Der Europäische Gerichtshof hat am 16.12.2020 zu den Aktenzeichen C-597/18 P, C-598/18 P, C-603/18 P und C-604/18 P die Urteile des EuG bestätigt, soweit es die Schadensersatzklagen abgewiesen hat, die mehrere Privatpersonen und Gesellschaften wegen Rechtsakten und Handlungen der Unionsorgane erhoben hatten, die im Rahmen einer der Republik Zypern gewährten und an die Umstrukturierung ihres Bankensektors geknüpften Finanzhilfe erlassen bzw. vorgenommen worden waren.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 160/2020 vom 15.12.2020 ergibt sich:
Hingegen habe EuG rechtsfehlerhaft entschieden, dass die Eurogruppe eine durch die Verträge geschaffene Stelle der Union sei, deren Handlungen oder Verhaltensweisen die außervertragliche Haftung der Union auslösen könnten, so der EuGH.
In den ersten Monaten des Jahres 2012 gerieten einige in Zypern ansässige Banken, darunter die Cyprus Popular Bank (im Folgenden: Laïki) und die Trapeza Kyprou Dimosia Etaireia (Bank of Cyprus, im Folgenden: BoC) in finanzielle Schwierigkeiten. Am 25.06.2012 stellte die Republik Zypern daher beim Präsidenten der Eurogruppe einen Antrag auf Finanzhilfe. Die Eurogruppe teilte mit, dass diese Finanzhilfe entweder durch die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität oder den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) im Rahmen eines makroökonomischen Anpassungsprogramms gewährt werde, das in einem Memorandum of Understanding konkretisiert werde. Dieses Memorandum of Understanding wurde zwischen der Europäischen Kommission zusammen mit der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem IWF auf der einen und den zyprischen Behörden auf der anderen Seite ausgehandelt. Am 26.04.2013 wurde ein Memorandum of Understanding von der Kommission im Namen des ESM, dem Finanzminister der Republik Zypern und dem Präsidenten der Zentralbank von Zypern unterzeichnet. Dies erlaubte die Gewährung einer Finanzhilfe an die Republik Zypern durch den ESM.
Mehrere Privatpersonen und Gesellschaften, die Inhaber von Einlagen bei der Laïki und der BoC, Aktionäre oder Anleihegläubiger dieser Banken sind, waren der Auffassung, dass der Rat der EU, die Kommission, die EZB und die Eurogruppe im Rahmen dieses Memorandum of Understanding von den zyprischen Behörden verlangt hätten, Maßnahmen beizubehalten oder kontinuierlich umzusetzen, durch die der Wert ihrer Einlagen, Aktien oder Anleihen erheblich herabgesetzt worden sei. Deshalb reichten sie beim EuG Klagen wegen außervertraglicher Haftung ein, um Ersatz für die Verluste zu erhalten, die ihnen aufgrund dieser Maßnahmen entstanden sein sollen.
Das EuG wies mit zwei Urteilen vom 13.07.2018 (T-680/13 „K. Chrysostomides & Co. u. a./Rat u.a.“ und T-786/14 „Bourdouvali u.a./Rat u.a.“ – im Folgenden: angefochtene Urteile) zunächst die Einreden der Unzulässigkeit zurück, die der Rat gegen die von den betreffenden Privatpersonen und Gesellschaften gegen die Eurogruppe eingereichten Schadensersatzklagen erhoben hatte. Sodann entschied es zu der ersten Voraussetzung der außervertraglichen Haftung der Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV, die die Rechtswidrigkeit der beanstandeten Handlungen des Unionsorgans betrifft und den Nachweis eines hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen einen Rechtsvorschrift verlangt, die bezweckt, Einzelnen Rechte zu verleihen, dass die Privatpersonen und Gesellschaften, die diese Klagen eingereicht hatten, eine Verletzung ihres Eigentumsrechts, des Grundsatzes des Vertrauensschutzes oder des Grundsatzes der Gleichbehandlung nicht mit Erfolg nachgewiesen hätten. Da die erste Voraussetzung der außervertraglichen Haftung der Union in diesem Fall nicht erfüllt gewesen sei, wies das EuG diese Klagen ab. Gegen die Entscheidungen legten der Rat (C-597/18 P und C-598/18 P) sowie der betreffenden Privatpersonen und Gesellschaften (C-603/18 P und C-604/18 P) Rechtsmittel ein sowie der Rat Anschlussrechtsmittel (C-603/18 P und C-604/18 P)
Der EuGH hat die angefochtenen Urteile des EuG aufgehoben, soweit die vom Rat erhobenen Einreden der Unzulässigkeit zurückgewiesen wurden, soweit diese gegen die von diesen Privatpersonen und Gesellschaften gegen die Eurogruppe und Art. 2 Abs. 6 Buchst. b des Beschlusses 2013/236 (ABl. 2013, L 141, 32) erhobenen Klagen gerichtet waren. Die Rechtsmittel der betreffenden Privatpersonen und Gesellschaften hat der EuGH hingegen zurückgewiesen.
