Verpflichtung zur Priorisierung bei Corona-Schutzimpfung

31. Januar 2021 -

Das Verwaltungsgericht Dresden hat mit Beschluss vom 29.01.2021 zum Aktenzeichen 6 L 42/21 entschieden, dass der Freistaat Sachsen im Einzelfall einer unter schweren Vorerkrankungen leidenden 35-jährigen Sächsin eine höhere Priorität bei der Corona-Schutzimpfung einräumen muss.

Aus der Pressemitteilung des VG Dresden vom 29.01.2021 ergibt sich:

Die 35-jährige Antragstellerin leidet an einer sehr seltenen Erkrankung, die mit einer ausgeprägten Schwäche der Atemmuskulatur und der Extremitäten einhergeht. Sie kann sich nur mittels eines elektrischen Rollstuhls fortbewegen. Eine Infektion mit dem Corona-Virus würde einem ärztlichen Attest zufolge zu einem schweren Verlauf mit Beatmungsnotwendigkeit führen. Wegen ihrer verschiedenen Autoimmunerkrankungen, die mit einer laufenden Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes einhergehen, erfolgt eine aggressive immunsuprimierende Therapie. Die Antragstellerin lebt zu Hause und erhält Leistungen nach dem Pflegegrad 5 mit einer 24 Stunden-Intensivpflege, die von bis zu acht verschiedenen Pflegepersonen ausgeübt wird. Sie lebt von ihrem Ehemann, der einen Beruf mit vielfältigen Personenkontakten ausübt, getrennt. Die drei gemeinsamen Kinder werden von den Eltern im wochenweisen Wechsel betreut. Die Antragstellerin hat bei einer telefonischen Anfrage bei dem für sie zuständigen Impfzentrum ihre besondere persönliche Situation dargelegt und gebeten, sie zu impfen. Sie erhielt dort die Mitteilung, dass ihre Autoimmunerkrankungen lediglich eine Einstufung in den 3. Prioritätsgrad rechtfertigten und eine Impfung derzeit nicht möglich sei.

Das VG Dresden hat den Freistaat Sachsen verpflichtet, die Antragstellerin für eine Schutzimpfung gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 als Anspruchsberechtigte höchster Priorität zuzulassen und sie in diesem Rahmen bei der Impfreihenfolge zu berücksichtigen.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts kann die Frage offen gelassen werden, ob die Corona-Impfverordnung eine ausreichende rechtliche Grundlage für die Vornahme von Priorisierungen bei der Corona-Schutzimpfung ist. Für das Eilverfahren ist das Verwaltungsgericht von der Gültigkeit der Corona-Impfverordnung ausgegangen. Diese sehe angesichts des knappen Impfstoffs und des großen Bedarfs an Impfungen eine Reihenfolge der zu impfenden Personen (Priorisierung) vor. Die höchste Priorität haben danach besonders gefährdete Personen. Dies sind nach den Regelungen der Verordnung Personen, die über 80 Jahre alt sind, oder in Pflegeeinrichtungen leben oder Personen, die in medizinischen oder pflegerischen Einrichtungen mit einem sehr hohen Risiko in Bezug auf das Coronavirus arbeiten. Zu dieser Personengruppe oder zu der Personengruppe mit der zweithöchsten Impfpriorität gehöre die Antragstellerin zwar nicht; sie gehöre wegen ihrer Autoimmunerkrankungen zur Personengruppe mit der drittgrößten Impfpriorität. Das Verwaltungsgericht hat aber angenommen, dass im Einzelfall der Antragstellerin eine höhere Priorisierung geboten sei, weil die Corona-Schutzverordnung die Impfreihenfolge als „Soll“-Vorschrift vorgebe, die ein Abweichen von der vorgegebenen Reihenfolge beim Vorliegen atypischer Ausnahmefälle gestatte. Ein solcher Ausnahmefall liege hier vor. Bei der Beurteilung dürfe nicht allein die Autoimmunerkrankung der Antragstellerin in den Blick genommen werden, sondern ihre gesamte Lebenssituation. Diese sei dadurch gekennzeichnet, dass sie aufgrund des sie umgebenden Pflegepersonals sowie wegen ihrer Kinder vielfältige – auch mittelbare – Kontakte und damit ein manifest erhöhte Infektionsrisiko habe. Innerhalb der jeweiligen Personengruppen stehe dem Antragsgegner ein Ermessen zu, in welcher Reihenfolge er die Impfungen regele. Deshalb stehe der Antragstellerin auch kein Anspruch auf eine sofortige Impfung zu, die sie im Übrigen auch nicht beantragt hatte. Wenn allerdings bei Impfungen – wie in der Vergangenheit geschehen – Impfstoff „übrig“ bleibe, müsse der Antragsgegner sicherstellen, dass mit diesem Impfstoff vorrangig Personen aus der höchsten Prioritätsstufe geimpft werden. Es sei nicht nachvollziehbar, dass Personen mit höchster Schutzberechtigung dann nicht geimpft werden, sondern solche mit einer nachrangigen Priorisierung.

Gegen den Beschluss steht dem Freistaat Sachsen die Beschwerde an das OVG Bautzen zu.