Vorerst keine Ohrmarken für Ziegen und Schafe auf Tierschutzhof

07. Oktober 2020 -

Das Verwaltungsgericht Neustadt hat mit Beschluss vom 28.09.2020 zum Aktenzeichen 5 L 708/20.NW entschieden, dass die Betreiberin eines Tierschutzhofs im Landkreis Kaiserslautern bis auf Weiteres ihren Ziegen und Schafen keine Ohrmarken anbringen muss.

Aus der Pressemitteilung des VG Neustadt Nr. 19/2020 vom 07.10.2020 ergibt sich:

Die Antragstellerin betreibt mit ihrer Schwester im Landkreis Kaiserslautern einen sog. Tierschutzhof, auf dem sie u.a. einige Schafe und Ziegen hält. Die Tiere sollen bis zu ihrem Tode auf dem Hof versorgt werden. Anlässlich einer Kontrolle durch die Amtstierärztin des Landkreises Kaiserslautern im Juli 2020 stellte diese fest, dass die Schafe und Ziegen teilweise keine Ohrmarken im Sinne der Viehverkehrsordnung trugen. Daraufhin erließ der Landkreis Anfang August 2020 gegenüber der Antragstellerin eine für sofort vollziehbar erklärte tierseuchenrechtliche Anordnung, wonach u.a. alle Schafe und Ziegen innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung mit Ohrmarken zu kennzeichnen seien. Zur Begründung verwies der Antragsgegner darauf, die Maßnahmen seien zu ergreifen, um das Inverkehrbringen von Tieren mit ungeklärter Identität zu verhindern.
Die Antragstellerin legte dagegen Widerspruch ein und beantragte zeitgleich die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung. Die Kennzeichnung mit Ohrmarken verursache bei den Tieren erhebliche Schmerzen, da sie ohne Betäubung erfolge. Es komme oft zu schweren Entzündungen und regelrechten verstümmelten Ohren. Dies verstoße gegen die Vorgaben des Tierschutzgesetzes.
Den Antrag auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung lehnte der Antragsgegner Anfang September 2020 ab. Den ferner gestellten Antrag auf vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz begründete die Antragstellerin damit, der Antragsgegner verkenne, dass sie es sich zur Aufgabe gemacht habe, Tiere bis zu ihrem Tode auf ihrem Hof zu versorgen. Sie gelangten nicht in die Lebensmittelkette oder würden sonst irgendwie verbracht. Darauf gehe der Antragsgegner nicht ein. Der Antragsgegner habe auch außer Acht gelassen, dass die Maßnahme mit erheblichen Schmerzen für die Tiere verbunden sei und sie auch nach der Einziehung weiter litten, wenn sie sich etwa in Brombeerbüschen verfingen.

Das VG Neustadt hat dem Eilantrag stattgegeben:

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts kann im vorliegenden Eilverfahren nicht abschließend bewertet werden, ob die angefochtene tierseuchenrechtliche Verfügung des Antragsgegners in der Sache rechtmäßig ist. Die bei offenen Erfolgsaussichten ausschlaggebende Abwägung der Interessen falle jedoch zugunsten der Antragstellerin aus.

Die Ohrmarken dienten dazu, ein hohes Schutzniveau der öffentlichen Gesundheit zu erhalten, indem die Rückverfolgung gefährlicher Erkrankungen von Tieren, die (auch) zu erheblichen Gesundheitsschädigungen beim Menschen führen könnten, sichergestellt werde. Die Anbringung von Ohrmarken sei eine gebräuchliche Art der Tierkennzeichnung, die nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers sogar ohne Betäubung zulässig sei. In Einrichtungen, in denen die Kennzeichnung mittels Ohrmarken wegen der Haltungsform Schwierigkeiten bereite oder undurchführbar sei, könnten jedoch andere Kennzeichnungen genehmigt werden, soweit deren jederzeitige Ablesbarkeit gewährleistet sei. Ob der Antragsgegner die von der Antragstellerin beantragten Ausnahmegenehmigung zu Recht abgelehnt habe, erfordere eine eingehende rechtliche Bewertung, die den Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens übersteige.

Da es als möglich erscheine, dass die von der Antragstellerin gehaltenen Tiere nicht mit Ohrmarken gekennzeichnet werden müssten, sei von der Durchsetzung der entsprechenden Verpflichtung bis zur Klärung der Frage des Anspruchs auf die Erteilung der Ausnahmegenehmigung abzusehen. Das öffentliche Interesse an der Durchsetzung der Tierseuchenprävention trete hier zurück. Denn dem Zweck der Kennzeichnung, nämlich die Rückverfolgung jedes einzelnen Tieres und individuelle Erkennung beim Ausbruch von Tierseuchen, komme angesichts der von der Antragstellerin dargelegten Haltungsbedingungen nur eine nachrangige Bedeutung zu. Dies folge zwar nicht bereits daraus, dass die Tiere nicht in die Nahrungskette gelangen sollten. Vom Schutzzweck des Tierseuchenrechts seien auch schon die Übertragungswege von Tier zu Tier erfasst, sodass bereits das Risiko, dass ein einzelnes Tier der Antragstellerin zukünftig gemeinsam mit „fremden“ Schafen oder Ziegen gehalten werde, in den Blick zu nehmen sei. Da die von ihr gehaltenen Schafe und Ziegen jedoch, wie von der Antragstellerin eidesstattlich versichert, bis an ihr Lebensende auf dem Tierschutzhof gehalten werden sollten, erscheine diese Gefahr derzeit als sehr gering.