Die stufenweise Wiedereingliederung – umgangssprachlich auch Hamburger Modell genannt – ist eine Maßnahme, um Mitarbeiter nach längerer Krankheit schrittweise an den Arbeitsplatz zurückzuführen. Ziel ist es, den Gesundheitszustand erkrankter Beschäftigter durch die langsame Rückkehr an den Arbeitsplatz zu stabilisieren. Nach längerer Arbeitsunfähigkeit (mehr als 6 Wochen) oder wiederholten Krankheitszeiten haben Arbeitnehmer grundsätzlich ein Recht darauf, dass der Arbeitgeber sie bei der Rückkehr in den Job unterstützt. Doch was bedeutet das konkret? Besteht ein Anspruch auf Wiedereingliederung – und darf der Arbeitgeber einen vom Arzt vorgeschlagenen Wiedereingliederungsplan einfach ablehnen? Dieser Rechtstipp beleuchtet die rechtlichen Grundlagen der Wiedereingliederung (insbesondere § 74 SGB V und § 167 SGB IX) und erklärt das Verhältnis von Wiedereingliederung zur Arbeitsunfähigkeit und zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM). Außerdem werden die Pflichten von Arbeitgebern und Rechte von Arbeitnehmern dargestellt: Unter welchen Umständen sind Arbeitgeber zur Zustimmung verpflichtet, wann dürfen sie eine Wiedereingliederung ablehnen, welche Rolle spielt der behandelnde Arzt, und wie bewertet die Rechtsprechung (BAG und LAG) diese Fragen? Abschließend geben wir praktische Tipps – sowohl für Arbeitgeber (etwa zur Dokumentation und Kommunikation) als auch für Arbeitnehmer (zu ihren Rechten und dem Vorgehen bei Ablehnung).
Rechtliche Grundlagen der Wiedereingliederung (SGB V und SGB IX)
Die Möglichkeit der stufenweisen Wiedereingliederung ist im Wesentlichen in zwei Gesetzen verankert: § 74 SGB V (gesetzliche Krankenversicherung) und § 167 SGB IX (betriebliches Eingliederungsmanagement, BEM). Darüber hinaus spielen die Vorschriften zum Schutz schwerbehinderter Arbeitnehmer (insbesondere § 164 SGB IX) eine wichtige Rolle.
Wiedereingliederung nach § 74 SGB V (Krankenversicherung)
§ 74 SGB V regelt die stufenweise Wiedereingliederung arbeitsunfähiger Versicherter. Danach gilt: Können arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach ärztlicher Feststellung ihre bisherige Tätigkeit teilweise wieder ausüben und würde eine schrittweise Wiederaufnahme der Arbeit voraussichtlich die Rückkehr ins Erwerbsleben erleichtern, soll der Arzt dies auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vermerken. Der behandelnde Arzt gibt Art und Umfang der möglichen Tätigkeit an und holt in geeigneten Fällen eine Stellungnahme des Betriebsarztes oder des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse ein. Spätestens ab 6 Wochen Arbeitsunfähigkeit muss der Arzt regelmäßig prüfen, ob eine stufenweise Wiedereingliederung angezeigt ist.
Wichtiger Punkt: Die Wiedereingliederung stellt juristisch kein normales Weiterarbeiten dar, sondern ist ein „Vertragsverhältnis eigener Art“, das einer dreiseitigen Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer, Arbeitgeber und behandelndem Arzt bedarf. Während der Wiedereingliederung bleibt der Arbeitnehmer arbeitsunfähig geschrieben – die bestehende Arbeitsunfähigkeit wird durch die Teilzeittätigkeit nicht aufgehoben. Das bedeutet, der Arbeitnehmer hat weiterhin den Status eines Krankgeschriebenen, obwohl er stundenweise arbeitet. In dieser Zeit erhält er im Regelfall Krankengeld von der Krankenkasse (oder Übergangsgeld von der Rentenversicherung, falls es sich um eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation handelt) – ein Anspruch auf normales Gehalt vom Arbeitgeber besteht nicht, sofern die Entgeltfortzahlungsfrist bereits abgelaufen ist. Die Teilnahme an der Wiedereingliederung ist freiwillig für den Arbeitnehmer: Niemand kann gezwungen werden, während einer fortbestehenden Erkrankung bereits teilweise zu arbeiten. Ebenso setzt die Maßnahme die Zustimmung des Arbeitgebers voraus, da ohne seine Mitwirkung (Bereitstellung eines geeigneten Arbeitsplatzes bzw. angepasster Tätigkeiten) die Wiedereingliederung nicht durchführbar ist.
Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) nach § 167 SGB IX
Unabhängig von § 74 SGB V verpflichtet § 167 Abs. 2 SGB IX Arbeitgeber zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM). Dieses Instrument greift, wenn ein Mitarbeiter innerhalb von 12 Monaten länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt krankgeschrieben war. In solchen Fällen muss der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer (und bei Bedarf unter Einbeziehung des Betriebsrats, des Werks- oder Betriebsarztes sowie ggf. weiterer Stellen) Möglichkeiten erörtern, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden und einer erneuten Erkrankung vorgebeugt werden kann. Ziel des BEM ist es, den Arbeitsplatz des betroffenen Mitarbeiters zu erhalten und künftige Ausfallzeiten möglichst zu reduzieren. Das BEM ist für alle Arbeitnehmer gesetzlich vorgesehen – nicht nur für schwerbehinderte Menschen. Der Arbeitgeber muss dem länger erkrankten Mitarbeiter also spätestens nach 6 Wochen Krankheit ein BEM anbieten und mit ihm gemeinsam nach Lösungen suchen.
