen auch umfangreiche Entlassungen zählen, muss der Arbeitgeber einen Sozialplan mit dem Betriebsrat vereinbaren, der die wirtschaftlichen Nachteile für die Belegschaft abmildert.
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Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
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Gilt in Betrieben mit regelmäßig mehr als zehn Vollzeitbeschäftigten. Eine betriebsbedingte Kündigung muss sozial gerechtfertigt sein, das heißt sie darf nur erfolgen, wenn eine Weiterbeschäftigung schwer unmöglich ist und kein anderes mildes Mittel (z. B. Umsetzung) zur Verfügung steht (§ 1 Abs. 2 KSchG).
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Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
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Unzulässige Diskriminierung bei der Sozialauswahl (z. B. Schwangerschaft, Behinderung, Alter): Betroffene können eine Kündigungsschutzklage mit Höherstufung ihrer Interessen (z. B. Schwerbehindertenvertretung) durchsetzen.
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Freiwilligenprogramm: Gestaltung und Chancen
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Typische Elemente
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Aufhebungsvertrag mit Abfindungsvereinbarung
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Übergangs- und Qualifizierungsmaßnahmen
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Freiwilligkeitszuschläge (je nach Dienstalter, Gehaltshöhe, familiärer Situation)
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Wichtige Hinweise
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Vertragsprüfung: Lassen Sie jeden Aufhebungsvertrag rechtlich prüfen – gerade Formulierungen zu Abfindung, Sperrzeit beim Arbeitslosengeld und Verschwiegenheitsklauseln sind kritisch.
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Fristen und Widerrufsrecht: In der Regel besteht kein gesetzliches Widerrufsrecht bei Aufhebungsverträgen; Vereinbarungen hierzu sind selten wirksam.
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Arbeitslosengeld: Achten Sie darauf, dass die Agentur für Arbeit im Falle eines Aufhebungsvertrags keine Sperrzeit von zwölf Wochen verhängt (§ 159 SGB III). Eine Freistellung „mit Rückkehranspruch“ kann hier entgegenwirken.
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Betriebsbedingte Kündigung und Sozialauswahl
Sollten nicht genügend Freiwillige zusagen, drohen betriebsbedingte Kündigungen. Hier sind die zentralen Schritte:
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Personalabbau und Sozialauswahl
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Kriterien: Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung
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Schriftliche Darlegung: Fordern Sie auf, Ihnen die angewandte Sozialauswahl schriftlich zu erklären (teilweiser Anspruch nach § 101 BetrVG).
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Anhörung durch den Betriebsrat
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Der Betriebsrat muss vor jeder Kündigung angehört werden; fehlende oder fehlerhafte Anhörung macht die Kündigung unwirksam (§ 102 Abs. 1 BetrVG).
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Abfindung: Höhe und Verhandlung
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Regelabfindung nach KSchG
– Kein gesetzlicher Anspruch, aber häufig in Sozialplänen bzw. Aufhebungsverträgen geregelt. -
Faustformel
– 0,5 Brutto-Monatsverdienste pro Beschäftigungsjahr als Ausgangspunkt; individuelle Faktoren können anheben oder absenken. -
Verhandlungsstrategien
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Legen Sie dar, warum Sie die Beendigung aus betrieblichen Gründen anfechten (z. B. fehlerhafte Sozialauswahl).
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Verdeutlichen Sie persönliche Härten (z. B. Alter, familiäre Unterhaltspflichten).
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Ziehen Sie eine arbeitsrechtliche Beratung hinzu, um eine realistische Verhandlungsbasis zu bestimmen.
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Handlungsempfehlungen für Betroffene
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Frühzeitige Information einholen
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Betriebsratsanhörung, Personalabteilung, Gewerkschaft.
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Rechtliche Beratung nutzen
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Fachanwalt für Arbeitsrecht oder Gewerkschaftsrechtsschutz.
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Dokumentation und Fristen
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Alle Schriftstücke fristgerecht und vollständig prüfen, Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen einreichen.
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Alternative Optionen prüfen
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Einstellungsalternativen auf andere Stellen im Konzern, Umschulungs- und Weiterbildungsangebote.
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Fazit
Der Stellenabbau bei ProSiebenSat.1 wird weitreichend und juristisch komplex sein. Für betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gilt es, frühzeitig aktiv zu werden: Informieren Sie sich über Ihre Rechte im Betriebsverfassungs- und Kündigungsschutzrecht, prüfen Sie Angebote des Freiwilligenprogramms sorgfältig und lassen Sie sich im Zweifel professionell beraten. Nur so können Sie – sei es durch ein attraktives Abfindungsangebot oder eine erfolgreiche Kündigungsschutzklage – Ihre wirtschaftliche und berufliche Zukunft bestmöglich absichern.