Verstoß gegen prozessuale Waffengleichheit bei einstweiliger Verfügung ohne vorherige Anhörung durch Berliner Pressekammer

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 26. April 2023 zum Aktenzeichen 1 BvR 718/23 entschieden, dass der Verstoß gegen prozessuale Waffengleichheit bei einstweiliger Verfügung ohne vorherige Anhörung durch Berliner Pressekammer erneut verfassungswidrig ist.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde und ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wendet sich die Beschwerdeführerin gegen eine durch das Landgericht Berlin erlassene einstweilige Verfügung, mit der der Beschwerdeführerin der Abdruck einer Gegendarstellung in der von ihr verlegten (…)-Zeitung aufgegeben wurde.

Die Beschwerdeführerin verlegt die deutschlandweit erscheinende Tageszeitung (…)-Zeitung, deren Internetseite www.(…).de sie ebenfalls verantwortet. Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Antragsteller) ist ein ehemaliger Profi-(…)-Spieler. Unter dem Haupttitel „(…)‘ fiese Attacke auf (…)“ berichtete die Beschwerdeführerin am Montag, dem 20. März 2023, sowohl in der Print- wie in der online-Ausgabe der (…)-Zeitung darüber, von Gründen erfahren zu haben, weshalb ehemalige Partnerinnen des Antragstellers öffentlich nicht über diesen redeten. Ein „Vertrauter“ habe geäußert „(…) legt seinen Frauen Verschwiegenheitserklärungen hin, die sie unterschreiben müssen. Damit sichert er sich ab.“.

Einem außergerichtlichen Gegendarstellungsverlangen des Antragstellers kam die Beschwerdeführerin nicht nach.

Durch ihr am Folgetag, dem 21. März 2023, um 16:26 Uhr übermitteltes Schreiben ließ der Antragsteller die Beschwerdeführerin zur Veröffentlichung von Gegendarstellungen in beiden Medien auffordern, in denen er erklärte „Hierzu stelle ich fest: Ich habe weder meine Ex-Frau (…) noch (…) eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben lassen.“. Für die Bestätigung, die geforderten Gegendarstellungen zu veröffentlichen, wurde der Beschwerdeführerin eine Frist bis Donnerstag, 23. März 2023, 9.00 Uhr, gesetzt.

Am Tag des Fristablaufs wies die Beschwerdeführerin die Ansprüche des Antragstellers zurück, wobei sie hinsichtlich des online-Gegendarstellungsverlangens bereits dessen fehlende Schriftform monierte, und beiden Verlangen ein berechtigtes Interesse absprach, da die beanstandete Äußerung wahr sei. Der Antragsteller habe in der Vergangenheit mindestens eine Partnerin vor der Eheschließung dazu aufgefordert, eine Verschwiegenheitserklärung zu unterschreiben. Die Beschwerdeführerin verfüge über entsprechende Glaubhaftmachungsmittel, die sie in einem etwaigen Verfügungsverfahren vorlegen könne und werde.

In der Folgewoche erwirkte der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Beschwerdeführerin.

Am Dienstag, den 28. März 2023, beantragte er beim Landgericht Berlin den Erlass einer mit den zuvor übermittelten Gegendarstellungsverlangen übereinstimmenden einstweiligen Verfügung. Seinem Antrag fügte er das Zurückweisungsschreiben der Beschwerdeführerin von Donnerstag, dem 23. März 2023, bei.

Durch Beschluss von Donnerstag, dem 30. März 2023, erließ das Landgericht Berlin „wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung“ die einstweilige Verfügung antragsgemäß und führte als Begründung aus: „Die einstweilige Verfügung war aus den Gründen der verbundenen Antragsschrift nebst Anlagen zu erlassen. Die Kammer hat bei der Abfassung des Tenors von dem ihr nach § 938 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht.“.

Der Beschluss des Landgerichts wurde der Beschwerdeführerin im Parteibetrieb am 12. April 2023 zugestellt. Hiergegen legte sie durch Schriftsatz vom Folgetage Widerspruch ein und beantragte, die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung wurde für den 27. April 2023 bestimmt.

Weshalb das Landgericht nicht versucht hat, eine Anhörung der Beschwerdeführerin auch nur fernmündlich, per E-Mail oder Telefax herbeizuführen, lässt sich seiner Entscheidung nicht entnehmen. Abgesehen von der formelhaften Wendung „wegen Dringlichkeit“ – mit der das Landgericht auch nur sein Absehen von einer mündlichen Verhandlung begründet –, verhält sich der angegriffene Beschluss vielmehr überhaupt nicht zu dem gänzlichen Heraushalten der Beschwerdeführerin aus dem Verfahren. Ob diese Verfahrenshandhabung durch die Berliner Pressekammer darüber hinaus, wie die Beschwerdeführerin vorbringt, „System“ hat, kann – im Rahmen der hier allein erhobenen Rüge einer Verletzung des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit – dahinstehen, auch wenn sich dieser Eindruck für die Beschwerdeführerin angesichts der gegenüber der Berliner Pressekammer mittlerweile mehrfach ausgesprochenen Beanstandungen einschließlich einer ausdrücklichen Erinnerung an die Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aufdrängen mag.

Mit ihrer unterbliebenen Einbeziehung in das Verfahren wurde der Beschwerdeführerin zugleich die Möglichkeit genommen, die Wahrheit der von ihr aufgestellten Tatsachenäußerung glaubhaft zu machen, wie sie dies durch an den Antragsteller gerichteten außergerichtlichen Schriftsatz vom 23. März 2023 – der dem Landgericht bei seiner Entscheidung vorlag – angekündigt hatte. Ob es anwaltliche Vorsicht gebot, die in Aussicht gestellten Glaubhaftmachungsmittel bereits vorgerichtlich dem Antragsteller zur Kenntnis zu geben beziehungsweise im Wege einer Schutzschrift vorzubringen, kann offenbleiben. Nach dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit ist es den Gerichten verwehrt, den Antragsgegner allein schon deshalb aus dem Verfahren herauszuhalten, weil ihm das Vorbringen bereits bekannt ist. Zu ergänzendem außergerichtlichem Vorbringen allein zu dem Zweck, einer Beschneidung des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit zuvorzukommen, ist der Antragsgegner von Verfassungs wegen nicht veranlasst.