Wiedereingliederung und BEM: Die stufenweise Wiedereingliederung ist eine von mehreren denkbaren Maßnahmen im Rahmen eines BEM. Zwar ist das BEM zunächst ein Verfahren (ein strukturiertes Gesprächs- und Suchprozess), während die Wiedereingliederung eine konkrete Maßnahme (nämlich die Arbeitsaufnahme auf Probe mit langsam steigender Stundenzahl) darstellt. Doch häufig ergibt sich aus dem BEM die Empfehlung, eine solche Wiedereingliederung durchzuführen, sofern der behandelnde Arzt dies befürwortet. In der Praxis bietet der Arbeitgeber idealerweise im BEM-Gespräch an, einen ärztlichen Wiedereingliederungsplan umzusetzen, um dem Mitarbeiter den sanften Übergang zurück in den Job zu ermöglichen. Rechtlich wichtig: Das BEM ist zwar verpflichtend anzubieten, aber der Arbeitnehmer muss nicht daran teilnehmen. Lehnt er das BEM ab oder bricht er es ab, entstehen ihm keine unmittelbaren Nachteile – allerdings verschenkt er damit die Chance, an Lösungsmaßnahmen (wie z.B. einer Wiedereingliederung) mitzuwirken. Umgekehrt entbindet ein durchgeführtes oder unterlassenes BEM den Arbeitgeber nicht per se von anderen Pflichten, es kann aber im Falle einer spätere krankheitsbedingten Kündigung eine Rolle spielen (siehe unten zur Rechtsprechung).
Besonderer Schutz schwerbehinderter Arbeitnehmer (§ 164 SGB IX)
Für schwerbehinderte oder gleichgestellte behinderte Arbeitnehmer (Grad der Behinderung von mindestens 50 % bzw. Gleichstellung ab 30 %) gelten erhöhte Schutzvorschriften nach SGB IX. Nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX ist der Arbeitgeber verpflichtet, schwerbehinderte Beschäftigte so zu beschäftigen, dass sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Daraus leitet die Rechtsprechung ab, dass der Arbeitgeber verpflichtet sein kann, an einer stufenweisen Wiedereingliederung eines schwerbehinderten Mitarbeiters mitzuwirken, indem er ihn entsprechend dem ärztlichen Wiedereingliederungsplan beschäftigt. Anders ausgedrückt: Bei schwerbehinderten Arbeitnehmern besteht ein gesetzlich untermauerter Anspruch auf Durchführung einer Wiedereingliederung, sofern diese ärztlich indiziert ist und im Rahmen des Zumutbaren liegt. Diese Pflicht des Arbeitgebers zur Mitwirkung ist jedoch nicht grenzenlos – sie findet ihre Grenze in der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit. § 164 Abs. 4 Satz 3 SGB IX stellt klar, dass kein Anspruch besteht, wenn die Erfüllung für den Arbeitgeber unzumutbar oder mit unverhältnismäßig hohem Aufwand verbunden wäre. Auf diese Ausnahmen gehen wir weiter unten noch ein. Wichtig ist: Bei schwerbehinderten Beschäftigten wird die Durchführung einer Wiedereingliederung vom Gesetzgeber als Teil der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers betrachtet, während bei nichtbehinderten Beschäftigten eine direkte gesetzliche Verpflichtung fehlt und die Wiedereingliederung primär auf freiwilliger Basis beruht (im Rahmen des BEM allerdings dringlich empfohlen, siehe oben).
Verhältnis von Wiedereingliederung, Arbeitsunfähigkeit und BEM
Um die Rechte und Pflichten bei einer Wiedereingliederung zu verstehen, muss man die Besonderheit des Status während der Maßnahme kennen. Wie oben erwähnt, gilt der Arbeitnehmer während der stufenweisen Wiedereingliederung weiterhin als arbeitsunfähig krank. Er ist also offiziell noch nicht wieder arbeitsfähig, sondern nimmt therapiebedingt an seinem Arbeitsplatz Tätigkeiten in reduziertem Umfang auf. Dies hat mehrere rechtliche Folgen:
- Entgelt und Sozialversicherung: Da die Arbeitsunfähigkeit fortbesteht, endet der Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber in der Regel nach sechs Wochen Krankheit (sofern dieser Zeitraum ausgeschöpft ist) – auch wenn der Mitarbeiter im Rahmen der Wiedereingliederung schon wieder stundenweise arbeitet. Stattdessen erhält der Arbeitnehmer in dieser Phase üblicherweise Krankengeld von der Krankenkasse weiter. Der Arbeitgeber zahlt also kein Gehalt (es sei denn, er gewährt freiwillig eine Aufstockung), und der Krankenversicherungsanspruch ruht nicht. Für den Arbeitnehmer bleibt der volle Versicherungsschutz bestehen, und die Zeit der Wiedereingliederung zählt weiterhin als Krankheitszeit im Sinne der Sozialversicherung.
- Kein regulärer Arbeitseinsatz: Der Arbeitnehmer schuldet während der Wiedereingliederung keine volle Arbeitsleistung. Er arbeitet gemäß dem ärztlichen Wiedereingliederungsplan, der typischerweise eine stundenweise Steigerung der Arbeitszeit vorsieht (z.B. anfangs 2 Stunden pro Tag, nach zwei Wochen 4 Stunden, etc.). Er kann nur mit den Aufgaben betraut werden, die seiner reduzierten Leistungsfähigkeit und den vom Arzt festgelegten Einschränkungen entsprechen. Wichtig: Das bestehende Arbeitsverhältnis ruht insofern teilweise fort; die Hauptpflicht zur Arbeitsleistung ist suspendiert, soweit der Arzt den Mitarbeiter noch als arbeitsunfähig einstuft. Die Wiedereingliederung dient dem Ausprobieren der Belastbarkeit. Gelingt sie, endet die Arbeitsunfähigkeit am Abschluss der Maßnahme und der Arbeitnehmer kehrt voll an den Arbeitsplatz zurück. Scheitert die Wiedereingliederung (etwa weil sich der Gesundheitszustand verschlechtert), bleibt der Arbeitnehmer im Status der Arbeitsunfähigkeit und muss ggf. weiter krankgeschrieben werden – es entsteht ihm daraus kein arbeitsrechtlicher Nachteil.
- Betrieblicher Kontext: Obwohl kein voller Arbeitseinsatz erfolgt, findet die Wiedereingliederung im Rahmen des bestehenden Arbeitsverhältnisses statt. Der Arbeitgeber muss daher die üblichen Schutzmaßnahmen einhalten (z.B. Arbeitsschutz, Berücksichtigung von Einschränkungen). Außerdem sollte er den Vorgang im Sinne des BEM dokumentieren. Im BEM-Kontext gilt die Wiedereingliederung als eine Maßnahme zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit. Tatsächlich hat die Einführung des BEM im Jahr 2004 dazu geführt, dass eine ärztlich empfohlene Wiedereingliederung heute als gebotene Maßnahme betrachtet wird, um langzeiterkrankten Mitarbeitern den Weg zurück zu ebnen. Früher wurde teils vertreten, dem Arbeitgeber stehe es frei, ob er eine Wiedereingliederung zulässt; diese Auffassung ist jedoch durch § 167 SGB IX und die neuere Rechtsprechung überholt. Fazit an dieser Stelle: Eine Wiedereingliederung steht nicht völlig im Belieben der Parteien, sondern ist – vor allem bei längerer Krankheit – integraler Bestandteil der Fürsorge und Wiedereingliederungsverantwortung des Arbeitgebers. Dennoch bleibt sie eine freiwillige Kooperation: Der Arbeitnehmer kann sie ablehnen (ohne Sanktionen), und der Arbeitgeber muss organisatorisch und betrieblich in der Lage sein, sie umzusetzen.
