Vertrauensarbeitszeit bedeutet, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer zwar eine bestimmte Wochenarbeitszeit vereinbaren, jedoch Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit nicht kontrolliert werden. Der Arbeitnehmer kann seine Arbeitszeit eigenverantwortlich einteilen, der Arbeitgeber „vertraut“ lediglich darauf, dass die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht wird. Wichtig ist: Auch in diesem flexiblen Modell schuldet der Arbeitnehmer nur die vereinbarte Stundenanzahl – die Vertrauensarbeitszeit berechtigt den Arbeitgeber nicht, unbegrenzt Mehrarbeit zu verlangen. Gleichzeitig entbindet sie den Arbeitnehmer nicht davon, die arbeitszeitrechtlichen Höchstgrenzen einzuhalten (z.B. maximal 8 Stunden pro Werktag, ausnahmsweise 10 Stunden mit Ausgleich, sowie 11 Stunden Mindestruhezeit). In der Praxis besteht jedoch die Gefahr, dass Beschäftigte mehr arbeiten als gesund oder vertraglich vorgesehen, etwa indem Arbeit mit nach Hause genommen wird. Wie also sind Überstunden in der Vertrauensarbeitszeit geregelt?
Überstunden nur bei Veranlassung durch den Arbeitgeber
Grundsätzlich gilt: Überstunden fallen an, sobald die vertraglich geschuldete Arbeitszeit überschritten wird. Dies kann auch bei Vertrauensarbeitszeit passieren – das Modell schließt einen Überstundenvergütungsanspruch nicht aus. Allerdings dürfen Arbeitnehmer nicht eigenmächtig Überstunden anhäufen in der Erwartung, diese bezahlt zu bekommen. Der Arbeitgeber muss sich Mehrarbeit nicht einfach “aufdrängen” lassen, und der Arbeitnehmer kann nicht durch freiwillige Zusatzarbeit einseitig seinen Vergütungsanspruch erhöhen. Ein Anspruch auf Ausgleich (Bezahlung oder Freizeit) entsteht nur, wenn der Arbeitgeber die Überstunden veranlasst oder jedenfalls gebilligt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts müssen Überstunden vom Arbeitgeber „angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig“ gewesen sein. Im Einzelnen sind folgende Fallgruppen anerkannt:
- Ausdrückliche Anordnung: Überstunden, die auf Weisung des Arbeitgebers geleistet werden. Fordert die Führungskraft nach Ende der regulären Arbeitszeit ausdrücklich die Erledigung weiterer Aufgaben, handelt es sich um angeordnete Überstunden.
- Konkludente Anforderung: Überstunden, die durch die Menge der zugewiesenen Arbeit unausweichlich Legt der Arbeitgeber etwa so viel Arbeit auf den Tisch, dass sie offensichtlich nicht in der Normalzeit zu schaffen ist (z.B. Aufgaben für 16 Stunden an einem 8-Stunden-Tag), gilt dies als stillschweigende Anordnung von Überstunden.
- Nachträgliche Billigung: Überstunden, die vom Arbeitgeber im Nachhinein ausdrücklich anerkannt Zum Beispiel kann ein Lob für geleistete Mehrarbeit als Zustimmung gelten, ebenso wenn der Vorgesetzte ein geführtes Stundenkonto einsehen und die eingetragenen Überstunden gegenzeichnen oder vorbehaltlos akzeptieren.
- Duldung der Überstunden: Eine seltenere Konstellation – der Arbeitgeber weiß, dass der Mitarbeiter regelmäßig über die vereinbarte Zeit hinaus arbeitet, unternimmt aber nichts Nimmt der Arbeitgeber solche Mehrarbeit stillschweigend entgegen (obwohl er sie bemerkt), werden die Überstunden als vom Arbeitgeber geduldet gewertet.
Nur in diesen Fällen – also wenn die Mehrarbeit vom Arbeitgeber verlangt, erwartet oder zumindest akzeptiert wurde – handelt es sich um vergütungspflichtige Überstunden. Diese müssen je nach Vereinbarung entweder durch Geld bezahlt oder durch Freizeitausgleich abgegolten werden. Bereits 2015 hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt, dass Vertrauensarbeitszeit die Abgeltung von Mehrarbeit nicht ausschließt (BAG, Urteil vom 23.09.2015 – 5 AZR 767/13). Auch bei Vertrauensarbeitszeit darf ein einmal vereinbartes Arbeitszeitkonto normal weitergeführt werden und ein Zeitguthaben daraus eingefordert werden.