- Der EuGH weist zu den vom Rat in den Rechtssachen C-597/18 P und C-598/18 P eingelegten Rechtsmitteln darauf hin, dass die außervertragliche Haftung der Union i.S.v. Art. 340 Abs. 2 AEUV voraussetze, dass einem „Unionsorgan“ ein rechtswidriges Verhalten vorgeworfen werden könne, wobei der Begriff „Unionsorgan“ nicht nur die in Art. 13 Abs. 1 EUV aufgeführten Organe der Union umfasse, sondern auch alle Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, die mit den Verträgen oder kraft der Verträge errichtet wurden und zur Verwirklichung der Ziele der Union beitragen sollen.
Die Eurogruppe stelle erstens eine zwischenstaatliche Einrichtung zur Koordination der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten dar, deren Währung der Euro sei (im Folgenden: Euro-Länder). Zweitens könne die Eurogruppe nicht einer Formation des Rates gleichgestellt werden und sei durch ihre informelle Natur gekennzeichnet. Drittens verfüge die Eurogruppe weder über eigene Zuständigkeiten noch über die Befugnis, die Nichtbeachtung der in ihrem Rahmen geschlossenen politischen Vereinbarungen zu sanktionieren.
Daraus lasse sich schlussfolgern, dass das EuG zu Unrecht angenommen habe, dass die Eurogruppe eine durch die Verträge geschaffene Stelle „der Union“ sei, deren Handlungen die außervertragliche Haftung der Union auslösen könnten.
Da die im Rahmen der Eurogruppe geschlossenen politischen Vereinbarungen u.a. durch Rechtsakte und Handlungen der Unionsorgane, u.a. des Rates und der EZB, konkretisiert und umgesetzt werden, werde den Betroffenen nicht das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der EU verankerte Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz genommen, weil sie – wie sie es im vorliegenden Fall im Übrigen getan haben – gegen diese Organe wegen Rechtsakten oder Handlungen, die diese im Anschluss an solche politischen Vereinbarungen erlassen oder vorgenommen haben, vor den Unionsgerichten Klage wegen außervertraglicher Haftung der Union erheben könnten. Insbesondere sei es Aufgabe der Kommission als Hüterin der Verträge, über die Vereinbarkeit dieser Vereinbarungen mit dem Unionsrecht zu wachen. Bleibe sie in dieser Hinsicht untätig, könne dies die außervertragliche Haftung der Union auslösen.
- Die Anschlussrechtsmittel des Rates in den Rechtssachen C-603/18 P und C-604/18 P richten sich gegen die Würdigung des EuG, wonach zum einen der Rat mit Art. 2 Abs. 6 Buchst. b des Beschlusses 2013/236 von den zyprischen Behörden die Beibehaltung oder kontinuierliche Umsetzung der Umwandlung nicht gesicherter Einlagen bei der BoC in Eigenkapital verlangt habe und zum anderen diese Behörden insoweit über kein Ermessen verfügten.
Hierzu weist der EuGH darauf hin, dass Art. 2 Abs. 6 Buchst. b des Beschlusses 2013/236 nicht die besonderen Modalitäten der Durchführung dieser Umwandlung festlegt und die zyprischen Behörden daher in dieser Hinsicht über ein erhebliches Ermessen verfügten, insbesondere um die Zahl und den Wert der den Einlegern der BoC im Gegenzug zu ihren nicht gesicherten Einlagen bei dieser Bank zuzuweisenden Aktien zu bestimmen. Folglich habe das EuG rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Republik Zypern nach dieser Bestimmung über kein Ermessen verfügt habe, um die besonderen Modalitäten dieser Umwandlung festzulegen. - Die betreffenden Privatpersonen und Gesellschaften machen im Rahmen der von ihnen in den Rechtssachen C-603/18 P und C-604/18 P eingelegten Rechtsmittel geltend, dass eine hinreichend qualifizierte Verletzung ihres Eigentumsrechts, des Grundsatzes des Vertrauensschutzes und des Grundsatzes der Gleichbehandlung auf Rechtsakte und Handlungen der Unionsorgane zurückzuführen und die erste Voraussetzung der außervertraglichen Haftung der Union daher erfüllt sei.