Pflicht des Arbeitgebers zur Zustimmung – gibt es einen Anspruch auf Wiedereingliederung?
Hier kommt es entscheidend auf den Status des Mitarbeiters an (schwerbehindert oder nicht) und die Umstände des Einzelfalls:
- Für “normale” (nicht schwerbehinderte) Arbeitnehmer gibt es keinen ausdrücklichen gesetzlichen Anspruch auf eine stufenweise Wiedereingliederung. Weder § 74 SGB V noch § 167 SGB IX zwingen den Arbeitgeber, jedem Wiedereingliederungswunsch zuzustimmen. Die Durchführung erfordert eine einvernehmliche Vereinbarung. In der Praxis bedeutet das: Der Arbeitnehmer kann einen ärztlichen Wiedereingliederungsplan vorlegen und um Umsetzung bitten, aber der Arbeitgeber muss dem Plan zustimmen, damit er wirksam wird. Verweigert der Arbeitgeber die Zustimmung, kann der Arbeitnehmer die Wiedereingliederung zunächst nicht antreten. Allerdings: Die Freiwilligkeit sollte nicht missverstanden werden als absolute Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers „nach Gutdünken“. Durch die BEM-Pflicht wird vom Arbeitgeber erwartet, einen ernsthaften Versuch zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu unternehmen. Die Gerichte betonen, dass ein Arbeitgeber im Rahmen eines ordnungsgemäßen BEM auch eine ärztlich empfohlene Wiedereingliederung durchführen muss, sofern sie erfolgversprechend und zumutbar ist. Bereits 2011 urteilte z.B. das LAG Hamm (Az. 8 Sa 726/11), dass eine vom Arzt empfohlene Wiedereingliederung zu den “gebotenen Maßnahmen” des BEM gehört und der Arbeitgeber sich bei grundloser Verweigerung schadensersatzpflichtig machen kann. Dieser LAG-Entscheidung lag die Überlegung zugrunde, dass § 167 SGB IX den Arbeitgeber zu präventiven Wiedereingliederungsmaßnahmen verpflichtet und ein schlichtes Ablehnen ohne Prüfung der Optionen eine Pflichtverletzung darstellen kann. Kurzum: Ein nicht schwerbehinderter Arbeitnehmer kann die Wiedereingliederung nicht einklagen wie ein Recht, aber faktisch sollte der Arbeitgeber gute Gründe haben, wenn er sie verweigert – nicht zuletzt, um seiner gesetzlichen BEM-Verpflichtung gerecht zu werden und sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, er habe die Rückkehr unnötig erschwert.
- Für schwerbehinderte oder gleichgestellte Arbeitnehmer sieht die Sache anders aus: Hier besteht ein gesetzlicher Anspruch auf Wiedereingliederung im Rahmen des Zumutbaren. Wie oben dargestellt, kann der Arbeitgeber gemäß § 164 Abs. 4 SGB IX verpflichtet sein, an einer stufenweisen Wiedereingliederung mitzuwirken und den Mitarbeiter entsprechend dem ärztlichen Plan zu beschäftigen. Verweigert der Arbeitgeber in diesem Fall grundlos die Zustimmung, verstößt er gegen seine Schwerbehindertenpflichten. Der betroffene Arbeitnehmer könnte in der Folge Schadensersatz verlangen oder (wie es in einem bekannten Fall geschehen ist) den Verdienstausfall geltend machen, der ihm durch die verweigerte Wiedereingliederung entstanden ist. Beispiel: In einem Fall vor dem Hessischen LAG (Urteil vom 7.8.2017 – 7 Sa 232/17) hatte ein schwerbehinderter Arbeitnehmer geklagt, weil sein Arbeitgeber einen ärztlichen Wiedereingliederungsplan ablehnte. Das LAG hielt die Ablehnung für unrechtmäßig und sprach dem Arbeitnehmer Schadensersatz (entgangenes Gehalt) zu. Allerdings wurde dieses Urteil später vom Bundesarbeitsgericht aufgehoben (dazu gleich mehr bei der Rechtsprechung). Nichtsdestotrotz zeigt es, dass schwerbehinderte Arbeitnehmer eine stärkere Rechtsposition haben. Für sie sollte der Arbeitgeber die Wiedereingliederung ermöglichen, sofern kein objektiver Hinderungsgrund vorliegt – andernfalls bewegt er sich rechtlich auf dünnem Eis.
Zwischenfazit: Einen unbedingten gesetzlichen Anspruch auf Wiedereingliederung hat nur der schwerbehinderte Beschäftigte (und auch dort nur im Rahmen des Zumutbaren). Alle anderen Arbeitnehmer sind auf die Kooperationsbereitschaft des Arbeitgebers angewiesen. Aber: Der Arbeitgeber kann eine Wiedereingliederung nicht willkürlich ablehnen, ohne mögliche Konsequenzen. Spätestens im Kontext eines BEM muss er sich ernsthaft mit dem Wiedereingliederungswunsch auseinandersetzen. Tut er das nicht und kommt es später etwa zu einer Kündigung, kann ihm das vor Gericht als Versäumnis ausgelegt werden (eine unterlassene Wiedereingliederung trotz Möglichkeit kann z.B. im Kündigungsschutzprozess gegen ihn sprechen).
