Wer das schriftliche Examensverfahren nicht besteht, erhält eine Bescheidung mit der Note „nicht bestanden“. Dagegen kann die Kandidatin oder der Kandidat zunächst remonstrieren (Neubewertung beantragen) und dann formal Widerspruch einlegen. Wird der Widerspruch abgelehnt oder ignoriert, eröffnet sich der Weg zur Verwaltungsgerichtsklage (Verpflichtungsklage, § 42 Abs. 1 VwGO) gegen die Prüfungsentscheidung. Parallel dazu kann man im Eilverfahren die vorläufige Zulassung zur mündlichen Prüfung beantragen. Voraussetzung ist, dass ein Anordnungsanspruch und -grund gemäß § 123 VwGO glaubhaft gemacht werden (z.B. drohen sonst unzumutbare Nachteile). In Niedersachsen sehen die Regeln vor, dass Einwände gegen einen Bewertungsbescheid in einem Vorverfahren überprüft werden (vergleichbar mit Widerspruch); erst danach kann geklagt werden.
In der Praxis heißt das: Nach Bekanntgabe der Klausurnote sollte man umgehend Remonstration und Widerspruch einlegen (Fristen etwa 4 Wochen für Widerspruch). Die Begründung kann später nachgereicht werden. Parallel sollte man beim Verwaltungsgericht (z.B. VG Göttingen) Klage einreichen. Wichtig ist, gleichzeitig beim VG einen Eilantrag auf vorläufige Zulassung zur mündlichen Prüfung zu stellen (§ 123 VwGO). Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht nämlich bereits vor der Hauptklage eine einstweilige Anordnung treffen, um einen vorläufigen Zustand zu regeln. Das OVG Lüneburg hat ausdrücklich bestätigt, dass ein solcher vorläufiger Zulassungsantrag grundsätzlich zulässig ist.
Bisherige Rechtsprechung
Die Rechtsprechung war bislang zurückhaltend. Das VG Göttingen lehnte in dem zugrundeliegenden Fall die Eilzulassung ab: Es fehle am statthaften Antragsgegenstand, da ohne mindestens drei mit „ausreichend“ bewertete Klausuren keine Gesamtnote ermittelt werden könne. Auch der VGH Baden-Württemberg hatte in einem ähnlichen Fall (erstes Staatsexamen) einen Anspruch auf mündliche Teilnahme im Eilverfahren verneint. Hintergrund war jeweils, dass ohne endgültige Klausurnoten weder eine Gesamtnote gebildet noch eine „Abweichungsentscheidung“ nach § 12 Abs. 5 NJAG möglich sei (der Prüfungsausschuss darf – vereinfacht – um bis zu einen Notenpunkt abweichen, wenn der Gesamteindruck dies rechtfertigt). Das VG Göttingen vertrat die Auffassung, die Kommission könne nach Monaten den mündlichen Eindruck nicht mehr „wiederbeleben“.
OVG Lüneburg, Urt. v. 13.06.2025 (Az. 2 ME 26/25)
Das OVG Lüneburg entschied dagegen, dass die vorläufige Zulassung rechtlich möglich sein kann. Zunächst stellte es klar, dass § 123 Abs. 1 VwGO angewendet werden darf: Ein Eilantrag ist statthaft, wenn im Hauptsacheverfahren eine Verpflichtungsklage statthaft wäre. Im Prüfungsrecht geht es regelmäßig um einen Rechtsanspruch auf Teilnahme bzw. Gesamtnote (also Verpflichtung zu bestimmten Prüfungsfolgen). Somit kann das Gericht durch einen Eil-Beschluss einen vorläufigen Zustand regeln (etwa: der Prüfling darf an der mündlichen Prüfung teilnehmen, bis endgültig geklärt ist, ob seine schriftlichen Arbeiten korrekt bewertet sind).
In der Sache ging das OVG aber weiter als das VG. Es stellte heraus, dass das NJAG keinen starren Zeitpunkt für die Notenberechnung vorsieht. Nach § 12 Abs. 4 NJAG gehen die Klausurnoten prozentual in die Gesamtnote ein (z.B. je 7,5 % pro Klausur im zweiten Examen), und § 12 Abs. 5 NJAG erlaubt Abweichungen von bis zu einem Notenpunkt zugunsten des Prüflings, wenn der Gesamteindruck es besser wiedergibt. Hieraus folgt für das OVG: Auch nachträglich kann die Gesamtnote ermittelt werden. Es sei z.B. denkbar, dass die Prüfungskommission den Gesamteindruck aus der mündlichen Prüfung mithilfe von Protokollen und Notizen rekonstruieren kann. Die Prüfer müssten daher im Zweifel ihre Eindrücke festhalten (die Kläger sollen Beweis für den Gesamteindruck sichern).