Hierzu weist der EuGH zunächst darauf hin, dass das Eigentumsrecht (Art. 17 der Charta der Grundrechte der EU) nicht absolut gilt, sondern Einschränkungen unterliegen kann (Art. 52 der Charta der Grundrechte der EU). Wie der EuGH bereits mit Urteil vom 20.09.2016 (C-8/15 P bis C-10/15 P) in den verbundenen Rechtssachen „Ledra Advertising u.a./Kommission und EZB“ entschieden hat, könnten die im Memorandum of Understanding vom 26.04.2013 genannten Maßnahmen nicht als unverhältnismäßiger und nicht tragbarer Eingriff angesehen werden, der das Eigentumsrecht der betreffenden Privatpersonen und Gesellschaften antaste.
Ferner könne der Umstand, dass in früheren Phasen der internationalen Finanzkrise die Gewährung einer Finanzhilfe an andere Euro-Länder nicht vom Erlass besonderer Maßnahmen abhängig gemacht wurde, nicht als Zusicherung angesehen werden, die ein berechtigtes Vertrauen der Aktionäre, Anleihegläubiger und Einleger der Laïki und der BoC darauf begründen konnte, dass dies bei der Gewährung einer Finanzhilfe an die Republik Zypern genauso sein würde.
Schließlich verneint der EuGH nach dem Hinweis darauf, dass der allgemeine Grundsatz der Gleichbehandlung verlange, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt sei, einen Verstoß gegen diesen Grundsatz. Die betreffenden Privatpersonen und Gesellschaften befänden sich nämlich nicht in einer mit der der Zentralbank von Zypern, deren Tätigkeit allein von im Allgemeininteresse liegenden Zielen geleitet werde, der Inhaber von Einlagen bei den griechischen Zweigstellen der Laïki und der BoC, der Einleger dieser beiden Banken, deren Einlagen 100.000 Euro nicht überschritten, der Einleger und Aktionäre von Banken in anderen Euro-Ländern, die vor der Republik Zypern eine Finanzhilfe erhalten haben, oder der Mitglieder des zyprischen genossenschaftlichen Bankensektors vergleichbaren Lage.
Im Ergebnis hat der EuGH die von den betreffenden Gesellschaften und Privatpersonen eingelegten Rechtsmittel (Rechtssachen C-603/18 P und C-604/18 P) in vollem Umfang zurückgewiesen, die angefochtenen Urteile des EuG aufgehoben, soweit die vom Rat erhobenen Einreden der Unzulässigkeit zurückgewiesen wurden, soweit diese die gegen die Eurogruppe und Art. 2 Abs. 6 Buchst. b des Beschlusses 2013/236 gerichtet an Zypern über spezifische Maßnahmen zur Wiederherstellung von Finanzstabilität und nachhaltigem Wachstum erhobenen Klagen betrafen, und hat diesen Einreden im Rahmen einer endgültigen Entscheidung (gemäß Art. 61 Abs. 1 Satz 2 der Satzung des EuGH der Europäischen Union) stattgegeben (dieser Beschluss sieht eine Reihe von Maßnahmen und Ergebnissen vor, um das Haushaltsdefizit der Republik Zypern zu beheben und die Solidität des Finanzsystems dieses Mitgliedstaats wiederherzustellen; die Anschlussrechtsmittel des Rates bezogen sich speziell auf Art. 2 Abs. 6 Buchst. b dieses Beschlusses, wonach eine, „unabhängige Bewertung der Vermögenswerte der BoC und der Laïki und rasche Integration der Geschäfte der Laïki in die BoC erfolgt; die Bewertung wird rasch abgeschlossen, um bei der BoC die vollständige Umwandlung von Einlagen in Eigenkapital zu ermöglichen“).