Gründe, aus denen der Arbeitgeber eine Wiedereingliederung ablehnen kann
Darf der Arbeitgeber also überhaupt eine Wiedereingliederung ablehnen? Ja – aber nur aus sachlichen, nachvollziehbaren Gründen. Die Rechtsprechung und die gesetzlichen Vorgaben nennen insbesondere folgende Konstellationen, in denen eine Ablehnung zulässig ist:
- Unzumutbarkeit / unverhältnismäßiger Aufwand: Wenn die Durchführung der Wiedereingliederung für den Arbeitgeber objektiv unzumutbar wäre oder einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordern würde, muss er sie nicht durchführen. Dies ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der vom Einzelfall abhängt. Beispiel: In einem Kleinstbetrieb mit sehr wenig Personal und spezieller Tätigkeit könnte es unzumutbar sein, eine zusätzliche Teilzeitkraft zu führen oder Aufgaben so zu zergliedern, dass ein Wiedereingliederer täglich nur wenige Stunden sinnvoll beschäftigt werden kann. Auch wenn spezielle teure Maßnahmen oder Umbauten nötig wären, die in keinem Verhältnis zur kurzen Dauer der Wiedereingliederung stehen, könnte Unverhältnismäßigkeit vorliegen. Achtung: Die Hürden sind hoch – “unzumutbar” ist nichts, was der Arbeitgeber leichtfertig behaupten kann, es muss schon eine erhebliche Belastung oder Störung vorliegen. Ansonsten wird erwartet, dass ein vernünftiger Arbeitgeber die (oft nur einige Wochen dauernde) Maßnahme ermöglicht.
- Fehlende passende Tätigkeit / kein leidensgerechter Arbeitsplatz: Ein häufiger praktischer Ablehnungsgrund ist, dass im Betrieb keine geeignete Beschäftigungsmöglichkeit entsprechend den vom Arzt vorgegebenen Einschränkungen vorhanden sei. Der Wiedereingliederungsplan kann z.B. vorsehen, dass der Mitarbeiter nur leichte Tätigkeiten ausüben darf, keine Nachtarbeit leisten soll, keinen Kundenkontakt haben darf o. ä. Wenn der Arbeitgeber glaubhaft darlegen kann, dass er keine Tätigkeiten hat, die diesen Vorgaben entsprechen, oder dass der Arbeitnehmer in der vorgesehenen Stundenanzahl nicht sinnvoll eingesetzt werden kann, kann das eine Ablehnung rechtfertigen. Allerdings muss der Arbeitgeber hierbei sorgfältig prüfen, ob es nicht doch irgendeine Möglichkeit gibt, den Mitarbeiter (auch außerhalb seines bisherigen Aufgabenbereichs) zeitweise zu beschäftigen. Ein pauschales “geht nicht” reicht nicht aus, vor allem in größeren Unternehmen nicht. Im oben erwähnten Fall der Stadtverwaltung argumentierte der Arbeitgeber, im bisherigen Tätigkeitsbereich des Technischen Angestellten sei ein Einsatz wegen der ärztlichen Einschränkungen nicht möglich gewesen. Erst als ein angepasster Plan ohne diese Einschränkungen vorlag, stimmte er zu. Tipp: Arbeitgeber sollten im Zweifel das Gespräch mit dem Arbeitnehmer, dem Betriebsarzt und ggf. dem Integrationsamt (bei Schwerbehinderten) suchen, um alternative Einsatzmöglichkeiten während der Wiedereingliederung auszuloten, bevor sie aus Mangel an Arbeit ablehnen.
- Begründete Zweifel am Wiedereingliederungsplan / Gesundheitsgefahr: Der Arbeitgeber darf die Wiedereingliederung ablehnen, wenn besondere Umstände vorliegen, die erwarten lassen, dass die Maßnahme dem Arbeitnehmer schaden könnte oder zum vorgesehenen Zeitpunkt nicht sinnvoll durchführbar ist. Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass insbesondere dann ein Ablehnungsrecht besteht, wenn zu befürchten ist, dass die stufenweise Wiedereingliederung mit nachteiligen gesundheitlichen Folgen für den Mitarbeiter verbunden sein könnte. Konkret: Hält der Betriebsarzt oder ein anderer Facharzt die Wiedereingliederung zum jetzigen Zeitpunkt für verfrüht oder den Plan für ungeeignet (z.B. weil der Arbeitnehmer eigentlich noch nicht belastbar genug ist), darf der Arbeitgeber die Teilnahme verweigern, um den Mitarbeiter nicht zu gefährden. Genau dies war im BAG-Urteil von 2019 (8 AZR 530/17) der Fall: Aufgrund der betriebsärztlichen Begutachtung bestand die begründete Befürchtung, dass der Gesundheitszustand des Mitarbeiters den Wiedereinstieg nach dem vorgelegten Plan nicht zulassen würde. Diese Zweifel ließen sich bis zum geplanten Beginn der Maßnahme nicht ausräumen, daher durfte der Arbeitgeber die Zustimmung verweigern. Hier geht also Gesundheitsschutz vor: Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gebietet, keinen Versuch zu starten, der den Mitarbeiter überfordern oder zurückwerfen könnte. Natürlich sollte ein solcher Schritt stets durch eine ärztliche Einschätzung untermauert sein (im Regelfall durch den Betriebsarzt).
- Sonstige betriebliche Gründe: Denkbar sind weitere Gründe, etwa wenn der Arbeitgeber den Betrieb in der Zwischenzeit umorganisiert hat oder die Position des Arbeitnehmers weggefallen ist. Allerdings lösen solche Konstellationen oft andere Fragen aus (Versetzung, evtl. betriebsbedingte Kündigung) und berechtigen nicht ohne Weiteres dazu, eine ärztlich empfohlene Wiedereingliederung abzulehnen. Sollte der Arbeitsplatz z.B. nicht mehr existieren, müsste der Arbeitgeber im BEM mit dem Arbeitnehmer ohnehin über alternative Einsatzmöglichkeiten sprechen. Die Wiedereingliederung kann dann ggf. in einer anderen Abteilung oder auf einem anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz erfolgen. Wichtig: Eine Wiedereingliederung abzulehnen, nur weil man den Mitarbeiter für “überflüssig” hält oder eine Kündigung in Erwägung zieht, wäre rechtswidrig – das BEM und die Wiedereingliederung sollen ja gerade helfen, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.