Demgegenüber begründet rein freiwillig geleistete Mehrarbeit – ohne Wissen oder Willen des Arbeitgebers – keinen Anspruch. Arbeitnehmer sollten also nicht auf eigene Faust dauerhaft länger im Büro bleiben in der Hoffnung, diese Stunden später ausgezahlt zu bekommen. Im Streitfall vor Gericht trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für geleistete Überstunden. Er muss genau angeben können, wann und wie lange er über die Normalzeit hinaus gearbeitet hat und dass diese Überstunden vom Arbeitgeber veranlasst oder zumindest gebilligt bzw. geduldet waren. Gelingt dieser Nachweis nicht, geht der Überstundenanspruch ins Leere – daran ändert selbst eine vertragswidrig fehlende Zeiterfassung durch den Arbeitgeber nichts. Daher ist Arbeitnehmern zu raten, auch bei Vertrauensarbeitszeit ihre Arbeitszeiten zu dokumentieren (etwa in Eigenregie oder mittels Zeiterfassungssystem), um im Bedarfsfall den Umfang geleisteter Überstunden belegen zu können.
Aktuelle Rechtsprechung: Zeiterfassung auch bei Vertrauensarbeitszeit
In den letzten Jahren hat sich die Rechtslage zur Arbeitszeiterfassung weiterentwickelt. Der Europäische Gerichtshof hat 2019 entschieden, dass die EU-Mitgliedstaaten die Arbeitgeber zu einem objektiven System der Arbeitszeiterfassung verpflichten müssen. Obwohl der deutsche Gesetzgeber zunächst keine ausdrückliche Neuregelung erließ, hat das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 13. September 2022 (Az. 1 ABR 22/21) klargestellt, dass bereits nach geltendem Recht die gesamte Arbeitszeit aller Arbeitnehmer aufzuzeichnen ist. Diese Entscheidung – gestützt auf eine unionsrechtskonforme Auslegung des Arbeitsschutzgesetzes – bedeutet, dass jede geleistete Arbeitsstunde dokumentiert werden muss.
Vertrauensarbeitszeit bleibt dennoch zulässig. Wichtig ist aber: Eine Dokumentation der Arbeitszeit steht einer Vertrauensarbeitszeit nicht entgegen. Arbeitgeber können weiterhin auf die Festlegung fester Arbeitszeiten verzichten und den Beschäftigten vertrauen, sofern ein System zur Zeiterfassung vorhanden ist. Mit anderen Worten: Der Arbeitnehmer kann zwar nach wie vor eigenständig über Lage und Verteilung seiner Arbeitszeit entscheiden – “Hauptsache, das Ergebnis stimmt” –, doch müssen Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit nun festgehalten werden. Die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes zum Arbeitsschutz (Höchstarbeitszeit pro Tag, Mindestruhezeit etc.) sind auch bei Vertrauensarbeitszeit strikt einzuhalten.
Für Arbeitnehmer hat diese Entwicklung den Vorteil, dass geleistete Überstunden transparenter erfasst werden. So lassen sich Überlastungen oder systematische Mehrarbeit leichter erkennen und gegenüber dem Arbeitgeber zur Sprache bringen. Insgesamt gilt: Überstunden bei Vertrauensarbeitszeit sind nur dann zulässig und vergütungspflichtig, wenn sie im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber geleistet werden. Beschäftigte sollten auf klare Absprachen achten und notfalls aktiv das Gespräch suchen, wenn das flexible Arbeitszeitmodell faktisch zu regelmäßigen Überstunden führt. Dann steht nämlich – trotz Vertrauensarbeitszeit – ein entsprechender Ausgleich (Freizeit oder Bezahlung) zu. Andernfalls läuft man Gefahr, unentgeltlich mehr zu arbeiten, als eigentlich geschuldet ist.
Auch im Vertrauensarbeitszeit-Modell schützt das Arbeitsrecht die Arbeitnehmer davor, ausgebeutet zu werden. Überstunden sind möglich, aber nur innerhalb der gesetzlichen Grenzen und nur, wenn der Arbeitgeber sie angeordnet oder zumindest gebilligt hat. Arbeitnehmer sollten ihre Arbeitszeiten erfassen und Überstunden nicht zur Gewohnheit werden lassen, ohne dass der Arbeitgeber sie registriert – denn letztlich zählt bei der Vertrauensarbeitszeit die beidseitige Absprache und Fairness, nicht die stille Überforderung des Mitarbeiters.