Damit hat das OVG das Verfahren zurückverwiesen: Das VG muss nun prüfen, ob der Bewerber glaubhaft gemacht hat, dass bei der Korrektur ein Fehler vorliegt. Nur wenn der Prüfungsfehler plausibel ist, besteht ein Anspruch auf die einstweilige Zulassung. Gelingt dies nicht, ist der Eilantrag abzulehnen – das Vorbild bleibt dann eine spätere mündliche Prüfung nach einem positiven Hauptsacheurteil.
Bedeutung für Prüflinge
Die Entscheidung des OVG Lüneburg stärkt die Position von Examenskandidaten mit knappen Klausurergebnissen: Sie eröffnet zumindest die Chance, trotz angeblichen Nichtbestehens vorläufig zur mündlichen Prüfung zuzugelassen zu werden. Wichtig ist, dass der Prüfling zügig und nachweisbar vorgeht. Er muss z.B. Unterlagen sammeln (Klausuren, Gutachten, Kommunikationsprotokolle), um ggf. einen Bewertungsfehler darzulegen. Das Urteil klärt, dass Nachberechnungen und Kommissions-Einschätzungen auch verzögert möglich sind. Allerdings sind enge Fristen zu beachten: Der Widerspruch sollte sofort (fristwahrend) eingelegt, die Begründung schnell nachgereicht und die Klage sowie der Eilantrag umgehend bei Gericht gestellt werden.
Praxistipps
- Beweise sichern: Heben Sie alle Originalklausuren, Gutachten und gegebenenfalls Prüfungsprotokolle auf. Notieren Sie sich unmittelbar nach der Prüfung Ihre Eindrücke und – falls möglich – Rückmeldungen von Prüfern (z.B. Versetzung zu weiteren Prüfungen).
- Remonstration und Widerspruch: Reichen Sie bei Zweifeln an der Bewertung sofort eine Remonstration (Nachprüfung) ein und legen Sie innerhalb der Frist Widerspruch ein. Die Begründung können Sie später in Ruhe fertigstellen.
- Akteneinsicht: Beantragen Sie Einsicht in Ihre Prüfungsakten (§ 20 NJAG), um Bewertungsblätter und Vermerke zu prüfen. Dies kann Hinweise auf Fehler liefern.
- Eilantrag stellen: Ziehen Sie in Erwägung, parallel zur Klage einen Eilantrag auf Zulassung zur mündlichen Prüfung einzureichen. Erklären Sie konkret, warum der Ausschluss zum Nachteil wäre (etwa der Zeitdruck, ein dritter Versuch, Lebensplanung).
- AG-Leitung informieren: Sprechen Sie mit der Prüfungsbehörde oder Prüfungsleitung („Ausbildungsgericht“) über den Stand des Verfahrens. Erkundigen Sie sich, ob Termine für die mündliche Prüfung vorgemerkt werden können, um Verzögerungen zu vermeiden.
- Vorbereitung nicht vergessen: Bereiten Sie sich schon jetzt auf die mündliche Prüfung vor, auch wenn das Verfahren noch läuft. Verpassen Sie nicht die generellen Fristen (z.B. Anmeldetermine). So können Sie bei ungünstigem Verfahrensausgang nahtlos weiterplanen.
Die Kombination aus juristischer Strategie (Rechtsweg einschlagen) und praktischer Vorbereitung erhöht Ihre Erfolgschancen. Die Entscheidung des OVG Lüneburg macht deutlich: Ein knapp durchgefallenes schriftliches Examen ist kein Automatismus für den Abbruch des Prüfungswegs – unter bestimmten Bedingungen dürfen Sie zumindest vorläufig zur mündlichen Prüfung zugelassen werden.
Rechtliche Grundlagen: § 13 Abs. 5 NJAG (Nds. Prüfungsrecht) sieht ein Überprüfungsverfahren bei Bewertung von Prüfungsleistungen vor. Nach § 12 Abs. 4 NJAG werden die Klausurergebnisse mit festen Gewichten in die Gesamtnote des zweiten Examens einbezogen. § 12 Abs. 5 NJAG erlaubt zudem eine Abweichung von bis zu einem Notenpunkt, wenn der Gesamteindruck dies rechtfertigt. Eilrechtsschutz bietet § 123 Abs. 1 VwGO: Dort heißt es, dass das Gericht vorläufig regeln kann, wenn sonst erhebliche Nachteile drohen. All diese Vorschriften zusammen begründen das Recht auf Teilnahme und Prüfungsfeststellung, auch wenn das schriftliche Ergebnis noch strittig ist.