Zusammenfassend kann der Arbeitgeber eine Wiedereingliederung nur ablehnen, wenn triftige Gründe vorliegen. Er sollte diese Gründe dem Arbeitnehmer gegenüber transparent machen und idealerweise schriftlich dokumentieren. Im Zweifel muss der Arbeitgeber im Prozess darlegen, warum ihm die Zustimmung nicht zumutbar war. Fehlt ein überzeugender Grund, wird die Verweigerung tendenziell als Verstoß gegen seine Pflichten gewertet – insbesondere bei Schwerbehinderten oder im Kontext eines nicht ordentlich durchgeführten BEM.
Rolle des behandelnden Arztes (und des Betriebsarztes)
Der behandelnde Arzt spielt bei der stufenweisen Wiedereingliederung eine zentrale Rolle. Er ist es, der den Patienten einschätzt und einen Wiedereingliederungsplan erstellt. In diesem Plan legt der Arzt fest, wann und in welchem Umfang der Arbeitnehmer seine Tätigkeit wiederaufnehmen kann, und welche Einschränkungen zu beachten sind (z. B. keine schweren Hebetätigkeiten, kein Schichtdienst, beschränkte Arbeitszeit pro Tag, etc.). Dieser Plan ist quasi die „Spielanleitung“ für die Wiedereingliederung.
Wichtig zu wissen: Der Arzt bescheinigt weiterhin die Arbeitsunfähigkeit, nur eben mit dem Zusatz, dass der Patient teilweise arbeitsfähig ist. Die gesetzliche Regelung fordert den Arzt ausdrücklich auf, bei geeignetem Fall eine Stellungnahme des Betriebsarztes einzuholen. Das unterstreicht, dass die Koordination zwischen behandelndem Arzt und Betriebsarzt wünschenswert ist. Der Betriebsarzt kennt die konkreten Arbeitsanforderungen im Betrieb und kann beurteilen, welche Belastungen am Arbeitsplatz auftreten. Im Idealfall stimmen sich behandelnder Arzt und Betriebsarzt ab, um einen realistischen Plan zu erstellen, der sowohl der Gesundheit des Arbeitnehmers gerecht wird als auch betrieblich umsetzbar ist.
Praxis: Oft erhält der Arbeitnehmer vom Arzt ein Formular “Wiedereingliederungsplan” (bundeseinheitliches Muster, auch bekannt als “Muster 20”), auf dem die täglichen/wöchentlichen Stundensteigerungen verzeichnet sind. Diesen Plan legt er dem Arbeitgeber vor. Der Arbeitgeber sollte den Plan prüfen und kann – falls Unsicherheiten bestehen – Rückfragen stellen oder eine betriebsärztliche Bewertung veranlassen. Beispiel: Wenn der Plan keinerlei Einschränkungen nennt, der Betriebsarzt aber aus einem BEM-Gespräch weiß, dass bestimmte Tätigkeiten problematisch sind, sollte der Arbeitgeber das Thema ansprechen. Im Fall des BAG-Urteils 2019 enthielt der erste Plan des behandelnden Arztes keine Einschränkungen, obwohl die Betriebsärztin zuvor gewisse Einschränkungen für nötig hielt. Die Diskrepanz führte zur berechtigten Ablehnung, bis ein korrigierter Plan vorlag. Das zeigt: Der behandelnde Arzt kennt nicht immer alle Details des Arbeitsplatzes, daher ist die Kommunikation wichtig.
Kann der Arbeitnehmer “einfach so” mit Wiedereingliederung beginnen? – Nein, ohne den ärztlichen Plan geht nichts. Umgekehrt kann der Arzt die Wiedereingliederung nur empfehlen; er kann sie nicht anordnen, wenn der Arbeitgeber nicht einverstanden ist. Der Arbeitnehmer sollte sich daher frühzeitig mit seinem Arzt besprechen, ob eine stufenweise Rückkehr medizinisch sinnvoll ist, und dies dann mit dem Arbeitgeber abstimmen. Der Arzt bleibt während der Wiedereingliederung im Boot: Er überwacht den Gesundheitszustand und entscheidet, ob die Stunden wie geplant gesteigert werden können. Sollte der Arbeitnehmer während der Wiedereingliederung erneut erkranken oder die Belastung nicht vertragen, kann der Arzt die Wiedereingliederung abbrechen (der Mitarbeiter gilt dann weiterhin als voll arbeitsunfähig). Gelingt die Wiedereingliederung, wird der Arzt am Ende die Arbeitsunfähigkeit beenden und den Mitarbeiter gesund schreiben.
Zusammengefasst: Der behandelnde Arzt initiiert und steuert die Wiedereingliederung medizinisch. Der Betriebsarzt kann als betrieblicher Experte hinzugezogen werden, um die Realisierbarkeit zu beurteilen. Arbeitgeber tun gut daran, die ärztlichen Vorgaben ernst zu nehmen – ein “Durchstreichen” ärztlicher Einschränkungen, wie es im Extremfall mal vorkam, ist definitiv der falsche Weg. Stattdessen sollten eventuelle Bedenken offen mit dem Arzt/Patienten besprochen werden. Letztlich entscheidet der Arzt, was der Patient darf, und der Arbeitgeber entscheidet, ob er passende Aufgaben bereitstellen kann.
Wiedereingliederung in der Rechtsprechung (BAG und LAG)
Die Frage der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Wiedereingliederung und seiner Ablehnungsrechte wurde in den letzten Jahren mehrfach von den Gerichten – bis hin zum Bundesarbeitsgericht (BAG) – behandelt. Hier ein Überblick über wichtige Entscheidungen:
- LAG Hamm, Urteil vom 04.07.2011 (8 Sa 726/11): Dieses Landesarbeitsgericht-Urteil sorgte für Aufmerksamkeit, da es einen sehr arbeitnehmerfreundlichen Standpunkt einnahm. Das Gericht stellte fest, dass zu den “gebotenen Maßnahmen” des BEM gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX (heute § 167 Abs. 2 SGB IX) auch die Durchführung einer ärztlich empfohlenen stufenweisen Wiedereingliederung gehört. Die bis dahin vertretene Auffassung, der Arbeitgeber habe freie Hand, ob er dem zustimme, sei überholt. Weigere er sich grundlos, komme Schadensersatz des Arbeitnehmers gemäß § 280 BGB i.V.m. § 84 Abs. 2 SGB IX in Betracht. Im konkreten Fall hatte der Arbeitgeber – ein öffentlicher Dienstherr – die Wiedereingliederung eines (nicht schwerbehinderten) Angestellten abgelehnt. Das LAG wertete dies als Pflichtverletzung und sprach dem Arbeitnehmer Gehaltsschadenersatz zu. Dieses Urteil hat die Diskussion belebt, ob aus dem BEM quasi ein indirekter Anspruch auf Wiedereingliederung erwächst.
