Stellen Sie sich vor, Ihr Ehepartner verschickt über Ihr E-Mail-Konto eine wichtige Nachricht an Ihre Versicherung – und zwar in Ihrem Namen. Unter bestimmten Umständen müssen Sie sich diese E-Mail rechtlich so behandeln lassen, als hätten Sie selbst die Erklärung abgegeben. Ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Zweibrücken vom 15.01.2025 zeigt genau das: Eine Frau hatte ihrem Mann das Passwort zu ihrem E-Mail-Postfach gegeben, woraufhin er über dieses Konto einen verbindlichen Vergleich mit der Versicherung schloss. Die Folge war, dass die Hauseigentümerin an diesen Vertrag gebunden war – für sie wurde es ärgerlich teuer, da sie keine weiteren Ansprüche mehr geltend machen konnte.
Zurechnung einer fremden E-Mail an den Kontoinhaber – Wann und warum?
Grundsätzlich gilt: Was von Ihrem E-Mail-Account aus gesendet wird, erscheint für Außenstehende so, als käme es von Ihnen selbst. Genau das machte sich im genannten Fall bemerkbar. Laut OLG Zweibrücken genügt schon die Weitergabe des E-Mail-Passworts, um den Anschein zu erwecken, jemand dürfe im Namen des Kontoinhabers handeln. Schließt diese Person dann im Namen des Account-Inhabers per Mail einen Vertrag ab, so ist der eigentliche Inhaber des E-Mail-Postfachs rechtlich daran gebunden. Mit anderen Worten: Wer einem Dritten Zugriff auf sein E-Mail-Konto gewährt und dadurch nach außen hin den Eindruck vermittelt, der andere handle mit Berechtigung, muss sich dessen Erklärungen im Zweifel zurechnen lassen. Im OLG-Fall hatte die Ehefrau ihrem Mann bewusst die Login-Daten gegeben und er nutzte den Account mehrfach in ihrem Namen – das Gericht wertete dieses Verhalten als ausreichenden Rechtsschein, dass der Mann für sie handeln durfte. Daher wurde der per E-Mail geschlossene Vertrag wie ein eigener Vertragsabschluss der Frau behandelt.
Anscheinsvollmacht und Duldungsvollmacht – was bedeutet das?
Juristen sprechen in solchen Konstellationen von Duldungs- oder Anscheinsvollmacht. Diese Begriffe klingen kompliziert, lassen sich aber einfach erklären: Duldungsvollmacht bedeutet, dass jemand wissentlich duldet, dass ein anderer für ihn auftritt. Wer also weiß, dass sein Ehepartner (oder jemand anders) in seinem Namen Verträge schließt oder E-Mails verschickt, und nichts dagegen unternimmt, erteilt diesem faktisch eine stillschweigende Vollmacht – man toleriert das Verhalten bewusst. Anscheinsvollmacht greift demgegenüber, wenn der Vertretene gar nichts von den Handlungen weiß, sie aber bei sorgfältiger Betrachtung hätte bemerken und verhindern können. Typischerweise entsteht eine Anscheinsvollmacht, wenn der Vertreter wiederholt und über längere Zeit im Namen des anderen auftritt und der Vertretene dies durch Unachtsamkeit ermöglicht. Wichtig ist: In beiden Fällen darf der Vertragspartner gutgläubig annehmen, der Handelnde sei bevollmächtigt. Das Gesetz schützt also den Vertrauensschutz des Dritten – wer den Anschein einer Bevollmächtigung geschaffen oder geduldet hat, soll den Vertrag gegen sich gelten lassen müssen. Im Ergebnis unterscheiden sich Duldungs- und Anscheinsvollmacht nur im Ausmaß der Kenntnis des Vertretenen: bewusst geduldet versus fahrlässig ermöglicht.
