Parkverstoß ja – aber kein Freifahrtschein für Abschleppmaßnahmen
Das Verwaltungsgericht Hamburg hat mit Urteil vom 18. März 2025 (Az. 21 K 3886/24) ein bemerkenswertes Urteil zur Frage gefällt, unter welchen Umständen das Abschleppen eines Fahrzeugs vor einer E-Ladesäule rechtmäßig ist. Im Fokus stand die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme – insbesondere in einem Fall, in dem die Ladesäule zum Zeitpunkt des Parkens noch gar nicht in Betrieb war. Obwohl das Parken mit einem Verbrennerfahrzeug vor einer solchen Säule grundsätzlich verboten ist, entschied das Gericht zugunsten des Autofahrers und hob den Gebührenbescheid über rund 470 Euro auf.
Der Sachverhalt: Abgeschleppt vor einer Ladesäule ohne Strom
Ein Autofahrer hatte seinen konventionell betriebenen Pkw auf einem Parkplatz abgestellt, der mit einem Verkehrszeichen (Zeichen 314 StVO – Parken) und einem Zusatzzeichen ausschließlich für E-Fahrzeuge „während des Ladevorgangs“ freigegeben war. An der dort befindlichen Ladesäule hing ein Aushang im Format DIN A4 mit dem Hinweis:
„Hier entsteht in Kürze ein neuer HPC-Standort. Sobald er an unser Stromnetz angeschlossen ist, können Sie hier mit 150 kW laden.“
Ein Polizeibeamter, der zufällig anwesend war, ließ das Fahrzeug wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen die Straßenverkehrsordnung abschleppen. Der Halter sollte die entstandenen Kosten tragen. Gegen den daraufhin ergangenen Gebührenbescheid legte er Widerspruch ein – und bekam schließlich vor Gericht Recht.
Die rechtliche Bewertung: Parkverstoß ja, Abschleppen nein
Das Verwaltungsgericht Hamburg bestätigte zwar den Verkehrsverstoß an sich:
Ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor darf nicht auf einem Parkplatz stehen, der ausschließlich E-Autos „während des Ladevorgangs“ vorbehalten ist. Selbst ein Elektroauto hätte dort nicht abgestellt werden dürfen, da es mangels Stromanschluss gar nicht hätte laden können – und damit den Voraussetzungen des Zusatzzeichens nicht genügt hätte.
Entscheidend war jedoch, dass das Gericht das Abschleppen als unverhältnismäßig beurteilte. Grundlage hierfür war § 14 Abs. 1 Satz 2 des Hamburgischen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (HmbSOG). Danach dürfen Maßnahmen der Gefahrenabwehr – wie eine Sicherstellung durch Abschleppen – nur dann erfolgen, wenn sie erforderlich und angemessen sind.
Fehlende konkrete Gefahrenlage
Das Gericht stellte klar, dass in der konkreten Situation keine funktionierende Ladeinfrastruktur vorhanden war und damit auch keine Beeinträchtigung für bevorrechtigte Nutzer – sprich: ladewillige E-Fahrzeuge – bestand. Der Parkplatz hätte leer bleiben müssen, obwohl niemand von der Nutzung ausgeschlossen worden wäre. Damit fehlte es an der tatsächlichen Beeinträchtigung eines bevorrechtigten Interesses, was die Maßnahme unverhältnismäßig erscheinen ließ.
Ermessensreduktion auf Null
Nach Auffassung der Kammer war das polizeiliche Ermessen, das grundsätzlich bei Abschleppmaßnahmen besteht, hier „auf Null reduziert“: In Anbetracht der fehlenden Verkehrsstörung, der nicht genutzten Ladeinfrastruktur und des fehlenden Schutzbedürfnisses Dritter war das Abschleppen rechtswidrig.
Praxishinweis für Behörden und Fahrzeughalter
Das Urteil verdeutlicht, dass nicht jeder Verstoß gegen eine Parkregelung automatisch zu einer Abschleppmaßnahme berechtigt. Vielmehr muss eine konkrete Beeinträchtigung öffentlicher Interessen oder anderer Verkehrsteilnehmer vorliegen. Wo – wie hier – eine Ladesäule (noch) nicht betriebsbereit ist, entfällt die Grundlage für das Eingreifen der Gefahrenabwehrbehörden, solange keine andere Verkehrsgefährdung besteht.
Für Behörden bedeutet das: Vor dem Abschleppen sollte geprüft werden, ob die technische Infrastruktur tatsächlich einsatzbereit ist. Pauschale Maßnahmen ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten können rechtswidrig sein.
Für Autofahrer bleibt dennoch Vorsicht geboten: Die Beschilderung ist verbindlich – auch wenn eine Ladesäule augenscheinlich außer Betrieb ist. Das Parken mit einem Verbrennerfahrzeug kann als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Die Schwelle zur kostenpflichtigen Abschleppmaßnahme ist jedoch höher und an das Vorliegen konkreter Gefahren geknüpft.
Das Urteil des VG Hamburg ist ein Lehrstück für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Ordnungsrecht. Es macht deutlich, dass Abschleppmaßnahmen nicht allein auf formale Verstöße gestützt werden dürfen, sondern stets einer Prüfung der tatsächlichen Gefahrenlage bedürfen. Für das Verhältnis von Umweltzielen, Ladeinfrastruktur und Individualrechten schafft das Urteil einen differenzierten Maßstab.