- Hessisches LAG, Urteil vom 07.08.2017 (7 Sa 232/17): Hier ging es um den Fall eines schwerbehinderten Technikers, der nach ~1,5 Jahren Krankheit eine Wiedereingliederung antreten wollte (der oben bereits erwähnte Fall). Der Arbeitgeber (eine Stadtverwaltung) lehnte den ersten Wiedereingliederungsplan ab, weil laut Betriebsarzt bestimmte Einschränkungen nötig gewesen wären, die der Plan nicht enthielt. Eine zweite, angepasste Wiedereingliederung einige Wochen später wurde dann durchgeführt. Der Arbeitnehmer klagte aber auf Schadensersatz für die Zeit, die ihm durch die verweigerte erste Maßnahme an Einkommen entgangen war. Das LAG Hessen gab ihm Recht und bejahte den Schadensersatzanspruch (wohlgemerkt: gestützt auf die Pflicht aus § 81 Abs. 4 SGB IX a.F., heute § 164 SGB IX). Die Begründung: Der Arbeitgeber hätte bereits dem ersten Plan zustimmen müssen oder zumindest dessen Ablehnung nicht ausreichend gerechtfertigt und damit seine Mitwirkungspflicht verletzt.
- BAG, Urteil vom 16.05.2019 (8 AZR 530/17) – Revision im obigen Fall: Das Bundesarbeitsgericht hob das LAG-Urteil auf und entschied zugunsten des Arbeitgebers. Das BAG stellte klar: Zwar kann ein Arbeitgeber nach damals § 81 Abs. 4 SGB IX (heute § 164 Abs. 4 SGB IX) verpflichtet sein, an einer Wiedereingliederung mitzuwirken. Aber im konkreten Fall lagen “besondere Umstände” vor, die eine Verweigerung rechtfertigten. Namentlich waren die begründeten Zweifel am Gesundheitszustand – basierend auf der betriebsärztlichen Einschätzung – ein solcher besonderer Umstand, der die Ablehnung des ersten Plans erlaubte. Das BAG verneinte einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers, weil die Stadt hier nicht pflichtwidrig gehandelt habe. Leitsatz der Entscheidung ist: Bei schwerbehinderten Beschäftigten besteht grundsätzlich eine Pflicht des Arbeitgebers zur Umsetzung einer Wiedereingliederung, sofern ein ordnungsgemäßer ärztlicher Plan vorliegt und keine entgegenstehenden besonderen Umstände gegeben sind. Ein wichtiger Aspekt dieser Entscheidung ist, dass das BAG den Begriff der “besonderen Umstände” eingeführt hat, der über die reine Unzumutbarkeit im finanziellen/organisatorischen Sinne hinausgeht. Insbesondere gesundheitliche Risiken für den Arbeitnehmer können demnach eine Ablehnung rechtfertigen, ohne dass der Arbeitgeber schadensersatzpflichtig wird.
- Weitere Entwicklungen: Nach 2019 haben sich vor allem in Kündigungsschutzprozessen Fragen der Wiedereingliederung und des BEM gestellt. Ein Beispiel ist BAG, Urteil vom 15.12.2022 (2 AZR 162/22), wo es um eine krankheitsbedingte Kündigung einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin ging. Das BAG betonte dort, dass die Zustimmung des Integrationsamts zu einer Kündigung das erforderliche BEM nicht überflüssig macht – mit anderen Worten, der Arbeitgeber hätte vorher ein BEM inkl. Prüfung von Maßnahmen (etwa Wiedereingliederung) durchführen müssen, trotz behördlicher Zustimmung zur Kündigung. Dieses Urteil zeigt, dass ein unterlassenes BEM (und damit evtl. eine unterlassene Wiedereingliederung) eine Kündigung angreifbar machen kann, weil der Arbeitgeber nicht alle milderen Mittel ausgeschöpft hat. Die Gerichte verlangen vom Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung wegen Krankheit, dass er ernsthaft versucht hat, den Arbeitnehmer durch zumutbare Maßnahmen (Anpassung des Arbeitsplatzes, Teilzeitarbeit, Wiedereingliederung etc.) im Betrieb zu halten. Wird dies versäumt, kann die Kündigung unverhältnismäßig sein.
Zusammengefasst: Die Rechtsprechung tendiert dazu, Wiedereingliederungsmaßnahmen stark zu befürworten. Eine grundlose Ablehnung kann für Arbeitgeber rechtliche Nachteile nach sich ziehen. Insbesondere bei schwerbehinderten Mitarbeitern ist die Linie klar: Hier gibt es einen Anspruch, und nur wenn triftige Gründe (Unzumutbarkeit oder gesundheitliche Risiken) vorliegen, darf abgelehnt werden. Aber auch bei anderen Arbeitnehmern wird zumindest im Rahmen des BEM erwartet, dass der Arbeitgeber einen vorliegenden Wiedereingliederungsplan ernsthaft prüft und umsetzt, sofern kein gewichtiger Ablehnungsgrund besteht.
Praktische Tipps für Arbeitgeber
Für Arbeitgeber – insbesondere Personalverantwortliche oder Führungskräfte – ergeben sich aus alledem folgende Empfehlungen, um rechtlich sicher und fair zu handeln:
- BEM ernsthaft durchführen: Wenn ein Mitarbeiter länger krank war, bieten Sie ihm ordnungsgemäß ein BEM an. Dokumentieren Sie die Einladung und führen Sie das Gespräch ergebnisoffen. Kommt dabei ein Wiedereingliederungswunsch oder -vorschlag zur Sprache, nehmen Sie diesen wohlwollend auf und prüfen Sie die Umsetzungsmöglichkeiten.
- Ärztlichen Plan anfordern: Bitten Sie den Mitarbeiter, Ihnen einen schriftlichen Wiedereingliederungsplan seines behandelnden Arztes vorzulegen. Ohne Plan können Sie die Maßnahme nicht beurteilen. Liegt der Plan vor, prüfen Sie, ob die vorgeschlagene stufenweise Steigerung der Arbeitszeit und etwaige Einschränkungen in Ihrem Betrieb realisierbar sind.