Risiken bei der Mitbenutzung des eigenen E-Mail-Kontos
Die gemeinsam genutzte E-Mail-Adresse mag im Alltag praktisch erscheinen, birgt aber erhebliche rechtliche Risiken. Wie das OLG-Urteil zeigt, kann es passieren, dass Erklärungen, die von Dritten über Ihr Konto abgegeben werden, Ihnen als eigene Willenserklärungen zugerechnet werden. Insbesondere wenn dadurch Verträge geschlossen oder Rechte aufgegeben werden, stehen Sie im Zweifel dafür ein – selbst wenn Sie von der Nachricht nichts wussten. Im Fall der Hauseigentümerin bedeutete das den Verlust ihrer weiteren Versicherungsansprüche, weil ihr Mann per E-Mail einen Vergleich akzeptiert hatte. Nachteilige Vereinbarungen muss man sich also gegebenenfalls gefallen lassen, wenn man einem Dritten Zugang zum eigenen Postfach gewährt hat und dieser im eigenen Namen Nachrichten versendet. Das gilt nicht nur im Familienkreis, sondern ebenso im Geschäftsleben. Sie können sich hinterher nicht einfach damit entlasten, es sei ja der Partner gewesen – entscheidend ist, was der Empfänger der E-Mail vernünftigerweise glauben durfte. Wer Zugangsdaten teilt und die Kommunikation durch andere duldet, schafft einen Rechtsschein (Anscheinsvollmacht). Im Streitfall bleibt man dann womöglich auf unerwünschten Verpflichtungen sitzen. Kurz gesagt: Ein fremder Mausklick in Ihrem Postfach kann für Sie bindende Folgen haben.
So schützen Sie sich: Tipps für Verbraucher
Um solche bösen Überraschungen zu vermeiden, sollte man einige Vorkehrungen treffen:
- Passwörter privat halten: Geben Sie Ihre E-Mail-Zugangsdaten grundsätzlich nicht an Dritte weiter, auch nicht an enge Familienangehörige, wenn es nicht unbedingt sein muss. Je weniger Personen Zugriff haben, desto geringer das Risiko, dass jemand in Ihrem Namen agiert.
- Klare Absprachen treffen: Falls es doch Situationen gibt, in denen etwa der Ehepartner Ihr E-Mail-Konto mitnutzt (z.B. zur Urlaubsvertretung oder weil er Ihnen bei Vertragsangelegenheiten hilft), sorgen Sie für klare Absprachen. Legen Sie fest, was der andere darf und was nicht – am besten schriftlich oder vor Zeugen. Im Familien- oder Unternehmenskreis sollten Zuständigkeiten und Vollmachten eindeutig geklärt sein. So verhindern Sie Missverständnisse und können im Ernstfall belegen, was nicht von Ihnen gedeckt war.
- Eigene Konten nutzen: Überlegen Sie, ob jeder seinen eigenen E-Mail-Account für persönliche Angelegenheiten verwendet. Statt einem gemeinsamen Postfach für ein Ehepaar ist es sicherer, wenn jeder Partner unter seiner eigenen Adresse kommuniziert. So ist von vornherein klar, wer der Absender ist.
- Im Namen des anderen kenntlich machen: In Situationen, in denen dennoch jemand anders über Ihr Konto schreibt, sollte das der Empfänger deutlich erkennen können. Zum Beispiel kann der Partner die E-Mail mit einem Hinweis abschließen wie: „i.A. (im Auftrag) von [Ihr Name]“ und vielleicht sogar von der eigenen Adresse aus CC senden. Das ist zwar keine Garantie, verhindert aber zumindest, dass der Eindruck entsteht, die Erklärung stamme direkt und autorisiert von Ihnen.
- Sorgfältig überwachen und Passwort ändern: Behalten Sie den Überblick über ausgehende E-Mails. Wenn Sie bemerken, dass jemand unbefugt in Ihrem Namen kommuniziert, reagieren Sie sofort: Informieren Sie den Empfänger umgehend darüber, dass diese Person nicht in Ihrem Auftrag gehandelt hat, und ändern Sie unverzüglich Ihr Passwort. Schnelles Handeln kann helfen, den Schaden zu begrenzen, bevor sich ein Dritter auf den Rechtsschein verlässt.
Seien Sie vorsichtig mit gemeinsam genutzten E-Mail-Konten. Was bequem erscheint, kann juristisch zum Bumerang werden. Im Zweifel haftet der eigentliche Kontoinhaber für die digitalen „Stellvertreter-Handlungen“. Halten Sie daher Ihre Zugangsdaten unter Verschluss und regeln Sie Verantwortlichkeiten klar. Dann müssen Sie sich keine fremden E-Mails als eigene zuschreiben lassen. Denn letztlich gilt: Ihre digitale Identität gehört Ihnen – und Sie allein sollten darüber bestimmen, was in Ihrem Namen erklärt wird.