- Betriebsarzt einbeziehen: Schalten Sie – gerade in Zweifelsfällen – Ihren Betriebsarzt ein. Lassen Sie den Betriebsarzt den Arbeitsplatz und die Anforderungen bewerten. Er kann eventuell mit dem behandelnden Arzt Rücksprache halten, falls Anpassungen des Plans nötig sind. Eine betriebsärztliche Einschätzung kann auch dokumentieren, ob gesundheitliche Bedenken bestehen (wichtig, falls Sie aus Gesundheitsgründen ablehnen müssen).
- Zumutbarkeit prüfen und dokumentieren: Fragen Sie sich ehrlich, ob die Umsetzung wirklich unzumutbar wäre. In den meisten Fällen lassen sich temporäre Teilzeittätigkeiten organisieren – sei es durch Umverteilung von Aufgaben, befristete Änderungen im Team oder besondere Projekte für den Wiedereingliedernden. Wenn Sie zum Schluss kommen, dass es nicht geht, dokumentieren Sie ausführlich, warum (z.B. keine andere Position vorhanden, erhebliche Sicherheitsrisiken, etc.). Diese Dokumentation kann im Streitfall Gold wert sein.
- Transparente Kommunikation: Teilen Sie dem Mitarbeiter Ihre Entscheidung schriftlich mit. Wenn Sie zustimmen, bestätigen Sie kurz die Vereinbarung der Wiedereingliederung (ggf. kann ein Dreiparteienvertrag zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Krankenkasse/Arzt geschlossen werden, was oftmals von Krankenkassen vorgesehene Formulare sind). Wenn Sie ablehnen, erläutern Sie dem Arbeitnehmer die Gründe offen. Das schafft Klarheit, vermeidet Unmut und zeigt ggf. vor Gericht, dass Sie sachlich gehandelt haben.
- Alternativlösungen anbieten: Können Sie dem Plan in der vorgeschlagenen Form nicht zustimmen, überlegen Sie, ob Sie Alternativen anbieten können. Vielleicht ist eine Wiedereingliederung zu einem späteren Zeitpunkt möglich, oder in einer anderen Abteilung? Oder vielleicht statt 4 Wochen über 6 Wochen gestreckt? Manchmal lässt sich mit etwas Flexibilität doch eine Lösung finden. Zeigen Sie sich gesprächsbereit – das ist auch ein Signal, dass Sie am Erhalt des Arbeitsverhältnisses interessiert sind.
- Schwerbehinderte Mitarbeiter: Bei schwerbehinderten Mitarbeitern sollten Sie besonders vorsichtig sein. Beziehen Sie die Schwerbehindertenvertretung frühzeitig ein und informieren Sie ggf. das Integrationsamt. Die Maßstäbe für Zumutbarkeit sind hier strenger zugunsten des Arbeitnehmers. Eine Ablehnung ohne Rücksprache mit den genannten Stellen wäre riskant. Oft können Integrationsämter auch Hilfen (finanzielle oder technische Unterstützung) bieten, um die Wiedereingliederung zu ermöglichen.
- Vorbeugen statt kündigen: Sehen Sie Wiedereingliederungen als Chance, einen wertvollen Mitarbeiter zurückzugewinnen, statt als Last. In vielen Fällen erhöht eine erfolgreiche Wiedereingliederung die Wahrscheinlichkeit, dass der Arbeitnehmer dauerhaft leistungsfähig bleibt – was wiederum zukünftige Fehlzeiten und Kündigungsschutzstreitigkeiten reduziert. Außerdem erfüllt der Arbeitgeber damit seine gesetzlichen Pflichten und verbessert das Betriebsklima.
Tipps für Arbeitnehmer (Vorgehen bei Ablehnung der Wiedereingliederung)
Auch für Arbeitnehmer, die nach langer Krankheit zurück in den Job möchten, hier einige Ratschläge – speziell für den Fall, dass es zu Schwierigkeiten mit der Wiedereingliederung kommt:
- Rechtzeitig informieren: Sprechen Sie frühzeitig mit Ihrem behandelnden Arzt darüber, ob eine stufenweise Wiedereingliederung für Ihre Genesung sinnvoll ist. Lassen Sie sich ggf. den Wiedereingliederungsplan (Formular “Muster 20”) ausstellen. Je eher Sie den Plan in Händen halten, desto eher können Sie mit dem Arbeitgeber darüber reden.
- Offenes Gespräch suchen: Treten Sie mit Ihrem Arbeitgeber in Kontakt, sobald Ihr Arzt grünes Licht für eine Wiedereingliederung gibt. Erklären Sie, dass Sie gerne über einen bestimmten Zeitraum in Teilzeit zurückkehren möchten. Legen Sie den ärztlichen Plan vor oder kündigen Sie ihn zumindest an. Fragen Sie nach, ob der Arbeitgeber damit grundsätzlich einverstanden ist. Oft lassen sich in einem frühzeitigen Gespräch Missverständnisse ausräumen und organisatorische Fragen klären.
- Betriebsrat/Schwerbehindertenvertretung einbinden: Wenn es im Betrieb einen Betriebsrat gibt oder – falls Sie schwerbehindert/gleichgestellt sind – eine Schwerbehindertenvertretung, informieren Sie diese über Ihr Vorhaben. Betriebsräte können oft vermittelnd unterstützen und darauf hinwirken, dass der Arbeitgeber dem Anliegen offen begegnet. Die Schwerbehindertenvertretung hat sogar ein gesetzliches Beteiligungsrecht in Angelegenheiten schwerbehinderter Mitarbeiter und wird Ihr Interesse an einer Wiedereingliederung fördern.
- Beim BEM mitwirken: Sollte Ihr Arbeitgeber ein BEM-Gespräch anbieten (muss er nach 6 Wochen Krankheit), nehmen Sie dieses Angebot wahr. Im BEM können Sie Ihre Wünsche äußern – eben z.B. den Wunsch nach einer Wiedereingliederung. Weisen Sie darauf hin, dass Ihr Arzt diese empfiehlt. Das BEM-Protokoll kann später ein Beleg dafür sein, dass eine Wiedereingliederung vorgeschlagen wurde.
- Gründe für Ablehnung erfragen: Lehnt der Arbeitgeber Ihre Wiedereingliederung ab, bitten Sie um konkrete Gründe. Sie haben ein berechtigtes Interesse zu erfahren, warum es (aus seiner Sicht) nicht geht. Möglicherweise lassen sich die Gründe ausräumen – etwa durch eine Anpassung des Plans. Vielleicht war der Zeitraum ungünstig gewählt (betriebliche Spitzenzeit) und ein anderer Starttermin wäre möglich? Oder der Arbeitgeber fürchtet bestimmte Tätigkeiten – dann könnte Ihr Arzt evtl. den Plan anpassen und diese Tätigkeiten ausschließen. Kurz: Bleiben Sie im Dialog und zeigen Sie Kompromissbereitschaft, wenn sachliche Einwände kommen.
- Hilfe von extern holen: Bei schwerbehinderten Menschen kann das Integrationsamt oder ein Inklusionsberater hinzugezogen werden, wenn der Arbeitgeber mauert. Diese Stellen können moderieren und dem Arbeitgeber ggf. Pflichten und Fördermöglichkeiten aufzeigen. Auch Unfallversicherungen oder Rentenversicherungsträger (falls die Wiedereingliederung im Rahmen medizinischer Rehabilitation läuft) haben Interesse am Erfolg der Maßnahme und können unterstützen.
- Rechtliche Schritte abwägen: Wenn alle Stricke reißen und Sie den Eindruck haben, der Arbeitgeber verweigert die Wiedereingliederung ohne guten Grund, sollten Sie juristischen Rat einholen. Insbesondere als schwerbehinderter Mensch haben Sie möglicherweise Ansprüche, die einklagbar sind (auf zustimmende Mitwirkung bzw. sogar Schadensersatz, falls Ihnen dadurch finanzielle Nachteile entstanden sind). Auch ohne Schwerbehinderung kann eine unberechtigte Verweigerung später im Falle einer Kündigung relevant werden – Ihr Anwalt kann dies bewerten. Beachten Sie jedoch, dass ein gerichtliches Vorgehen während einer laufenden Erkrankung die Beziehung zum Arbeitgeber belasten kann. Oft ist es zielführender, mit Unterstützung des Betriebsrats oder externer Berater auf eine einvernehmliche Lösung hinzuwirken.
- Finanzielle Absicherung prüfen: Da Sie während der Wiedereingliederung in der Regel Krankengeld beziehen, stellen Sie sicher, dass diese Leistung weiterläuft. Sollte der Arbeitgeber zustimmen und Sie beginnen die Wiedereingliederung, informieren Sie Ihre Krankenkasse darüber. Wenn der Arbeitgeber ablehnt, bleiben Sie regulär krankgeschrieben – ggf. müssen Sie mit Ihrem Arzt besprechen, wie es weitergeht (weitere Behandlung, Reha beantragen etc.). Achten Sie darauf, dass Sie keine Lücke in Ihrer Krankenversicherung haben. Im Zweifel fragt die Krankenkasse nach dem Stand der Dinge (die Krankenkasse hat selbst ein Interesse, dass die Wiedereingliederung erfolgt, um Ihre Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen).
- Durchhalten, aber nicht überfordern: Wenn Sie die Chance zur Wiedereingliederung bekommen, nutzen Sie sie, aber hören Sie auf Ihren Körper. Die Wiedereingliederung soll Ihnen helfen, dauerhaft gesund im Job zu sein. Melden Sie Ihrem Arzt und Arbeitgeber ehrlich zurück, wie Sie die Belastung verkraften. Notfalls kann die Wiedereingliederung verlängert oder pausiert werden. Ihr Wohl steht im Vordergrund – das gilt es immer zu betonen, auch dem Arbeitgeber gegenüber.
Wiedereingliederung nach Krankheit ist ein wichtiges Instrument, von dem beide Seiten profitieren können: Arbeitnehmer gewinnen einen schonenden Weg zurück in den Beruf, und Arbeitgeber erhalten die Chance, erfahrene Mitarbeiter wieder einzugliedern, statt sie durch Krankheit zu verlieren. Rechtlich ist die Wiedereingliederung im deutschen Arbeitsrecht fest verankert – jedoch mit dem Grundsatz der Freiwilligkeit und der gegenseitigen Zustimmung. Ein allgemeines Zwangsrecht des Arbeitnehmers gibt es (mit Ausnahme Schwerbehinderter im Rahmen des Zumutbaren) nicht, ebenso wenig kann der Arbeitgeber jemanden gegen dessen Willen “auf Wiedereingliederung schicken”. In der Praxis und nach neuester Rechtsprechung läuft es aber darauf hinaus, dass ein Arbeitgeber einen substanziierten Wunsch nach Wiedereingliederung nicht leichtfertig abschlagen darf. Die gesetzlichen Pflichten aus § 167 SGB IX (BEM) und § 164 SGB IX (Schwerbehindertenschutz) sowie die sozialversicherungsrechtliche Intention des § 74 SGB V geben die Richtung vor: Wo immer möglich, soll die stufenweise Rückkehr ermöglicht werden.
Für Arbeitgeber heißt das: Eine Ablehnung ist nur mit guten Gründen zulässig – z.B. wenn der Wiedereingliederungsplan objektiv nicht umsetzbar oder gesundheitsgefährdend ist. “Nach Belieben” darf kein Arbeitgeber eine fachärztlich empfohlene Wiedereingliederung verweigern. Tut er es doch, riskiert er Schadensersatzansprüche (besonders bei schwerbehinderten Beschäftigten) oder zumindest Nachteile in einem späteren Rechtsstreit.
Arbeitnehmer sollten ihrerseits das Gespräch suchen, ihre Rechte kennen und Unterstützung (intern wie extern) nutzen, um die Wiedereingliederung durchzusetzen, sofern sie für die Genesung sinnvoll ist. Letztlich verfolgen beide Seiten das gleiche Ziel: die volle Arbeitsfähigkeit des Mitarbeiters. Mit guter Kommunikation und Verständnis auf beiden Seiten lässt sich dieses Ziel durch eine Wiedereingliederung am besten erreichen – Konfrontationen um Zustimmung oder Ablehnung sollten die Ausnahme bleiben. Denn im Idealfall sehen Arbeitgeber wie Arbeitnehmer die Wiedereingliederung nicht als lästige Pflicht, sondern als Chance, gemeinsam den Weg zurück in ein stabiles, gesundes Arbeitsverhältnis zu finden.